• 02. Juli 2020 · 12:29 Uhr

Ralf Schumacher: "Ob das alles so geschickt war von Ferrari?"

Warum der frühere Formel-1-Fahrer Ralf Schumacher die Ferrari-Strategie in Frage stellt und was er seinem Neffen Mick Schumacher noch zutraut

(Motorsport-Total.com) - TV-Experte, Vater und Onkel im Formel-1-Fahrerlager: Das sind die Rollen, die der frühere Grand-Prix-Sieger Ralf Schumacher in der Motorsport-Saison 2020 spielt. Mit unserem Kooperationspartner 'FOCUS Online' sprach der 45-Jährige über seine Prognosen für Sebastian Vettel bei Ferrari, aber auch über die Chancen von Mick Schumacher in der Formel 2 und David Schumacher in der Formel 3 - und was er sich vom Jahr 2020 erhofft.

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Sebastian Vettel und Ferrari: Die Wege trennen sich am Saisonende 2020 Zoom Download

Frage: "Herr Schumacher, die breite Öffentlichkeit kennt sie als ehemaligen Formel-1-Fahrer. Wie sieht ihr berufliches Leben heute aus?"

Ralf Schumacher: "Ich kümmere mich natürlich in erster Linie um meinen Sohn David. Zudem führe ich mit einem Freund gemeinsam ein Formel-4- und ein Formel-Regional-Team namens US Racing. Außerdem betreibe ich mein eigenes Weingut. Und ich bin natürlich Sky-Experte!"

Frage: "Ab 2021 ist die Formel 1 in Deutschland ausschließlich bei Sky zu sehen. Wie sieht ihre Rolle aus - und wie einfach oder schwierig war es eigentlich, ab 2019 plötzlich zu kommentieren?"

Schumacher: "Das ist tatsächlich nicht einfach und ein großer Unterschied, ob man als Experte gefragt wird, oder als Co-Kommentator zwei Stunden oder länger etwas erzählen muss - daran muss man sich erst noch gewöhnen. Und so war der Anfang ein bisschen schwer, aber mit der Zeit wurde es besser."

"Was das nächste Jahr betrifft: Die Situation ist recht neu, für Sky ist das natürlich ein riesiger Vorteil. Ich bin mir sicher, dass wir bei Sky den Zuschauern die Formel 1 erstklassig präsentieren werden."


Fotostrecke: Formel 1 im TV: Kommentatoren, Experten und Sendekonzepte 2020

"Ich habe den Luxus, dass ich wegen [Sohn] David [in der Formel 3] am Wochenende vor Ort sein werde und werde versuchen, meine Präsenz an der Rennstrecke auch für Sky zu nutzen."

Wie Schumacher das Kräfteverhältnis einschätzt

Frage: "In dieser Woche startet die Formel 1 in Österreich endlich ihre Saison. Kann es nach den Unwägbarkeiten der Corona-Zwangspause zu Überraschungen an der Spitze kommen?"

Schumacher: "Ich erwarte Mercedes schon vorne, sie waren bei den Tests im Winter so stark. Ich glaube nicht, dass sich in der Zwischenzeit allzu viel verändert hat. Red Bull hat eine große Chance, weil ich nach den Test-Eindrücken annehme, dass Ferrari nicht ganz auf der Höhe ist."

"Dann diese internen Querelen um Sebastian Vettel ... Das wird ja nicht hilfreich sein. Ich weiß nicht, ob das alles so geschickt war von Ferrari. Es ist sowieso eine ungewohnte Situation, dass schon vor Beginn einer Saison klar ist, was anschließend Sache ist."

Frage: "Vettel hat seine sechste und letzte Chance, Weltmeister mit Ferrari zu werden. Erwarten sie eine veränderte Herangehensweise, mehr Egoismus und Ellenbogen gegen Teamkollege Charles Leclerc, weil Vettel weiß, dass es eh zu Ende geht bei der Scuderia?"

