Daniel Ricciardo im Interview: "Wieso ich an Titel 2017 glaube"
Daniel Ricciardo im Interview: Warum er Angst hat, als ewiges Talent in die Geschichte einzugehen, und an den WM-Titel in der kommenden Saison glaubt
(Motorsport-Total.com) - 2014 besiegte er bei Red Bull sensationell den viermaligen Weltmeister Sebastian Vettel und gewann drei Rennen, dieses Jahr muss er alles aufbieten, um nicht durch Senkrechtstarter Max Verstappen unter die Räder zu kommen: Daniel Ricciardo. Für den sympathischen Australier mit dem Dauergrinser erweist sich der erst 18-jährige Niederländer zum ganz großen Karriereprüfstein. Und dennoch meinte Christian Horner kürzlich, dass er für die Saison 2017 auf Daniel Ricciardo setzen würde.
Im Interview mit 'Motorsport-Total.com' spricht der 27-jährige Red-Bull-Star über die Angst, als ewiges Talent ohne zählbare Erfolge in die Geschichte einzugehen. Zudem erklärt er, warum er an den WM-Titel 2017 glaubt und vor Verstappen gewarnt war.
Frage: "Daniel, du bleibst bis 2018 bei Red Bull. Welche Hoffnungen hast du? Wurde ein neuer Vertrag unterschrieben oder einfach die Option gezogen?"
Daniel Ricciardo: "Das war ohnehin ein langfristiger Vertrag, der einfach ein paar leistungsbezogene Klauseln hatte, damit beide Parteien zufrieden sind. Die Option wurde also gezogen. Red Bull will, dass ich Leistung bringe, und ich benötige das Vertrauen in das Team, dass wir die gewünschten Ergebnisse einfahren können. Diese Klauseln gibt es als Absicherung für das Team, aber auch für den Fall, dass es schlecht läuft und ich Angebote von Weltmeisterteams bekomme."
"Ich bin aber der festen Überzeugung, dass Red Bull in der kommenden Saison der stärkste Herausforderer von Mercedes sein wird und um den Titel kämpfen wird. Die Regeländerungen sollten uns näher an sie heranbringen. Unsere Leute und Ressourcen werden uns dabei helfen."
Ricciardo sieht Red Bull als ersten Mercedes-Herausforderer
Frage: "Vor einem Jahr warst du nach Kanada am Boden zerstört, jetzt sprichst du in Anbetracht der starken Form davon, Mercedes herauszufordern. Dein Team hat die Trendwende geschafft."
Ricciardo: "Ja, das war ein weitere entscheidender Grund, warum ich glaube, dass wir nächstes Jahr Mercedes herausfordern. Das Team hat das Ruder herumgerissen."
"Vor etwas mehr als einem Jahr waren wir absolut nicht konkurrenzfähig. Ein paar Rennen später in Budapest standen wir auf dem Podest und waren für die restliche Saison konkurrenzfähig. Dieses Jahr haben wir einen weiteren Schritt nach vorne gemacht, und wir überraschen uns mit manchen Ergebnissen selbst. Alles geht in die richtige Richtung. Nächstes Jahr peilen wir den Titel an."
Frage: "Und ihr seid endlich auch auf den schnellen Strecken, die ja wegen der Renault-Antriebseinheit immer eure Schwäche waren, konkurrenzfähig. Liegt das auch am Chassis, das effizienter ist?"
Ricciardo: "Das Tolle ist, dass beides der Fall ist. In der Vergangenheit hieß es zwar, dass das Chassis verbessert wurde, aber es passte nicht zusammen. Dieses Jahr ist das Chassis besser, aber auch die Antriebseinheit. Das ergänzt sich."
"Auf den schnellen Kursen müssen wir nach wie vor mit etwas weniger Abtrieb fahren als uns lieb ist, aber der Unterschied ist nicht mehr so dramatisch wie im vergangenen Jahr. Wenn es um Siegchancen geht, dann müssen wir derzeit noch auf Kurse wie Singapur warten."
Red Bull hat das Siegergen nicht verloren
Frage: "Ihr seid also wieder auf dem Weg zum Topteam wie vor 2014."
