Haben Sie Andreas Seidl & James Key in Wahrheit gefeuert, Zak Brown?
Interview mit McLaren-CEO Zak Brown: Warum er Andreas Seidl nicht nachtrauert, warum 2025 das große Jahr werden soll und wie er zu neuen Formel-1-Teams steht
(Motorsport-Total.com) - Wer Informationen über Zakary Challen Brown, geboren am 7. November 1971 und aufgewachsen in Kalifornien sucht, der wird zumindest auf der deutschen Sprachversion der Online-Enzyklopädie Wikipedia nicht fündig. In gerade mal 13 Sprachen ist sein Porträt bei Wikipedia gelistet. Zum Vergleich: Christian Horner und Toto Wolff gibt es in 26 Sprachen.
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Zak Brown kam 2016 zur McLaren-Gruppe und ist heute CEO von McLaren Racing Zoom Download
Brown war ein motorsportlicher Tausendsassa, ehe er im November 2016 zur McLaren-Gruppe stieß. Als junger Rennfahrer gelang ihm nie der ganz große Durchbruch. Zur Jahrtausendwende, im Alter von 30 Jahren, legte er ein "Sabbatical" vom Rennfahren ein. Weil er sich auf seine neue Karriere als Motorsport-Geschäftsmann konzentrieren wollte.
Brown gründete die Agentur Just Marketing International (JMI), aus deren operativem Geschäft er sich zwar inzwischen zurückgezogen hat, an der er aber nach wie vor beteiligt ist. Er besitzt Anteile an Motorsportteams wie United Autosports (Langstrecke), Walkinshaw Andretti United (Supercars) und Andretti United XE (Extreme E), und er war non-executive Chairman von Motorsport Network.
Als McLaren 2020 am Red-Bull-Ring zum ersten Mal in der Brown-Ära aufs Podium fuhr und dieses auch bei der Siegerehrung feiern konnte (anders als Carlos Sainz' Podium in São Paulo 2019), zeigte sich seine unbändige Leidenschaft für den Motorsport, als er ungeachtet COVID-19-Pandemie das halbe McLaren-Team umarmte.
Der Fahrer, der jenes Podium in Österreich für McLaren geholt hat, war Lando Norris, und für Browns überschwänglichen Jubel war schnell ein Stempel gefunden: "Zak-Attack". Der CEO von McLaren Racing muss lachen, als er von uns im Interview mit diesem Begriff konfrontiert wird - und er verrät: "Offenbar hat sich Lando nach seinem ersten Podium in Österreich die Rippen verletzt!"
Pläne, sich deswegen zu ändern, hat Brown aber nicht: "Ja, ich kann mich schon ziemlich freuen und dabei auch zupacken. Es haben sich aber noch keine Mechaniker bei mir beschwert. Müsste ich mich mal bei der Personalabteilung erkundigen", witzelt er.
Wir treffen Brown am Rande des Grand Prix von Italien 2023 in Monza zum Interview. Es gibt einiges zu besprechen. Den Abgang von Andreas Seidl (Teamchef) und James Key (Technischer Direktor) zu Sauber (Audi). Die Zukunft von Lando Norris, der von Red Bull umgarnt wird. Und warum sich die Formel 1 nicht so dagegen wehren sollte, ein elftes Team aufzunehmen.
Seidl und Key: Sind sie gegangen oder wurden sie gegangen?
Christian Nimmervoll: "Zak, Andreas Seidl war der Mann, der das Team aufbauen sollte. War es eine Enttäuschung, als er Sie darum gebeten hat, frühzeitig aus seinem Vertrag entlassen zu werden?"
Zak Brown: "Es war überhaupt keine Enttäuschung, deswegen habe ich ja zugestimmt. Unser Weg dorthin, 2021 wieder ein Rennen zu gewinnen, begann bereits 2019 mit Gil de Ferran, Andrea Stella, Pete Prodromou und Pat Fry. Das 2020er-Auto wurde 2019 entwickelt, und unser 2021er-Auto war wegen COVID de facto unser 2020er-Auto mit einem Mercedes-Motor hinten drin."
