Enzinger exklusiv (2/6): Porsche und die Formel 1
Jahrelang kursierten immer wieder Gerüchte über einen Porsche-Einstieg in die Formel 1, doch jetzt erzählt der Motorsportchef erstmals selbst, was wirklich dran war
(Motorsport-Total.com) - Auch wenn es offiziell immer dementiert wurde: Der Volkswagen-Konzern hat in jüngerer Vergangenheit ein paar Mal sehr ernsthaft darüber nachgedacht, Formel 1 zu machen. Dass Alexander Hitzinger 2006/07 Technischer Direktor bei Toro Rosso wurde, ist kein Zufall. Er sollte das Feld vorbereiten für einen Einstieg beim Red-Bull-B-Team. Als dieser Plan 2010 geplatzt war, wurde 2011/12 mit Peter Sauber verhandelt. Erst als auch diese Idee vom Tisch war, wurde es erstmal ruhig.
© Sean Bull
So hätte ein Red-Bull-Porsche für die Formel 1 theoretisch aussehen können Zoom Download
Fritz Enzinger hatte 2011 damit begonnen, ein LMP1-Programm von Porsche aufzubauen, mit dem großen Ziel Le Mans. Von 2014 bis 2016 traten die Konzernmarken Porsche und Audi gegeneinander beim 24-Stunden-Klassiker an. 2014 gewann Audi, 2015 bis 2017 Porsche. Die Welt war in Ordnung. Und die Formel 1 kein Thema.
Oder? Es war im Jahr 2015, dass sich eine Studie im Auftrag des Volkswagen-Konzerns intensiv mit dem Thema Formel 1 auseinandersetzte. Diese Studie wurde dem Vorstand später vorgelegt. Damals ging es allerdings nicht um Porsche, sondern, nach dem Ausstieg aus der Langstrecken-WM WEC, um Audi.
Mit der Studie war die Vorarbeit geleistet, auf die Enzinger zwei Jahre später aufsetzen konnte, als die Idee, mit Porsche in der Formel 1 an den Start zu gehen, konkret wurde. Wie konkret, das verrät Enzinger im zweiten Teil unseres exklusiven Interviews.
Übrigens: Wie ein Formel-1-Porsche aussehen hätte können, dazu hat sich der Designer Sean Bull Gedanken gemacht. Seine Vorschläge gibt's auf dieser Seite zum Durchklicken. Weitere Arbeiten von Sean Bull gibt's im Internet unter behance.net/SeanBull.
Ausgangspunkt für Formel-1-Pläne im April 2017
Frage: "Herr Enzinger, es gab in den vergangenen Jahren immer wieder Gerüchte, wonach Porsche, beziehungsweise eine Marke des Volkswagen-Konzerns, vor einem Formel-1-Einstieg stehen soll. Wie konkret waren diese Überlegungen wirklich?"
Fritz Enzinger: "Ich muss an dem Punkt vielleicht kurz ausholen. In unserer letzten LMP1-Saison, 2017, haben wir gesehen, dass wir mit dem Zweiliter-Vierzylinder im Porsche 919 Hybrid technisch am Limit waren. Da haben wir schon begonnen - bevor der Ausstieg definiert war -, an einem Sechszylinder zu arbeiten."
"Das war im April 2017. Das ist deshalb wichtig, weil diese Entscheidung später zum Thema Formel 1 geführt hat."
"2017 gab es Signale aus der Formel 1, dass das Reglement verändert werden soll und die Energierückgewinnung aus den Auspuffgasen nicht mehr benötigt würde. Ab 2017 war Porsche als Mitglied der FIA-Herstellerkommission an den Diskussionen über die zukünftige Antriebsstrategie in der Formel 1 ab 2021 beteiligt und bei den Meetings vertreten."
"Einerseits haben wir an diesen Arbeitsgruppen teilgenommen, andererseits haben die Jungs parallel einen Sechszylinder für die WEC entwickelt. Natürlich haben wir uns überlegt, was sich ändern müsste, falls der Motor in der Formel 1 eingesetzt werden sollte. Solche Dinge kann man zweigleisig führen."
"Es haben dann ungefähr 40 Leute aus dem LMP-Projekt - die eine Hälfte Design, die andere Hälfte Versuch - mit Vollgas diesen Sechszylinder entwickelt. Erst im Sommer 2017 fiel die Entscheidung, aus der WEC auszusteigen. Die Reglemententwicklung war für Porsche nicht mehr reizvoll - es sollte kein drittes Energierückgewinnungs-System geben und keine höhere Megajoule-Klasse."
