• 27. Juni 2018 · 08:21 Uhr

Cyril Abiteboul: "Red Bull hatte ausgefallene Wünsche"

Renault-Boss Cyril Abiteboul spricht exklusiv über das Ende der Partnerschaft mit Red Bull, die Zukunft des Werksteams und das Duell von Hülkenberg und Sainz

(Motorsport-Total.com) - Renault befindet sich gefühlt in einem Dauer-Umbruch. Seit drei Jahren ist das Team aus Enstone dabei, vom chronisch klammen Lotus-Team zum ernstzunehmenden Werksteam zu wachsen. 2019 gibt es die nächste Veränderung: Red Bull hat sich entschieden, die Verbindung nach zwölf Jahren zu kappen und Honda als Motorenpartner zu nehmen. Welche Auswirkungen das auf die Franzosen hat, wie die Zukunft des Teams aussieht und wie er das Duell zwischen Nico Hülkenberg und Carlos Sainz bewertet, erzählt Renaults Formel-1-Boss Cyril Abiteboul im exklusiven Interview mit 'Motorsport-Total.com'.

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Cyril Abiteboul hat bei Renault derzeit alle Hände voll zu tun Zoom Download

Frage: "Die große News in dieser Woche war der Wechsel von Red Bull zu Honda. Welche Auswirkungen hat das auf Renault, die nun zwei statt drei Teams ausrüsten?"

Cyril Abiteboul: "Konkret hat das keine großen Auswirkungen. Wir waren zwölf Jahre mit Red Bull verbunden und wussten daher, wie man extrem gut zusammenarbeitet. Die Prozesse hatten sich gut bewährt, die Kommunikationswege hatten sich gut bewährt."

"Auf der anderen Seite war Red Bull ein ziemlich großes und anspruchsvolles Team, das immer hohe Erwartungen hatte. Das hat manchmal zusätzliche Leistungen von unseren Jungs verlangt, wodurch sie Kompromisse zwischen der Anfrage und der natürlichen Priorität der Wünsche aus Enstone eingehen mussten, speziell was die Integration von Motor und Chassis angeht. Häufig haben wir etwas Zeit und Energie aufgebracht, um ihre teils ausgefallenen Wünsche zu erfüllen. Jetzt können wir uns aber fokussieren. Das ist im Grunde das, was sich ändern wird."

"Wir müssen auch über eine Neubesetzung des Teams an der Strecke nachdenken. Über die Leute, die an der Strecke in das Red-Bull-Team integriert waren, über die müssen wir nachdenken. Aber es gibt kein großes Problem. Wirtschaftlich ändert sich sehr wenig. Natürlich hatten wir Einnahmen, aber ein so großes Team mit Motoren auszustatten, war auch mit Kosten verbunden."


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Frage: "Was waren denn ausgefallene Wünsche, die Sie angesprochen haben?"

Abiteboul: "Wir wissen, dass sich Red Bull auf aerodynamische Optimierung fokussiert. Wenn ich ausgefallen sage, dann meine ich ausgefallen aus Sicht eines Motorenherstellers. Auf die globale Optimierung der Performance gesehen verstehen wir es, aber es ist immer eine große Herausforderung, einen Kompromiss zwischen dem Optimum der einen und dem Optimum der anderen zu finden. Das hat manchmal wirklich Probleme verursacht. Aber solche Dinge haben sich mit der Zeit verbessert."

"Am schlimmsten war es wohl 2014. Wir hatten bei der Kühlung keine gute Arbeit geleistet und haben öfters über die Position des Auspuffs gesprochen, weil ihre Aero ... Schau dir einen Red Bull an und schau dir einen Renault an: Man kann sehen, dass die Aero der Autos unterschiedlich ist. Der Red Bull ist viel besser, das ist offensichtlich. Und das ist für die Motorenseite eine riesige Herausforderung."

"Jetzt müssen wir uns darüber aber keine Gedanken mehr machen. Wir entwickeln den Motor für den Renault und sprechen mit McLaren. Aber als wir Kompromisse zwischen McLaren, dem Werksteam und Red Bull finden mussten, haben wir manchmal ehrlich gesagt viel Zeit verloren, und es konnte verwirrend sein."

700 Mitarbeiter am Ende des Jahres

Frage: "Sind Sie überrascht, dass Renault beim Chassis zur Referenz von McLaren wurde und nicht umgekehrt?"

Abiteboul: "Das kann man so nicht sagen. Aktuell ist unser Auto etwas besser als der McLaren, aber keiner von uns kann sich damit brüsten, die Referenz zu sein. Die Referenzen sind die Autos da vorne - inklusive Red Bull. Uns beiden fehlt eine bis 1,2 Sekunden. Darauf sollte unsere Priorität liegen - und nicht zu wissen, wer von McLaren oder Renault das beste, schlechteste oder am wenigsten schlimme Chassis hat. Wir sollten nach vorne schauen, nicht zurück."

Frage: "Lassen Sie uns über die Umstrukturierung von Renault reden. Als ihr das Team gekauft habt, gab es 475 Angestellte, am Ende des Vorjahres waren es 620. Wie sieht die Situation jetzt aus?"

