• 11. November 2015 · 10:13 Uhr

Faszination V12: Interview mit Gerhard Berger

Vor 20 Jahren fuhr in Adelaide zum bisher letzten Mal ein Ferrari-V12 in der Formel 1 - Erinnerungen von Gerhard Berger im exklusiven Interview

(Motorsport-Total.com) - Beim Grand Prix von Australien 1995 kam zum bisher letzten Mal in der Geschichte der Formel 1 ein V12-Motor zum Einsatz. Gerhard Berger, der damals am Steuer des Ferrari 412 T2 saß (und bezeichnenderweise mit Motorschaden ausfiel) schreibt über dieses historische Ereignis in seinem Buch "Zielgerade" (erschienen 1997 in der edition autorevue).

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Im 1995er-Ferrari steckte der letzte V12-Motor der Formel-1-Geschichte Zoom Download

Berger beschreibt das Geräusch beim Anlassen pathetisch als "bedrohlich-schmerzhaftes Grundgedröhne, hornissiges Zischen, selbstsicheres Wuffen der Drehzahlstöße. Aber gegenüber den 'musikalischen Jahren' des Rennsports fehlen die Nuancen der Untertöne, das Blubbern und Brabbeln und Spucken und Plotzen, es fehlen die Komplikationen des Sich-Verkutzens und der erlösenden metallischen Spritzer, die alles freiknallen fürs Ur-Getröte. Dieses Ur-Getröte war es, das uns so wonniglich das Hirn vernebelt hat, bis dann die Dumpfheit des Schmerzes versickerte und kleine Wunderkerzen die Sicht erhellten. Dies alles ist Lärm von gestern."

Kritik auf hohem Niveau, wie wir heute, mit 20 Jahren Distanz, finden - vor allem im Vergleich zu den V6-Hybrid-Turbos, bei denen man nicht mehr darauf spekulieren kann, ohnehin zuverlässig geweckt zu werden, wenn man am Sonntagmorgen noch ein längeres Nickerchen auf dem Campingplatz neben der Strecke einlegt. Grund genug also, uns am Hangar-7 in Salzburg mit Berger zu treffen und mit ihm über die Faszination V12 zu sprechen. Aus heutiger Sicht.

V12-Motor im Büro in Monte Carlo

Frage: "Gerhard, wie erinnern Sie sich an Adelaide 1995, an diese geschichtsträchtige letzte Fahrt eines V12-Motors in der Formel 1?"

Gerhard Berger: "Ich erinnere mich ständig daran. Der Zwölfzylinder steht bei mir im Büro in Monte Carlo - wobei ich nicht mehr weiß, ob es genau der Motor aus Adelaide ist. Aber immer, wenn ich daran vorbeigehe, erinnere ich mich an dieses letzte Rennen. Ich erinnere mich gern an die Zeit. Der Zwölfzylinder war etwas Besonderes in der Szene."

Frage: "Rennfahrer haben oftmals nur noch spärliche Erinnerungen an einzelne Rennen. Wie ist es bei Ihnen mit Adelaide 1995?"

Berger: "Geht mir genauso. Ich habe schon Erinnerungen zwischendurch, Ausschnitte. Wenn ich an das Rennen denke, dann kann ich gar nicht sagen, wann oder warum ich ausgefallen bin oder wo ich in der Startaufstellung stand."


Ferrari-V12-Sound in Adelaide 1995

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Frage: "Ich helfe mal auf die Sprünge: Es war ein Motorschaden."

Berger: "Das war ja meistens so damals! Ich kann mich erinnern, dass er wahnsinnig schwer war. Der Zwölfzylinder war von der Power her besser als die anderen Motoren, aber du hast ein bisschen mehr Sprit gebraucht, er war ein bisschen länger und hatte ein bisschen mehr Gewicht. Dadurch hat man immer mit der Balance gekämpft. Es war immer ein Geben und Nehmen. Du hattest auf der einen Seite oben raus die ganze Power, da sind dir meistens die Räder durchgegangen. Dafür hast du in der Kurvenmitte wieder alles verloren, weil das Gewicht angefangen hat zu arbeiten."

Frage: "Ihr Teamkollege Jean Alesi ist anders gefahren als Sie. Er kam schneller aus den Kurven raus, Sie hatten hingegen mehr Probleme, auf den Geraden sofort wieder auf Drehmoment zu kommen."

Berger: "Ob das mit dem Motor zu tun hatte, da bin ich mir nicht sicher. Das war generell unser Fahrstil. Wir hatten einen unterschiedlichen Fahrstil. Ich bremste anders in die Kurven rein. Er nahm ein bisschen mehr Speed in die Kurven rein, kämpfte aber meistens beim Rauskommen. Ich fuhr generell eher einen Gang höher, was der Motor nicht so mochte, weil er die Drehzahl ganz gern hatte."

