• 01. Januar 2024 · 08:43 Uhr

"Oh my Lord, Max": Warst Du das am Boxenfunk, Alex Albon?

Interview mit Alexander Albon: Über einen alten Mythos zu Abu Dhabi 2021, wie sehr ihm Red Bull geholfen hat und warum er bei Williams so aufblüht

(Motorsport-Total.com) - Eigentlich hätte unser Interview mit Alexander Albon bereits beim Grand Prix von Italien in Monza stattfinden sollen. Doch weil die Williams-Presseabteilung bei der Vorbesprechung der Ansicht war, man dürfe dem 27-Jährigen keine Fragen über seine Vergangenheit bei Red Bull stellen, sagten wir den Termin kurzfristig ab. Zugegeben: etwas gekränkt ob der Einschränkung journalistischer Arbeit.

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Alexander Albon war eine der positiven Erscheinungen der Formel-1-Saison 2023 Zoom Download

Ein paar Wochen vergingen, und Albon beendete die Saison 2023 als eine der positiven Erscheinungen des Formel-1-Jahres. Praktisch im Alleingang führte er das Williams-Team mit 28 Punkten, zu denen er 27 beitrug, auf den siebten Platz der Konstrukteurs-WM. Irgendwie also doch einer, über den unsere Leser mehr erfahren sollten.

Also terminierten wir das Interview neu. Zwar weiterhin unter strengen Auflagen, unter anderem mit gerade mal zehn Minuten Zeit für das Gespräch, beantragten wir für Las Vegas erneut ein Treffen mit Albon, und diesmal konnten wir uns mit der Presseabteilung irgendwie doch darauf einigen, dass so ein Interview für beide Seiten eine gute Idee wäre.

Am Vorabend des Gesprächs, das wir bereits am 15. November in Las Vegas geführt haben, machte mich mein Kollege Kevin Scheuren auf einen Social-Media-Mythos aufmerksam, der mir bis dahin gänzlich unbekannt war.

Und der geht so: Als Max Verstappen beim dramatischen WM-Finale in Abu Dhabi 2021 über die Ziellinie fuhr, war einer der ersten Funksprüche, inbrünstig geschrien: "Oh my Lord, Max, oh my God!" Ich war bisher stets davon ausgegangen, dass es sich dabei um Christian Horner gehandelt haben muss.

Dem Mythos nach soll es aber Alexander Albon, damals Testfahrer von Red Bull, gewesen sein. Das vermuten zumindest viele Social-Media-User. Mein Kollege trug mir das vor, ich lachte ihn aus und bot eine Wette um 1.000 Dollar dagegen an. Warum sollte auch ein Testfahrer Zugang zum Boxenfunk haben? Erschien mir nicht plausibel.

Bei mehrmaligem Studium des YouTube-Videos auf dem offiziellen Kanal der Formel 1 kamen mir dann aber Zweifel. Irgendwie klingt die Stimme tatsächlich ein wenig nach Albon und nicht so sehr nach Horner.

Somit war der Einstieg in unser Interview gefunden. Warst Du das nun, Alex, oder warst Du's nicht?

Alexander Albon: "Das war nicht ich!"

Kevin Scheuren: "Das warst nicht Du?"

Albon: "Das war GP."

Christian Nimmervoll: "Hätten wir doch wetten sollen, Kevin!"

"GP" steht Red-Bull-intern als liebevolles Kürzel für Gianpiero Lambiase, den Renningenieur von Verstappen. Er ist der Mann, der den inzwischen dreimaligen Weltmeister (der damals noch keiner war) am Boxenfunk regelmäßig daran erinnert, er möge bitte vernünftig sein und sich doch nochmal überlegen, ob's wirklich eine schnellste Rennrunde braucht.

Somit wäre der Mythos aufgeklärt. Busted, wie es in einer beliebten TV-Serie heißen würde. Und ich ärgere mich grün und blau, weil ich mit Kevin doch um die 1.000 Dollar wetten hätte sollen. Leisten hätte er sich's können, denn ein paar Tage später ging er mit 200 Dollar ins Palms-Casino und kam mit mehr als 500 wieder raus. Aber das ist eine andere Geschichte ...