Schumacher: "Auf der einen Seite ist es leichter für Sebastian, weil er nichts mehr zu verlieren hat."

"Ich bin auch zu 100 Prozent davon überzeugt, dass Sebastian schneller sein kann als Leclerc. Die Frage ist halt: Inwieweit unterstützt ihn Ferrari? Da werden die ersten Rennen entscheidend. Wenn es Vettel schafft, vor Leclerc zu sein, wird Ferrari gar keine andere Wahl haben, als alles für ihn zu machen. Sollte es andersherum laufen, wird es schwer für ihn."


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Frage: "Nach der Ära ihres Bruders Michael Schumacher - fünf Weltmeisterschaften zwischen 2000 und 2004 - holte Ferrari nur noch einen Titel, durch Kimi Räikkönen 2007. Wie ist zu erklären, dass es eine Marke mit dieser Geschichte, den Ressourcen und Fahrern wie Vettel oder Fernando Alonso einfach nicht mehr hinkriegt?"

Schumacher: "Williams hat früher so viel gewonnen und fährt seit Jahren hinterher. Ein anderes Beispiel ist McLaren, das zwar langsam auf dem Weg zurück ist, aber auch eine schwere Phase hatte."

"Wenn man Mercedes sieht: Da ist eine Kombination von Menschen, die man wahrscheinlich in dieser Form nicht wiederholen kann. Würde aus diesem Zahnrad der ein oder andere Zahn herausbrechen, dann wär's auch dort vorbei, schätze ich."

Der Ferrari-Mythos der Schumacher-Jahre

"Ferrari war damals mit dieser Truppe um Michael, [Ingenieur] Ross Brawn, [Teamchef] Jean Todt und [Designer] Rory Byrne eine Einheit, jeder hatte auf seine Weise sein Gebiet. Beim aktuellen Ferrari-Teamchef Mattia Binotto hat man ein bisschen das Gefühl, dass er alles alleine machen möchte - zumindest kommt es so rüber."

"Dazu die Situation mit den Fahrern. Von außen wirkt es wie ein leicht organisiertes Chaos, aber ich bin natürlich nicht dabei, um es komplett beurteilen zu können."

Frage: "Wer wird Lewis Hamiltons größter Konkurrent bei seinem Unterfangen, die sieben Titel ihres Bruders Michael zu egalisieren?"

Schumacher: "Ich glaube, da ist keiner. Lewis ist im Moment in Verbindung mit Mercedes das Beste, was es gibt. Das Gesamtpaket ist unglaublich, er macht fast gar keine Fehler, das ist schon extrem. Red Bull könnte angreifen mit Max Verstappen, der aber manchmal sehr ungestüm auftritt. Der Einzige wäre Hamiltons Teamkollege Valtteri Bottas. Sonst sehe ich keinen."


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Frage: "Auf welches Team oder welchen Fahrer abseits von Mercedes, Ferrari und Red Bull sollten die Fans besonders achten?"

Schumacher: "Racing Point wird sicherlich aufhorchen lassen, sie haben mit Sergio Perez einen guten Fahrer. Auch Lance Stroll war zumindest in den Nachwuchsklassen immer gut."

"McLaren hat eine super Fahrerpaarung [mit Carlos Sainz und Lando Norris], aber es ist schwer zu sagen, ob der Renault-Motor stark genug ist. AlphaTauri, den früheren Toro-Rosso-Rennstall, sollte man auch nicht vergessen. Hier wird Honda wieder einen Schritt nach vorne gemacht haben."

Wo steht die Formel 1 in Deutschland?

Frage: "Am Nürburgring gab es seit 2013 kein Rennen, Hockenheim ist trotz Corona nur Joker, und 2021 droht eine Saison ohne deutschen Fahrer. Letztens sagten sie, die Formel 1 'wäre nicht die erste Sportart, die es eine Zeit lang ein bisschen schwerer hat'. Wie sehen sie die kurz- und mittelfristige Zukunft des Formel-1-Standorts Deutschland?"