Abiteboul: "Es sind zwischen 620 und 700. 700 wollen wir am Ende des Jahres erreicht haben. Im Moment sind es rund 650, aber damit haben wir das Personal in Enstone in den vergangenen drei Jahren um mehr als 50 Prozent aufgestockt. Das zu organisieren erfordert eine Menge Arbeit - nicht nur finanziell gesehen. Man muss sich dessen annehmen, die Bedürfnisse herausfinden, Stellenanzeigen schreiben, Leute anstellen, sie auswählen, sie integrieren und sicherstellen, dass die Gruppe weiter gut zusammenarbeitet. Das ist eine riesige Aufgabe!"


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"Häufig erkläre ich, dass das neben all unseren Aktivitäten an der Strecke dazugehört, weil es nicht nur eine Phrase sondern Realität ist. Wir wenden viel Zeit auf, um das Team im Moment aufzubauen. Das war besonders das Ziel von Bob Bell (Technikchef; Anm. d. Red.), der in gewisser Weise weg von der täglichen Arbeit, vom Chassisdesign, war, was eigentlich in der Verantwortung von Nick Chester liegt."

"Wie auch immer, Ende 2018 erreichen wir das Ende unseres ursprünglichen Drei-Jahres-Plans von 2016 bis 2018. Unsere Ziele beim Teamaufbau und unsere sportlichen Ziele werden wir erreicht haben. Mir ist natürlich bewusst, dass uns immer noch eine Sekunde auf die Topteams fehlt, aber wir müssen uns die Frage stellen: Wie sieht der Plan für die kommenden drei Jahre aus, also 2019 bis 2021, damit wir auf Kurs sind, um 2021 um die Meisterschaft zu kämpfen?"

Frage: "Alain Prost ist nicht länger in die Formel E involviert. Wird er nun mehr in die Formel 1 involviert sein?"

Abiteboul: "Nein, er hat die gleiche Rolle. Er ist Berater von Renault Sport Racing, besonders von den Fahrern, er denkt über die Regeln nach, interagiert mit Partnern, Medien und Offiziellen, die er sehr gut kennt. Seine Rolle verändert sich nicht."

Kein Interesse an Adrian Newey

Frage: "Adrian Newey hat noch keinen neuen Vertrag bei Red Bull. Könntet ihr interessiert sein?"

Abiteboul: "Nein."

Frage: "Nein?"

Abiteboul: "Nein. Ich habe großen Respekt davor, was er geleistet hat und immer noch leistet. Ich denke nicht, dass er ohne Vertrag dastehen wird, sondern ich denke eher, dass er für Red Bull und Aston Martin bei einer Reihe von Projekten extrem beschäftigt sein wird. Auf der anderen Seite haben wir eine starke, etablierte Struktur, der ich vollkommen vertraue. Bob, Marcin Budkowski, der das Gesamt-Management von Enstone übernommen hat, Nick Chester, Rob White. Das war's. Wir haben die richtige Struktur, um die Arbeit zu erledigen, finde ich. Jetzt müssen wir sie nutzen."

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Nico Hülkenberg hat derzeit die Nase vor Carlos Sainz Zoom Download

Frage: "Wie bewerten Sie das Duell zwischen Nico Hülkenberg und Carlos Sainz?"

Abiteboul: "Aktuell hat Nico die Nase vorn, die Zahlen sind da eindeutig. Aber wir können auch sagen, dass Carlos gute Arbeit leistet. Er erreicht seine Ziele: in das Team gut integriert zu sein und Nico auszugleichen, wenn er ein schlechtes Rennen hat oder Fehler macht. Er hat in zwei aufeinanderfolgenden Rennen - Baku und Barcelona - keine Punkte geholt. Einmal war es seine Schuld, einmal nicht, und Carlos war immer da und hat Punkte für das Team geholt."

"Beide Fahrer sind in der Lage, regelmäßig in die Top 10 zu fahren, keine Fehler zu machen, die gleichen Analysen des Autos anzustellen und somit das Team bei der Entwicklung und dem Set-up des Autos in dieselbe Richtung zu treiben. Das Aufgebot funktioniert gut, aber wir werden noch mehr darauf schauen, um uns selbst Fragen über die Zukunft zu stellen."

Frage: "Was für Fragen?"

Abiteboul: "Die Fragen sind: Ist das das Line-up für die kommenden Jahre? Nico ist zumindest bis nächstes Jahr vertraglich an uns gebunden. Bei Carlos ist die Situation komplizierter, da er für dieses Jahr von Red Bull ausgeliehen ist. Wir werden auf zwei Dinge achten: wie sich die Performance von Carlos entwickelt und wie sich die Fahrersituation bei Red Bull entwickelt. Uns ist bewusst, dass das einen Einfluss auf die Verfügbarkeit von Carlos im kommenden Jahr haben kann. Ich bin dafür verantwortlich, dass es in einem vernünftigen Zeitrahmen Alternativen gibt, sollte Carlos nächstes Jahr nicht verfügbar sein. Das Aufgebot für das kommende Jahr ist etwas, das ich so schnell wie möglich antizipieren möchte."

