Gary Anderson antwortet: Zweites Honda-Team notwendig?
Warum Honda nur mit einem Team kooperiert, wie in der Formel 1 Teamduelle gesehen werden und warum manche Kühler zerbröseln: Gary Anderson antwortet
(Motorsport-Total.com) - Darren Bates (E-Mail): "Es gibt Gespräche über die mögliche Belieferung weiterer Teams mit Honda-Antrieben. Hat Honda einen Fehler gemacht, weil man sich allein auf McLaren fokussierte? Oder hat es Vorteile, nur mit einem Team zu kooperieren?"
Gary Anderson: "In der Anfangsphase hat es Vorteile, wenn man nur ein einziges Team beliefert. Wenn man aber mal ein Bein am Boden hat, die richtigen Leute an den richtigen Stellen sind und man weiß, wie die Zuliefererkette auszusehen hat, dann bekommt man durch die Erweiterung auf zwei Teams mehr Input und - noch viel wichtiger - auch unterschiedliche Sichtweisen."
"Honda hätte dies bestimmt gern zur Saison 2016 umgesetzt, aber McLaren stand da im Weg. Man muss sich mal anschauen, wie unterschiedlich die Performance der Teams Sauber, Toro Rosso und Haas ist, die allesamt mit Ferrari-Antrieben fahren. Oder auch bei Williams, Force India und Manor, die vom Mercedes angeschoben werden. Das zeigt, dass die Belieferung eines einzigen Teams ein gefährliches Spiel sein kann."
"Die Gefahr, dass man fehlgeleitet wird, ist dabei sehr groß, denn man macht sich abhängig von der Leistung und den Eigenheiten des Designs eines einzigen Teams. Da fehlen die Vergleichsmöglichkeiten."
Harry Jones (E-Mail): "Nico Rosberg liegt in der WM vorn, aber viele sind der Ansicht, dass Lewis etwas schneller ist und den Titel gewinnen wird. Aus deiner Sicht: Wie nimmt man so etwas intern in einem Team wahr? Hält man einen Fahrer für stärker als den anderen, obwohl es keine explizite Nummer eins gibt?"
Anderson: "Die Meinungen haben immer die Erfahrungen aus den Vorjahren als Hintergrund. Rosberg schien vor allem in der Saison 2014 im Kampf um die WM gebrochen zu sein. Aber wer sagt, dass dies in diesem Jahr wieder so passieren wird?"
Der Warnschuss für Nico Rosberg
"Rosberg hat seinen Warnschuss bereits erhalten, als er seine 43 Punkte große Führung verlor und plötzlich nur noch Zweiter war. Er hat sich zurückgekämpft und weiß, dass ihm so etwas nicht noch einmal passieren darf. Anders gesagt: Er muss an jedem einzelnen Wochenende versuchen, dieses kleine Bisschen besser zu sein."
"Innerhalb des Teams denke ich, dass viele es gern sähen, wenn ein Deutscher in einem Mercedes Weltmeister würde. Gleichzeitig meine ich aber, dass Mercedes sicherlich den schnellsten Fahrer gern als Titelträger hätte. Sie werden beiden Piloten exakt gleiches Material geben. Dann sollen sie es an Sonntagnachmittagen auf der Strecke unter sich ausmachen."
"Die Realität ist doch folgende: Kein anderes Team kann in der Konstrukteurs-WM etwas ausrichten, im Kampf um die Fahrerkrone spielt auch keiner dazwischen. Solange die beiden Piloten also sauber im Zweikampf agieren, wird sich das Team zurückhalten und die Jungs einfach machen lassen. Wenn Mercedes aber Rennen wegen der Dummheit eines Fahrers verlieren sollte, dann wird man einschreiten."
"Wenn es um den Nummer-1-Status geht, dann wird das Team eine genaue Vorstellung von der weiteren Entwicklung haben, die dem Auto am besten zu Gesicht steht. Wenn einer der Fahrer clever genug ist, sich genau auf diesen Weg zu begeben, dann wird man ihm etwas mehr zuhören als dem anderen. Eher jedenfalls als dem Piloten, der seinen eigenen Weg gehen will. Lewis und Nico werden das beide wissen. Ich bin sicher, dass sie sich entsprechend aufgestellt haben."
Was kann Mercedes besser als andere?