"Analysiert man also unseren Erfolg in der Saison 2021, dann wurde das Fundament dafür bereits 2019 gebaut, und das waren Andrea Stella, Pete Prodromou und Gil de Ferran. Ich möchte James und Andreas nichts absprechen. Aber wenn wir nach dem Ursprung suchen, wo unsere Wende begonnen hat, dann war es mit dem genannten Team."
"2022 war ein Jahr der Stagnation. War okay, kommt vor. Insofern fiel mir die Entscheidung leicht, als sich die Chance bot, frühzeitig einen Wechsel zu vollziehen, zumal ich Andrea Stella einsatzbereit an meiner Seite hatte."
"Wenn wir uns anschauen, was Andrea und Pete Prodromou und Piers Thynne erreicht haben, seit sie übernommen haben, ist das ziemlich beeindruckend. Wir befinden uns auf einer Reise zurück an die Spitze. Und es ist eine tolle Reise."
"2022 sind wir kurzzeitig mal auf eine Temposchwelle aufgefahren, aber das war okay. Dann kam Anfang 2023 eine noch größere Temposchwelle. Ich hatte schon in der zweiten Jahreshälfte 2022 das Gefühl, dass etwas nicht richtig war, und konnte das in der Fabrik spüren, wenn ich mit den Leuten geredet habe."
"Alle haben über unsere Fahrersituation ("Piastrigate"; Anm. d. Red.) geredet, aber unter der Hülle war ich nicht zufrieden mit den mangelnden Fortschritten, die wir mit dem Auto machten. Als sich also die Chance bot, etwas zu ändern, war ich sofort dabei: Let's do it!"
"Ich ermächtigte Andrea dazu, alles zu unternehmen, was er für notwendig hielt, um herauszufinden, warum wir stagnierten. Er führte Änderungen durch, tauschte einige Leute aus, schraubte an der Organisation und schuf einigen Mitarbeitern mehr Gestaltungsraum. Was er in nur sechs Monaten geschafft hat!"
"Ich habe jetzt das Gefühl, dass wir wieder auf dem richtigen Weg sind. Ja, wir sind mal über eine Temposchwelle gefahren, aber das ist normal im Sport. Die Kurve zeigt nie gerade nach oben. Und jetzt blicke ich ganz aufgeregt auf unsere Zukunft, weil endlich die komplette technische Infrastruktur steht: Windkanal, Simulator, die neue Produktionsabteilung und so weiter. Ich finde, wir haben mit Andrea und seinem Team eine herausragende Führungsebene."
"Und dann kommen noch ein paar neue Leute, die das gut ergänzen werden, was das Team jetzt schon macht. Wir haben zwei großartige Fahrer, großartige Sponsoren, wir sind finanziell betrachtet sehr gesund. Jetzt brauchen wir nur noch ein bisschen Zeit, um alles zusammenzufügen. Aber ich blicke sehr erwartungsvoll in die Zukunft."
Seidl und Key: Was Brown selbst nicht dazusagt
Interviews, in denen gleich die erste Antwort knallt, ohne großes Warm-up, gibt es selten in der PR-dominierten Welt der Formel 1. Aber Brown ist keiner, der lang um den heißen Brei herumredet. "Eine lange Antwort", grinst er, und die ersten fünf von unseren 20 ursprünglich vereinbarten Minuten sind vorbei.
Eine Antwort, die Zündstoff birgt. Andreas Seidl, von vielen in der Branche als einer der smartesten Köpfe der Formel 1 wahrgenommen, habe in Wahrheit nur in überschaubarem Ausmaß zum Aufschwung von McLaren beigetragen, und als er die Möglichkeit hatte, zu Audi zu wechseln, legte man ihm auch deswegen keine Steine in den Weg, weil man mit seiner Arbeit ohnehin nicht mehr zufrieden war. So und nicht anders legt Brown das mit seinen Worten nahe.
An der Stelle müssen wir vielleicht kurz ausholen und das McLaren-Management erklären. Als Seidl 2019 geholt wurde, baute der Deutsche ein neues Führungsteam auf, mit James Key als Technischem Direktor, Andrea Stella als Rennleiter und Piers Thynne als Chef der Produktion. Außerdem überzeugte Seidl die Shareholder davon, dass McLaren dringend einen neuen Windkanal braucht.
