• 09. Oktober 2019 · 12:12 Uhr

Leclerc im exklusiven Interview: "Mein Leben hat sich definitiv verändert"

Ferrari-Nachwuchsstar Charles Leclerc spricht im exklusiven Interview über den internen Kampf gegen Sebastian Vettel, seine ersten Siege & seine Modelinie

(Motorsport-Total.com) - Charles Leclerc gilt als kommender Weltmeister und mischt aktuell die Formel 1 gehörig auf. Mit fünf Pole-Positionen 2019 gibt er den Ton im Qualifying an. Aber auch in den Rennen zeigt er auf: Nach der Sommerpause stand er zweimal als Sieger, einmal als Zweiter und einmal als Dritter auf dem Podest.

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Roberto Chinchero mit Gesprächspartner Charles Leclerc Zoom Download

Im exklusiven Gespräch verrät der Monegasse, wie er seine Qualifying-Stärke erlangen konnte und wie die Zusammenarbeit mit Sebastian Vettel bei Ferrari funktioniert. Außerdem gibt er private Einblicke und verrät, warum er eher wie Lewis Hamilton tickt.

Frage: "Herr Leclerc, wie geht es Ihnen?"

Charles Leclerc: "Nun, ich befinde mich zurzeit in einer sehr guten Phase meiner Karriere."

Frage: "In ein bisschen mehr als einem Jahr sind Sie vom Formel-1-Debütanten zum -Sieger aufgestiegen. Wie hat sich ihr Leben verändert in dieser Zeit?"

Leclerc: "Gar nicht so wenig! Mein Leben hat sich definitiv verändert, als ich Ferrari-Fahrer wurde, das war eine große Veränderung. Nachdem ich gewonnen habe und mich Leute auf dem Podium gesehen haben, werde ich nun auch auf der Straße erkannt."

"Auch beruflich hat sich alles verändert. Zunächst musste ich mich daran gewöhnen, mit vielen Menschen zu interagieren. Das ist zu Beginn ein wenig einschüchternd, denn man hat immer Angst, etwas Falsches zu sagen. Doch ich habe mich nun daran gewöhnt. Und natürlich gibt es ... sehr viel Medieninteresse."

"Habe mich zuerst nicht getraut, zu sagen, was ich will"

Frage: "Wie hat sich ihre Beziehung zu den Ingenieuren gefestigt?"

Leclerc: "Zu Beginn hat man natürlich Ehrfurcht. Das war bereits so, als ich zu Alfa Romeo gekommen bin. Das Team war dort natürlich kleiner und ich habe mich schnell eingefunden."

"Bei Ferrari ist das eine andere Geschichte. In den ersten Rennen habe ich mich nicht getraut, wirklich zu sagen, was ich will. Ich habe versucht, mich an das Fahrzeug anzupassen. Das schien auch richtig."

"Dann, nach den ersten Rennen, habe ich gesehen, dass das Team auch gewillt ist, mir zu helfen. Diese Chance habe ich ergriffen und habe gesagt, was ich mir wünsche. Wir haben gemeinsam an dieser Richtung gearbeitet. Das war ein sehr positiver Schritt."

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Melbourne 2018: Leclerc feiert sein F1-Debüt im Sauber (P13) Zoom Download

Frage: "Wie wichtig ist eine gute Beziehung zu den Technikern in der Formel 1?"

Leclerc: "Sehr wichtig. Wenn man keine gute Beziehung zu den Technikern hat, ist das ein Problem. Du musst total auf einer Wellenlänge sein mit den Kollegen."

Frage: "Lassen Sie uns über ihre Fortschritte im Qualifying sprechen. Was haben Sie verändert, um einen solch entscheidenden Schritt vorwärts zu schaffen?"

Leclerc: "Ich habe vor allem meine mentale Herangehensweise geändert. Zuvor wollte ich in jeder Situation hundert Prozent geben, aber man braucht nicht immer ans Limit zu gehen."

"Ich versuche nun, in Q1 und Q2 die letzten Informationen zu sammeln und jede Kurve genau zu analysieren, um in Q3 eine bestmögliche Runde zusammenzubringen."

"Ich denke immer nur ans Gewinnen"

Frage: "Bis zur Sommerpause schien die Situation bei Ferrari eine schwierige zu sein. Haben Sie erwartet, danach mit solch großen Erfolgen zurückzuschlagen?"

Leclerc: "Wir waren alle von unserem großen Schritt vorwärts überrascht. Das Team in Maranello hat einen absolut unglaublichen Job gemacht. In Monza haben wir die zweite Ausbaustufe [Spec 3] erhalten, die das bestätigt hat."