Schumacher: "Der Standort Deutschland ist insofern ein bisschen in Gefahr, weil wir gerade kein Rennen haben - wobei ich das gar nicht so problematisch sehe und die Entscheidung verstehe. Die Austragung der Grand Prix ist einfach zu teuer. Und vielleicht haben wir Glück, dass es aufgrund dieser besonderen Situation noch ein Rennen in Hockenheim gibt."


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"Abgesehen davon haben wir mit Mercedes einen extrem erfolgreichen Hersteller, der immer eine Verbindung zu Deutschland herstellen wird. Und bei den Fahrern bin ich mir gar nicht so sicher. Sebastian ist sehr ruhig, er hat sich ja noch gar nicht geäußert zu den ganzen Themen, auch zu den Attacken, die von Ferrari kamen - was ich im Übrigen sehr professionell fand."

Frage: "Sie beklagten, dass die Förderung junger Rennfahrer in Deutschland 'schon etwas länger vernachlässigt worden' sei, weshalb wenige Talente nach oben strömen. Michaels Sohn Mick (20) fährt 2020 sein zweites Formel-2-Jahr, ihr Sohn David (19) erstmals in der Formel 3."

Schumacher: "David ist ja Gott sei Dank noch eher im Hintergrund, von Mick wurde sofort viel erwartet. Das liegt vielleicht auch daran, dass es einige größere Auftritte gab."

"Wenn der Sohn mit dem Formel-1-Auto des Vaters fährt, ist das ja besonders emotional und schlägt Wellen. Und die Leute fangen das Träumen an. Aber: Mick ist nicht umsonst Formel-3-Meister geworden und hat auch bei Prema einen guten Job gemacht."

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Mick Schumacher, der Neffe von Ralf Schumacher, fährt 2020 in der Formel 2 Zoom Download

"Diese Formel 2 ist hochkomplex, die Piloten müssen weit unter der möglichen Performance fahren, damit sie die Reifen überhaupt über die Distanz bringen - noch schlimmer als bei der Formel 1. Auch die Motoren sind sehr unterschiedlich, weil die Qualität der Turbolader nicht ganz so gut ist im Verhältnis zur Formel 1. Das macht das Ganze nicht leicht. Wenn man in den Top 3 oder Top 5 fährt, hat man eigentlich schon einen guten Job gemacht."

Frage: "In der öffentlichen Wahrnehmung scheint die nächste Schumacher-Generation die Formel 1 in Deutschland retten zu sollen. Wird zu früh zu viel auf Mick und David abgeladen?"

Schumacher: "Für Mick ist 2020 sicherlich ein wichtiges Jahr. Bei ihm ist die Erwartung ein bisschen realistischer: Wenn er an die Vorsaison anknüpfen und sich weiter steigern kann, gibt es für ihn eine Chance auf die Formel 1."

"David ist ein Jahr in der Formel 4 gefahren, ein Jahr in der Formula Regional European Championship, sitzt jetzt das dritte Jahr im Rennauto und ist gerade 19 - da sind wir also noch weit von allem anderen entfernt. Und da sind Hoffnung und Erwartung auch zu groß."

Frage: "Trauriges Thema zum Schluss, leider. Alessandro Zanardi führt nach seinem Handfahrrad-Unfall den zweiten schweren Kampf seines Lebens - bei einem fürchterlichen Crash hatte er 2001 beide Beine verloren. In der Formel-1-Saison 1999 waren sie Teamkollegen bei Williams."

Schumacher: "Es ist ganz, ganz tragisch. Man kann ihm nur die Daumen drücken, aber Alex ist ja wirklich ein absoluter Kämpfer und Optimist. Was er auch nach seinem Unfall erreicht hat, ist unglaublich. Das wird er wieder schaffen, da bin ich mir ziemlich sicher. Wenn's einer kann, dann er."

Hinweis: Dieser Artikel ist zuerst am 2. Juli bei FOCUS Online erschienen. Zur Originalversion bei unserem Kooperationspartner geht es hier!

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