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Heinz Prüller über Rindts Tod: "Mir ist es saukalt geworden"
Reporterlegende Heinz Prüller im Interview über Jochen Rindt: Wie er den Tod seines besten Freundes spürte und ihn Stewart & Co. überredeten, weiter zu kommentieren
(Motorsport-Total.com) - Jochen Rindt wäre heute 75 Jahre alt geworden. Sein tödlicher Unfall beim Qualifying in Monza 1970 ließ den deutschen Staatsbürger, der aber mit österreichischer Lizenz fuhr und in Österreich groß wurde, zu einer der größten Legenden der Formel 1 werden. Kaum ein Journalist kannte Rindt besser als der österreichische Reporter Heinz Prüller, der mit Rindt in den Grand-Prix-Sport kam, die erste Biographie der Ikone schrieb und in den 15 gemeinsamen Jahren zu einem guten Freund des tragischen Helden wurde. Im Interview mit 'Motorsport-Total.com' erinnert sich der 75-Jährige, der von über 700 Grand Prix berichtete und damit den Rekord hält, an die Ereignisse von Monza, Rindts Umgang mit dem Risiko und wie er selbst mit dem Verlust seines Freundes umging.
Frage: "Herr Prüller, wie haben Sie das tragische Wochenende 1970 in Monza erlebt, als Jochen Rindt ums Leben kam?"
Heinz Prüller: "Wir waren am Samstag mit Lotus-Teamchef Colin Chapman in Monza Mittagessen, dann war das Qualifying. Ich stand in der Box, und es war ganz komisch: Plötzlich wurde es ruhig. Über den Lautsprecher habe ich gehört: Ein Unfall. Jochen Rindt. Aber er ist schon aus dem Auto heraußen. So gut war mein Italienisch, dass ich das verstanden habe."
"Aber es hat nicht gestimmt, das habe ich gespürt. Und ich weiß noch, mir ist es saukalt geworden. Ich habe gezittert, obwohl ich nichts gewusst habe. Ich habe das einfach nicht geglaubt, dass der Rindt schon aus dem Auto ist. Ich habe so Angst gekriegt, und mir war eiskalt. Komischerweise entwickelst du so eine Art sechsten Sinn."
Frage: "Ist es Ihnen nur bei Rindt so ergangen?"
Prüller: "Komischerweise hatte ich ein paar Jahre später das gleiche Gefühl noch einmal - beim Unfall von Gilles Villeneuve in Zolder. Da wurde über den Lautsprecher gesagt, dass es einen Unfall von Ferrari gab. Pironi. Das waren ja damals die zwei großen Stallrivalen. Und ich habe irgendwie gewusst, es kann nicht der Pironi gewesen sein. Natürlich war es der Gilles, der mir auch recht nahe gestanden ist."
Frage: "Zurück nach Monza: Sie mussten dann über die Tragödie ihres Freundes berichten..."
Prüller: "Ja, nach dem Unfall brach dort das Chaos aus. Man hat diese blödsinnigen Gedanken: Ich muss ja meine Zeitung anrufen, weil die Vorschau auf diesen Grand Prix wird eine ganz andere sein müssen - zuerst ging es ja nur darum, ob der Rindt die Ferrari besiegt."
"Da hast du eine totale Hilflosigkeit. Ich habe fünf oder sechs Seiten im Express geschrieben, ich war ja damals Sportchef dieser Zeitung. Ich weiß aber noch, dass ich außer Stande war, auch nur eine Zeile zu schreiben. Ich habe versucht, mich zu konzentrieren, und habe dann diese Seiten am Telefon einer Sekretärin diktiert. Und so kam es dann auch in die Zeitung, weil ich nicht imstande war, einen geraden Satz zu formulieren und zu schreiben."
Wie Prüller über das Drama seines Freundes berichtete
"Das Schlimme in diesem Moment: So bitter und traurig das alles ist, du hast dann mit technischen Umständen zu kämpfen, um einen Bericht durchzubringen. Damals hat es noch lange kein Fax oder Telex gegeben, von Internet brauchen wir gar nicht reden. Und dann diese Routine: Machen wir 80 Zeilen über seine Karriere, 50 Zeilen über Frau und Kinder etc. Aber eigentlich willst du mit dem nichts mehr zu tun haben."
"Ich habe das zu oft erlebt - mit der Ulli Maier (österreichische Skirennläuferin, die 1994 in Garmisch ums Leben kam; Anm. d. Red.), mit dem Roland Ratzenberger, mit Ayrton Senna natürlich. Das ist schon schrecklich. Da bringt dein Beruf - also der Rennsport - Freunde in solche Situationen, und du verstehst die Welt nicht mehr."
Frage: "Wie ging es Ihnen, als Sie die Arbeit hinter sich gebracht hatten?"
Prüller: "Ich fuhr dann nach Mailand hinein und hatte nur einen Wunsch: dass ich den Grand Prix verschlafe. Ich wollte damit nichts mehr zu tun haben."