Ist Albon so gut oder sind seine Teamkollegen so schlecht?

Zurück zu unserem Interview. Alex Albon, das steht außer Zweifel, hat sich in der Formel 1 etabliert. Seine starken Leistungen stellt niemand, auch ich nicht, in Abrede. Aber für mich bleiben Restzweifel: Ist er wirklich um so viel besser geworden, oder hatte er bei Williams einfach so schlechte Teamkollegen? Nicholas Latifi und Logan Sargeant gelten nicht gerade als angehende Weltmeister.

Nimmervoll: "Du wurdest während Deiner Red-Bull-Jahre von Max Verstappen zerstört. Logan Sargeant ist ein Rookie und damit eine schwierige Referenz. Tun Dir diese Stimmen wie meine weh, die sagen: Wir wissen nicht, wie gut Albon eigentlich ist."

Albon: "Nein, weil es sich nicht auf mich auswirkt. Letztendlich ist nur wichtig, wie jene Leute meine Leistung bewerten, die mich einstellen und die für mich relevant sind."

"Ich denke, es läuft ganz gut, ich fahre ganz gut. Ja, meine Zeit bei Red Bull war hart. Aber das liegt hinter mir. Ich bin jetzt viel erfahrener als damals, und die Erfahrung ist in der Formel 1 ein immens wichtiger Faktor. Das wurde in meiner Zeit bei Red Bull nicht wirklich berücksichtigt."

"Ich glaube schon, dass ich heute besser fahre als damals. In der Formel 1 geht es immer um Vergleiche, zumindest für die Kommentatoren und die Zuschauer. Da ist es leicht, jemanden abzustempeln. Aber intern bin ich sehr zufrieden mit dem, was ich tue."

Nimmervoll: "Du machst auch den Eindruck, als sei Dein Selbstvertrauen enorm gewachsen. Was sicher durchs Alter einerseits und die Erfahrung andererseits kommt. Du kennst das Geschäft jetzt schon."

Albon: "Ja."

Nimmervoll: "Aber ist auch Dein reines Fahren besser geworden?"

Albon: "Nein. Sicher mag das auch eine Rolle spielen, das Element gibt's. Aber das ist nicht, wo die Rundenzeit herkommt."

"Viel kommt von der Erfahrung, davon, die Autos zu kennen, die Formel 1 zu verstehen und die Werkzeuge am Lenkrad, mit denen man arbeitet. Man muss verstehen, wie man ein Auto so hinbekommt, dass es zum Fahrstil passt, und wie man am Limit fährt und trotzdem Vertrauen ins Auto hat. Das sind Dinge, die man niemals im ersten Jahr lernt. Man fängt, glaube ich, im zweiten Jahr an, diese Dinge halbwegs zu durchschauen."

"Ich bin jetzt im vierten Jahr. Da hat man das ganz gut im Griff. Da kommt die Rundenzeit her. Man muss realisieren: Im ersten Training wird das Auto nie perfekt sein. Man muss verstehen, in welche Richtung man mit dem Set-up gehen muss und was mir als Fahrer ermöglicht, das Maximum aus dem Auto rauszuholen."

Bei Williams anders behandelt als bei Red Bull

Frage: "Fällt Dir das bei Williams leichter als in Deinem ersten Formel-1-Jahr? Wegen der Art und Weise, wie Du bei Williams behandelt wirst, und weil Du hier auch so etwas wie ein Nummer-1-Fahrer bist?"

Albon: "Nicht wirklich, nein. Es ist einfach der Faktor Zeit. Trial & Error."

"Wenn man harte Zeiten durchgemacht und nicht verstanden hat, warum sie hart waren, muss man sich hinsetzen, zurückblicken und versuchen zu verstehen, was man hätte besser machen können und warum. Und man darf nicht zulassen, dass diese Dinge nochmal passieren."

"Bei Toro Rosso ging es gerade damit los, mir eine gute Struktur und eine gute Basis aufzubauen. Ich habe viel gelernt, in einem Team, das daran gewöhnt war, mit jungen Fahrern zu arbeiten. Als ich zu Red Bull ging, war das ein Team, das an diese Unerfahrenheit nicht gewöhnt war."

