• 04. März 2016 · 05:48 Uhr

Josef Leberer: Kimi Räikkönen "macht einfach, was er will"

Interview mit Sauber-Physio Josef Leberer: Wie er Kimi Räikkönen auf die Formel 1 vorbereitet und das erste gemeinsame Bier das Eis gebrochen hat

(Motorsport-Total.com) - Kimi Räikkönen, Fernando Alonso, Juan Pablo Montoya: Am 4. März 2001 debütierte beim Grand Prix von Australien in Melbourne eine goldene Rookie-Generation in der Formel 1. Das 15-jährige Jubiläum dieses im Nachhinein denkwürdigen Rennens nahmen wir uns zum Anlass, uns genauer mit den drei heutigen Motorsport-Superstars auseinanderzusetzen. Und wer wäre dafür besser geeignet als jene Personen, die damals am nächsten an ihnen dran waren?

Foto zur News: Josef Leberer: Kimi Räikkönen "macht einfach, was er will"

Josef Leberer bereitete Kimi Räikkönen 2001 auf den Formel-1-Einstieg vor Zoom Download

Der Österreicher Josef Leberer hat schon Ayrton Senna und Alain Prost massiert, hat mit vielen Größen der Motorsport-Geschichte zusammengearbeitet - und er war auch der Mann, der Kimi Räikkönen im Winter 2000/01 in Filzmoos bei Salzburg körperlich auf die Formel 1 vorbereitete. 15 Jahre später erinnert er sich im Interview an jene denkwürdigen Wochen am Beginn einer Weltkarriere.

Frage: "Josef, können Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit dem jungen Kimi Räikkönen erinnern?"

Josef Leberer: "Das muss, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, in Mugello oder Fiorano gewesen sein. Er war ein blonder Jüngling aus dem Norden, von der Art her ganz ruhig."

Von Anfang an ein "Schweiger"

Frage: "Er hat wohl damals schon nicht viel geredet..."

Leberer: "Überhaupt nicht. Er war ein ganz ruhiger Typ, speziell außerhalb des Autos. Die meisten jungen Fahrer werden beim ersten Test von ein paar Leuten begleitet, die sie unterstützen, aber Kimi kam allein. Dann testen wir halt Formel 1, war seine Einstellung."

"Die Ingenieure planen für solche Tests immer ein gewisses Programm, das konnte Kimi sehr schnell erfüllen. Sie gaben ihm dann auch sehr schnell ein paar Aufgaben und hörten ihm zu, weil sein Feedback präzise war und er ein immens gutes Gefühl für das Auto und für Änderungen hatte. Er stellte auch die richtigen Fragen. Das ist ein erster Indikator dafür, dass jemand ein sehr guter Fahrer ist."

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Kimi Räikkönen im Jahr 2000: Blonder Jüngling aus dem hohen Norden Zoom Download

Frage: "Und das nach gerade einmal 23 Autorennen, die er davor bestritten hatte."

Leberer: "Absolut, das ist bemerkenswert. Da haben viele gesagt, nach 23 Rennen in einem Formelauto, das ist quasi unmöglich. Man kann das ein bisschen damit vergleichen, als würde ein Fußballer direkt von der Landesliga in die Bundesliga aufsteigen. Das sind Sprünge, die man normalerweise nicht machen kann. Die Anforderungen sind da ganz anders, und zwar nicht nur spielerisch, sondern auch taktisch."

Frage: "Kimi bekam die FIA-Superlizenz nur durch eine Ausnahmeregelung, was nicht ohne Kritik von Branchengrößen ablief."

Leberer: "Die Kritik von vielen Fachleuten war groß. Ganz viele haben Sicherheitsbedenken geäußert, weil Kimi in ihren Augen niemals so weit sein konnte. Anfang Dezember sollte er den Superlizenz-Test absolvieren, 300 Kilometer unter Aufsicht der FIA. Er bekam dann die Superlizenz, aber erst malnur für vier Rennen auf Bewährung. Die Situation, dieser Druck, das war nicht einfach. Mit dem ersten Punkt gleich im ersten Rennen hat er viele Bedenken aus der Welt geschafft."

Trainings-Crashkurs in Filzmoos

Frage: "Wie muss man sich Kimis Vorbereitung auf das erste Rennen vorstellen?"

Leberer: "Erstmal muss man wissen: In puncto Ausdauer, Körpergefühl, Schnelligkeit, Koordination, Reaktionsvermögen, Auffassungsgabe und innere Ruhe war Kimi schon damals relativ gut. Aber beim ersten Test konnten wir schon sehen, dass er in schnellen Kurven oder beim Bremsen auf die Distanz an seine Grenzen stößt. Wie sollte das auch anders sein, nach ein paar 30-Minuten-Rennen, die er bis dahin gefahren hatte?"