Prüller: "Mir war danach, aber ich habe es nicht gemacht. Am nächsten Tag bin ich zu Mittag um zwölf Uhr aufgewacht. Normalerweise bin ich da schon an der Rennstrecke. Ich bin also hingefahren und habe gehofft, dass ich den Start versäume, damit ich den Grand Prix nicht übertragen muss, denn diese Vorstellung war für mich schrecklich."
"Es ist sich aber dann leider Gottes ausgegangen, und ich habe mich während des Grand Prix aus Pflichtgefühl für die TV-Zuschauer auf meinen Platz gesetzt, denn wir hatten auch wegen Rindts WM-Chancen gigantische Zuschauerzahlen. Ich konnte also schwer sagen: 'Leute, ich kann nicht übertragen, mir verschlägt es die Stimme, ich kriege es nicht hin'."
Was war Rindts Triebfeder?
Frage: "Wie haben Sie am Sonntag die Atmosphäre im Fahrerlager wahrgenommen?
Prüller: "Der Jackie Stewart war der erste, der mir begegnet ist, mit Tränen in den Augen. Dann bin ich raus auf die Tribüne, wir haben ja damals noch unter freiem Himmel kommentiert. Ich habe mir gedacht: Um Gottes Willen, was mach ich jetzt? Und auf einmal kommt der Graham Hill, den ich auch ganz gut gekannt habe. Und der vor allem gewusst hat, wie mir zumute war, ohne viel darüber sprechen zu müssen."
"Er hat sich neben mich hingesetzt, und ist den ganzen Grand Prix lang neben mir sitzengeblieben. Das fand ich irrsinnig nett von ihm. Da war eine gewisse Kameradschaft, eine gewisse Verbundenheit unter den Rennfahrern und einigen wenigen Journalisten. Ich habe ja damals Radio, Fernsehen und Zeitung gleichzeitig gemacht."
Frage: "Graham Hill trat damals nicht an, weil Lotus die Rennwagen zurückgezogen hatte..."
Prüller: "Ja, sonst hätte er das Rennen nicht bei mir sehen können."
Frage: "Laut Helmut Marko hatte Jochen Todesahnungen. Sie hatten einen sehr engen Draht zu ihm. Hat er darüber mit Ihnen jemals gesprochen?"
Prüller: "Wir haben uns doch ungefähr 15 Jahre lang sehr gut gekannt, und er war auch mein bester Freund. Wir haben oft darüber gesprochen, ob Rennfahrer aufhören sollten, bevor sie 30 sind, und wie einem Rennfahrer zumute ist, wenn er die Karriere beendet. Wichtig war, dass er einmal sagte: 'Ich möchte Weltmeister werden - und der größte Name im Motor-Business sein. Dann verdiene ich Millionen.' Das war ein ganz klarer Satz."
Frage: "Und dafür hat er das Risiko auf sich genommen, für das für seine unsicheren Boliden bekannte Lotus-Team zu fahren?"
Prüller: "Er hoffte 1968, als er noch für Brabham fuhr, bis zum Schluss, dass der Jack Brabham mit dem Geld daherkommt. Sponsor des Autos wäre die Reifenfirma Goodyear gewesen. Er hat also eine Grenze gezogen, für welche Gage er noch für Brabham fahren würde und was ihm das Lotus-Risiko wert ist."
"Bei diesen Urteilen war er glasklar. Er hat den Satz gesagt: 'Bei Brabham bin ich sicher, denn Jack Brabham ist mein Teamchef, und er fährt das gleiche Auto wie ich. Er wird also mehr Wert darauf legen als andere. Andererseits: Bei Lotus kann ich Weltmeister werden, aber es kann auch passieren, dass ich eine Brez'n reiß (saloppe österreichische Formulierung für: einen Unfall haben; Anm. d. Red.).' So ungefähr war seine Formulierung. Er hat bis zuletzt gewartet, dass das mit dem Geld noch funktioniert."
Frage: "Rindt war ein sehr riskanter Fahrer, aber man hatte den Eindruck, dass seine Einstellung zum Risiko bei Lotus kippte. Waren die gefährlichen Flügelbrüche in Montjuich 1969 der Auslöser?
Prüller: "Ich war ja dort - in Barcelona. Außer mir war kein Journalist vor Ort, aus Österreich. Es war ein unglaubliches Wochenende. Ich war nach dem Unfall bei ihm im Krankenzimmer, und dann kam auch der Bernie (Ecclestone, sein Freund und Geschäftspartner; Anm. d. Red.) vorbei. Jochen hat im Halbschlaf gesagt: 'Bernie, did you get my starting-money?' Also: Hast du mein Startgeld? Und der Bernie hat mich angeschaut und gesagt: 'You see: Bloody Jochen doesn't change!' Also: Er ändert sich nicht."
"Dann ist er eingeschlafen, denn er hatte doch eine schwere Gehirnerschütterung. Und irgendwann an dem Abend sagt er zu mir: 'Ich wollte immer schon wissen, was der Jim Clark noch gedacht oder gespürt hat, als er den Unfall hatte. Und jetzt weiß ich es. Er hat nichts mehr gespürt.' Weil das alles so schnell passiert."
Frage: "Haben Sie bei Rindt nach diesem Rennen eine Veränderung erkannt?"
