Howett-Kolumne: Wiederholt sich die Geschichte?

Ex-FOTA-Vizechef John Howett analysiert zwei Jahre nach dem großen Formel-1-Streit, welche Richtung die Königsklasse seiner Meinung nach einschlagen sollte

von John Howett · 16.06.2011 17:47

(Motorsport-Total.com) - Liebe 'Motorsport-Total.com'-Leser,

John Howett gilt als wichtiger Architekt des heutigen Concorde-Agreements

wenn überhaupt, gibt es sehr wenige weltweite Sportarten, in denen den Teilnehmern 50 Prozent des kommerziellen Einkommens weggenommen werden. Die Formel 1 ist ohne Zweifel die Königsklasse des weltweiten Motorsports. Sie liegt mir, genau wie Millionen anderen, am Herzen. Ich hoffe inständig, dass die Teams die Gelegenheit des Ende 2012 auslaufenden Concorde-Agreements ergreifen, ihr eigenes Schicksal und das des Sports selbst in die Hand zu nehmen.

Einige sagen, dass das wegen der Rivalitäten unter den Teams nicht möglich ist. Ich glaube aber erstens, dass viele der Änderungen, die die Formel 1 in den vergangenen Jahren besser gemacht haben, dem konstruktiven und einheitlichen Vorgehen der FOTA sowie einer professionellen und erfrischend offenen Einstellung der FIA unter der Führung von Jean Todt zu verdanken sind.

Zweitens funktioniert es in anderen Sportarten. Selbst da, wo die Teams einander oft kritisieren, sind sie dazu in der Lage, Schlüsselelemente jenseits des Wettbewerbs, zum Beispiel eben kommerzielle Fragen, gemeinsam zu klären. Die englische Premier League ist dafür ein gutes Beispiel.

Glaube an Zusammenhalt der Teams

Denen, die bezweifeln, dass die Teams zusammenarbeiten können, sage ich daher: Es ist sehr realistisch und innerhalb der Fassungskraft der Teams. Sie müssen nur weiterhin zusammenhalten und sich darauf konzentrieren, eine neue Zukunft für sie selbst und den Sport zu erschaffen - eine Zukunft mit verbesserten Einkünften und verbesserten kommerziellen Spielregeln, kurzum mit verbesserter Kontrolle der Teams über ihr kommerzielles Schicksal. Sie können diese Gelegenheit auch ergreifen, um die Nachhaltigkeit des Sports in Zukunft signifikant zu verbessern.

Es gibt dafür eine Reihe von Möglichkeiten. Zum Beispiel eine überarbeitete Vereinbarung mit dem Inhaber der kommerziellen Rechte. Das ist möglich, aber in meinen Augen unwahrscheinlich. Warum hat der Inhaber der kommerziellen Rechte nicht schon längst eine signifikant verbesserte finanzielle Verteilung für die Zeit nach 2012 angeboten, ist in einen offenen Dialog eingetreten und hat in die kommerziellen Rahmenbedingungen und die Entwicklung des Sports investiert?

"Es gibt keinen Anlass, zu glauben, dass sich an dieser Position in Zukunft entscheidend etwas ändern wird."John Howett
Der Wechsel auf HD-Übertragungen kam zu spät, der Sport wird zu wenig promotet, den Teams werden keine Serviceleistungen angeboten und die sich verändernde Medienlandschaft wird viel zu wenig erkannt. Es gibt keinen Anlass, zu glauben, dass sich an dieser Position in Zukunft entscheidend etwas ändern wird, zumindest nicht ohne riesigen Druck seitens der Teams.

Die zweite Möglichkeit ist, dass CVC die kommerziellen Rechte verkauft. CVC hat öffentlich ausgesagt, dass die Formel 1 nicht zum Verkauf steht. Das ist eine Position, die ihnen zusteht, aber wenn die Teams nicht für nach 2012 unterschreiben, was hat CVC dann wirklich? Sicherlich Medien- und Streckenverträge sowie Sponsorenvereinbarungen - und sie könnten die Formel 1 mit neuen Teams betreiben.

Etablierte Teams sind nicht zu ersetzen

Wenn sich die Medienunternehmen und Strecken nicht selbst geschützt haben, indem definiert wurde, was die Formel 1 eigentlich ist (zum Beispiel mit welchen Teams), dann könnten sie dazu gezwungen sein, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Es wäre aber für jedes neue Team sehr schwierig, im Zeitraum von zwölf bis 18 Monaten (genauer gesagt bis Ende 2012), ein vernünftiges Rennauto zu bauen. Meiner Meinung nach wäre das die GP1. Die Formel-1-Fans lassen sich nicht zum Narren halten und wären nicht zufrieden.

