• 02. Juli 2021 · 11:28 Uhr

Interview mit Günther Steiner: Wie man Formel-1-Teamchef wird

Um herauszufinden, was ein Formel-1-Teamchef tut, wie man Teamchef wird und welche Fähigkeiten man dafür braucht: Wir haben mit Günter Steiner gesprochen

(Motorsport-Total.com) - Teamchef eines Formel-1-Teams zu sein, gehört wohl zu den härtesten Jobs in der Motorsportwelt, ist sicherlich aber auch einer der prestigeträchtigsten. Denn der Teamchef trifft alle großen Entscheidungen in der alltäglichen Arbeit eines Teams.

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Günter Steiner ist seit 2016 als Teamchef des US-Rennstalls Haas tätig Zoom Download

Günther Steiner ist mittlerweile seit mehr als 35 Jahren im Motorsport tätig und führt das Haas-Team an, seit es 2016 in die Meisterschaft eingestiegen ist. Doch was braucht man, um ein Teamchef zu werden? Wir haben mit Steiner gesprochen, um herauszufinden, welche Qualifikation man benötigt, welche Fähigkeiten man haben sollte und was man sonst alles wissen muss.

Frage: "Was ist ein Teamchef?"

Günther Steiner: "Ich denke, man muss es wie den Geschäftsführer eines Unternehmens betrachten. Du leitest das Team. In der Formel 1 gibt es viele Elemente. Ein großer Mix aus unterschiedlichen Dingen: Technik, Marketing, Sport. Viele Dinge gehören dazu, und du musst dich immer anpassen, egal was du im Moment auch machst. Du musst versuchen, so viel wie möglich zu wissen und die richtigen Entscheidungen zu treffen."

Frage: "Was macht ein Teamchef?"

Steiner: "Im Grunde leitet er ein Unternehmen. Wir sind ein kleines Team, aber die größeren Teams sind Unternehmen mit 500 Mitarbeitern. Bei uns sind es 200. Mehr ist es nicht, und an den Wochenenden fahren wir dann Rennen. Anstatt einmal im Quartal eine Beurteilung vom Vorstand zu bekommen, bekommst du sie jede Woche. Daran wirst du gemessen. Du bist immer nur so gut wie dein jüngstes Rennen, so wie ein CEO nur so gut ist wie sein jüngstes Quartal. Das ist eine sehr kurze Antwort darauf."

Frage: "Wie sind Sie Teamchef geworden?"

Steiner: "Ich weiß gar nicht, wie ich das gemacht habe. Jeder hat eine andere Geschichte, und ich kann meine erzählen: Vor 36 Jahren habe ich mit dem Motorsport begonnen und dann kam eins zum anderen. Du arbeitest dich hoch."

"Vor sieben Jahren habe ich versucht, einen Investor für ein neues Team zu finden. Den habe ich gefunden und wurde dann Teamchef von Haas. Das klingt vielleicht etwas zu einfach, aber du muss natürlich den Sport kennen, die Leute kennen und das Umfeld kennen."

"Wie gesagt: Jeder hat eine andere Story, wie er Teamchef geworden ist. Es ist nicht wie in einem normalen Beruf, wo du zur Schule gehst und dann einfach Karriere machst. Du arbeitest irgendwo und kommst dann nach oben. Ich denke, dass jeder seine eigene Geschichte hat. Es gibt nicht diesen einen Weg, wie man Teamchef wird. Du musst einfach arbeitswillig sein und ein großes Interesse am Motorsport haben. Außerdem ist es sehr fordernd: Du musst eine Menge arbeiten. Es ist ein 24-Stunden-Job, und das sieben Tage die Woche."

"Ich habe 1986 als Mechaniker im Rallyesport begonnen. Ich bin von zuhause weg und von Italien nach Belgien gegangen, weil ich Rennautos mochte. Das war der Start für mich. Danach hatte ich einige technische Positionen inne. Ich war zwei Jahre lang in Belgien, habe dann drei Monate für ein Team in Italien gearbeitet und dann noch einmal sechs Jahre für ein anderes italienisches Team."

"1996 bin ich nach Großbritannien gezogen und habe ein Kundenteam für Prodrive aufgezogen, das auch heute noch ein großes Unternehmen ist. Ich wurde dann Projektmanager für das Ford-Focus-Rallyeauto und dann dort zum Technischen Direktor."

"Und dann habe ich einen Anruf von Niki Lauda bekommen, der damals Teamchef von Jaguars Formel-1-Team war. Und so begann meine Formel-1-Karriere. Ich war General Manager bei Jaguar und danach für ein Jahr bei General Motors/Opel in der DTM. Und dann bin ich zu Red Bull in die Formel 1 gegangen, was vorher Jaguar war. Dort war ich dann Technikchef. Für Red Bull bin ich dann in die USA gezogen, um das NASCAR-Team in den Staaten aufzuziehen. Und dort bin ich dann geblieben."

