• 31. August 2015 · 15:32 Uhr

Neun Monate bei Ferrari: Interview mit Sebastian Vettel

Zwischenbilanz: Sebastian Vettel erklärt, wie er Michael Schumachers Geist bei Ferrari heute noch spürt und warum ein Wechsel zu Mercedes kein Thema ist

(Motorsport-Total.com) - Sebastian Vettel und Red Bull, das war jahrelang eine Partnerschaft, die ewig zu halten schien. 2014 traten aber erste Risse im Verhältnis auf. Und als sich dann für den viermaligen Weltmeister die Chance auftat, sich mit Ferrari einen Bubentraum zu erfüllen, packte er diese am Schopf. Neun Monate nach seinem offiziellen Eintritt in die Scuderia aus Maranello spricht er im Interview vor dem Ferrari-Grand-Prix in Monza über das, was er bisher erlebt hat. Und erklärt, warum ihn selbst ein Angebot des derzeit dominierenden Mercedes-Teams nicht ins Grübeln bringen würde.

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Sebastian Vettel schaut nach vorne: Mit Ferrari will er sich Träume erfüllen Zoom Download

Frage: "Sebastian, du bist nun seit neun Monaten offiziell Ferrari-Fahrer. Ferrari ist eine Legende. Wie war's bisher?"

Sebastian Vettel: "Es ist eine große Ehre. Ich habe schon oft gesagt, dass ein Traum in Erfüllung gegangen ist, als ich den Vertrag unterschrieben habe und erstmals den roten Rennoverall tragen durfte. Ich habe viele Menschen kennengelernt und durfte erstmals 'richtig' in Maranello rein. Sonst hat sich nichts geändert. Es ist so, wie die Menschen sagen: etwas Besonderes, Einmaliges."

"Vieles wusste ich schon vorher. Darüber hinaus ist es erstaunlich, die Leidenschaft für die Marke innerhalb des Unternehmens zu sehen. Mechaniker in der Formel 1 zu sein, ist ein beinharter Job, um ein Beispiel zu nennen. Die müssen ihre Arbeit lieben, denn wegen des Geldes machen sie es nicht. Bei den Ferrari-Mechaniker kommt noch die Ehre und die Leidenschaft, für Ferrari arbeiten zu dürfen, dazu. Das beschreibt ziemlich gut, denke ich, wie besonders es ist."

Frage: "Du hast deine ganze Karriere davor mit Red Bull zusammengearbeitet. Wie wichtig war es für dich, nach der schwierigen Saison 2014 durch den Wechsel zu Ferrari neue Motivation zu schöpfen?"

Vettel: "Es war nicht nur die Saison 2014. Die ist für mich natürlich nicht gut gelaufen, aber das kommt vor. Ich fühlte mich einfach bereit für eine neue Herausforderung. Dass ich jetzt sehr glücklich bin, bedeutet aber nicht, dass meine Erfahrung bei Red Bull schlechter war. Es ist nicht fair, das zu vergleichen."

Kein böses Wort gegen Red Bull

"Ich hatte bei Red Bull eine sehr schöne Zeit, 2014 eingeschlossen. Die Stimmung war immer gut, die Jungs waren toll. Ich betrachte das im Nachhinein nur positiv. Und wir waren extrem erfolgreich. Das bleibt haften. Daran können ein paar schlechte Rennen nichts ändern. Aber es war für mich der richtige Schritt zur richtigen Zeit. Wenn man auf die jetzigen Ergebnisse schaut, kann man leicht sagen, dass es ein cleverer Wechsel war. Aber so sehe ich das nicht. Wir haben die Erwartungen bisher übertroffen. Das ist toll. Aber wir sind noch nicht da, wo wir hin wollen. Es gibt noch viel zu tun."

Frage: "Welche Erwartungen hattest du denn, als du zu Ferrari gekommen bist?"

Vettel: "Als ich das Auto zum ersten Mal fuhr, war ich sehr glücklich. Es passte zu mir, ich fühlte mich auf Anhieb wohl. Aber große Erwartungen zu haben, war schwierig, denn es steckte eine ganz andere Philosophie hinter diesem Auto. Kimi ging es übrigens genauso. Auf jeden Fall fühlte es sich nach einem Fortschritt zu dem an, wo ich 2014 war. Das war ein gutes erstes Zeichen."