Eines ist klar: Das Herz der Formel 1 oder des Grand-Prix-Sports war schon immer und wird immer diese mythische Mischung aus den besten Ingenieuren, der fortgeschrittensten Technologie, den besten Fahrern und den besten Teams sein, die auf den großartigsten Strecken der Welt am Limit gegeneinander antreten - die Königsklasse des Motorsports. Aus diesem Grund bin ich davon überzeugt, dass der Name oder die Marke Formel 1 nur sekundäre Bedeutung besitzen und kein Stolperstein wären. Öffentlichkeit und Fans würden sofort eine Verbindung zu den Teams herstellen, unabhängig vom Namen der Rennserie.

Wenn die Teams standfest bleiben und CVC realisiert, dass ein Verkauf ihre beste Möglichkeit ist, dann gibt es zwei wichtige Kriterien. Erstens muss der Verkaufspreis realistisch sein. Ich habe von Leuten gehört, die "sogenannte Formel-1-Insider" kennen, dass CVC ein Angebot über 3,5 Milliarden US-Dollar unterbreitet, dieses aber abgelehnt wurde. Ich finde diesen Preis überzogen, wenn man bedenkt, was man dafür bekommt: möglicherweise keine Teams, weil noch niemand für die Zeit nach 2012 unterschrieben hat, Restschulden und vielleicht einige möglicherweise interessante Verträge.

Um die 3,5 Milliarden in Kontext zu setzen: Die FIA hat die kommerziellen Rechte für einen Preis an die Formel 1 verkauft, der 300 Millionen US-Dollar betragen haben dürfte, wie gemeinhin anerkannt wird. Und da reden wir von einem Zeitraum von nicht weniger als 100 Jahren!

Zweitens können die Teams einen neuen Partner finden, der ihnen einen viel besseren finanziellen Deal anbietet und zudem die Fähigkeit hat, den Sport in Zukunft zu entwickeln, und versteht und respektiert, dass die Teams das Herz des Sports sind.

Warum News Corp und Exor vergrämen?

Auch wenn einige versuchen, die Glaubwürdigkeit des vorgeschlagenen Konsortiums zwischen News Corp und Exor (das ein Interesse, die Formel 1 zu übernehmen, signalisiert hat) zu zerstören, macht das eigentlich überhaupt keinen Sinn. Eine Kombination von Organisationen, die verstehen, in welche Richtung die Neuen Medien gehen (die eine eine Fernsehanstalt und die andere ein Unternehmen, dessen Familie aus der Automobilindustrie kommt, mit enger Verbindung zu Ferrari) und die die Formel 1 respektieren und verstehen, kann für die Formel-1-Teams und -Fans nur vorteilhaft sein.

Denjenigen, die die Verbindungen dieses Konsortiums zu Ferrari missbilligen, kann ich nur sagen, dass ich das Privileg hatte, als Vize-Vorsitzender der FOTA neben Luca di Montezemolo zu arbeiten. Obwohl Ferrari das nicht tun hätte müssen, übernahmen sie selbstlos die Führungsrolle und nahmen unnötige Risiken auf sich, um andere Teams zu unterstützen und ihnen dabei zu helfen, jene Lösungen zu erreichen, die diese damals gebraucht haben. Sie waren dazu nicht verpflichtet. Sie haben einfach die Notwendigkeit und den Vorteil von starken Teilnehmern und einer gesunden Formel 1 verstanden.

"Viele halten dieses Szenario für unmöglich, aber ich glaube, das wäre eine machbare und rationale Alternative."John Howett
Die letzte Möglichkeit ist eine neue Rennserie. Den Teams ist es aus vertraglichen Gründen nicht möglich, vor dem 1. Januar 2012 irgendetwas Konkretes zu unternehmen. Viele halten dieses Szenario für unmöglich, aber ich glaube, das wäre eine machbare und rationale Alternative. Die Teams würden, wie in vielen anderen Sportarten, die Kontrolle über die kommerziellen Rechte und die kommerziellen Spielregeln übernehmen. Indem sie auch die anderen 50 Prozent der Einkünfte erhalten würden, könnten sie rasch eine nachhaltige Zukunft erschaffen.

Wenn wir davon ausgehen, dass das EBITDA (Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; Anm. d. Red.) 2013 ungefähr 1,3 Milliarden US-Dollar betragen wird, dann würden die Teams davon ungefähr 650 Millionen (50 Prozent) erhalten. Wenn sie selbst die Kontrolle hätten, könnten sie zum Beispiel Gebührenreduktionen an die Strecken weitergeben, von denen sich die meisten nach finanziellen Erleichterungen sehnen, oder auch an Sponsoren hinsichtlich der Hospitality-Gebühren, an Fernsehanstalten und so weiter.

Möglich: Gebührenerleichterung für alle

Nehmen wir mal an, solche Gebührenerleichterungen reduzieren das EBITDA auf eine Milliarde - das wäre eine Kostenersparnis für Strecken, Sponsoren, Fernsehanstalten und so weiter um 300 Millionen -, dann würden die Einkünfte der Teams dennoch von 650 Millionen auf eine Milliarde US-Dollar steigen. Das wäre eine viel bessere Wertverteilung für alle Parteien. Nicht zu vergessen, dass man die Zukunft der traditionsreichen Strecken, die wir alle lieben, absichern könnte und würde.

