Glock-Kolumne: "Heiße Zeiten stehen bevor"
Marussia-Pilot Timo Glock berichtet in seiner neuesten Kolumne von den ersten Metern mit dem MR01, der drohenden Red-Bull-Dominanz und Ferrari-Sorgen
(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser von 'Motorsport-Total.com',
uns stehen jetzt endlich wieder richtig heiße Zeiten bevor. In wenigen Tagen beginnt die neue Saison und sie verspricht viel Spannung. Für mich und mein Team Marussia F1 werden die Tage in Melbourne enorm wichtig. Wir haben unseren neuen MR01 nur kurz vor dem Abflug in Großbritannien testen können. Natürlich ging es dabei nicht an die Detailarbeit, aber erste Eindrücke habe ich bei den Fahrten natürlich schon bekommen. Kurz gesagt: Das Auto ist nicht nur schön, sondern es benimmt sich auch gut.
Unseren Shakedown mussten wir auf Demoreifen absolvieren. Diesen Walzen ist bezüglich des Fahrverhaltens nicht immer so ganz zu trauen. Die Reifen sind zwar nicht hart wie Holzschuhe, aber irgendwie merkwürdig. Ich hatte das Gefühl, als seien an allen vier Rädern unterschiedliche Reifentypen montiert. Nach einem Reifenwechsel war das Gefühl dann wieder ganz anders. Über Gripniveau und Balance lässt sich unter diesen Umständen kaum urteilen. Egal.
Im Vordergrund standen ohnehin eher der Check aller Systeme und der Abgleich von Daten mit den errechneten Werten aus unserer Technikabteilung. Beides passte perfekt. Wir haben die ersten 200 Kilometer ohne irgendwelche Probleme ganz solide durchfahren können. Der Datenabgleich nach dem Shakedown hat uns bestens gefallen. Die Realität spiegelte genau das wieder, was man zuvor berechnet hatte. Das passt also.
Wenn man sich unser neues Auto anschaut, dann fällt vor allem zuerst mal auf, dass wir keine stufige Nase haben. Das haben unsere Fachleute nicht aus ästhetischen Gründen so gemacht, sondern weil sie davon überzeugt sind, dass uns eine solche Stufe bei der bisherigen Version unseres Autos nicht helfen wird. Insgesamt ist unser Auto nicht sonderlich verschnörkelt. Das ist ganz bewusst so gemacht. Erst soll die Basis stimmen, dann kommt die Feinarbeit. Unsere flache Nase hat übrigens rein gar nichts mit der Zusammenarbeit mit McLaren zu tun.
Viel Arbeit im Melbourne-Training
In Melbourne werde ich mich in den ersten Tagen erst einmal etwas akklimatisieren, die Zeitumstellung aus den Gräten schütteln und dann geht es an die Arbeit. Bei uns steht unglaublich viel auf dem Plan. Weil wir an den offiziellen Tests nicht teilnehmen konnten, müssen wir nun natürlich viele Dinge nachholen. Das Programm für die Freien Trainings ist umfangreich. Ich hoffe, dass der MR01 dann wieder genau so zuverlässig schnurrt wie beim Shakedown in dieser Woche. Ich bin da guter Dinge.
Australien ist immer sehr schön und nett, aber für Abstimmungsarbeiten ist der Kurs im Albert Park nicht wirklich gut geeignet. Die Strecke wird viel zu selten befahren, ist oft zu Beginn des Wochenendes ziemlich schmutzig und "grün", wie wir Formel-1-Leute sagen. Das bedeutet, dass der Asphalt anfangs kaum Grip bietet, sich dann aber Gummi auf die Bahn legt und das Gripniveau sich ständig verändert. Unter solchen Voraussetzungen sind Entwicklungsfahrten nicht ganz easy.
Wir kümmern uns also zuerst mal um die grundsätzlichen Dinge. Wir müssen eine gute Balance austüfteln und erforschen, wie der Wagen auf Setupänderungen und sich verändernde Bedingungen reagiert. Wir werden in Melbourne noch weit davon entfernt sein, das Maximum aus unserem MR01 herauszuholen. Das kommt an den Rennwochenenden danach. Eines kann ich jetzt schon sagen: Unser Auto ist längst nicht mehr so windanfällig wie im Vorjahr. Beim Shakedown hat es ordentlich gepustet. Das hat uns gar nichts mehr ausgemacht - super!
Red Bull mit Assen im Ärmel
Während die meisten anderen Teams in den vergangenen Wochen ausgiebig getestet haben, musste ich leider länger auf mein neues Auto warten. Das war bestimmt nicht ideal, aber auch nicht zu ändern. Sorgen habe ich mir keine gemacht, denn ich wusste, dass für den letzten Crashtest nur minimale Anpassungen nötig waren. Es gab Zeiten, da haben Teams die Crashtests am Mittwoch vor dem ersten Rennen absolviert. Es war knapp, aber nicht zu knapp.
Ich habe die Testfahrten der anderen Teams zuletzt in Barcelona natürlich auch verfolgt. Red Bull und McLaren auf Augenhöhe? Das sehe ich anders. Ich bin sehr sicher, dass Red Bull bei den Tests immer reichlich Sprit an Bord hatte. Eine echte Qualifyingsimulation haben die nicht einmal ansatzweise gemacht. Da lagen sicherlich noch ein bis zwei Sekunden drin, vielleicht sogar noch mehr. Auch McLaren und Mercedes haben nicht alles gezeigt, aber ganz so gut wie Red Bull werden sie wohl nicht sein.
Ich bin gespannt, wie Ferrari die aktuelle Situation in den Griff bekommen wird. Dass die ein Problem mit dem neuen Auto haben, ist aus meiner Sicht ziemlich klar. Ob das aber aerodynamische Sorgen sind, oder doch alles an der mutigen Vorderachse liegt, lässt sich von meiner Position aus nicht einschätzen. Ich kann mir gut vorstellen, dass es einige Zeit dauern wird, bis sie wieder vorne mitmischen. Probleme bekommt man in Zeiten ohne umfangreiche Testfahrten nur schwierig in den Griff.
Zurück zu meinem Team. Marussia F1 hat Maria de Villota als Testfahrerin ins Team geholt. Ich finde das ein tolles Signal. Das zeigt, dass unser Team ohne Vorurteile an das Thema Frauen und Formel 1 herangeht. Ich bin auf die Zusammenarbeit sehr gespannt. Ich freue mich übrigens ganz besonders auf den Rennsonntag in Melbourne. An dem Tag feiere ich meinen 30. Geburtstag. Ein Punkt wäre ein Traum - wohl unrealistisch. Aber wenn ich mit einem guten Gefühl anschließend nach Malaysia reisen kann, dann wäre das auch schon ein schönes Geschenk.
Bis bald,
Timo Glock