Prüller: "Er hat schon versucht, mehr Wert auf die Sicherheit zu legen, aber das hat er eigentlich davor auch schon gemacht. Er wusste, was passieren kann."
Wie Rindts Fahrerkollegen Prüllers Rücktritt verhinderten
Frage: "Wie haben Sie das Begräbnis in Graz erlebt?"
Prüller: "Mein Bruder Walter, der sieben Jahre jünger ist als ich, war so lieb und ist mit mir nach Graz gefahren, weil alleine hätte ich das wahrscheinlich nicht geschafft. Das war so entsetzlich, aber die Atmosphäre war andererseits eine eher warmherzige. Alleine, wer da war - der Jackie Stewart, der Joakim Bonnier, damals Präsident der Fahrergewerkschaft GPDA. Diese Kameradschaft hat man wirklich gespürt. Dann hat es eine Art Abschiedsparty von Helmut Marko gegeben. Es war sehr bewegend."
Fotostrecke: Jochen Rindts tragische Karriere
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Frage: "Sie wollten sich mit Saisonende 1970 aus der Formel 1 zurückziehen..."
Prüller: "Ja. Nach Monza gab es noch die zwei Rennen in Kanada und Amerika. Kanada habe ich ausgelassen, denn ich wollte aufhören. Ich bin dann nur noch nach Watkins Glen gefahren, zum letzten Rennen, weil ich mich dort von Brabham, Stewart und Hill verabschieden wollte. Ich fand, dass sich das nach so vielen Jahren einfach gehört, auch, weil das zum Teil sehr gute Freunde von mir geworden sind."
"Die waren dann aber alle so nett. Stewart hat zu mir gesagt: 'Darf ich dir für die nächsten 50 Jahre meine Box anbieten?' Weil ich immer in der Box vom Jochen war. 'Kommst halt einfach zu mir...' Die anderen waren auch so, und dann habe ich es mir überlegt. Anfang 1971 hätte ich zum Cassius-Clay-Kampf nach Amerika reisen können. Es war einer seiner größten Kämpfe. Dem Jochen zu Ehren bin ich dann aber nach Kyalami gefahren, denn die Formel 1 ist mir schon irgendwie ans Herz gewachsen."
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Frage: "Wäre Jochen Rindt heute auch eine Legende, wenn er nicht gestorben wäre?"
Prüller: "Also mir wäre lieber, er wäre keine Legende und würde noch leben. Er war der erste Österreicher, der Formel 1 gefahren ist - in einer Zeit, in der man sich das überhaupt nicht vorstellen konnte, dass je ein Österreicher Formel 1 fährt, geschweige denn gewinnt und Weltmeister wird. Er war schon ein echter Hero - und der wäre er auch ohne den Unfall gewesen. Ganz klar!"
Frage: "Welchen Ruf hatte Jochen im Fahrerlager?"
Prüller: "Einen sehr guten Ruf. Seine Fahrerkollegen haben ihn sehr respektiert, und die haben alle gewusst, was er kann, wer er ist. Der Rob Walker war ja sein erster Teamchef in der Formel 1. Der hat Jahre später zu mir gesagt: 'Je mehr Erfolg der Jochen hatte, desto liebenswürdiger ist er als Mensch geworden.' Und das unterschreibe ich zu 100 Prozent. Er musste jahrelang gegen diese blöden Vorurteile kämpfen, der Rindt mache jedes Auto kaputt, denn er wusste ja, wie gut er ist. Diese Äußerungen haben ihm weh getan. Und es war ihm wichtig, dass das richtig gestellt wird."
"Außerdem gab es eine Zeitlang dieses Phänomen, das jetzt Lance Stroll bei Williams spürt. Es gibt viele, die auf ihn neidisch sind, weil seine Familie so unglaublich viel Geld hat. Das ist aber sehr ungerecht, denn was kann der Bub dafür, dass der Vater Milliardär ist? Der Jochen hatte diesen hellbraunen Kamelhaar-Mantel, den damals nicht viele hatten. Ich will nicht sagen, dass das ein Statussymbol war, aber das war schon ein guter Mantel."
"Und dann hatte er diesen Ledermandel mit Pelzbesatzung, der bei jedem Menschen idiotisch ausgesehen hätte - das hat auch der Niki Lauda gesagt. Nur dem Jochen hat er gepasst. Er ist nicht in Fetzen dahergekommen, denn er kam ja aus einer guten Familie. Der Großvater war Rechtsanwalt, und die Eltern hatten die Gewürzmühle Klein & Rindt. Er war kein Gammler."
Frage: "Rindt hatte ja die deutsche Staatsbürgerschaft. Wurde er in Österreich trotzdem immer als Österreicher wahrgenommen?"
Prüller: "Ja, aber lange auch von den Deutschen als Deutscher. Ich erinnere mich noch an den Aufmacher in der Bild-Zeitung: Deutscher gewinnt für Ferrari in Le Mans. Er hatte aber die österreichische Lizenz, und als Rennfahrer war er damit immer Österreicher. Und: Er hat sich auch selbst als Österreicher wahrgenommen."