• 26. September 2018 · 20:57 Uhr

Formel-1-Logistik: In sieben Boeing-747-Frachtjets um die Welt

Interessante Einblicke in die Herausforderungen der Formel-1-Welttournee: Warum Übersee-Rennen hinsichtlich der Logistik die einfachsten sind

(Motorsport-Total.com) - Nach dem Grand Prix von Russland am Sonntag schicken die Formel-1-Teams mehr als 750 Tonnen Fracht auf die 8.000 Kilometer lange Reise nach Japan. Dort wir die Fracht weniger als 72 Stunden später in Empfang genommen und alles wird wieder aufgebaut.

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Wenn die Formel 1 um die Welt reist, kommen mehrere Jumbo-Jets zum Einsatz Zoom Download

Im Interview spricht Formel-1-Sportdirektor Steve Nielsen über die herausfordernde Logistik, die notwendig ist, um den umfangreichen Rennkalender zu bewältigen, warum Übersee-Rennen logistisch einfacher sind als Europa-Rennen, was per Luft- und was per Seefracht transportiert wird und wie die Teams dabei vorgehen.

Frage: "Herr Nielsen, wir hatten im diesjährigen Formel-1-Kalender bereits einen Triple-Header mit drei Rennen 'back to back', also an aufeinanderfolgenden Wochenenden. Nun stehen an aufeinanderfolgenden Wochenenden die Rennen in Russland und Japan auf dem Plan. Inwiefern ist das komplex?"

Steve Nielsen: "In Wirklichkeit ist es so, dass 'back to back' in Europa wesentlich herausfordernder ist als wenn es nach Übersee geht. Das liegt daran, dass in Europa auch die Motorhomes ab- und wieder aufgebaut werden müssen. In Europa wird die Formel-1-Fracht mit fast 300 Gelenk-LKWs transportiert. Das ist wesentlich komplexer als ein Übersee-Transport."


Fotostrecke: Formel-1-Motorhomes 2018

"Bei Übersee-Transporten sind die Entfernungen natürlich deutlich größer, aber man packt im Grunde nur alles zusammen und verlädt es in die Flugzeuge. Die Übersee-Reisen aller Teams von Rennen zu Rennen werden von der Formel 1 zentral organisiert. Dieser Prozess ist sehr effizient und läuft wesentlich reibungsloser als die Reisen innerhalb Europas. Müsste man ein Transportmuster wählen, das für die Formel 1 am besten geeignet ist, dann wären es ironischerweise die Langstreckenflüge, da diese hinsichtlich der Logistik am einfachsten sind."

Frage: "Wie viel Fracht wird von Sotschi nach Suzuka geflogen?"

Nielsen: "Es sind sechs oder sieben Frachtflugzeuge vom Typ Boeing 747. Abhängig davon, was die Teams mitnehmen wollen, kann das siebte Flugzeug notwendig werden oder auch nicht. Ein solcher Frachtjumbo fasst rund 130 Tonnen. Also ist es in Summe eine ganze Menge Fracht. Es ist ja nicht nur das komplette Equipment der Teams, sondern auch unser eigenes - die TV-Ausrüstung, das Material für die Zeitnahme, das Equipment der FIA und so weiter. Alles in allem kommen mehr als 750 Tonnen zusammen."

Frage: "Wann am Sonntag muss in Sotschi alles verpackt sein, damit auch alles rechtzeitig in Suzuka ankommt?"

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Noch am Sonntag wird in Sotschi alles verpackt und in Richtung Suzuka verladen Zoom Download

Nielsen: "Das kann man so genau nicht sagen. Es ist nicht so, dass wir erst dann etwas in Bewegung setzen, wenn das letzte Teil in die letzte Kiste verpackt wurde. Die Teams beginnen direkt nach dem Rennen mit dem Verpacken. Die kleineren Teams beginnen damit oft sogar schon während das Rennen noch läuft. Dieser Prozess dauert normalerweise sieben oder acht Stunden. Das heißt, dass die Teams nach dem Rennen noch einen ganzen Arbeitstag vor sich haben, um die Autos zu zerlegen und zu warten und gleichzeitig das gesamte andere Material zu verpacken."