Als er Ende 2022 in Richtung Hinwil aufbrach, wurde McLaren neu strukturiert. Stella wurde zum Teamchef berufen, Thynne zum COO (Chief Operating Officer) befördert und Peter Prodromou wurde als Technischer Direktor Aerodynamik mehr Verantwortung übertragen. Prodromou, einst die rechte Hand von Adrian Newey, gilt als einer der begabtesten Aerodynamiker in der Formel 1.
Als Seidl und Key weg waren, ging es zunächst abwärts. McLaren holte an den ersten acht Rennwochenenden der Saison 2023 nur 17 Punkte, während ein Team wie Aston Martin zu dem Zeitpunkt schon 164 Punkte auf dem Konto hatte. Es sah danach aus, als sei der McLaren-Aufschwung der Jahre 2019 bis 2021 Geschichte.
Doch dann passierte etwas, womit nicht viele in der Formel 1 gerechnet hatten: Das neue Management unter Stella zündete beim vierten Saisonrennen in Baku und beim neunten Saisonrennen in Spielberg die ersten zwei von insgesamt drei großen Updatepaketen, und plötzlich war McLaren wieder konkurrenzfähig.
Jetzt stellen sich viele die Frage: Waren Seidl und Key vielleicht gar nicht so gut, wie das den Anschein hatte? Wurde Stella bei seinem Amtsantritt unterschätzt? Oder wurden die Früchte, die Stella & Co. jetzt ernten, vielleicht in Wahrheit schon vom vorherigen Management gesät?
Nimmervoll: "Technische Updates haben in der Formel 1 manchmal sehr lange Vorlaufzeiten. Die Updates, die in dieser Saison ans Auto gekommen sind, wurden die schon komplett vom neuen Management veranlasst oder gibt es da auch Dinge, die noch unter James Key in die Wege geleitet wurden?"
Brown: "Das war so ziemlich zu 100 Prozent bereits das neue Management."
Nimmervoll: "Ich frage einfach ganz direkt, weil es bisher nicht klar kommuniziert wurde: Hat James Key das Team freiwillig verlassen, um wie Andreas Seidl bei Sauber/Audi anzufangen, oder wurde er gefeuert?"
Brown: "Ich denke, es war eine Umstrukturierung notwendig. Als Andrea einmal identifiziert hatte, was notwendig ist, um nach vorn zu kommen, gab es für James keine Aufgabe mehr bei uns. Es ist das Ergebnis einer Umstrukturierung. Wir haben keinen einzelnen Technischen Direktor mehr."
Was steckt hinter Norris' Flirt mit Red Bull?
Das erste Saisondrittel 2023 war besonders für Lando Norris schwierig. Der 23-Jährige befindet sich in seiner fünften Formel-1-Saison, und obwohl er schon achtmal auf dem Podium stand, hat er noch immer keinen Grand Prix gewonnen. Es war noch unter Seidls Führung, als er im Februar 2022 einen Vertrag unterschrieb, der ihn bis Ende 2025 an McLaren bindet.
Man versetze sich in ihn hinein: McLaren fährt sportlich weiter hinterher denn je, der vermeintliche "Wunderwuzzi" Seidl ist zu Audi abgehauen und hat den Technischen Direktor Key gleich mitgenommen. Perspektive (von außen betrachtet) gleich null. Und keine Chance, vorzeitig aus dem Vertrag auszusteigen.
Nimmervoll: "Wie schwierig war es in der Phase, Lando bei Laune zu halten?"
Brown: "Gar nicht schwierig. Er war mit dem Saisonbeginn natürlich nicht zufrieden. Waren wir alle nicht. Er verstand aber auch, wie und durch wen es zu dieser Situation kommen konnte. Er kannte Andrea sehr gut, also hatte er ein gutes Gefühl, als wir das Management änderten. Ich glaube nicht, dass er sich über die Personalwechsel geärgert hat."