Sebastian Vettels erster Tag bei Ferrari

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Sebastian Vettel spricht über seinen ersten Tag bei Ferrari. Ende November fuhr er einen F2012 in Fiorano. Weitere Formel-1-Videos

"Von da an konnten wir uns weiter verbessern. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass die Motorenjungs grandiose Arbeit geleistet haben. Nach den Tests hatte ich das Gefühl, ein gutes Auto zu haben, aber du weißt nie, wo genau du stehst. Es war klar, dass Mercedes wieder die dominante Kraft sein würde. Das ist immer noch so. Aber wir haben einige überrascht. Wir sind auf dem richtigen Weg."

Frage: "Als du bei Ferrari unterschrieben hast, war noch Marco Mattiacci Teamchef. Maurizio Arrivabene ist ein ganz anderer Typ als er."

Vettel: "Mit Mattiacci habe ich nicht viel Zeit verbracht. Es ist kein Geheimnis, dass ich mit ihm und anderen Ferrari-Leuten gesprochen habe, von denen einige noch da sind, andere nicht mehr. Ich konnte schon Ende vergangenen Jahres ein 2012er-Auto fahren, aber der echte Beginn war Anfang dieses Jahres."

Entscheidungen in letzter Minute

"Da hat sich alles gesetzt, da wurde klar, wer wofür zuständig ist. Von da an mussten alle mit der Arbeit beginnen. Das war keine einfache Situation, auch in Bezug auf das Auto. Viele Dinge wurden in letzter Minute entschieden. Das Ziel ist, uns weiter zu verbessern und Anfang nächsten Jahres noch besser positioniert zu sein."

"Michaels Fußstapfen sind riesig - und ich habe nur Schuhgröße 41!"Sebastian Vettel
Frage: "Du hast als viermaliger Weltmeister bei Ferrari unterschrieben, aber auch als der zweite deutsche Weltmeister. Wie schwierig war es, in Michael Schumachers Fußstapfen zu treten?"
Vettel: "Ich versuche gar nicht, in Michaels Fußstapfen zu treten. Seine Fußstapfen sind riesig - und ich habe nur Schuhgröße 41 (lacht; Anm. d. Red.)! Im Ernst: Es war schön zu sehen, dass Michaels Geist noch da ist; dass die Menschen noch schätzen, was er für Ferrari geleistet hat."

"Es war auch schön, diese Wertschätzung dem Fahrer gegenüber bei Ferrari kennenzulernen. Michael ist noch sehr lebendig, auch wenn er jetzt nicht mehr nach Maranello kommt und kein Teil des Teams mehr ist. Das gilt auch für andere Ferrari-Legenden. Die Geschichte wird hier am Leben erhalten. Mein Ziel ist, selbst auch Fußstapfen zu hinterlassen, damit auch ein Teil von mir in Maranello bleibt, wenn ich nicht mehr da bin."

Michael Schumacher: Freund statt Kindheitsheld

Frage: "Denkst du jeden Tag an Michael Schumacher?"

Vettel: "Nein. Das Verhältnis, das ich zu ihm jetzt habe, ist ein anderes als das, das ich als kleines Kind zu ihm hatte. Damals war er mein Held. Dann lernte ich ihn persönlich kennen. Heute ist er eher ein Freund als der siebenmalige Weltmeister, der unendlich viele Rennen gewonnen hat. Ich denke manchmal an ihn. Es tut weh, dass er sich jetzt in so einem Zustand befindet, und ich hoffe, dass wir eines Tages gute Nachrichten hören werden."

Frage: "Denkst du an ihn, wenn du am Sonntag in den Ferrari steigst, so wie er es früher getan hat?"

Vettel: "Am Renntag mache ich meine Arbeit. So gesehen nicht. Aber als ich aufgewachsen bin, war Michael mein Held. Er hatte den roten Rennoverall und das rote Auto. Es ist für mich natürlich besonders, das gleiche Auto zu fahren wie mein Kindheitsidol. Wer kann das schon von sich behaupten? Michael war und ist ein großer Einfluss in meinem Leben. Es ist schön zu sehen, dass sich die Menschen bei Ferrari noch an ihn erinnern. Es sind meistens Kleinigkeiten - kleine Gesten, die er gesetzt hat, für das ganze Team oder für einzelne Personen. Es ist schön, das alles mal zu erfahren."


Fotostrecke: Sebastian Vettels Weg zu Ferrari

Frage: "Ist die Arbeitsweise von Ferrari noch die gleiche, mit der das Team unter Michael Schumacher so erfolgreich geworden ist?"