"Auch das Aero-Paket für Singapur hat uns zu großartigen Ergebnissen verholfen. Das hat die Erwartungen erneut übertroffen. Das ist die Belohnung für die harte Arbeit in einem guten Umfeld. Mit Seb teile ich alle Informationen, das ist ein wichtiger Baustein."

Frage: "Am Boxenfunk haben Sie lautstark geschimpft. Macht es Ihnen Angst, im Fokus der Aufmerksamkeit zu stehen?"

Leclerc: "Ich habe einen Fehler gemacht, das macht mir aber keine Angst. In Singapur sind wir Erster und Zweiter geworden. Ich habe es durch den Adrenalinrausch ein wenig übertrieben [am Funk]."

"Aber morgens stehe ich auf und das Erste, woran ich denke, ist Siegen. Dasselbe, wenn ich am Abend zu Bett gehe. Ich denke immer nur ans Gewinnen. Ich habe eingesehen, dass ich in Singapur am Boxenfunk zu viel geredet habe. Das war nicht notwendig."


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Frage: "Ihre Forderung nach mehr Motorleistung hat den Fans aber gefallen ..."

Leclerc: "Ich wollte natürlich gewinnen, aber ich wäre kein Risiko eingegangen, das den Doppelsieg für das Team gefährdet hätte. Das hatte ich natürlich im Hinterkopf. Die Funksprüche waren nur Ausdruck meines Siegeswillens."

Frage: "Die Formel 1 ist allerdings ein Teamsport mit einem individuellen Element. Ist es da schwierig, diese beiden Aspekte unter einen Hut zu bringen, wenn man Teil eines Topteams wie Ferrari ist?"

Leclerc: "Ich will Seb schlagen und er will mich schlagen, aber dennoch hat das Team Priorität. Das bedarf gewisser Kompromisse."

Frage: "Dennoch wissen Sie am Ende des Jahres, wenn Sie die Saison analysieren, dass die erste Konfrontation immer zwischen den Teamkollegen stattfindet ..."

Leclerc: "Natürlich. Und das ist auch richtig so, denn der Teamkollege hat schließlich als einziger Fahrer dasselbe Material zur Verfügung. Das wird immer so sein. Mein Ziel ist es, wie bei jedem anderen Rennfahrer auch, vor dem Teamkollegen zu liegen."

"Man muss immer mit Köpfchen fahren"

Frage: "Beim Start eines Grand Prix haben Sie da jemals überlegt, dass Sie einen großen Konzern repräsentieren?"

Leclerc: "Wenn man sich in einem Duell gegen den eigenen Teamkollegen befindet, dann weiß man, dass das Ergebnis der harten Arbeit von tausenden Menschen nun von einem selbst abhängt. Wenn ich gegen Seb kämpfe, dann kalkuliere ich das natürlich ein. Da darf man kein Risiko eingehen. Man muss immer mit Köpfchen fahren."

Frage: "Wir haben immer wieder gehört, wie Sie sich selbst infrage stellen und kritisieren. Können Sie sich dadurch weiterentwickeln?"

Leclerc: "Alles spielt sich im Kopf ab. Ich analysiere mein Handeln, um zu sehen, wo ich noch besser werden kann. So bin ich über die Jahre aufgewachsen. Wenn ich das Auto in die Mauer schmeiße, wie zuletzt in Deutschland, dann weiß ich sofort, dass es mein Fehler war."

"Das muss ich dann mit mir selbst ausmachen. Um zu wachsen, muss man sich seine Fehler eingestehen. Dieser Ansatz funktioniert für mich. Aber das heißt nicht, dass das für jeden funktioniert."

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Charles Leclerc plaudert mit Italien-Korrespondent Roberto Chinchero Zoom Download

Frage: "Wann haben Sie realisiert, dass Sie eines Tages in der Formel 1 landen werden?"

Leclerc: "Nachdem ich die GP3-Serie gewonnen hatte, habe ich begonnen, darüber nachzudenken. Ich war Meister, ein Teil der Ferrari Driver Academy und konnte mich auf Nicolas [Todt] verlassen. Das Gesamtpaket hat mir erlaubt, diesen Sprung zu wagen. Ich wusste aber, dass es am Ende von mir selbst abhängt."

Frage: "Die Bilder vom Monza-Podium sind um die Welt gegangen. Was haben Sie an jenem Sonntagabend vorm Einschlafen gedacht?"

Leclerc: "Ich habe gar nicht geschlafen! Ich habe es versucht, konnte es aber nicht. Ich habe mir stattdessen die Bilder von der Podiumszeremonie tausendmal angesehen. Die ganzen Menschen, die die Hymne mitgesungen haben, das war schon verrückt!"