"Er war enttäuscht über das Auto. Aber er kannte Andrea gut und fühlte sich mit seiner Art, das Team zu führen, sehr schnell wohl. Ich denke, es ging ihm mehr darum, zu sehen, wie die Updates anschlagen. Und sie haben angeschlagen. Jetzt ist er extrem happy. Ich glaube, wenn man Lando fragen würde, ob er lieber das hätte, was er vor zwölf Monaten hatte, oder das, was er jetzt hat, dann würde er sich für jetzt entscheiden."
Nimmervoll: "Lando hat kürzlich gesagt, er wäre offen für ein Angebot von Red Bull. Max Verstappen redet in den höchsten Tönen von ihm. Die beiden sind Freunde. Ist sein Vertrag bis Ende 2025 wasserdicht? Unabhängig davon, wie viel jemand als Ablöse bieten würde?"
Brown: "Korrekt."
Nimmervoll: "Und wenn jemand Powerunits im Austausch bieten würde?"
Brown: "Lando wird bis 2025 bei McLaren fahren. Ganz sicher."
Nimmervoll: "Sie haben ja mit Red Bull schon über die Powerunits für 2026 gesprochen. Ich schätze, da sprechen Sie gerade mit allen Herstellern?"
Brown: "Es stimmt, wir haben Red Bull in ihrer neuen Fabrik besucht. Was die da machen, ist schon beeindruckend."
Nimmervoll: "Wen haben Sie sonst noch so besucht in letzter Zeit?"
Brown: "Ich kann mir schwer vorstellen, dass ein Ferrari-Motor im Heck eines McLaren läuft. Wobei ich tatsächlich vor einiger Zeit bei Ferrari war. Aber nur, um dort mein Schumacher-Auto abzugeben ..."
Windkanal & Co.: Jetzt gibt's keine Ausreden mehr!
Kevin Scheuren: "Sie haben gesagt, die Infrastruktur steht jetzt."
Brown: "Korrekt."
Scheuren: "Der Windkanal ist also in Betrieb?"
Brown: "Zu 100 Prozent in Betrieb."
Scheuren: "Das 2024er-Auto wird also das erste sein, das vollständig im neuen Windkanal entwickelt wurde?"
Brown: "Nicht vollständig, weil das 2024er-Projekt ja bereits begonnen hat. Da muss ich nochmal ausholen, was die Reise betrifft, auf der wir uns befinden. Wir haben jetzt zwar alles so beisammen, wie wir es wollen, aber das 2024er-Auto wurde bereits vor Monaten in Angriff genommen. Es wird eine Art Hybrid werden. Das gilt auch für unser Team und unser Layout und unser Personal."
An der Stelle braucht es einen Einschub. Nach der Trennung von Seidl und Key setzte McLaren nicht nur auf interne Beförderungen, um das Management neu aufzustellen. Sondern es wurde auch extern Personal angeworben. Im März wurde bekannt, dass Chefentwickler David Sanchez von Ferrari kommen wird. Und im Mai folgte mit der Verpflichtung von Red-Bull-Chefingenieur Rob Marshall der nächste Coup.
Brown: "Rob Marshall und David Sanchez kommen am 1. Januar. Per 2. Januar haben wir also alles beisammen, was wir brauchen. Aber am 2. Januar ist das Auto schon fertig. Es wird also erst 2025 so weit sein, dass ich nicht nur sagen kann, dass wir alles beisammen haben, sondern dass auch all die neuen Leute das neue Auto gebaut haben, mit all den neuen Werkzeugen."
"2024 wird ein Übergangsjahr. Rob und David werden bei den Updates mithelfen. Aber im Wesentlichen steht das Auto bereits im Dezember. Da haben sie keinen Einfluss drauf. Erst 2025 werden wir die Fingerabdrücke der neuen Leute und der neuen Werkzeuge komplett sehen."
Nimmervoll: "Wann wurde der Windkanal erstmals in Betrieb genommen?"
Brown: "In der ersten Woche nach der Sommerpause."
Nimmervoll: "Eigentlich hätte der schon viel früher laufen sollen, nicht wahr?"
Brown: "Wir hatten COVID, da kam der Bau zum Stehen. Dann hatten wir finanzielle Probleme und es ging nichts weiter. Und dann die Lieferkettenschwierigkeiten infolge der Pandemie. Was eigentlich zwei Jahre hätte dauern sollen, hat letztendlich vier Jahre gedauert."