Sarah Davies (E-Mail): "Überall hört man von neuen Technologien, die alles verändern werden - aber in der Formel 1 ist keine Rede davon. Erwartest du neue Technologien, Ideen, Materialien oder Herangehensweisen, die in den kommenden fünf bis zehn Jahren großen Einfluss haben werden? Oder sind alle schon an den Grenzen angelangt?"
Anderson: "Ich bin sicher, dass da irgendetwas kommen wird. Aber ich finde, dass man durchaus stolz auf das sein darf, was die Antriebshersteller in der bislang kurzen Zeit mit ihren Power Units geleistet haben."
"Die Antriebe sind äußerst komplexe Systeme. Die Leistung und Zuverlässigkeit, die Mercedes, Ferrari, Renault und Honda jetzt schon haben, kommen nicht per Zufall - und waren auch ganz sicher nicht leicht zu entwickeln. Wenn man dies mal überträgt, dann wird diese Entwicklung sicherlich großen Einfluss auf den Bau von Straßenfahrzeugen in der Zukunft haben."
"Es stimmt allerdings, dass die aktuellen Regeln weitere Innovationen verhindern. Es ist gar nicht lange her, da haben sich alle ungeachtet der immensen Kosten auf die Suche nach der 'eierlegenden Wollmilchsau' gemacht. Im Zuge dessen haben die reichen Teams die etwas ärmeren deutlich abgehängt. Das ist bis heute spürbar, wenngleich auch nicht mehr ganz in diesem Ausmaß."
Thomas Vanhanen (E-Mail): "Alle Topteams verfügen mittlerweile über das dritte, hydraulische Aufhängungselement. Aber was unterschiedet Mercedes immer noch von den anderen?"
Anderson: "Ganz einfach: Innovation. Mercedes macht es wie Red Bull damals in deren erfolgreichen Zeit. Sie gehen in allen Bereichen ans absolute Limit. Einen solchen Lauf zu haben, wie diese beiden Teams ihn hatten und noch haben, ist wirklich nicht so einfach."
"Ein Rennfahrzeug besteht aus unzähligen Komponenten. Die Anzahl dieser Bauteile ist bei allen Autos annähernd gleich, aber manche Teams wissen halt besser, wie man aus jedem einzelnen das Beste herausholt. Mercedes hat das dritte hydraulische Element aus einem guten Grund. Es wirkt, wie sie es wollen. Das können wir Woche für Woche beobachten. Das Teil bringt ihnen einfach mehr als anderen."
Die Datenflut und deren Auswirkungen
Jay Menon (E-Mail): "Oft hört man Kommentatoren oder sogar Teamchefs sagen, dass ein Pilot über dem Niveau des Autos gefahren sei - er also Unmögliches möglich gemacht hat. Was braucht man als Fahrer, um das zu schaffen?"
Anderson: "Ganz ehrlich: Ich glaube nicht an so etwas. Ich bin überzeugt, dass es Piloten gibt, die die Möglichkeiten ihres Auto nicht ganz ausnutzen. Daher kommen die Unterschiede zweier Fahrer in den gleichen Autos zustande."
"Das aktuelle Starterfeld ist quasi wie die Arche Noah. Die Autos kommen Pärchenweise auf einem gemeinsamen Niveau daher - oder zumindest auf einem sehr, sehr ähnlichen. Das liegt daran, dass die Set-ups in den Tiefen der Garagen ausgetüftelt werden. Die Zeiten sind vorbei, als Fahrer mit dem Handling nicht zufrieden waren und dann in Gesprächen mit dem Renningenieur eigene Lösungen erarbeitet haben."
"Ich würde gern mal sehen, wie sich ein Rennwochenende entwickeln würde, wenn man die gesamten Daten während der Sessions zurückhält und sie den Ingenieuren erst am Ende des Trainingstages in die Hände gibt. Dann müssten Fahrer und Renningenieure während der Sessions nur mit dem arbeiten, was sie während der Fahrten selbst mitbekommen und wahrnehmen."
Mechanischer Grip: Grenzen sind klar
Paul Messenger (E-Mail): "Bei welchem Tempo - unabhängig von der Qualität des Autos - kann ein Formel-1-Fahrzeug ganz allein mit mechanischem Grip leben?"
Anderson: "Jedes Objekt, das in Bewegung ist, ist immer gewissen aerodynamischen Kräften ausgesetzt. Man kann also nicht sagen, dass es einen Punkt gibt, an dem die mechanischen Kräfte die aerodynamischen voll ausschalten. Rechnen wir der Einfachheit halber mal mit runden Werten."
