Damon Hill exklusiv: Verstappen-Druck auf Red Bull wird "sehr groß" sein
Im exklusiven Interview spricht der frühere Weltmeister Damon Hill über das teaminterne Duell bei Red Bull, Oscar Piastri und die Veränderungen in Melbourne
(Motorsport-Total.com) - Nach zwei Rennen deutet sich an, dass Red Bull die Formel-1-Saison 2023 komplett dominieren könnte - zu souverän waren die beiden Vorstellungen in Bahrain und Saudi-Arabien, als der RB19 die Konkurrenz nach Belieben im Griff hatte. Selbst Startplatz 15 hinderte Max Verstappen nicht daran, in Dschidda schon nach dem halben Rennen wieder auf Platz zwei zu liegen.
Im exklusiven Interview mit 'Motorsport.com Australia' analysiert Ex-Weltmeister Damon Hill die Situation bei Red Bull und das teaminterne Duell zwischen Max Verstappen und Sergio Perez.
Zudem spricht der frühere Formel-1-Pilot über die Ziele von Aston Martin, einen aufsehenerregenden Rookie namens Oscar Piastri und was er über die Veränderungen in Australien und die vierte DRS-Zone in Melbourne denkt.
Frage: "Herr Hill, erleben wir in der aktuellen Saison einen kompletten Durchmarsch von Red Bull?"
Damon Hill: "Ich denke, dass es wahrscheinlich etwas verfrüht wäre, die Sache nach zwei Rennen schon als erledigt zu betrachten. Sergio hat sich in Saudi-Arabien mächtig gewehrt und gewonnen. Das ist ein weiterer Faktor, der die Sache interessant machen könnte."
Frage: "Kann er den Kampf mit Max aufnehmen?"
Hill: "Ich glaube, das Problem ist, dass Max eine Art Naturgewalt ist. Innerhalb des Teams geht es darum, wie viel Druck er auf das Team ausüben kann, um sicherzustellen, dass seine Meisterschaftsambitionen nicht durch Checo beeinträchtigt werden. Aus sportlicher Sicht bin ich der Meinung, dass man Checo jede Gelegenheit geben sollte, innerhalb des Teams unter gleichen Bedingungen zu kämpfen."
"Ich weiß, dass der Druck der Verstappens, auch seines Vaters, auf Red Bull sehr groß sein wird. Er wird die Karte ausspielen und sagen: 'Ich bin eure Zukunft. Die ganze Möglichkeit baut sich um mich herum auf', und er wird sie ausnutzen. Checo weiß, womit er es zu tun hat, aber er wird sich nicht kampflos geschlagen geben. Es könnte recht interessant werden."
Frage: "Könnte es zu einem harten politischen Kampf innerhalb des Teams kommen?"
Hill: "Checo wird von einem sehr interessanten Mann namens Julian Jacob betreut. Julian hat früher für Alain Prost und Ayrton Senna gearbeitet, er ist also schon sehr lange dabei und kennt diesen Sport und weiß, was in den Formel-1-Teams vor sich geht."
"Checo ist ein selbstbewusster Typ. Als er hierherkam, war er einer der wenigen, von denen ich mir vorstellen konnte, dass sie stark genug sind, sich nicht vom Team unterkriegen zu lassen. Wir haben gesehen, wie junge Leute dorthin gingen und sich ohne Freunde wiederfanden. Sie können dadurch eingeschüchtert sein und mussten woanders hingehen, wie [Pierre] Gasly und [Alexander] Albon."
"Man könnte sogar sagen, dass Mark Webber und Daniel Ricciardo diese Erfahrung gemacht haben. Red Bull ist ein schwieriges Umfeld. Sie legen nicht den Arm um dich und sagen: 'Wir kümmern uns um dich, mach dir keine Sorgen'. Checo hat Leute in seiner Ecke und wir werden sehen, wie es weitergeht."
"Was auch immer passiert, die Verstappens werden es nicht einfach hinnehmen. Man hat nach Saudi-Arabien gesehen, dass Max ... Ich würde sagen, schmollen ist kein zu starkes Wort. Er sah sehr unglücklich darüber aus, wie die Dinge gelaufen sind. Diese Leute mögen es nicht, Zweiter zu werden."
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Frage: "Ist der Red Bull RB19 das dominanteste Auto aller Zeiten, wie es Lewis Hamilton sagte?"
Hill: "Er sagte, das schnellste Auto, das es je in der Formel 1 gab. Ich glaube, er meinte damit, dass es einen enormen Geschwindigkeitsunterschied gibt, wenn das DRS offen ist. Sie sind in der Lage, viel mehr Beschleunigung zu bekommen. Das wird die Aufmerksamkeit aller auf sich ziehen."