Ricciardo: "Ja, es geht wieder dorthin. 2014 war im Vergleich zu 2013 ein Rückschritt, 2015 sogar noch mehr, aber jetzt sind wir zumindest wieder dort, wo wir 2014 waren. Und wir können uns auf unser Chassis verlassen. Das gibt einem Selbstvertrauen, und es macht wieder Spaß, die Randsteine zu attackieren."
"Wir haben die erste Pole seit einigen Jahren geschafft. Das ist uns nicht einmal 2014 gelungen, als ich ein paar Siege geholt habe. Das motiviert vor allem Leute wie Adrian Newey. Wenn man seine Arbeit und die der Aerodynamiker sieht, dann ist das ermutigend. Sie machen Fortschritte und wollen immer mehr. Das ist ein positiver Kreislauf."
Frage: "Kann ein Team das Siegen verlernen, wenn man nicht jedes Wochenende um Triumphe kämpft?"
Ricciardo: "Ich würde sagen, dass das bei manchen Teams oder Leuten möglich wäre, aber nicht bei unseren Leuten. Da spüre ich diese Auswirkungen nicht, denn dann würde ich wahrscheinlich woanders hingehen. Ich will gewinnen. Wenn ich das in meinem Umfeld nicht spüren würde, dann würde ich infrage stellen, ob das der richtige Ort für mich ist. Aber selbst die Mechaniker sind unglaublich wettbewerbsorientiert, sie trainieren ständig. Das geht von ihnen bis ganz nach oben."
Frage: "Wie intensiv verfolgst du das Mercedes-Duell?"
Ricciardo: "Ich kriege es natürlich an den Rennwochenenden mit, aber ich verfolge es nicht zwischen den Rennen, und ich rechne mir auch nicht die Punktesituation aus oder lese, was die beiden einander über die Medien ausrichten. Dennoch kriege ich mit, was auf der Strecke passiert. Da Lewis und Nico in der Lage sind, jedes Rennen zu gewinnen, kann sich die Lage sehr schnell ändern. Wenn einer gewinnt und der andere nicht ins Ziel kommt, dann ändert sich die Punktesituation massiv, was daran liegt, dass sie jederzeit in der Lage sind, die maximalen Punkte zu holen."
Ricciardo fühlt sich unter Wert geschlagen
Frage: "Du hast in einem Interview gesagt: 'Ich sollte sehr bald Weltmeister sein, und ich glaube absolut an meine Fähigkeiten...'. Lass mich da nachbohren: Glaubst du, dass es in der Vergangenheit Weltmeister gab, deren Fähigkeiten nicht so stark ausgeprägt waren wie deine?
Ricciardo: "(überlegt) Gute Frage! Das kann ich kaum beantworten, weil ich es nicht weiß. Um Weltmeister zu werden muss man unter Druck Leistung bringen, auch wenn man das beste Auto hat. Ich würde nie sagen, dass jemand Weltmeister geworden ist, obwohl er kein guter Fahrer war und es nicht verdient hat. Man braucht natürlich etwas Glück, aber um auf diesem Niveau Leistung zu bringen, muss man gut sein. Das würde ich nie geringschätzen."
Ricciardo: "Ja, Seb hatte davor einen sehr guten Lauf, hatte bei diesen vier Titeln ein sehr gutes Auto, aber er hat auch die Leistung gebracht, wenn es darauf angekommen ist. Und mit Mark hatte er einen schnellen Teamkollegen, das hat er auf Kursen, wo es auf den Fahrer ankommt, immer wieder bewiesen. Außerdem hatte Seb mit Alonso und Hamilton harte Konkurrenz. Die Leute sagen schnell mal: Er hatte das beste Auto. Man muss aber die Leistung punktgenau bringen, wenn es darauf ankommt. Ich hätte natürlich gerne das Auto, das Seb damals hatte. Das wäre cool."