"Außerdem fand sich neben Toyota kein dritter Hersteller. Als Peugeot abgesagt hat, war für uns klar, dass sich dieser Aufwand und dieses Budget gegen einen einzigen Konkurrenten nicht rechnen. Das wäre nicht vertretbar gewesen."
"Ein Motorsport-Programm muss ganzheitlich zum Unternehmen passen. Und es war klar, dass unser vollelektrischer Porsche Taycan im Herbst 2019 auf den Markt kommen wird. Da war die Idee naheliegend, genau Ende 2019 in die Formel E einzusteigen."
Ende 2017: Konkreter Auftrag, einen Motor zu bauen
"Ende 2017 erhielten wir von unserer Konzernmutter den konkreten Auftrag, trotz LMP1-Ausstieg einen hocheffizienten Sechszylinder weiterzuentwickeln. Nicht nur auf dem Papier, sondern tatsächlich als Hardware und mit der Idee, dass dieser Motor 2019 auf dem Prüfstand läuft. Das war der Auftrag des Vorstands an uns."
"Ein Formel-1-Motor, wie er zwischendurch mal geplant war, ohne Abgasenergie-Rückgewinnung, kann auch für einen Supersportwagen interessant sein. Daher haben wir das Okay für dieses Forschungsprojekt bekommen."
"Eine Verwendungsmöglichkeit dieses Sechszylinders war völlig offen. Aber wenn entschieden worden wäre, Porsche 2021 in die Formel 1 zu schicken, hätten wir das so, wie wir 2018 unterwegs waren, zeitlich geschafft."
"Klar hätten wir das Personal deutlich nach oben fahren müssen. Wenn der Vorstand gesagt hätte, wir müssen mehr Druck und mehr Power in Richtung Formel 1 investieren, hätte die Möglichkeit jederzeit bestanden."
"Und neben dieser reinen Motorentwicklung erhielten wir den Auftrag, eine Machbarkeitsstudie für einen Formel-1-Einstieg zu erstellen."
Frage: "Im Volkswagen-Konzern gab es bereits vor einigen Jahren eine Machbarkeitsstudie zum Thema Formel 1. Hat Ihre Studie auf die Konzernstudie aufgesetzt?"
Enzinger: "Ja. Die erste Studie stammte aus dem Bereich 2015. Für uns war die absolut verwendbar. Natürlich hatte sie für das damalige Reglement Gültigkeit, wohingegen bei uns berücksichtigt war, dass sich das Technische Reglement verändern würde. Die Basis dafür waren die ersten Gespräche in den Arbeitsgruppen, wie der Motor 2021 aussehen könnte."
Frage: "Im April 2017 haben Sie den Auftrag erhalten, diesen Sechszylinder zu entwickeln. Ende 2017 stand der WEC-Ausstieg fest. Wie lange wurde dieser Motor noch im Hinblick auf ein mögliches Formel-1-Engagement weiterentwickelt?"
Enzinger: "Weil die technischen Details dieses Motors serienrelevant sind, hat man das Forschungsprojekt fertiggeführt. Der Motor ist komplett und lief auf dem Prüfstand."
Porsches "Formel-1-Motor": Es gibt ihn!
Frage: "Es gibt diesen kompletten Motor, also nicht nur einzelne Zylinder?"
Enzinger: "Es gibt einen kompletten Motor, der fertiggestellt wurde. Dieser Motor dient uns jetzt für Analysen und weitere Aufträge im Hinblick auf die Serienrelevanz. Wir versuchen, die Erfahrung, die wir mit diesem Motor gemacht haben, auf die Serie umzulegen. 20 bis 25 Techniker sind damit beschäftigt, die beauftragten Fragen abzuarbeiten."
Frage: "Das heißt im Umkehrschluss, wenn dieser Motor nicht eingestellt ist, sondern die Basis existiert, dass ein Formel-1-Projekt sehr schnell wieder reaktiviert werden könnte."
Enzinger: "Technisch schon, aber praktisch nicht. Denn wir haben heute eine ganz andere Situation im Konzern."