Es bestünde auch die Möglichkeit, die jährliche Gebühr, die an die Sporthoheit, die FIA, bezahlt wird, zu erhöhen. So würde man die Einkünfte in allen Bereichen des Sports reinvestieren und das Geld würde nicht aus dem Sport gesaugt - eine Win/Win/Win-Situation, denn auch als Fans können wir nur gewinnen und profitieren. Mit nur noch zwei Parteien, dem Verband und den Teams, wäre der Sport sicher ein unkomplizierterer und besserer Ort, einer, an dem konstruktive Entscheidungen durch professionellen Dialog mit dem wahren Interesse des Sports und der Fans an erster Stelle getroffen werden.


Fotos: Großer Preis von Kanada


Auch wenn die EBITDA-Zahlen sehr hoch erscheinen mögen, glauben die meisten Analysten, dass die Einkünfte voraussichtlich enorm steigen werden, weil der Sport ein zunehmend beliebter Teil unseres Lebensstils wird, unterstützt von einer gigantischen Vielfalt neuer digitaler Plattformen - Plattformen, deren Potenzial vom derzeitigen Inhaber der kommerziellen Rechte nicht ausgeschöpft wird. Ich kann mir vorstellen, dass ich in Zukunft praktisch in Echtzeit den Monaco-Grand-Prix vom Sofa aus gegen Seb, Fernando und Jenson fahre. Welches Auto würden Sie auswählen? Der Sport muss für die Fans viel zugänglicher werden und ganz besonders seine Anreize für Interaktion mit Jugendlichen erhöhen.

Den Skeptikern, die sagen, dass CART gescheitert ist und dass sich im Wettbewerb stehende Rennserien nur gegenseitig auffressen, sage ich, dass dem nicht so ist. Die Beteiligten sagen mir, dass zwei Faktoren zum Niedergang von CART geführt haben: einerseits die Stärke des Indy 500, das nicht Teil der CART-Serie war und das dazu geführt hat, dass in der CART-Serie engagierte Hersteller in die IRL gewechselt sind; und andererseits die Tatsache, dass Teameigentümer Anteile an CART hatten und diese an Spekulanten verkauft haben, um an Geld zu kommen.

Monaco nicht wie Le Mans oder Indy

Ich finde nicht, dass die Formel 1 ein einmaliges Rennen hat, das nur einmal im Jahr stattfindet, so wie Le Mans oder das Indy 500. Monaco ist vielleicht nahe dran, aber die Einführung einer einfachen Konstitution wie der englischen Premier League stellt sicher, dass Eigenkapital im Team aufgebaut wird, während der Sport gleichzeitig vor feindlichen Investoren geschützt ist. So könnte man das CART-Szenario einfach vermeiden.

John Howett wurde bei der Gründung der FOTA zum Vize-Vorsitzenden ernannt

Ich bin absolut überzeugt, dass die Strecken und TV-Verträge mit den derzeitigen Teams mitgehen würden und dass es genug andere Strecken geben würde, falls die derzeitigen nicht wollen. Das Kartellrecht hilft in Sachen Verfügbarkeit von Strecken - mit Sicherheit in Europa, vielleicht sogar weltweit.

Die Teams haben es meiner Meinung nach in der Hand. Sie müssen nur zusammenhalten und entschlossen bleiben, um eine neue und nachhaltige Zukunft für den Sport zu erschaffen. Der mögliche Anstieg der Einkünfte ist riesig und ich glaube, dass das anfängliche Team-EBITDA einer neuen Rennserie nicht niedriger, sondern wahrscheinlich sogar höher wäre als das aus der aktuellen Vereinbarung. Die Teams können und sollten die kommerziellen Spielregeln des Sports kontrollieren. Gemeinsam mit der FIA können sie eine großartige Zukunft für den Sport aufbauen.

Meine Angst ist, dass sich die Geschichte wiederholt. Andere werden versuchen, die Teams zu trennen und zu beherrschen, wie das in der Vergangenheit passiert ist, oder die Situation mit Bluff und Gegenbluff fortwährend und absichtlich hinauszuzögern, bis es für die Teams zu spät ist, irgendetwas zu unternehmen - mit dem unvermeidlichen Ausgang, dass der Sport in die gegenwärtige Situation zurückfällt. Um dieses Szenario im Interesse von uns allen, denen die Formel 1 am Herzen liegt, zu vermeiden, ist es für die Teams JETZT an der Zeit, eine zusammenhaltende Gruppe zu bilden und eine sich ständig verbessernde und nachhaltige Zukunft für den Sport zu erschaffen.

Ihr
John Howett