Scheuren: "Das Ziel wäre gewesen, dass das 2024er-Auto bereits zu 100 Prozent im neuen Windkanal entsteht?"
Brown: "Ja."
Nimmervoll: "Gab es durch die Verschiebungen eigentlich ein Problem mit der Budgetobergrenze, hinsichtlich der CapEx-Ausnahmen? Als das Projekt begonnen wurde, gab es noch keine Obergrenze. Als es beendet wurde schon."
Brown: "Das war kein Problem, denn der Windkanal gilt als Ausnahme. Das wurde geregelt. Aston hat ja auch einen neuen Windkanal gebaut."
CapEx: Warum McLaren mit Williams sympathisiert
CapEx steht für Capital Expenditure beziehungsweise sogenannte Investitionsausgaben. CapEx definiert im Finanzreglement der Formel 1 Ausnahmen von der Budgetobergrenze, die für die Saison 2023 eigentlich bei 136,2 Millionen US-Dollar liegt (plus Inflationsanpassung). Solche Ausnahmen können zum Beispiel Investitionen in neue Infrastruktur wie einen Windkanal sein - und sind derzeit bis maximal 45 Millionen Dollar (ab 2025 nur noch 36 Millionen Dollar) gestattet.
Ein Thema, das zuletzt für heiße Diskussionen gesorgt hat. Denn während die großen Teams bereits alles haben, was sie brauchen, um ihre Autos zu entwickeln, hat James Vowles bei seinem Wechsel von Mercedes zu Williams gemerkt, dass er als Teamchef in Grove erstmal in die Infrastruktur investieren muss, damit seine Mitarbeitenden Chancengleichheit mit Mercedes vorfinden. Vowles wünscht sich deshalb eine Anhebung der CapEx-Summe.
Nimmervoll: "Williams-Teamchef James Vowles wünscht sich einen großzügigeren CapEx-Rahmen, um mehr investieren zu können. Wo steht McLaren in dieser Frage?"
Brown: "Generell bin ich kein Fan von großzügigeren Ausnahmeregeln. Andererseits verstehe ich, dass Williams die Chance möchte, einen Rückstand aufzuholen, und kooperiere in der Frage."
"Das Problem ist: Als die Idee präsentiert wurde, hoben alle anderen Teams die Hand, die auch etwas haben wollten, und plötzlich ging es nicht mehr darum, Williams aufholen zu lassen, sondern plötzlich wurde davon geredet, dass jedes Team 70 bis 90 Millionen extra bekommen soll."
"Und das Problem ist auch: Wenn wir Williams jetzt investieren lassen, dann kommt das nächste Team und beschwert sich, weil Williams jetzt das neuere Zeug hat, und bittet auch um eine Ausnahme, damit man aufholen kann. Ich habe also keine Ahnung, wie wir das Ziel erreichen sollen."
"Ich habe volles Verständnis für die Position für Williams, ich unterstütze den Vorstoß auch - aber es darf dadurch kein Kaufrausch entstehen. Und das hat, fürchte ich, angefangen. Was mit 'Lasst uns Williams ein bisschen helfen' anfing, führte dazu, dass jetzt die Hälfte der Teams mehr Geld ausgeben wollen. Ich bin generell dagegen, dass mehr Geld ausgegeben wird, nur damit wir uns mehr Ressourcen leisten können. Das führt nur wieder zu einem teuren Wettrüsten."
"Man muss es ja mal so sehen: Im Moment ist die Formel 1 wahnsinnig umkämpft. Zumindest, wenn man Max aus der Rechnung nimmt. Ohne ihn wären fünf, sechs Teams aus eigener Kraft siegfähig. Die Regeln funktionieren. Vielleicht sollten wir eine Budgetgrenze für Max' Gasfuß einführen!"
Nimmervoll: "Ist der Red Bull vielleicht gar nicht so dominant, wie alle glauben, sondern ist in Wahrheit nur Max Verstappen so herausragend gut?"
Brown: "Es ist definitiv das beste Auto. Aber er ist momentan auch der beste Fahrer im besten Auto. Und wenn die beiden Komponenten zusammenkommen, ergibt das ein unschlagbares Paket."