"Die Ausrichtung des Volkswagen-Konzerns weist eindeutig in Richtung E-Mobilität, wir fahren sogar mit zwei Marken in der Formel E. In dieser Philosophie hat die Formel 1 momentan überhaupt keinen Platz. Das war nie mehr Thema."
"Dass wir immer alle Serien und deren Entwicklung beobachten, gehört zur Aufgabe der Sportchefs dazu - die Zusammenarbeit mit FIA, mit SRO, mit nationalen Sportbehörden. Das ist zwingend. Aber ein eventuelles Engagement in der Formel 1 wird nicht mehr weiterverfolgt."
Frage: "War das Nein zur Formel 1 auch eine Folge der Dieselaffäre? Insofern, als die Dieselaffäre nahegelegt hat, den Weg in Richtung E-Mobilität sehr konsequent einzuschlagen, und damit die Formel E der einzig logisch darstellbare Top-Motorsport für den Konzern ist?"
Enzinger: "Das ist sicher so. Das Dieselthema läuft seit 2015 und hat den Konzern enorm viel Geld gekostet."
"Die Formel 1 ist immer noch extrem kostenintensiv. Mercedes beispielsweise baut den Motor mit 500 Leuten, wir haben unseren LMP-Motor mit 40 Leuten gebaut. Es gibt bis dato keine Budgetobergrenze in der Formel 1."
"Wir wissen, was ein Formel-1-Einsatz kostet und der Aufbau eines kompletten Teams. Mercedes hat alleine in Brackley und Brixworth 1.200 Mitarbeiter. Das ist enorm. Der Kosteneinsatz ist riesig. Eine Rolle als reiner Motorenlieferant wäre für Porsche sicher nicht in Frage gekommen. Wenn, dann hätte man auch Einfluss auf das Gesamtprojekt und Team gewollt."
"Außerdem hat sich das Reglement nicht so verändert, dass die Etablierten auch ihren Motor ändern müssen. Wir konnten das aber auch nie einfordern, weil es bei uns nie die Entscheidung gegeben hat, dass es so weit kommt. Wir waren zwar Teilnehmer an den Meetings, aber wir haben nie versprochen, fix einzusteigen, wenn dieses und jenes geändert würde."
"Nachdem sich die Diskussionen um die technischen Änderungen dann verzögert haben und die Situation im Konzern auch nicht einfacher wurde, hat sich das irgendwann erledigt."
Liberty-Einstieg veränderte die Rahmenbedingungen
Frage: "Was wären die Rahmenbedingungen gewesen, die Porsche dazu bewegt hätten, tatsächlich Formel 1 zu machen und sich verbindlich zu diesem Schritt zu bekennen?"
Enzinger: "Das kann ich nicht sagen. Nicht, weil ich nicht will, sondern weil man das so nicht festlegen kann. Es liefen Dinge parallel und standen in Abhängigkeit voneinander."
"Die Diskussionen waren zu dem Zeitpunkt, als wir an den Arbeitsgruppen teilgenommen haben, völlig offen. Es hätte durchaus passieren können, dass man sagt: 'Es ist interessant für Porsche, in der obersten Liga des Motorsports dabei zu sein.'"
"Man kann das nicht an einem Faktor festmachen. Ursprünglich war das Interesse da, weil man wusste, das Reglement könnte sich ändern. Aber das war relativ früh. 2015 wurde das zum ersten Mal diskutiert."
"Mit der Übernahme von Liberty Media und den Ideen, die damals diskutiert wurden - Vereinfachung, Budgetobergrenze -, ergaben sich interessante Aspekte, sodass wir zumindest an den Treffen teilnehmen und mitreden wollten, um zu einer Einschätzung zu gelangen. Das war richtig so."
"Aber es existiert immer noch kein Reglement, und die ganz großen Kosteneinsparungen wird es nicht geben. Die vier Motorenhersteller, die momentan in der Formel 1 sind, haben natürlich kein Interesse, das Reglement großartig zu ändern. Das verursacht für sie zusätzliche Kosten."
"Also kann ich nachvollziehen, dass sie mit dem aktuellen Reglement weiterfahren wollen, solange kein neuer Hersteller in Sicht ist. Oder nur mit Detailänderungen. Das ist momentan der Status."
Frage: "Ich weiß, dass Volkswagen mit Red Bull und mit Sauber über die Formel 1 gesprochen hat. Stimmt es, dass auch mit Williams darüber gesprochen wurde?"