"Rund eine Stunde vor Ablauf dieser sieben oder acht Stunden verladen wir dann die ersten Paletten auf LKWs und bringen sie zum Flughafen. Die Flüge gehen üblicherweise gestaffelt raus. Deshalb bitten wir die Teams, drei ihrer großen Q7-Paletten zu priorisieren. Diese großen Paletten verlassen den Flughafen als erste und sie sind auch die ersten, die am Zielort ankommen. Das berücksichtigen die Teams entsprechend. Schon Wochen im Voraus wird eine ganz präzise Liste für das Verladen angefertigt."

Frage: "Die Formel 1 ist ja für ihre Detailverliebtheit bekannt. Gilt das auch für das Verpacken der Luftfracht?"

Nielsen: "Absolut. Wenn man sich zum Beispiel die Kommandostände der Teams anschaut, dann ist das, was man längsten aufhält die Kunst, sie so zusammenzulegen, dass sie auf eine Q7-Palette passen. Nichts darf über diese Abmessungen hinausragen, weil es sonst nicht in die Kiste passt, die ins Flugzeug verladen wird. Das alles wird bei den Planungen natürlich schon sehr weit im Voraus berücksichtigt. Ich bin aber jedes Mal aufs Neue wieder beeindruckt, wie alles abläuft. Ich finde das, was die Formel 1 auf der Strecke zeigt, schon eindrucksvoll. Mindestens genauso eindrucksvoll finde ich aber die Logistik, die es braucht, um alles rund um die Welt zu transportieren."

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Das Equipment der Teams wird an der Strecke verpackt und auf Paletten verladen Zoom Download

"Es fasziniert mich jedes Mal, dass wir derart viel Material über derart weite Distanzen transportieren und zwei oder drei Tage später am anderen Ende der Welt alles wieder einsatzfähig ist. Mir fallen nicht viele andere Sportarten oder Geschäftszweige ein, auf die das in diesem extremen Maße zutrifft. Klar gibt es andere Sportarten, wie etwa Fußball oder den America's Cup (Segelregatta; Anm. d. Red.), die so gesehen unser Pendant darstellen. Wir aber machen das Ganze ja alle zwei Wochen und manchmal sogar zweimal die Woche. Diese Logistik ist wirklich atemberaubend."

Frage: "In diesem Jahr liegen die Rennen Sotschi und Suzuka 'back to back' im Kalender. Im nächsten Jahr trifft das auf die Rennen Singapur und Sotschi zu. Somit werden die Teams 2019 im Endeffekt fünf Stunden gewinnen, weil sie hinsichtlich der Zeitzone zurückreisen. In diesem Jahr aber gehen ihnen zwei Stunden verloren, weil hinsichtlich der Zeitzone nach vorn gesprungen wird. Ist das der Grund für die neue Terminplanung 2019?"

Nielsen: "Der Rennkalender basiert auf einer ganzen Reihe Variablen. Die Zeitzonen sind da nicht das einzige, was berücksichtigt wird. Wenn man könnte, würde man den Teams natürlich grundsätzlich Zeit schenken als ihnen wegzunehmen, weil sie dann einfach mehr Zeit zum Arbeiten hätten. Die Zeitzonen sind aber eben nur eine von vielen Variablen. Ich erinnere mich aber noch ganz genau an den Flug von Montreal nach Baku im Jahr 2016, als diese beiden Rennen 'back to back' lagen. Das war fürchterlich! In einem solchen Fall ist alles noch viel kräftezehrender. So gesehen achtet man natürlich schon auf die Zeitzonen, aber bei der Gestaltung des Rennkalenders ist dieser Punkt wahrscheinlich trotzdem nicht in den Top 5 oder Top 6. Wir planen so gut wir können, aber wenn es nicht anders geht, dann schluckt die Formel 1 auch so etwas runter."

Frage: "In diesem Jahr gab es ja den Triple-Header, der den Teams mächtig zusetzte. Will man so etwas in der Formel 1 in Zukunft vermeiden?"