"Aber es gibt schon sowas wie die 'Max-Magie', denn Sergio Perez ist ein verdammt guter Rennfahrer, der auch schon Grands Prix gewonnen hat. Er ist Zweiter in der WM. Aber er dominiert halt nicht so. Das zeigt, dass es das beste Auto ist, und Sergio ist ein verdammt guter Rennfahrer. Aber mit dem Niveau, auf dem Max fährt, ist er derzeit unschlagbar."
Nimmervoll: "Zurück zur Infrastruktur: Gibt es neben dem Windkanal noch andere Dinge, in die McLaren in letzter Zeit investiert hat?"
Brown: "Viele Kleinigkeiten. Aber über die großen Dinge haben wir schon gesprochen: die Produktionsabteilung, die ziemlich wichtig ist, der Windkanal, der Simulator, neue CFD-Software. Und natürlich updaten wir laufend Bereiche, die durch CapEx gedeckt sind."
Nimmervoll: "Was kostet so ein neuer Windkanal eigentlich?"
Brown: "Ungefähr 25 Millionen Pfund, wenn man, wie wir, nur eine bestehende Anlage updatet. Ich schätze, ein neuer Windkanal würde 60, 70 Millionen Pfund kosten. Bei uns waren es 25. In den letzten fünf Jahren haben wir wahrscheinlich 60 Millionen Pfund in neue Infrastruktur investiert."
Wie steht es um die finanzielle Gesundheit von McLaren?
Nimmervoll: "Die Bereitschaft der Shareholder, in McLaren zu investieren, scheint also vorhanden zu sein. Sie haben ja ihr Hauptquartier in Woking verkauft und zahlen jetzt Miete dafür, und es gab immer wieder Gerüchte, dass McLarens finanzielles System gewaltig unter Druck steht. Wie gesund ist McLarens finanzieller Zustand wirklich?"
Brown: "McLaren Racing - das ist der Teil der Gruppe, den ich operativ leite - wird dieses Jahr zum ersten Mal, seit ich den Job übernommen habe, einen gesunden Gewinn abwerfen. Also zum ersten Mal seit fast zehn Jahren. McLaren Racing bewegt sich an der Budgetobergrenze, mit zwei ordentlichen Fahrergehältern. Wir nutzen unsere CapEx-Grenzen aus und schreiben trotzdem Gewinne."
Nimmervoll: "Und das sollte noch besser werden, wenn die Investition in den Windkanal nicht mehr in der Bilanz auftaucht und idealerweise noch mehr Geld von der Formel 1 ausgeschüttet wird."
Brown: "So ist es. McLaren Racing ist also extrem gesund."
Das war nicht immer so. 2020, am Höhepunkt der Pandemie, schloss McLaren Racing mit einem Verlust von umgerechnet mehr als 80 Millionen Euro ab. Die McLaren-Gruppe geriet so ins Straucheln, dass 1.200 Mitarbeiter entlassen werden mussten; immerhin 70 davon betrafen das Formel-1-Team.
Im Jahr darauf gelang es dem McLaren-Management, umgerechnet rund 200 Millionen Euro an frischem Kapital zu generieren, indem die Fabrik in Woking verkauft wurde. Der neue Eigentümer überwies den Kaufpreis, McLaren zahlt dafür jetzt jeden Monat Miete. Ein Vorgang, der in der Branche "Sale & Leaseback" genannt wird - und letztendlich nichts anderes ist als ein Kredit.
Außerdem wurden weitere 215 Millionen Euro durch ein Investment von MSP Sports Capital lukriert. MSP ist seit Ende 2022 zu 33 Prozent an McLaren Racing beteiligt. Sprich: Stand Zeitpunkt der Transaktion war das McLaren-Team hochgerechnet 645 Millionen Euro wert. Eine Bewertung, die in Zeiten des derzeitigen Formel-1-Booms fast wie ein Schnäppchen erscheint ...
Die Auswirkungen der Budgetobergrenze auf McLaren
Nimmervoll: "Ich habe kürzlich geschrieben, dass die FIA die Teams und deren Eigentümer mit der Einführung der Budgetobergrenze reich gemacht hat. Würden Sie zustimmen?"