"Das ist mir schon letztes Jahr aufgefallen. Sie haben einen sehr interessanten, zurückgelehnten Heckflügel, der im DRS-Modus ein ziemlich flaches Profil besitzt. Ich denke, sie haben viel Arbeit in diesen Bereich gesteckt. Damit haben sie einen größeren Vorteil als die anderen, wenn sie DRS haben."
"Ich denke, alle anderen werden sich das ansehen und denken: 'Da haben wir wohl einen Trick übersehen'. Sie werden einfach an allen vorbeiziehen. Sobald das DRS aktiv ist, kann man sie nicht mehr aufhalten."
Aston Martin: Blick an die Spitze
Die Überraschung des Saisonauftakts war aber ohne Zweifel Aston Martin. Der Rennstall hat im Vergleich zum Vorjahr den größten Sprung hingelegt und reist als WM-Zweiter zum dritten Saisonlauf, den man 2022 noch punktelos verlassen hatte.
Frage: "Sollte Aston Martin Red Bull ins Visier nehmen?"
Hill: "Ich glaube, sie haben ihre Augen nach ganz oben gerichtet. Ich glaube nicht, dass sie ihre Ziele in der Mitte gesetzt haben. Lawrence Stroll ist sehr ehrgeizig und ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann, und er geht nicht in etwas hinein, in der Hoffnung, einer der Leute zu sein, die auf dem Podium stehen. Er will gewinnen."
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"Ich denke also, dass sie ihr Ziel neu ausgerichtet haben und jetzt gewinnen wollen - und wenn es nur ein oder zwei Rennsiege sind. Ich denke, sie wollen Meister werden. Sie haben von einem Zeitplan von fünf Jahren gesprochen oder was auch immer es ist. Aber ich glaube, sie sind ihren Erwartungen jetzt schon voraus. Sie könnten in diesem Jahr durchaus Vizemeister werden."
"Lance [Stroll] hatte einen schweren Start und ein bisschen Pech. Wenn er erst einmal in Schwung kommt, werden sie jede Menge Punkte holen und sogar Ferrari eine Menge abnehmen."
Oscar Piastri mit guter Basis
2023 sind mit Oscar Piastri, Nyck de Vries und Logan Sargeant auch drei Rookies am Start. In Dschidda könnte vor allem Piastri mit seinem Q3-Einzug von sich reden machen, auch wenn es im Rennen nach einer frühen Kollision nichts zu holen gab. Trotzdem ist der Australier für Damon Hill schon ein Upgrade zu seinem Landsmann und Vorgänger Daniel Ricciardo.
Frage: "Wie ist ihr erster Eindruck zu Oscar Piastri? Ist er näher an Lando Norris dran als Daniel Ricciardo?"
Hill: "Dem würde ich zustimmen. Was mit Daniel Ricciardo passiert ist, ist ein Rätsel. Ich weiß nicht, was da passiert ist. Aber Oscar ist aufgeweckt gekommen und sieht selbstbewusst aus und fühlt sich in der Formel 1 sehr wohl. Er hat bereits einige beeindruckende Leistungen gezeigt. Das verheißt Gutes für den Rest der Saison."
"Ich bin mir sicher, dass Lando, wenn er erst einmal warmgelaufen ist, eine härtere Nuss sein wird, aber er wird eine Menge lernen. Es geht um die Pace im Qualifying, wie man sich vergleicht. Und er hat in Saudi-Arabien gute Arbeit geleistet. Wenn er nach Melbourne kommt, wird er viel Aufmerksamkeit bekommen, und die Frage ist, ob ihn das ablenkt."
"Aber er scheint mir nicht der Typ zu sein, der sich leicht ablenken lässt oder sich für die Nebensächlichkeiten in der Formel 1 interessiert. Er scheint ein sehr eifriger und fokussierter Rennfahrer zu sein. Mark Webber wird ihm alle Tipps geben, wie er seinen Heim-Grand-Prix meistern kann."
Frage: "In Saudi-Arabien ist er schon in Q3 gefahren. Ist jetzt ein wichtiger Zeitpunkt in der Karriere, um solche Leistungen zu zeigen?"
Hill: "Das ist es. Wenn man einen schwierigen Start hat, kann es die ganze Saison dauern, bis man wieder auf die Beine kommt. Die Leute sind sehr schnell dabei, zu urteilen und auf die Zeichen zu achten."