"Wir hatten zu wenig Zeit, also mussten wir ein extremes Trainingsregime fahren, fast einen Crashkurs. Also haben wir zum Beispiel einen Simulator gebaut, der dem Formel 1 so nahe wie möglich kam, was die Belastungen angeht."


Fotostrecke: Melbourne 2001: Die Rookie-Sternstunde

Frage: "Der frühere McLaren-Teamarzt Aki Hintsa hat über Kimi einmal gesagt, dass sein räumliches Wahrnehmungsvermögen absolut einmalig sei. Stimmt das?"

Leberer: "Ja. Ganz egal, was er macht, er hat eine unglaubliche Körperbeherrschung. Mir ist das beim Mountainbiken durch den Wald sofort aufgefallen."

Frage: "War Kimi beim Trainingspensum kooperativ?"

Leberer: "Eigentlich schon. Doch am vierten, fünften Tag, als wir eine Bergtour planten, stöhnte er: 'Josef, I think it's too much.' Dann redete er ein paar Stunden nichts mehr mit mir. Etwas später standen wir oben am Gipfel: 'Wow, it's beautiful here!' Und er wollte wissen, ob man da auch Snowboarden kann. Das hat das Eis gebrochen, und von da an haben wir uns ganz gut verstanden."

Ein Glas Bier bricht das Eis

Frage: "Haben Sie dann mehr miteinander geredet, auch mal Privates?"

Leberer: "Nach unserem langen Tag auf dem Berg ist er aufgetaut. Am Abend waren wir noch Schwimmen, danach sind wir in eine kleine Bar, das 'Kenn i di?'. Ich habe ihn gelobt, denn es war ein wirklich harter Tag, und dann habe ich gesagt: 'Ich trinke jetzt ein kleines Bier.'"

"Aus Höflichkeit habe ich gefragt: 'Magst du auch eins?' Die jungen Sportler trinken ja normalerweise nichts, und ich war davon überzeugt, dass auch er nichts trinken würde. Aber er fragte nur: 'Darf ich wirklich?' Dann haben wir angestoßen. Von da an hatten wir ein extrem gutes Verhältnis."

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Kimi Räikkönen stieg von der Formel Renault direkt in die Formel 1 auf Zoom Download

Frage: "Und dann wurde noch mehr trainiert?"

Leberer: "Wir haben um 7:00 Uhr morgens mit mindestens 45 Minuten Schwimmen begonnen. Um 8:30 Uhr war Frühstück. Anschließend waren wir mit dem Mountainbike oder zu Fuß auf dem Berg unterwegs. Manchmal waren wir bis zu den Knöcheln im Schlamm und Matsch. Viele andere hätten gejammert und umgedreht."

"Oben angekommen sind wir auf dem Schnee bäuchlings mit dem Kopf voran den Hang voll runtergezogen! Total verrückt, aber das gehört dazu. Das hat ihm Spaß gemacht. Und da war es dann leicht, ihn zu motivieren. Ich habe ihm immer wieder gesagt: 'Du hast die Chance, Geschichte zu schreiben.'"

Frage: "Machen wir den Sprung in seine erste Formel-1-Saison..."

Leberer: "Bei Kimi konnte man sofort seine Coolness und seine Authentizität sehen, wenn er im Auto war. Kimi war zwar kein Fan von Tests, aber er war eben ein Instinkt-Racer, wie es nur ganz wenige gibt. Ich habe schon viele Fahrer gesehen, die stundenlang in Meetings mit den Ingenieuren sitzen - aber letztendlich kommt es nur darauf an, am Punkt X die Leistung zu bringen. Und das konnte Kimi."

Red Bull wollte eigentlich lieber Bernoldi

Frage: "Interessant war damals auch, dass Kimi ein Hauptgrund für die Trennung zwischen Sauber und Red Bull war, schließlich war Red Bull damals Mehrheitseigentümer des Teams und wollte eigentlich Enrique Bernoldi im Auto haben. Wie erinnern Sie sich an diesen Konflikt?"

Leberer: "Kimi war die Entscheidung von Peter Sauber. Helmut Marko wollte aber seinen Fahrer drin haben, und Red Bull war unser wichtigster Partner."

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Schwerer Unfall beim Abschied vom Sauber-Team Ende 2001 in Suzuka Zoom Download

"Sauber hat sich das sicher nicht leicht gemacht, aber es stimmt, dass das mit ein Grund dafür war, dass die Beziehung auseinandergegangen ist. Sauber hat Mateschitz immer sehr geschätzt, aber in dem Fall hatte er das Gefühl, dass Marko zu viel Einfluss nehmen wollte. Wenn man sieht, was Bernoldi aus seiner Karriere gemacht hat, war es die richtige Entscheidung. Da war Kimi aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Kimi hat im ersten Rennen einen Punkt geholt, aber er war überhaupt nicht zufrieden damit. Das macht den Unterschied aus."