Enzinger: "Williams hat für unseren LMP-Porsche 919 Hybrid im Windkanal Dinge entwickelt. Von daher waren wir sowieso in gutem Kontakt mit dem Team. Aber es war nie ein Thema, Williams-Anteile zu kaufen."
Frage: "Eins war lange klar: Solange Bernie Ecclestone in der Formel 1 am Hebel sitzt und Ferdinand Piëch bei Volkswagen, wird es ein Formel-1-Programm nicht geben. Dann waren plötzlich beide weg. Wurde das Thema erst da realistisch?"
Enzinger: "Personen mögen durchaus eine Rolle gespielt haben. Aber diese Entscheidungen fielen vor meiner Zeit im Konzern, deshalb kann ich dazu nichts sagen."
"Aus meiner Sicht spielt die Kalkulierbarkeit eines Engagements eine entscheidende Rolle, und in dieser Hinsicht ist die Formel 1 sehr viel transparenter geworden. Heute wissen alle Teams, wie viel Geld es für welche WM-Platzierung gibt. Dieser Summe und den Sponsoreneinnahmen kann man dann die eigenen Ausgaben entgegensetzen."
Frage: "Gehen wir an diesem Punkt zurück ins Jahr 2011. Alexander Hitzinger war bis 2011 bei Toro Rosso. Er war, so meine Information, ein Vorbote für einen möglichen Volkswagen-Einstieg bei Red Bull. Sie haben ihn dann ins Porsche-LMP-Programm geholt. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass die Idee Formel 1 damals komplett tot war."
Enzinger: "2011, als ich zu Porsche kam, hatte Volkswagen jedenfalls keine Pläne, in die Formel 1 einzusteigen. Ich möchte nicht kommentieren, was vor meiner Zeit passiert ist oder nicht. Ich war nicht dabei."
Fritz Enzinger: Was man über ihn wissen muss
Zur Person: Ende 2011 begann Fritz Enzinger, geboren am 15. September 1956 in Oberwölz, Österreich, Porsches Rückkehr in den Spitzenmotorsport zu formen. Neue Gebäude, neues Personal, neues Fahrzeug. Vier Jahre später erlebt er die ganz großen Erfolge: Den 17. Gesamtsieg für Porsche in Le Mans, den Gewinn von Hersteller- und Fahrertitel in der WEC. Und 2016 gelingt es unter seiner Ägide, den Triumph auf ganzer Linie zu duplizieren.
Der Erfolg kam schneller als erwartet und fußt auf Enzingers großer Erfahrung: 30 Jahre lang war er zuvor in BMW-Diensten - im Bereich Unternehmensstrategie, Sponsoring, Personalstruktur, Teammanagement und Fahrerverpflichtung. Bei Tourenwagensiegen, beim Gesamtsieg in Le Mans 1999 und bei Formel-1-Erfolgen war er in verantwortlichen Positionen. Und dabei stets ein Mensch, der sich im Hintergrund hielt.
So ist er geblieben. Die Bürotür des Maschinenbau-Ingenieurs steht seinen Mitarbeitern offen, in Bluejeans und Hemd fühlt er sich wohler als mit Schlips und Kragen. Es war nicht die prestigeträchtige Bühne, die ihn zu Porsche zog. Ihn hat die ungeheure Chance gereizt, ein so großes Projekt von Grund auf gestalten zu können.
Seit 31. Januar ist Enzinger Leiter Konzern-Motorsport bei Volkswagen. Parallel dazu erfüllt er interimistisch weiterhin die Aufgaben des Porsche-Motorsportchefs. Diese Aufgaben wird er aber voraussichtlich Ende 2019 zurücklegen und sich voll und ganz auf seine Konzernrolle konzentrieren.
An den freien Wochenenden pendelt er zur Familie nach München. Islandpferde sind sein Hobby zur Entschleunigung, er teilt es mit seiner Frau und seiner Tochter.
Enzinger exklusiv: Das Inhaltsverzeichnis
Teil 1: Wie Porsche Motorsport neu aufgestellt wird
Teil 2: Porsche und die Formel 1
Teil 3: "Dann hätte es mich nicht mehr gegeben!"
Teil 4: Wie Porsche die Formel E gewinnen will
Teil 5: Die Motorsport-Synergien im VW-Konzern
Teil 6: "Lieber Fritz, ich bin der Wolfgang!"