"Fünf Jahre lang habe ich mein eigenes Unternehmen aufgezogen, ein Geschäft für Verbundstoffe, das auch heute noch existiert. Und dann hatte ich die tolle Idee - wobei ich nicht weiß, wie toll sie war -, ein amerikanisches Formel-1-Team zu haben. Ich habe einen Businessplan geschrieben und einen Investor gefunden. Und jetzt bin ich seit sieben Jahren bei Haas."

Frage: "Welche Erfahrung braucht man?"

Steiner: "Das waren andere Zeiten damals [als ich meine Karriere begonnen habe]. Das ist 36 Jahre her, das kann man nicht mit heute vergleichen. Ich würde niemandem raten, meinen Weg einzuschlagen."

"Wenn jemand in den Motorsport einsteigen möchte, braucht er einen Abschluss. Wenn du etwas Technisches machen möchtest, brauchst du einen Abschluss mit Fokus auf Engineering. Eine Spezialisierung auf Motorsport hilft dabei natürlich. Und du musst gut sein. Das darf am Anfang nicht nur auf dem Papier stehen. Es gibt im Motorsport auch Leute, die sich um Verträge oder das Marketing kümmern. Wenn du Interesse hast, mach einfach dein Studium."

"Wenn du jung bist, hast du eine Menge Energie. Als erstes fängst du in einem kleinen Team an. Dort lernst du eine Menge, weil du eine Menge zu tun hast. Kleine Teams - und wir reden da nicht einmal von der Formel 3, sondern noch kleiner wie Formel 4 oder private Tourenwagenteams - sind ein gutes Training für eine gute Grundlage und gutes Basiswissen, wie alles funktioniert."

"Wenn du gleich in die Formel 1 kommst, denkst du vielleicht, dass es die Realität ist, aber die Formel 1 ist sehr spezifisch. Wenn du ein breiteres Bild hast, ist das deutlich besser für deine Karriere. Wenn du weißt, was im größeren Kontext passiert, dann kannst du dich entwickeln. Aber wenn du in etwas spezialisiert bist, dann bist du irgendwo gefangen. Entweder das funktioniert - oder nichts funktioniert."

"Ich finde immer, dass ein Start woanders dabei hilft, eine Menge zu lernen und im Leben voranzukommen, selbst wenn es nur freiwillige Arbeit als Ingenieur in einem kleinen Rennteam ist oder so."


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Frage: "Welche anderen Eigenschaften sind hilfreich?"

Steiner: "In der Formel 1 muss man schnell Entscheidungen treffen, weil es ein ziemlich schnelllebiger Business-Sport ist. Du musst aufmerksam sein und das durch Arbeit im Motorsport entwickeln. Denn wenn du weißt, womit du es zu tun hast, kannst du Entscheidungen treffen. Denn dann hast du die Situationen schon erlebt und bist qualifiziert."

"Dann natürlich Kommunikation. Du musst mit einer Menge Leuten aus verschiedenen Ländern umgehen. Die Kulturen und die Sprachen zu kennen, hilft dabei enorm. Es sind einfach diese Dinge und das Wissen über die Kulturen, damit du abschätzen kannst, wie andere Leute denken. Denn nicht jeder denkt gleich. Es hilft dir zurechtzukommen, Fortschritte in deiner Karriere zu machen und ein Teil von etwas zu sein. Das gilt nicht nur für die Formel 1, sondern generell. Wenn du Teil einer Industrie sein möchtest, brauchst du gute soziale Fähigkeiten."

"Wenn du das machen willst, brauchst du auch eine Menge Leidenschaft für den Motorsport. Das ist nicht einfach nur ein Job. Wenn du es nur für das Geld machst, dann gibt es viele andere Berufe, wo du mehr verdienst und nicht so hart arbeiten musst. Es muss daher eine Leidenschaft sein. Du brauchst Interesse und musst es wirklich mögen, sonst hat es keinen Sinn. Sonst kommst du rein und gehst nach einigen Jahren wieder."

Frage: "Was ist der beste Karrieretipp, den Sie erhalten haben oder geben können?"

Steiner: "Einfach hart arbeiten. Sich immer korrekt verhalten und fair sein. Nichts weiter. Eine gute Arbeitseinstellung und Fairness. Nicht lügen. Einfach immer weitermachen."

Frage: "Wie kriege ich Arbeitserfahrung als ein Teamchef?"

Steiner: "Wie ich schon sagte: Teamchefs haben die unterschiedlichsten Karrieren hingelegt. Manche Personen haben keinen technischen Hintergrund, andere ein klein wenig, manche sind Teambesitzer in kleineren Rennserien. Es ist also sehr schwierig, zu sagen, worin man sich spezialisieren sollte."

