Jörg Zander: Sauber will für "größere Überraschungen" sorgen
Jörg Zander kehrt nach fast zehn Jahren als Technischer Direktor zum Sauber-Team zurück und spricht im Interview über seine Ziele und Erwartungen
(Motorsport-Total.com) - Frage: "Nochmals herzlich Willkommen zurück bei Sauber! Die ersten Wochen in Hinwil sind vorüber. Was sind Ihre bisherigen Eindrücke von den Möglichkeiten und Voraussetzungen, die sich hier bieten. Und können Sie bereits einen Vergleich zu 2006/07, ihrer früheren Zeit bei Sauber, ziehen?"
Jörg Zander: "Zuerst einmal sind die Eindrücke durchwegs positiv! Ich bin hier sehr warmherzig empfangen worden und fühlte mich gleich vom ersten Tag an wieder wohl und vertraut im altbekannten Umfeld."
"Ich bin begeistert von der Einstellung meines Teams. Nach den Frustrationen und Ängsten der zuletzt durchlebten Turbulenzen ist nun deutlich die Motivation bei jedem Einzelnen zu erkennen. Man hat natürlich Erwartungen, man möchte Veränderung, Stabilisierung und die Richtung spüren, in die es geht - und genau darum werden wir uns nun gemeinsam bemühen."
"Die technischen Voraussetzungen sind optimal, wir sind hier entwicklungs- und produktionsseitig autark aufgestellt. Das ermöglicht kurze Entwicklungszyklen und Flexibilität. Der Sauber-Windkanal gehört zu den besten Aerodynamik-Entwicklungsstätten im professionellen Motorsport."
"Die Modell-Bauteile für die Windkanaltests werden in unserem eigenen Rapid-Prototyping mittels SLS- und SLA-Systemen schnell realisiert. Dies ermöglicht eine effiziente Aerodynamik-Entwicklung. Im Bereich Chassis können wir sämtliche Carbon-Composite-Strukturen selber herstellen. Hier ist in den letzten Jahren sehr viel passiert."
Technischer Leithammel in Hinwil
Frage: "Erzählen Sie uns, was Ihre Aufgaben als Technischer Direktor sind!"
Zander: "Meine Aufgaben werden zu Beginn die Definition und Optimierung der Technik-Organisationsstruktur sein. Wir haben hier ganz hervorragende Ingenieure und Techniker. Nun müssen wir schauen, dass wir die Kompetenzen und Ressourcen gemäß den Anforderungen sinnvoll arrangieren. Wichtig ist dabei, dass wir unsere Kommunikations- und Entscheidungsprozesse optimieren, um noch effizienter arbeiten zu können."
"Des Weiteren liegt mein Aufgabenschwerpunkt in der Technik, vornehmlich in der Führung und Richtungsvorgabe für die Konstruktions- und Entwicklungsabteilungen. Das Konzept unseres Rennfahrzeugs wird im Wesentlichen durch die Elemente Fahrdynamik, Aerodynamik und Fahrzeug-Konstruktion definiert. Im Teamwork erarbeiten wir hier - auf Fakten basierend - die Richtung."
Sauber: Das Jahr in Schlagzeilen
Sauber hat zum Abschluss des Jahres ein kleines Video produziert, das man allerdings nicht zu ernst nehmen sollte... Weitere Formel-1-Videos
"Neben den empirischen Ermittlungen im Windkanal werden heutzutage die Fahrzeug- Funktionalitäten und -Fahrdynamik mithilfe von Simulationen analysiert und vorbestimmt. Ich möchte sicherstellen, dass wir diese Analyseprozesse zur Definition des Fahrzeug-Konzeptes miteinander vernetzen und somit auf effiziente Weise Ergebnisse produzieren, die die Grundlage des Fahrzeug-Konzeptentscheids sind."
"Darüber hinaus möchte ich dazu beitragen, dass unsere Mannschaft noch enger zusammenwächst und den Austausch und das Verständnis füreinander fördern. Formel 1 ist ein Teamsport!"
Zuletzt bei Audi in der WEC engagiert
Frage: "In Ihrer letzten Position arbeiteten Sie im Top-Level-Langstrecken-Motorsport. Was sind die technischen Unterschiede zwischen Langstrecken- und Formel-1-Autos?"
Zander: "Im professionellen Langstrecken-Motorsport werden verschiedene Sportwagen-Typen mit verschiedenen Antriebstechnologien eingesetzt. Diese reichen von offenen und geschlossenen Prototypen mit Hybridtechnologie bis hin zu straßenzugelassenen, ähnlichen GT-Sportwagen - ein bunt gemischtes Feld."
"In der WEC sind im Bereich der von den Fahrzeugherstellern betriebenen LMP1-H, auf Basis der Equivalence of Technology, unterschiedliche Antriebskonzepte möglich. Das bedeutet, dass verschiedene Verbrennungsmotor-Konzepte, Diesel oder Benziner, und Hybridsysteme mit Energie-Übertragungen von bis zu acht Megajoule pro Runde in Le Mans zulässig sind."
"Das ist dann vergleichbar mit der Formel 1 auf einer durchschnittlichen Grand-Prix-Strecke mit vier Megajoule. Der Hybrid-Energiegehalt ist in der Formel 1 somit in etwa vergleichbar mit den vier Megajoule zurückgewonnener Energie pro Runde. Die MGU-K ist bei einem LMP1-H Sportwagen an der Vorderachse installiert. Im Boost-Modus beschleunigen diese mit Allradantrieb, was bei einem Formel-1-Fahrzeug nicht der Fall ist."