Sound-Vielfalt durch unterschiedliche Motoren

Frage: "In Ihrem Buch haben Sie damals schon über den V12 geschrieben: 'Es fehlt das Blubbern und Brabbeln und Spucken und Plotzen', das sei alles 'Lärm von gestern'. Heute, im Nachhinein betrachtet, sehnen sich alle nach dem Sound des V12, den Sie damals offenbar gar nicht so betörend fanden."

Berger: "Keine Frage, das sieht man heute anders. Ich finde es schade. Das Schöne war damals diese Mischung. Der eine hatte einen Achtzylinder, der andere einen Zehnzylinder, wir hatten einen V12. Du konntest hören, wer gerade kommt: Jetzt kommt ein McLaren-Honda, jetzt kommt ein Ferrari, jetzt kommt ein Benetton-Ford."

Frage: "Ferrari hatte damals als einziges Team noch einen V12."

Berger: "Die Veränderung war schon abzusehen. Ein Paket wie der Benetton mit dem Achtzylinder von Cosworth stand mit, sagen wir, 18 Kilo weniger Sprit am Start. Sie konnten ein viel kompakteres Auto bauen und brauchten weniger Kühlung. Das Gesamtpaket war schwer zu schlagen."

"Ich bin am liebsten den Turbomotor gefahren, habe auch auf einem Turbomotor gelernt."Gerhard Berger
Frage: "Waren Sie ein V12-Fahrer? Hockenheim, Monza, Sie haben auf den schnellen Strecken immer besonders gut funktioniert - dort, wo die natürlichen Stärken des V12 liegen."
Berger: "Da hat es gut funktioniert, stimmt. Ich habe in Hockenheim aber auch mit einem Renault-Zehnzylinder gewonnen. Ich bin am liebsten den Turbomotor gefahren, habe auch auf einem Turbomotor gelernt. Das war meine Anfangszeit mit dem BMW. Da hat sich mein Fahrstil geprägt, den ich dann mitgenommen habe."

Frage: "Was ist beim Turbo anders als beim V12-Sauger?"

Berger: "Das ist ganz was anderes, weil ein Sauger ganz anders funktioniert als ein Turbomotor. Beim Turbo musste man immer schauen, dass man das Turborad auf Drehzahl hält, damit das Ansprechverhalten möglichst kurz ist. Du hast immer jongliert zwischen Gas, Zwischengas und Bremse, und möglichst früh das Gas öffnen. Das war eine ganz eigene Technik, die man angewendet hat."

Kein Turbo so schwierig wie der BMW

"Die habe ich von Anfang an mitbekommen. Der BMW-Turbo war überhaupt das Schwierigste zu fahren. Der hatte nur einen Turbolader mit einem sauschlechten Ansprechverhalten. Das hat man einberechnen müssen. Am Kurveneingang, zur Kurvenmitte... Man musste eigentlich schon am Kurveneingang aufs Gas steigen, damit man am Kurvenausgang die Power hatte. Wenn sie ein paar Zentimeter zu früh kam, hast du dich gedreht. Wenn sie ein paar Zentimeter zu spät kam, warst du zu langsam. Das war wahnsinnig Gefühlssache."

"Man hat spitz reingebremst, das Auto umgedreht - weil zu viel Leistung in einem kurzen Zeitraum entfaltet wurde."Gerhard Berger
"Der Turbomotor hat auch dazu geführt, dass man in der Kurve nicht so richtig einen Radius gefahren ist. Man hat spitz reingebremst, das Auto umgedreht - weil zu viel Leistung in einem kurzen Zeitraum entfaltet wurde, sodass man immer mit durchdrehenden Rädern gekämpft hat. Je schneller du das Auto gerade stellen konntest und raus aus der Kurvenneigung gebracht hast, desto schneller hast du die Kraft auf den Boden gebracht und umso schneller hast du beschleunigt."

"Du hast eigentlich reingebremst bis zur Kurvenmitte, hast das Auto herumgedreht und einen toten Punkt gehabt. Dann hast du geschaut, dass du das Auto möglichst gerade hältst, um möglichst viel Traktion zu haben. Die Fahrweise des Saugers war eine ganz andere, eine runde Fahrweise."

Frage: "Überspitzt gesagt: Wurde es mit dem Sauger einfacher?"

Berger: "Nein, nicht einfacher - es war anders. Das hatte auch seinen Charme. Aber ich habe den Turbo bevorzugt."