"Nach Spa habe ich sofort an Monza gedacht. Ich hatte gar keine Zeit für eine Pause, oder über den Sieg in Belgien nachzudenken. Aber nach Monza habe ich sehr oft darüber nachgedacht, was passiert ist."

"Das war schon eine sehr besondere Woche. Das hat schon mit der Ferrari-Party in Milan auf der Piazza Duomo begonnen. Da konnte ich hören, wie Leute meinen Namen riefen - das hat mich umgehauen. Ich habe nicht erwartet, so herzlich von der Menge empfangen zu werden."

Montags nach dem Rennen auf Wiederholung gedrückt

Frage: "Stimmt es eigentlich, dass Sie sich montags immer das Rennen vom Vortag anschauen?"

Leclerc: "Immer! Das ist eine Angewohnheit von mir. Ich schaue es mir immer mit italienischem Kommentar an."

Frage: "Am Montag nach Monza waren Sie bestimmt besonders zufrieden mit dem, was sie sahen ..."

Leclerc: "Ehrlich gesagt war ich im Duell mit Lewis nicht ganz sauber. In der Roggia-Schikane wusste ich, dass er rechts neben mir ist. Er ist aber ein wenig früher rübergezogen und hat die Bremse geöffnet."

"Ich habe diesen zweiten Move nicht erwartet. Als ich sah, dass er geradeaus gefahren ist, habe ich realisiert, dass ich ihn wohl zu weit abgedrängt habe. Das war aber nicht absichtlich."


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Frage: "Haben Sie ihre Ziele erreicht, die Sie sich vor der Saison gesteckt haben?"

Leclerc: "Ich bin zufrieden, denn mein Hauptziel war es, mich während der Meisterschaft weiterzuentwickeln. Natürlich bin ich damit noch nicht am Ende. Ich wäre glücklich, könnte ich mich bis zu Saisonende weiterhin so steigern."

Frage: "Konnten Sie politische Spielchen in der Formel 1 beobachten?"

Leclerc: "Ich versuche, mich da rauszuhalten. Das will ich auch nicht ändern. Ich will mir selbst treu bleiben und ich denke, das werde ich auch schaffen."

Frage: "Während Sebastian Vettel seine Privatsphäre streng schützt, lebt Lewis Hamilton im Blitzlichtgewitter. Wo würden Sie sich einordnen?"

Leclerc: "Ich werde bald meine eigene Modelinie starten, genau wie Lewis. Das ist etwas, was ich schon lange vorhatte. An dieser Front bin ich mehr wie Lewis."

"Ich mag es, mich in anderen Bereichen herauszufordern. Das ist eine Herangehensweise, die mir dabei hilft, nach den Rennwochenenden den Stöpsel draufzumachen und abzuschalten."

"Es gibt noch sehr viel zu lernen"

Frage: "Sie haben jetzt 2,3 Millionen Abonnenten auf Instagram. Haben Sie schon einmal über ihre Popularität nachgedacht? Darüber, dass man Sie überall fotografiert?"

Leclerc: "Ich bin mir dessen bewusst, aber noch gibt es nicht überall ein Bild von mir."

Frage: "In Italien haben sie jede Menge Fans ..."

Leclerc: "Das ist mir auch aufgefallen. Ich spüre die Wärme der Menschen. Ferrari-Fans sind einfach einzigartig. Überall wo wir fahren, unterstützen sie das Team, nicht nur die Fahrer."

Frage: "In weniger als zwei Jahren sind Sie im Olymp der Top-Formel-1-Fahrer angekommen ..."

Leclerc: "Darüber bin ich sehr froh, das will ich gar nicht leugnen. Aber ich werde erst 22 Jahre alt und weiß, dass es noch vieles zu lernen gibt."


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"Singapur hat gezeigt, dass ich noch reifen muss. Da spreche ich nicht nur über die Performance, sondern zum Beispiel über das Feedback an die Ingenieure. Das ist schließlich entscheidend, um Fortschritte zu machen."

Frage: "Lewis Hamilton hat bereits mehrfach betont, dass sich die Herangehensweise an Rennen verändert, wenn man sich im Titelkampf befindet. Glauben Sie, dass Sie etwas ändern müssen, sollten Sie einmal um die Weltmeisterschaft kämpfen?"

Leclerc: "Er hat recht. Wenn du um den Titel kämpfst, dann ändert sich die Herangehensweise in manchen Situationen."

"Aber schon heute kann ich es mir nicht leisten, im Kampf gegen Verstappen, Seb und auch Bottas Punkte wegzuschmeißen. Denn die kann ich in der Meisterschaft noch einfangen. Ich darf kein gutes Ergebnis einfach so wegschmeißen."

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