"In der Formel 1 wird die Leistung über die Maximierung des Kraftstoff-Volumenstroms limitiert. Die Autos LMP1-H sind ebenfalls leistungslimitiert, darüber hinaus aber etwa 100 Kilogramm schwerer und haben nur eine definierte maximale Menge an Energie (Kraftstoff) pro Runde zur Verfügung."
Vergleich zwischen Le Mans und Formel 1
"Die WEC-Fahrzeuge sind in ihrer Entwicklung stark auf das Rennen in Le Mans fokussiert, deswegen werden die Fahrzeuge auch speziell für dieses Rennen aerodynamisch ausgelegt und erreichen damit höhere Effizienzwerte als ein Formel-1-Auto. Der Abtrieb der Formel-1-Fahrzeuge ist aber deutlich größer."
"Die Fahrzeuge unterscheiden sich in ihrer globalen Machart nur geringfügig, allesamt sind auf Leichtbau getrimmt. Es kommen in beiden Serien Kohlefaser-Chassis, Doppeldreieckslenker-Fahrwerkssysteme mit komplexen Feder-Dämpferelementen und Carbon-Hochleistungsbremsen zum Einsatz. Mit bis zu 1.000 PS und Allradantrieb sind die WEC-Boliden trotz des höheren Gewichts auch richtig schnell, aber im direkten Vergleich zur Formel 1 auf den Grand-Prix-Strecken um rund zehn Sekunden langsamer."
Zander: "Ja, das trifft sich prima. Die Fahrzeuge werden wieder breiter, von 1,80 auf zwei Meter, es gibt um 25 Prozent breitere Reifen, die Front- und Heckflügel werden ebenfalls breiter und dazu wird der Diffusor vergrößert. Insgesamt bedeutet das mehr Abtrieb, mehr Grip und damit schnellere Rundenzeiten."
"Die Kurvengeschwindigkeiten werden höher sein, aber auch der Luftwiderstand. Damit ergeben sich etwa für die Regelung der Energierückgewinnung andere Bedingungen. Die Höchstgeschwindigkeit des Autos ist zwar geringer, das Auto kann aber aufgrund des höheren Abtriebs später bremsen. Daher verkürzt sich der Bremsweg und damit auch die Möglichkeit zur Energierückgewinnung. Man muss andere Fahrprofile und Strategien entwickeln, um die limitierte Energie von zwei Megajoule mit der MGU-K aufzusammeln."
Zander: Neue Autos sehen wieder "stark" aus
"Das Aero-Konzept wird für die Performance wieder entscheidend sein. Die Autos sehen mit den breiten Reifen und einer Gesamtbreite von zwei Metern wieder stark aus. So kann man die unvergleichliche fahrdynamische Power allein beim Anblick spüren. Sicherlich spielt der Antrieb beziehungsweise die Antriebsleistung eine große Rolle, aber zu Beginn der Saison werden sicher das Chassis und auch die Zuverlässigkeit erst einmal den Unterschied ausmachen."
Zander: "Ich möchte einen deutlichen Aufwärtstrend gegenüber dem letzten Jahr erkennen. Das möchten wir alle hier. Unsere Zielsetzung ist es, dass wir uns im Mittelfeld etablieren. Im Gegensatz zu 2016 werden wir unseren Entwicklungsplan über die gesamte Saison hinweg umsetzen."
"Doch wir müssen realistisch sein, denn unsere Referenz ist auf einem niedrigeren Niveau als bei der Konkurrenz. Wir sind mit unserem C36-Auto im Plan und optimistisch, weil unsere Entwicklungsrichtung stimmt. Eine Einschätzung im Vergleich zur Konkurrenz ist allerdings aufgrund der neuen Regeln fast nicht zu machen."
"Gesamt betrachtet wird 2017 für uns auch ein wichtiges Jahr werden. Es müssen die Struktur- und Prozessoptimierungen umgesetzt werden - und dann greifen. Das sind keine Vorgänge, die man nach Fachliteratur oder Anleitung umsetzt, das sind individuelle Anpassungen, wo der Mensch und die Kultur eine große Rolle spielen. Die Mannschaft muss diese Veränderungen annehmen und sich an neue Umstände gewöhnen, das benötigt Zeit. Ganz klar!"
Arbeit am 2018er-Auto soll bald beginnen
Frage: "Was sind Ihre langfristigen Ziele mit Sauber?"
Zander: "Ich werde mit meinem Technikteam bald das 2018er-Konzept angehen. Jedoch nicht zu früh, denn wir wollen erst einmal eine fundierte Standortbestimmung und Analyse der anfänglichen Saison 2017 durchführen."
"Dazu möchte ich ein gut organisiertes Team mit zufriedenen, motivierten Mitarbeitern aufgestellt wissen, welches sich in der Formel-1-WM als Größe etabliert. So, dass man uns immer auf der Rechnung haben muss, hin und wieder auch für eine größere Überraschung gut zu sein. Im Sauber-Team möchte ich für Zuversicht und langfristige Stabilität sorgen. Nachdem, was ich bisher so wahrgenommen habe, bin ich sehr optimistisch, dass wir genau dies auch erreichen."
Frage: "Falls Sie neben dem Motorsport noch Zeit für andere Dinge finden, wofür können Sie sich noch begeistern?"
Zander: "Begeistern kann ich mich natürlich für meine Liebsten - die Familie und die Menschen, die mir nahe stehen. Meine Leidenschaft neben dem Motorsport ist Triathlon. Ob ich im Juni den 70.3-Ironman-Event in Rapperswil packe, hängt davon ab, ob ich genügend Zeit zum Trainieren finde. Für die Olympische Distanz in Zürich im Juli wird es aber sicher reichen."