Zehnzylinder war die Zukunft

Frage: "Jeder bekommt Gänsehaut, wenn er vom Ferrari-V12 spricht, aber eigentlich ist das Geschichtsverklärung. Ferrari ist in der Formel 1 nicht lange V12 gefahren. In Ihrer ersten Ferrari-Ära war zum Beispiel noch ein Turbo drin."

Berger: "Genau. 1989, in meinem damals vorerst letzten Ferrari-Jahr, sind wir schon einen V12-Sauger gefahren. Da ging es los. 1993, 1994, 1995 auch. Honda hatte zuerst einen V10, dann einen V12. Aber der gute Motor bei Honda war der Zehnzylinder, weil der Zwölfzylinder zwar ein bisschen mehr Leistung hatte, aber nicht so kompakt war wie der Zehnzylinder. Der bessere Honda-Motor war der V10."


Fotostrecke: Formel-1-Meilensteine mit zwölf Zylindern

Frage: "Ferrari wechselte 1996, im ersten Jahr nach Berger, vom V12 auf den V10. Einige sagen, Enzo Ferrari hätte sich im Grab umgedreht. Haben Sie jemals mit ihm über seine Motorenphilosophie gesprochen?"

Berger: "Konkret nicht, aber natürlich war es ihnen wichtig. Sie haben es als Marketingtool gesehen. Ferrari, das war Zwölfzylinder. Das kam aus der Serie. Der Trend ging dann in der Formel 1 einfach hin zu den Zehnzylinder-Motoren. Honda hat den Trend nicht mitgemacht. Obwohl Honda erst einen Zehnzylinder hatte, sind sie dann auf zwölf Zylinder gegangen. Die Rundenzeit war mit dem Zehnzylinder einfach besser zu erzielen."

Frage: "Sie haben damals, in Ihrer zweiten Ferrari-Ära, eingefädelt, dass Ferrari mit Honda-Know-how wieder auf die Beine kam. Wie kam es dazu?"

Berger: "Das war politisch ein wahnsinnig schwieriges Thema. Ich kam von Honda, wo wir einen sehr guten Ventiltrieb hatten. Ich ging zu Montezemolo und habe gesagt: 'Warum versuchen wir nicht, Know-how von Honda zu bekommen, damit wir schneller vorwärts kommen?' Ich habe dann tatsächlich versucht, Connections zu schaffen, und wir haben dann tatsächlich das eine oder andere bekommen."

Von Montezemolo aus dem Büro gejagt

Frage: "Wenn Sie zu Luca di Montezmolo gehen und sagen, Ferrari braucht jetzt Honda-Know-how..."

Berger: "Da hat er mich zunächst einmal rausgeschmissen! Aber ich bin noch einmal zu ihm hin. Wir waren in der Ecke, dass wir froh um jeden Strohhalm waren. Schwierig war es auch, Honda dazu zu bewegen, etwas Know-how rauszugeben. Osamu Goto hat eine Rolle gespielt und auch mit Nobuhiko Kawamoto, dem damaligen Honda-Präsidenten, konnte ich ganz gut."

"Irgendwann war nur noch das Thema, ob man das geheim halten kann oder nicht. Das ist natürlich auch irgendwann schiefgegangen. Honda hat das sehr ausgeschlachtet, aber erst zu einem späteren Zeitpunkt. Wir haben tatsächlich von Honda das eine oder andere mitbekommen."


Ferrari-V12-Sound in Estoril 1989

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Frage: "Auch Personal?"

Berger: "Ich glaube nicht, aber das ist alles lange her. Unser Motorenchef hieß Lombardi, bei Honda war es Goto. Ich weiß nicht mehr genau, wie der ganze Transfer stattgefunden hat. Aber er hat stattgefunden. So etwas gibt es übrigens heute noch. Anscheinend ist ja letzten Winter Technologie von Mercedes zu Ferrari gekommen. Kann durchaus sein."

Frage: "Ende 1995 stellte Ferrari den V12 ein und Sie kamen zu Benetton, mit dem Renault-V10, der damals als das Nonplusultra galt. Wie waren die Motoren im Vergleich zueinander?"

Berger: "Begeistert war ich vom Ferrari-Motor. Der hatte so viel Kraft oben in einem ganz schmalen Drehzahlbereich. Allerdings kam beim Renault die Rundenzeit besser - weil er mehr Drehmoment hatte, weicher war, weniger Treibstoff verbraucht hat und, und, und. Das Paket zusammen mit dem Auto war besser. Aber vom Fahrgefühl her warst du enttäuschst. Da war der Zwölfzylinder besser."