Brown: "Ich weiß nicht, wer sich die Budgetgrenze an die Brust heften darf. Ich würde sagen, das war ein kollektiver Schulterschluss zwischen den Teams, der Formel 1 und der FIA."
Nimmervoll: "Der damalige FIA-Präsident Max Mosley war der Erste, der die Idee vorgetragen hat. Das war 2009."
Brown: "Er war der Erste, das stimmt. Die Budgetgrenze hat für die Shareholder einen enormen Wert geschaffen, weil die Popularität der Formel 1 enorm gewachsen ist."
"Was wir hier haben, ist die größte Sportserie der Welt. Es gibt nur zehn Teams. In anderen Profiligen gibt es 20, 30, 40 Teams. Es herrscht also eine Knappheit. Alle Teams sind finanziell gesund. Jedes Team ist auf dem Weg, profitabel zu werden, oder ist schon profitabel. Und jedes Team kann gewinnen, weil die Budgetgrenze für Chancengleichheit sorgt."
"Ich denke, dass inzwischen alle zehn Teams nahe an der Budgetgrenze operieren. Ich denke, die Popularität der Formel 1 kombiniert mit der finanziellen Nachhaltigkeit und der realistischen Chance, auch etwas zu gewinnen und dabei profitabel zu wirtschaften, hat dafür gesorgt, dass sich Investoren die Formel 1 anschauen und finden, dass das ein Business ist, in das sie investieren sollten."
"Wenn wir uns anschauen, wie viel ein Premier-League- oder ein NBA- oder NFL-Team wert ist, und wenn wir das mit der Größe eines Formel-1-Teams vergleichen, dann waren wir unterbewertet. Es ist nicht logisch, dass wir nicht gleich viel wert sein sollen. Und jetzt kommen halt professionelle Sportinvestoren und sagen, dass das ein guter Kauf ist."
Nimmervoll: "Weil es zehn Franchises gibt, mehr nicht, aber mehr interessierte Investoren."
Brown: "Angebot und Nachfrage. Es gibt viel Nachfrage und fast kein Angebot."
Nimmervoll: "Umso mehr überrascht es mich, dass Sie der Aufnahme von neuen Teams aufgeschlossen gegenüberstehen, als einer der wenigen Teamchefs. Das kostet ein Team wie McLaren locker 200, 300 Millionen auf die nächsten zehn Jahre. Warum sind Sie bereit, so viel Geld aufzugeben?"
Brown: "Weil ich nicht glaube, dass wir dieses Geld verlieren. Es muss das richtige Team mit den richtigen Ressourcen sein. Wenn die dann die richtige Franchisegebühr zahlen ..."
Nimmervoll: "Sie meinen die 200 Millionen Antiverwässerungsgebühr. Das ist nicht die Summe, die Sie sich wünschen, nicht wahr?"
Brown: "Definitiv nicht 200 Millionen. Sagen wir 700. Dann kriege ich 70 Millionen davon. Meiner Rechnung nach verwässert ein elftes Team unsere Einnahmen um ungefähr zehn Millionen Euro pro Jahr. Das heißt, mit den 70 Millionen bin ich mal für die nächsten sieben Jahre kostenneutral."
Rechenbeispiel: Wie viel kostet ein elftes Team?
Die sogenannte "Anti-Dilution-Fee", also eine Antiverwässerungsgebühr, die jedes neu einsteigende Team zahlen muss, liegt derzeit bei 200 Millionen Dollar. Diese Summe wird unter den anderen zehn Teams aufgeteilt - als Kompensation dafür, dass den bestehenden Teams Einnahmen entgehen, wenn der Kuchen in elf statt in zehn Stücke aufgeteilt werden muss.
In Wahrheit ein Tropfen auf dem heißen Stein. Rechteinhaber Liberty Media hat 2022 1,157 Milliarden Dollar an die zehn Teams ausgeschüttet, also im Durchschnitt 115,7 Millionen pro Team. Und das, was 2022 ausbezahlt wurde, war die Umsatzbeteiligung für das Jahr 2021, als die Formel 1 noch an den Folgen der Pandemie zu leiden hatte.