"Als ich zu Williams kam, hat mir sehr geholfen, dass ich ein Jahr Zeit hatte, mich selbst zu reflektieren. Ich verstand, woran ich arbeiten musste, und in meinem ersten Jahr bei Williams war ich besser aufgestellt als Ende 2020, obwohl ich ein Jahr lang nicht gefahren war."

Frage: "Dein heutiger Teamchef James Vowles und Helmut Marko sind Vertreter völlig unterschiedlicher Managementkulturen. Fällt es Dir bei Williams leichter als bei Red Bull, Dich zurechtzufinden?"

Albon: "2022 war auch schon ein sehr positives Jahr für mich, unabhängig davon, wer gerade die ranghöchste Person im Team ist. Das Meiste kommt aus Selbstreflektion und Selbstverbesserung."

"Natürlich sind es unterschiedliche Arbeitsweisen. Ich hatte jetzt vier Teamchefs: Franz, dann Helmut und Christian (Horner), dann Jost (Capito; Anm. d. Red.) und jetzt James. Sie haben alle ihre eigenen Persönlichkeiten, sie arbeiten alle anders."

"Das Wichtigste bei Williams ist, dass der Fokus langfristig ausgerichtet ist. Es geht darum, das Team gemeinsam aufzubauen. Sie verlassen sich auf mich, dass ich dabei helfe, das Team in die richtige Richtung zu steuern. Und diese Rolle gefällt mir. Ich möchte dieses Team nach vorn bringen."

"Die Dynamik, die wir bei Williams haben, ist eine ganz andere als die bei Red Bull. Einfach weil ich in ein Team komme, mit dem wir gerade im Begriff sind, nach vorn zu kommen und aufzusteigen. Wir kommen aus ein paar harten Jahren raus und versuchen, dieses Team zu entwickeln. Die Arbeitsweise und die Kultur des Teams ist da ganz anders, wie Du Dir vorstellen kannst."

Am Ende dreht sich doch sehr viel um Red Bull ...

Frage: "Ist es so, dass man Dir bei Williams mehr zutraut, dass Du die Dinge auf Deine Weise machst und es am Ende schon passen wird, wohingegen man Dir in der Vergangenheit misstraut hat und Du Dein Ding deswegen nicht durchziehen konntest?"

Albon: "Ich glaube, es geht mehr darum ..."

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Nicht nur angenehme Fragen: Alexander Albon im Gespräch mit Christian Nimmervoll Zoom Download

Ich ertappe mich im Interview dabei, wie genau das passiert, was wir der immer genervter dreinschauenden Williams-Pressedame versprochen hatten, dass nicht passieren würde, nämlich dass sich das Gespräch zu einem großen Teil über Albons Vergangenheit bei Red Bull dreht. Aber schwamm drüber. Er könnte unsere Fragen ja auch einfach nicht beantworten.

Ich finde eins spannend: Albon wurde bei Red Bull, besonders während der Saison 2020, teilweise scharf kritisiert. Helmut Marko ist keiner, mit dem gut Kirschen essen ist, wenn die Leistung nicht stimmt. Und die hat nicht gestimmt. Auch wenn es immerhin zu zwei Podestplätzen gereicht hat.

Viele fragen sich immer noch: Wie wäre Albons Karriere verlaufen, hätte er 2020 jenes Rennen auf dem Red-Bull-Ring gewonnen, bei dem er mit Lewis Hamilton aneinandergeraten ist? Ich stelle mir die gleiche Frage. Letztendlich spielt das keine Rolle mehr. Er hat seinen Weg auch so gemacht.

Und man muss Albon hoch anrechnen, dass er kein böses Wort über Red Bull verliert. Offenbar hat er nicht vergessen, dass er nach dem Aus als Stammfahrer nicht fallen gelassen wurde wie eine heiße Kartoffel, sondern man ihn in der DTM unterstützt und als Testfahrer behalten hat. Eine Position, ohne die es wahrscheinlich nie zum Comeback bei Williams gekommen wäre.