Kein Kommentar zu Daniel Ricciardo

Frage: "Daniel Ricciardo hat gemeint, dass er einen Wechsel zu Renault nicht ausschließen würde."

Abiteboul: "Ich möchte keine Aussagen über Aussagen treffen. Ich sage nur, dass wir auf Alternativen schauen müssen, weil wir wissen, dass wir nicht die komplette Kontrolle über Carlos' Zukunft bei Renault besitzen, weil wir die Zukunft zwischen Carlos und Red Bull nicht kontrollieren. Ich möchte zudem, dass wir auf eine Sache fokussiert bleiben: das bestmögliche Auto zu produzieren."

"Wir haben noch Arbeit vor uns. Ich weiß, wenn wir das bestmögliche Auto abliefern und allen zeigen, dass wir Fortschritte machen - und das haben wir nun ein paar Jahre lang -, dann werden die Leute Interesse an uns haben, und zwar auch die Fahrer. Die besten Fahrer. Wir sollten auf unser Ziel fokussiert bleiben."

Frage: "Oliver Rowland hat das Team verlassen, weil Sie ihm gesagt haben, dass er kurzfristig keine Chance auf ein Cockpit hat. Heißt das, dass auch jemand wie Jack Aitken keine Chance hat, selbst wenn er in der Formel 2 gut sein sollte?"

Abiteboul: "Das ist eine sehr gute Frage. Zuerst einmal freut es mich, dass Oliver unsere Ehrlichkeit, Transparenz und Klarheit ihm gegenüber respektiert hat. Wir leben in einem Umfeld, in dem die Leute ungewisse Situationen eher für sich behalten als sie zu klären. Ich wollte nicht, dass er Zeit verliert. Wir haben ihm eine Entwicklungsrolle angeboten, die er abgelehnt hat."

"Unsere Akademie ist ein Eckpfeiler unserer Entwicklung. Wenn man auf unsere Fahrer schaut, dann kann man schon sagen, dass es nicht nur Fahrer sind, die einfach nur einen Platz besetzen. Trotzdem braucht die Akademie Zeit, um uns Fahrer zu liefern, die meinen Erwartungen entsprechen. Allerdings fehlt ihr derzeit etwas: Die Verbindung zu einem anderen Formel-1-Team, das einen Fahrer aufnehmen kann. Red Bull hat das mit Toro Rosso, Mercedes mit Force India und manchmal Williams."

"Das ist einer der Gründe, warum die Beziehung mit Red Bull für unsere neuen Ziele keinen Sinn hat - speziell wenn es um die Aufzucht unserer Fahrer geht. Ich sehe mich nicht Helmut (Marko; Anm. d. Red.) fragen, ob er einen unserer Fahrer nimmt - mit Sicherheit nicht. Das ist noch zu früh. Wir werden es auch nicht mit McLaren machen. Aber wenn wir an unsere Kundenmotor-Strategie ab 2021 denken, dann ist bei mir ganz klar im Kopf, ob der Kunde einen Fahrer unserer Akademie aufnehmen kann."

Gegen das Wettrüsten kämpfen

Frage: "Als Renault in die Formel 1 kam, wollte man 2018 auf das Podium fahren und 2020 den Titel holen. Jetzt haben Sie den Titel auf 2021 gelegt. Haben sich die Ziele verschoben?"

Abiteboul: "Das ist ein bewegliches Ziel. Wir müssen 2020 in der Lage sein, gegen die Topteams zu kämpfen. Diese Erwartung haben alle. Ich werde komplett ehrlich sein: Wenn ich sehe, dass die Lücke von einer Sekunde zwischen uns und den Topteams anders als im vergangenen Jahr nicht kleiner wird während der Saison, dann ist das besorgniserregend. Und es zeigt die aktuelle Situation in der Formel 1 und wie Ressourcen organisiert und strukturiert werden."

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Gegen die Topteams sieht Renault aktuell kein Land Zoom Download

"Tut mir leid, dass ich darüber rede, aber es ist die Realität. Es ist ein Wettrüsten. Wer um das Podium kämpft, der hat auch die größten Ressourcen heutzutage. Wir müssen daran arbeiten, unsere Ressourcen zu erhöhen, und wir müssen auch an den Regeln arbeiten, da ich es nicht für gesund halte, wenn es in der Formel 1 nur einen Zusammenhang zwischen der Höhe der Ausgaben und dem Erfolg auf der Strecke gibt."

"Bis dahin müssen wir in der Lage sein, Möglichkeiten zu nutzen. Eine ist uns bereits durch die Finger gerutscht. Podestplätze waren in diesem Jahr das Ziel, und in Baku hatten wir die Chance auf einen - und dieser ist uns aus den Händen geglitten. Wir können ein Podium nicht ausschließen, aber ich muss zugeben, dass ich nicht daran glaube, dass wir 2018 ein Podium aus eigener Kraft erreichen. Wir müssen aber entschlossen auf unser mittelfristiges Ziel gehen, und das ist 2020, 2021 mit den Topteams zu kämpfen."

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