Renault hatte nicht mehr Power, war aber besser

Frage: "Das Renault-Geheimnis war also die berühmte Fahrbarkeit?"

Berger: "Nein, die Rundenzeit. Du musst die Rundenzeit bringen. Es nützt nichts, wenn du auf der Geraden ein gutes Gefühl hast. Du musst bremsen, einlenken und beschleunigen, die Räder kontrollieren. Zum Schluss kommt die Rundenzeit raus. Das zählt und nichts anderes."

Frage: "Sie haben bei den ersten Benetton-Tests 1996 gleich ein paar Mal das Auto weggeschmissen. Hatte das etwas mit dem Renault-Motor zu tun?"

Berger: "Nein, das war eine ganz andere Geschichte. Ich war relativ schnell auf einem sehr hohen Niveau von Rundenzeiten. Ich dachte mir: 'Überhaupt kein Problem, mir ist klar, warum Schumacher damit Weltmeister war.'"

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Es dauerte, bis Gerhard Berger mit dem 1996er-Benetton warm wurde Zoom Download

"Ich habe neue Reifen aufgezogen, bin auf Rundenzeiten-Jagd gegangen und wollte die letzte halbe Sekunde drauflegen, was normal immer geklappt hat. Dann bin ich immer auf der gleichen Bodenwelle abgeflogen. Ich bin dann draufgekommen, dass das Auto aerodynamisch in 'Stall' geht auf den Bodenwellen (also ein Strömungsabriss stattfindet; Anm. d. Red.), brutal schlagartig ausbricht und im ganz obersten Grenzbereich ganz schwierig zu kontrollieren ist."

"Schumachers Sensorik war völlig darauf ausgerichtet, weil das Auto das von Anfang an so eingebaut hatte. Er konnte damit umgehen - wahrscheinlich hat er instinktiv schon vorher gegengelenkt! Das war für mich wahnsinnig schwierig zu verstehen, dass die letzten fünf Zehntelsekunden so schwierig sind."

Frage: "Und das kann man sich nicht antrainieren?"

Berger: "Doch, ging dann ja eh. Es hat dann schon funktioniert. Aber das war eine Schwäche des Autos und hatte nichts mit dem Motor zu tun."

Großer Fan des Ferrari F40

Frage: "V12-Motoren stecken auch in vielen Straßenautos drin. Welche Straßenautos mit V12 sind Sie in all den Jahren so gefahren?"

Berger: "Ich mochte eigentlich nur einen Straßen-Ferrari, und das war der F40. Den bin ich gern gefahren."

Frage: "Mit dem hatten Sie mal einen Unfall, richtig?"

Berger: "Ja, mit dem bin ich mal abgeflogen. Wenn ich daran denke, wird mir heute noch ganz anders. Es war Herbst, halbnass. Ich war ein bisschen flott unterwegs, verlor das Heck und drehte mich in der Drehung Richtung Gegenverkehr. Ich bin aber im letzten Moment in ein Maisfeld abgebogen."

Foto zur News: Faszination V12: Interview mit Gerhard Berger

Gerhard Berger im Interview mit Chefredakteur Christian Nimmervoll Zoom Download

"Das wäre nicht so toll gewesen, wenn ich in den Gegenverkehr gekracht wäre - weniger wegen mir selbst, sondern wegen der anderen. Das war ein Erlebnis, das mir in den Knochen steckengeblieben ist. War auch gut, denn auf der Straße macht man so was einfach nicht. Das Auto habe ich dann irgendwann verkauft. Aber der F40 war ein geiles Gerät."

Frage: "Das letzte Mal, als Sie einen V12 gefahren sind, ist also richtig lang her?"

Berger: "Auf der Straße ja. Aber kürzlich bin ich in Japan den McLaren-Honda aus der Formel 1 gefahren, der auch einen Zwölfzylinder hatte."

Frage: "Ich bedanke mich für das Gespräch."

Übrigens beschreibt Berger seinen Ausfall im letzten V12-Rennen der Formel-1-Geschichte in "Zielgerade" ziemlich nüchtern: "Bei Turn 4 macht es einen Tuscher, wie wenn der Ober mit dem Essen kommt und ihm alles runterfliegt, das Tablett und das ganze Geschirr, der Rückspiegel ist voller Rauch, es fahren Kolben und Ventile der rechten Zylinderreihe aus. Ran an den Pistenrand, raus aus der Kiste. Eine Sache von vier Sekunden. Ferrari-Formel-1-Zwölfzylinder: So endet eine Epoche der Technik und des Grand-Prix-Sports."

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