"Die großen Fahrer kamen mit einem Paukenschlag in die Formel 1. Sie kamen an. Michael Schumacher, Max Verstappen, Ayrton Senna - sie kamen, und alle fragten sich: "Wo kommt der denn her? Wer ist dieser Typ?'. Ich würde nicht sagen, dass Oscar die Gelegenheit hatte, das zu tun, aber er hat auf jeden Fall sehr kompetent und solide gewirkt. Er ist nicht jemand, bei dem man sagt: 'Oh mein Gott, der sieht ein bisschen wackelig aus'."
"Mick Schumacher hat nie wirklich eine dieser Leistungen gezeigt, bei denen man aufhorchen musste. Er hat sich schwer getan, das Vertrauen zu wecken, das die Leute in den Fahrer haben müssen. Ehe man sich versieht, entwickelt sich ein massiver Schneeballeffekt, bei dem der Schneeball immer schwerer und schwerer wird und man von ihm erdrückt wird."
"Bis jetzt hat Oscar dieses Problem nicht. Er hat eine sehr solide Basis, von der aus er besser werden kann."
Frage: "Wird er auf Alpine und Williams schauen, wo er auch hätte fahren können?"
Hill: "Er dachte wahrscheinlich, dass McLaren der richtige Ort für ihn wäre, das bessere Umfeld für ihn. Alpine ist im Moment gut, sie heben die Welt zwar nicht aus den Angeln, aber sie sehen im Moment viel konkurrenzfähiger aus als McLaren. Ja, es kann sein, dass er das bereut."
Fotostrecke: Dschidda: Die Fahrernoten der Redaktion
Lando Norris (4): Gleich mehrere Redakteure hätten nach seinem Fehler im Qualifying sogar zur 5 gegriffen. Dazu war auch das Rennen nicht besonders stark, am Ende wurde er 17. und damit Vorletzter. Letztendlich lassen wir Gnade walten und geben ihm gerade noch die 4. Fotostrecke
"Die andere Seite der Medaille ist aber, dass er mit Lando gegen einen Fahrer antritt, der sehr hoch angesehen ist. Es ist eine merkwürdige Sache in unserem Sport, dass man als Fahrer an seiner Leistung im Vergleich zu seinem Teamkollegen gemessen wird. Man kann in einem weniger konkurrenzfähigen Auto sitzen, aber wenn man gegen einen Mann konkurrenzfähig ist, von dem einige Leute glauben, dass er ein kommender Weltmeister ist, dann ist das alles, was man braucht."
Hill mit anderen Plänen für Melbourne
Als nächstes steht der dritte Lauf in Melbourne auf dem Programm. Die Strecke hat seit dem vergangenen Jahr ein anderes Gesicht und wurde deutlich umgebaut. Ein schnellerer zweiter Sektor mit einer langen Geraden soll das Überholen verbessern, genau wie eine vierte (!) DRS-Zone. Von den Plänen ist Hill aber nicht gerade begeistert.
Frage: "In Melbourne wird es eine vierte DRS-Zone geben. Was denken Sie darüber?"
Hill: "Ich war ziemlich überrascht über die Änderungen, die sie [im vergangenen Jahr] vorgenommen haben, vor allem, weil ich ein Jahr zuvor mit den Organisatoren gesprochen hatte und ihnen meine Meinung dazu gesagt hatte, was sie tun sollten, um die Strecke zu ändern, und sie haben etwas völlig anderes gemacht. Vielleicht habe ich sie abgeschreckt."
"Ich denke, die DRS-Überholmöglichkeiten sind nicht unbedingt das, was jeder sehen will. Es ist ein künstlicher Eingriff. Manchmal ist es notwendig, es hat dem Sport etwas gebracht. Aber die Überholmanöver, bei denen man jemanden in der Kurve ausbremsen muss oder ihn am Ausgang der Kurve erwischt, sind besser anzusehen. Ich hätte mir gewünscht, dass einige der Kurven enger gemacht worden wären, um Überholmöglichkeiten zu schaffen."
Frage: "Wie sah denn der Plan von Damon Hill für Australien aus?"
Hill: "Ich hätte schwierigere Ecken eingebaut, an denen man leichter Fehler machen kann. Einige enge Kurven und größere Bremsmöglichkeiten. Aber Melbourne ist, wie es ist. Es ist nicht unmöglich, zu überholen, und es ist auch nicht unmöglich, auf dieser Strecke zu fahren. Es ist ein großartiger Ort, mitten in Melbourne. Es sieht toll aus und die Leute kommen gerne dorthin."