Albon: "Ich habe heute ein stärkeres Selbstbewusstsein. Ich weiß besser, wie das Auto sein muss, um besser zu performen. Wenn ich in diesen Meetings sitze, nicht nur mit den Ingenieuren an der Strecke, sondern auch mit den Aerodynamikern und Technikern in der Fabrik, mit den Leuten, die das Auto für nächstes Jahr entwickeln, dann weiß ich heute viel besser, wovon ich rede. Ich verstehe das Auto und seine Stärken und Schwächen besser. Dann traut man sich auch mehr zu sagen."

"Bei Red Bull musste ich noch lernen, also konnte ich wenig Feedback liefern, wo die Reise mit dem Auto hingehen soll, weil ich erstmal verstehen lernen musste, was das Auto überhaupt so macht und warum."

War wirklich alles auf Verstappen zugeschnitten?

Frage: "Und ich vermute, man hat Dir auch dann und wann gesagt: Komm damit klar, wie es ist, denn so braucht es Max nun mal."

Albon: "Nein, eigentlich ganz im Gegenteil! Man hat sich Gedanken gemacht: Wie können wir Alex dabei helfen, dass er sich im Auto wohler fühlt?"

"Andere Fahrer, die in ihrer Karriere schwierige Phasen durchgemacht haben, nehmen wir etwa Daniel bei McLaren, taten sich schwer damit, sich im Auto wohlzufühlen. Also haben wir versucht, dass ich mich im Red Bull wohlfühle. Das hat irgendwie nie so richtig geklappt. Mit dem Wissen von heute hätte ich das hinbekommen. Aber im Nachhinein redet es sich leicht."

"Unterm Strich habe ich das Gefühl, dass es mich in diesem Bereich noch besser und fokussierter gemacht hat, dass ich besser verstehe, welches Feedback ich liefern muss, dass ich diese schwierigen Monate und Rennwochenenden durchgemacht habe."

Frage: "Wir unterhalten uns ganz vage über Vertrauen ins Auto. Gehen wir mehr ins Detail: Was hat bei Red Bull nicht geklickt? War es so etwas wie Bremsen am Kurveneingang? Gibt es da spezielle Details?"

Albon: "Nicht, was das Auto betrifft. Ich denke wirklich, es ging vor allem um Vertrauen. Sich eins mit dem Auto zu fühlen. Zu verstehen, was es in der einen Kurve tut und dann in der nächsten."

Frage: "Und dieses Vertrauen übersetzt dann so, dass man später bremsen kann?"

Albon: "Nicht unbedingt. Es geht nicht um einen spezifischen Stil. Es ist die Verbindung zum Auto. Das Gefühl, das man für das Auto entwickelt, muss instinktiv sein. Du musst in eine Kurve fahren und schon wissen, was das Auto tun wird, bevor du einlenkst."

"Das ist das Gefühl, das du brauchst. Vertrauen. Fast so etwas wie eine telepathische Verbindung, wenn man so will. Deine Gedanken müssen der Rennstrecke immer voraus sein. Du tanzt mit dem Auto, hast alles unter Kontrolle, und ganz egal, wie das Auto reagiert, du hast immer eine Antwort drauf. Nur dann kannst du wirklich das Beste rausholen."

Alexander Albon: Wer ist das?

Alexander Albon, geboren am 23. März 1996 in London, besitzt sowohl die britische als auch die thailändische Staatsbürgerschaft, fährt in der Formel 1 aber mit thailändischer Lizenz. Eine Tatsache, die ihm möglicherweise Türen geöffnet hat, schließlich wird Red Bull zu 51 Prozent von der thailändischen Yoovidhya-Familie kontrolliert.

In seiner Rennfahrerkarriere hat der heute 27-Jährige noch keinen großen Titel gewonnen. 2014 wurde er Gesamtdritter im Formel-Renault-Eurocup, 2016 Vizemeister in der GP3 und 2018 Gesamtdritter in der Formel 2, im "goldenen" Jahrgang mit Champion George Russell, Vizemeister Lando Norris und dem Viertplatzierten Nyck de Vries.

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