Sprich: Die Umsätze werden in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich deutlich steigen. Geht man von einer jährlichen Steigerung von durchschnittlich acht Prozent aus, dann würde jedes der zehn Teams im Zehnjahreszeitraum bis Ende 2031 1,676 Milliarden Dollar aus dem FOM-Topf erhalten.
Teilt man die Gesamtsumme aber durch elf statt durch zehn Teams auf, kostet das jedes Team hochgerechnet mehr als 150 Millionen Dollar auf zehn Jahre. Bei zwölf Teams ergibt sich sogar ein hochgerechneter Einnahmenentgang von 280 Millionen Dollar.
Summen und eine Logik, die Brown so nicht uneingeschränkt unterschreibt. Unabhängig davon, ob neue Teams den bestehenden Teams nun 280 oder 100 Millionen auf zehn Jahre kosten: Die Verwässerungsgebühr in der Höhe von 200 Millionen Dollar findet auch er viel zu niedrig angesetzt. Ist aber im aktuellen Concorde-Agreement, das bis Ende 2025 läuft, so festgesetzt.
Brown: "Ich glaube, es wären ungefähr zehn Millionen pro Jahr. Sie würden ein Elftel von derzeit 1,1 Milliarden Dollar kassieren, also 100 Millionen. Das sind zehn Millionen pro Team. Im Durchschnitt. Wenn sie also, angenommen, 700 Millionen einzahlen, bekomme ich 70 Millionen, mit denen ich sieben Jahre lang auskomme."
"Das hilft übrigens auch dem Wert unserer Franchises. Denn wenn allein die Antrittsgebühr schon bei 700 Millionen liegt, muss der Wert von McLaren ja noch höher liegen. So würde man also 700 Millionen Dollar an Franchisewert garantieren. Unabhängig davon, wie viel ein Team wirklich wert ist. Da ist die Rede von eineinhalb, zwei Milliarden Dollar. Also wäre McLaren dann 2,7 Milliarden Dollar wert."
"Dazu kommt: Wenn wir ein elftes Team haben, tritt noch mehr Verknappung ein. Die Formel 1 bietet nur Platz für zwölf Teams. Bei zwölf sind wir ausverkauft. Man könnte also nicht einfach ein neues Team gründen, und das kurbelt die Nachfrage nach bestehenden Teams an."
"Und ich finde auch, dass man eins bedenken muss: Wenn jemand wie General Motors in die Formel 1 einsteigt, partizipieren wir an 70 Prozent der Einnahmen, die die Marke für Werbung in den Sport investiert."
"Sagen wir, General Motors sponsert einen Grand Prix, kauft Tickets für den Paddock-Club, um 100 Millionen pro Jahr. Dann erhalten die Teams 70 Millionen davon. Von den 100 Millionen, die sie aus dem System erstmal rausnehmen, kommen dann also weitere 70 auf Umwegen zurück. Kombiniert man das mit dem gestiegenen Franchisewert, kostet mich ein elftes Team kein Geld. Zumal ein neues Team auch mehr Popularität generieren kann, höhere Einschaltziffern, und so weiter."
"Ich weiß nicht genug über Andrettis Pitch, um einschätzen zu können, ob sie angenommen werden sollten oder nicht. Von uns hat keiner die Unterlagen gesehen. Aber wenn jemand dazu bereit ist, die richtige Franchisegebühr zu zahlen, es ein qualitativ hochwertiges Team ist, wir wissen, wer die Leute sind und womit sie ihr Geld verdient haben, wenn sie einen OEM mitbringen und das nötige Kleingeld, dann finde ich nicht, dass das irgendwas verwässert. Dann finde ich, das ist eine tolle Aufwertung."
Übrigens: Die Spatzen pfeifen dieser Tage von den Dächern, dass Andretti jenes Projekt sein wird, das von der FIA grünes Licht für eine Formel-1-Teilnahme ab 2025 erhalten soll. Als elftes Team. Damit steht aber noch nicht fest, dass Andretti-Cadillac wirklich kommen wird. Denn dafür braucht es auch noch eine Einigung mit dem Rechteinhaber. So steht es seit 2021 im Concorde-Agreement.