"Manchmal schaue ich mir auch Sebs Bilanz an und denke mir: Ich habe mich gut gegen ihn geschlagen, habe aber nichts vorzuweisen. Ich bin nicht verbittert oder neidisch, aber ich würde gerne zeigen, was ich meiner Ansicht nach drauf habe. Monaco war ein gutes Beispiel: Wir hatten ein gutes Auto, der Fahrer kann dort etwas mehr herausholen, und ich hatte die Gelegenheit zu zeigen, dass ich zu den Topfahrern gehöre und... ich höre schon wieder (lacht)! Ich will nicht als Fahrer in die Geschichte eingehen, von dem die Leute sagen: 'Er war so schnell und talentiert, aber er hat nie einen Titel geholt.' Ich habe noch Zeit, will sie aber nicht verschwenden."
Frage: Vettel meinte trotz der Schlappe, dass er kein Problem hätte, dich wieder als Teamkollegen zu haben, weil er mit dir gut auskommt. Wie siehst du das?
Ricciardo: "Offensichtlich will er sich revanchieren (lacht). Wir hatten natürlich unsere kleinen Schlagabtäusche auf der Strecke, und wegen seiner Beziehung zu Mark war ich vorsichtig, als ich ins Team kam. Er war aber sehr solide, und wir kamen gut miteinander aus. Die Saison lief besser für mich als für ihn, aber er brachte nie irgendwelche Ausreden. Wenn ich ihn schlug, dann stand er dazu und gratulierte mir wie ein Mann und sagte: 'Gutes Rennen!'."
"Ich bin glaube ich der einzige Teamkollege, der ihn je geschlagen hat, also will er sich vielleicht wie ein Boxer revanchieren, um diese Statistik auszubügeln. Das kommt vor, wenn man einen Kampf verliert. Man will sich den Kerl noch einmal vorknöpfen."
Wieso Ricciardo wusste, wie stark Verstappen ist
Frage: "Ist Max ein härterer Teamkollege, als du dachtest?"
Ricciardo: "Ich hatte eine Herausforderung erwartet. Ich wusste schon, dass ihn Red Bull nicht ins Auto gesetzt hat, um einen Medienhype auszulösen, wusste, dass sie ihn bei Toro Rosso und in den Jahren davor ausgiebig analysiert haben. Mir war klar, dass er schnell ist, denn Carlos ist schnell. Ihn kenne ich um einige Jahre länger als Max. Und sie hatten einen engen Kampf. Diese Kids lernen irrsinnig schnell. Max ist ein potenzieller Weltmeister der Zukunft."
Frage: "Bei Toro Rosso hat er einige Mal Anweisungen des Teams ignoriert, den Teamkollegen vorbeizulassen. Wie würdest du reagieren, wenn er das mit dir tun würde?"
Ricciardo: "Wenn er die Teamorder wirklich ignorieren würde und das mein Rennen beschädigen würde, dann wäre ich nicht glücklich. Dann wird aber nicht nur auf Fahrer- sondern auch auf Teamebene gesprochen. Hoffentlich ist das aber gar nicht nötig, und der beste gewinnt."
Frage: "Glaubst du, dass du bei dem Jungen ein bisschen die Muskeln spielen lassen musst?"
Ricciardo: "Sicher, aber das muss man bei jedem machen. Man muss in diesem Sport seinen Mann stehen. Es geht nicht darum, ihn zu schikanieren, aber man muss seine Position abstecken."
Frage: "Hast du das Gefühl, dich als Fahrer weiterentwickelt zu haben?"
Ricciardo: "Ja definitiv. Ich habe das Gefühl, dass ich jedes Jahr in diesem Sport dazulerne, aber auch mehr will. Es macht mich hungriger. Klarerweise kann das auch zu Frust führen, wenn es nicht so gut läuft, aber ich habe nicht das Gefühl, dass mich das im Auto beeinflusst. Wenn, dann kann ich dadurch mehr abrufen. Max und ich pushen einander, und das Team merkt das."
"Sie sind von uns als Fahrerpaarung begeistert. Der Wettbewerb ist hoch, aber er pusht das Team in eine gute Richtung. Ich glaube daran, dass wir 2017 ein Weltmeisterauto haben werden. Ich hoffe, dass das unser nächster Schritt sein wird."