"Es gibt auch nur zehn Teamchefs [in der Formel 1] weltweit. Das sind nicht viele. Viel kommt auch darauf an, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Aber was auch immer du tust, wenn du es mit Leidenschaft angehst und es korrekt machst, dann hast du eine Chance, dein Ziel zu erreichen."

Frage: "Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus?"

Steiner: "Wir haben drei unterschiedliche Firmenstandorte: einen in Italien, einen in den USA und einen in England. Mein Büro befindet sich in den Vereinigten Staaten. Üblicherweise reise ich am Montag nach einem Rennen zurück nach Amerika. Im Sommer reise ich irgendwohin, bleibe in Europa. In der aktuellen Corona-Pandemie arbeite ich von Italien aus."

"Man geht aber nicht einfach ins Büro, man ist immer im Büro! Ich habe auch im Flughafen mein Büro dabei, weil ich mit Laptops arbeite. Wo mein Laptop ist, ist mein Büro. Wir reisen ja ständig herum. Ich arbeite aber wie jeder andere Mensch auch. Am Montag gehe ich meiner normalen Tätigkeit nach, am Wochenende bin ich bei Rennen an der Strecke. Das Rennwochenende beginnt donnerstags oder Mittwochabend, und dann folgen die Medientermine."

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Günther Steiner hat bei Jaguar mit Niki Lauda zusammengearbeitet Zoom Download

Frage: "Wie sieht ein Renntag für Sie aus?"

Steiner: "Ein normaler Renntag - unter Corona-Bedingungen ist es noch nicht wieder normal. Aber unter normalen Umständen absolviert man am Vormittag seine Besprechungen. Als Teamchef nimmst du daran teil, aber du leitest diese Treffen nicht. Du hörst einfach nur zu, was zwischen Fahrern und Ingenieuren besprochen wird."

"Dann folgt etwas Medienarbeit, diverse Aktivitäten. Dann, wenn du ein gutes Auto hast, freust du dich natürlich auf das Rennen. Hast du ein schlechtes Auto, kannst du es kaum erwarten, bis das Rennen rum ist. So vergeht der Renntag."

"Generell geht man dieser Arbeit nach, weil man Rennen fahren will, und die Rennen finden sonntags statt. Darauf freut man sich. Läuft das Rennen, habe ich nicht viel zu tun. Ich spreche ein bisschen mit dem Chefrenningenieur, aber normalerweise haben sie alles unter Kontrolle. Ich habe immer den Eindruck: Wenn ich mich im Rennen einmischen muss, dann habe ich die falschen Leute geholt. Das Rennen zu leiten, das ist ein Job für sich. Das kann ein Teamchef meiner Meinung nach nicht leisten."

"Natürlich: Man weiß schon, was vor sich geht, aber man mischt sich nicht ein. Die Leute im Team leisten gute Arbeit. Und vor allem: Sie leisten die harte Arbeit. Wenn ich dann kurz vor knapp daherkomme und tue, was ich für richtig halte, dann wäre das nicht in Ordnung. Ich hätte die falschen Leute, wenn ich sie korrigieren müsste. Fehler können passieren. Wenn es etwas gibt, das mir auffällt, dann sage ich es natürlich, und das Team würde meinen Rat beherzigen. Ich mische mich aber eigentlich nicht ins Rennen ein."

Frage: "Was muss man sonst noch über das Leben als Teamchef wissen?"

Steiner: "Es ist manchmal ziemlich stressig. Ich beschwere mich nicht über meinen Beruf. Es ist ein guter Job. Denn wenn du Motorsport liebst, dann willst du irgendwann einmal dorthin kommen. Aber da steckt sehr viel harte Arbeit drin. Du musst deine Familie bei dir haben und deine Familie muss Verständnis aufbringen. Denn wenn es von einer Seite Störgeräusche gibt: Du hast schon genug Probleme damit, ein Formel-1-Team zu leiten. Da brauchst du nicht noch weitere Ablenkungen von außerhalb."

"Es ist eine harte, aber erfüllende Arbeit. Im Moment ist es nicht so erfüllend, weil wir nicht viel erreichen können. Doch das wird wieder kommen. Da bin ich mir sicher. Darauf arbeiten wir hin. Du darfst eben niemals aufgeben. Wenn du mal unten bist, dann geht es nicht darum, wie du nach unten gerutscht bist, sondern darum, wie du wieder aufstehst. So sehe ich das."

Hinweis: Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit Motorsport Jobs entstanden. Aktuelle Jobangebote im Motorsport und auch im Haas F1 Team finden Sie auf der Webseite von Motorsport Jobs.

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