Nielsen: "Wenn wir daraus etwas gelernt haben, und das sage ich mit aller Vorsicht, dann das: Sollten wir noch einmal einen Triple-Header im Kalender haben, dann wäre es sicherlich besser, wenn es Übersee-Rennen und nicht Europa-Rennen wären. Das liegt an den eingangs genannten Gründen. In Europa haben wir die großen Hospitalitys der Teams. Diese auf- und abzubauen nimmt unglaublich viel Zeit in Anspruch und ist wahnsinnig teuer, weil so viele Leute dafür benötigt werden. Wenn wir also irgendwann noch einmal einen Triple-Header machen, dann sicherlich mit Übersee-Rennen."

Frage: "Die Luftfracht auf dem Weg von Sotschi nach Suzuka ist ein großer Teil dessen, wie die Formel 1 um die Welt reist. Es gibt aber auch noch die Seefracht. Wie funktioniert da die Logistik im Detail?"

Nielsen: "Dazu muss man wissen, dass mittlerweile mehr als die Hälfte unserer Rennen Übersee-Rennen sind. Da kommen natürlich immense Kosten zusammen, weil der Transport mit dem Flugzeug nun mal nicht billig ist. Um etwas als Seefracht zu transportieren, braucht es aber eine vernünftige Balance. Nehmen wir zum Beispiel mal einen Schraubstock. Der ist vergleichsweise günstig, wiegt aber zehn Kilogramm. Wirtschaftlich betrachtet ergibt es Sinn, das Ganze zu verfünffachen und dann mit dem Schiff zu transportieren. Das ist günstiger als einen einzigen schweren Gegenstand um die Welt zu fliegen."

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Steve Nielsen kennt die Formel-1-Logistik ganz genau - und ist fasziniert Zoom Download

"Autoteile würde man nicht mit dem Schiff transportieren, aber solche Dinge wie Absperrungen für die Zuschauer oder andere größere Objekte, die vergleichsweise günstig sind, schon. Die Teams haben üblicherweise fünf solcher Sets. Zwei oder drei dieser Sets befindlich sich quasi ständig irgendwo auf einem Schiff zum nächsten Rennen. Die Seefracht wird von unserem Partner DHL direkt im Zusammenspiel mit den Teams abgewickelt. Der Service ist richtig gut. Manchmal hat ein Schiff Verspätung oder es kommt etwas anderes dazwischen. Aber selbst in einem solchen Fall kann man sich darauf verlassen, dass DHL das Problem löst."

"Eine Folge dessen, dass die Teams mehr und mehr Fracht als Seefracht auslagern ist es, dass wir verstärkt Anfragen erhalten, wonach sie schon am Freitag vor einem Rennwochenende Zugang zur Strecke haben wollen. Blickt man mal 15 oder 20 Jahre zurück, dann war der Dienstag der Rennwoche der früheste Zeitpunkt, als man an die Strecke wollte. Jetzt passiert das alles vier Tage früher, insbesondere bei Übersee-Rennen. Grund dafür sind nicht zuletzt die komplexen Verkabelungen in den Boxen. Diese Kabel alle zu verlegen, nimmt unglaublich viel Zeit in Anspruch."

"Unser TV-Studio der Formel 1 wird sogar noch weiter im Voraus aufgebaut. Ich erinnere mich, wie einige unserer Leute in Brasilien schon am Mittwoch der Woche vor der Rennwoche vor Ort waren, um aufzubauen. Die letzten unserer Leute verlassen die Strecke dann am Morgen des Mittwochs nach dem Rennen. Sowohl für uns als auch für die Teams ist dieser ganze Prozess des Auf- und Abbauens unglaublich komplex. Er erinnert fast schon an eine Militärübung. Vor allem im Hintergrund wird unglaublich viel geplant, was die Leute gar nicht sehen. Aber wie schon gesagt: Ich bin immer wieder aufs Neue fasziniert davon, wie es die Formel 1 immer wieder aufs Neue schafft, das alles reibungslos funktioniert. Das gesamte Material in einer Stadt oder an einer Strecke zusammenzupacken, um weniger als eine Woche später am anderen Ende der Welt alles wieder aufzubauen und trotzdem ein Weltklasse-Sportspektakel abzuliefern, ist einfach unglaublich."

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