"Wenn ein Formel-1-Auto bei Tempo 200 km/h einen aerodynamischen Abtrieb von 1.000 Kilogramm erzeugt und wir davon ausgehen, dass sich dies linear verändert und unabhängig von Bodenfreiheit und sonstigen Dingen ist, dann ergeben sich folgende Werte in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit: 50 km/h = 62 kg, 100 km/h = 250 kg, 150 km/h = 560 kg, 200 km/h = 1.000 kg, 250 km/h = 1.560 kg, 300 km/h = 2.250 kg."
"Wenn man diese Abtriebsdaten mal zum Fahrzeuggewicht von rund 720 Kilogramm addiert, dann erhält man die jeweilige vertikale Last auf die Reifen. Bei den lateralen Kräften beim Durchfahren einer Kurve wirkt nur das Fahrzeuggewicht. Wenn der Reifen den Koeffizienten von 1 hat, dann erkennt man, dass ein Auto in richtig schnellen Kurven bis zu 4g lateral aufbauen kann, in langsamen Kurven sind es hingegen kaum mehr als 1g. Es gibt keine magische Lösung, um den mechanischen Grip zu erhöhen."
Ian Giles (Facebook): "Warum haben sich die Kühlsysteme in den zurückliegenden Jahren nie verändert?"
Anderson: "Sie haben sich verändert und tun es fortwährend. Man rechnet jederzeit die Wärmeabfuhr gegen das Gewicht des Systems auf. Und dabei hat sich ein Aluminium-Kühler als sehr effizient erwiesen - und zwar in beiden Bereichen. Allerdings haben sich die Kerne der Kühlsysteme im Laufe der Jahre doch verändert. Das kann man nicht sehen, es steckt im Inneren."
"Kleinigkeiten, wie zum Beispiel das Einfügen kleiner Flügelchen, um Turbulenzen zu erzeugen, haben die Wärmeabfuhr erheblich verbessert. Dies kombiniert mit einer verbesserten Form der Kühler hat dazu geführt, dass das Design der Autos nicht mehr von diesen ehemals rechteckigen Kühlern diktiert wird."
Wenn der Kühler in sich zusammenfällt...
"Ich selbst war an einem amerikanischen Projekt beteiligt, bei dem ein Kohlegraphit-Kühler entwickelt wurde, der all meine Sorgen diesbezüglich zunichte gemacht hätte. Aber bei der leichtesten Berührung ging dabei nichts mehr. So war alles nutzlos - wie so oft bei anfangs großartigen Ideen. Wenn man sie in die Realität umsetzen will, verbrennt man manchmal einfach nur Unmengen von Geld."
"Ich bin sicher, dass es noch andere Materialien gibt, die das Design der Kühler potenziell verbessern könnten. Aber man muss immer im Hinterkopf behalten, dass es kosteneffizient sein muss und dass die Kühler im breitesten Bereich des Autos platziert sind. Sie sind fast immer das erste Teil, das bei einem Unfall zerstört wird."
Ben Stuart (E-Mail): "Wie groß ist der Unterschied bezüglich des Grips in Kurven zwischen dem besten und dem schlechtesten Auto - also wie groß ist die Differenz des Tempos im Scheitelpunkt zwischen Mercedes oder Red Bull und einem Sauber oder Manor?"
Anderson: "Ich denke, meine Antwort von eben bezüglich mechanischem und aerodynamischem Grip liefert schon einen Anhaltspunkt. Abtrieb ist der Schlüssel zu einer verbesserten Gesamtperformance. Die großen Teams haben mehr Manpower und Budget, um dies zu erreichen."
"Es geht aber nicht nur darum, Unmengen von Abtrieb zu generieren. Die Balance eines Autos bestimmt das Handling. Das wiederum hat dramatische Auswirkungen auf die Rundenzeit. Wenn man sich die guten Autos anschaut, dann erkennt man, dass sie immer gut balanciert sind. Bei den schlechten Autos - die immer noch sehr gut sind! - erkennt man oft ein Untersteuern in der Kurvenmitte und ein plötzliches Übersteuern am Ausgang."
"Ich würde schätzen, dass ein richtig gutes Auto im Vergleich zu einem weniger guten rund drei bis fünf Prozent mehr Tempo am Kurvenscheitelpunkt hat. Auf einigen Strecken kann es mal mehr oder mal weniger sein, aber im Schnitt führt genau dies zu den drei bis fünf Prozent Unterschied in der Rundenzeit."