Frage: "Im zweiten Rennen gab es dann eine kuriose Story, haben Sie mir einmal erzählt..."

Leberer: "Kimi war ja schon unglaublich cool und gelassen. Ich erinnere mich an die Geschichte beim Grand Prix von Malaysia. Petronas war damals unser Hauptsponsor, ein ganz wichtiges Rennen. Es war sein zweites Rennen von den vier Rennen auf Bewährung, also ein immenser Druck. Es ist Sonntagmittag vor dem Rennen, er liegt bei mir auf dem Massagetisch. Und der Kerl ist so cool, dass er mir einfach einschläft!"

Einfach auf dem Massagetisch eingeschlafen

"Ich habe ihn schlafen lassen. Um 13:05 Uhr werden die Ingenieure langsam nervös und fragen, wo er ist. Also wecke ich ihn und sage ihm: 'By the way, du fährst gleich das zweite Formel-1-Rennen deines Lebens. Aufstehen!' Er streckt sich einmal durch und meint: 'Ah, Josef, lass mich doch noch ein paar Minuten schlafen, bitte.' Unvorstellbar!"

Frage: "Was unterscheidet ihn sonst von anderen Fahrern, warum ist er ein Champion?"

Leberer: "Er kann bei Tempo 250 in einer Kurve sekundenlang Rad an Rad Zentimeter neben einem anderen fahren, ohne einen Fehler zu machen oder nervös zu werden. Er lässt sich da nicht aus der Ruhe bringen und ist im Zweikampf ein Gentleman. Er würde auch nie Spielchen spielen. Das ist Kimi alles wurscht."


Josef Leberer über Ayrton Senna

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Frage: "Sie haben schon mit Ayrton Senna gearbeitet, mit Alain Prost, mit Sebastian Vettel. Wo gibt es Unterschiede zwischen denen und Kimi, wo gibt es Parallelen?"

Leberer: "Es fällt mir schwer, das zu beantworten. Im Grunde genommen kann man diese Typen nicht vergleichen. Was sie verbindet, ist eine emotionale Intelligenz, genau zu wissen, was gut für sie ist und was nicht."

"Aber Senna ist Senna, Prost ist Prost, Häkkinen ist Häkkinen. Vettel und Kubica, auch das waren richtige Racer. Sie sind Egoisten, aber wenn es mal ein Gentlemen's Agreement gibt, sind das trotzdem die Leute, auf die man sich hundertprozentig verlassen kann. Sie sind beinhart auf der Strecke, aber sie machen keinen Blödsinn."

Fans lieben ihn mehr als die Journalisten

Frage: "Für uns Journalisten ist Kimi nicht immer einfach. Einerseits lieben ihn die Fans, andererseits sind Interviews mit ihm oft ziemlich wortkarg."

Leberer: "Kimi macht einfach, was er will. Er ist sich immer treu geblieben und verbiegt sich nicht. Das spüren die Leute. So ein Image kannst du dir nicht künstlich aufbauen, dass musst du leben. Er ist wirklich so. Ich glaube, dass er auch deswegen seinen Platz in der Geschichte einnehmen wird."

"Ich kenne viele Journalisten, die von ihm enttäuscht sind. Kimi ist sicher nicht einfach, dafür wird er oft kritisiert. Auch von Sponsoren. Aber das ist ein Thema für die Teams, die ihn beschäftigen. Kimi ist ein Phänomen. Er ist populär, obwohl er nichts dafür tut. Andere dagegen bemühen sich in puncto Medien, sind aber trotzdem nicht so beliebt."

"Viele unterschätzen Kimi menschlich."Josef Leberer
Frage: "Wann hatten Sie zuletzt Kontakt mit Kimi?"
Leberer: "Das war im Winter. Und zuvor beim Russland-Grand-Prix unterhielten wir uns nur über unsere Kinder. Sehr gefreut habe ich mich 2007 über seine Einladung zu seiner privaten Weltmeisterfeier."

Frage: "Es gibt also noch private Verbindungen?"

Leberer: "Ja, wir schreiben uns ab und zu SMS."

Frage: "Wenn Sie ihn in 20 Jahren in Tokio zufällig an einer Kreuzung treffen, würden Sie wahrscheinlich gemeinsam Essen gehen, oder?"

Leberer: "Ja, daran wird sich wohl nichts ändern. Viele unterschätzen Kimi menschlich. Doch er hat ein sehr gutes Gefühl und ein sehr gutes Gedächtnis."

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