Vettel: "Ja, aber es ist gleichzeitig natürlich, dass man sich weiterentwickeln muss. Man kann nicht sagen: 'Machen wir es wie mit Michael, dann werden wir erfolgreich sein.' Er hat sicher einige Dinge eingeführt, die heute noch relevant sind. Das ist normal. Es gibt wahrscheinlich auch Dinge, die Keke Rosberg bei Williams eingeführt hat, die heute noch wichtig sind, aber die Zeit ist heute eine ganz andere. Unterm Strich geht es um die Rundenzeit. Es sind neue Menschen mit neuen Ideen da. Du musst dich weiterentwickeln, ansonsten bleibst du stehen."

Frage: "Fernando Alonso sagt, es war von Anfang an klar, dass Mercedes 2015 Titelfavorit ist, Ferrari aber der erste Herausforderer. Was sagst du dazu?"

Vettel: "Keine Ahnung. Ich verfolge nicht alles, was er sagt. Ich sehe das als Kompliment. Es ist noch nicht lange her, da schien er Ferrari noch nicht so viel zuzutrauen... Mercedes ist der absolute Favorit, die dominierende Kraft. Aber wir haben gute Arbeit geleistet und einige überrascht."

Das Unmögliche möglich machen

"Jetzt müssen wir so weiterarbeiten. Wenn die Chancen kommen, müssen wir das Unmögliche möglich machen. Der Siegeswille und der Glaube sind da, aber man muss auch realistisch sein. Wenn du bestenfalls Fünfter werden kannst, musst du halt Fünfter werden. Wenn du versuchst, so ein Rennen zu gewinnen, wirst du am Ende vielleicht nur Zehnter. Wir müssen ruhig bleiben und so weitermachen. Und von Rennen zu Rennen denken."

"McLaren hatte 2012 das beste Auto, finde ich."Sebastian Vettel
Frage: "Glaubst du, dass McLaren-Honda bald wieder vorne mitmischen wird, oder ist deren Rückstand unmöglich aufzuholen?"
Vettel: "Es ist nicht unmöglich. Mir fällt es sehr schwer, genau einzuschätzen, was bei Honda hinter den Kulissen vor sich geht. Aber sie haben die Ressourcen und das Wissen, und McLaren ist ohne Frage eines der großen Teams in der Formel 1. Sie sind nur seit einigen Jahren aus dem Tritt. Bis 2008 - und auch 2012 hatten sie das beste Auto, finde ich - haben sie bewiesen, dass sie dazu in der Lage sind, ein gutes Auto zu bauen. Honda ist auch dazu in der Lage, sehr gute Motoren zu bauen. Die sind nicht da, wo sie sein wollen, das ist kein Geheimnis. Aber ich glaube schon, dass sie sich davon erholen können."

Frage: "Wird dir Kimi Räikkönen im Kampf um den WM-Titel helfen?"

Vettel: "Wenn wir gegeneinander kämpfen, will der Schnellere vorbei, wenn er hinten ist, oder vorne bleiben, wenn er vorne ist. Das ist normal. Wir wissen, dass wir für das gleiche Team fahren. Da passt man ein bisschen mehr aufeinander auf. Es ist aber nicht so, dass wir den anderen einfach durchlassen, wenn wir ihn im Rückspiegel sehen. Wir fahren hart gegeneinander, im Interesse des Teams."

Großes Lob für James Allison

Frage: "Wie ist die Zusammenarbeit mit James Allison, eurem Technischen Direktor? Du hast ja lange mit Adrian Newey zusammengearbeitet, der als einer der Besten seines Fachs in der Geschichte der Formel 1 gilt."

Vettel: "Es ist ganz anders, man kann die beiden nicht miteinander vergleichen. Ich halte James für eine echte Bereicherung für dieses Team. Er arbeitet wie ein Verrückter, ist sehr entschlossen, liebt den Motorsport. Klar kannst du solchen Menschen viel Geld zahlen, aber um ihre Arbeit ganz besonders zu machen, müssen sie den Job lieben. James tut das. Er ist ein echter Teamplayer. Für Ferrari ist er derzeit eines der wichtigsten Elemente."

Frage: "Du hast vorhin erwähnt, dass du dich im 2014er-Auto auf Anhieb wohl gefühlt hast. Warum genau? Bremsstabilität, Grip hinten, Grip vorne?"

Vettel: "Meine Saison 2014 hat viel schlechter ausgesehen, als sie eigentlich war. Es war eine schwierige Saison mit Zuverlässigkeitsproblemen, und es gab auch einige Rennen, in denen es mir schwer fiel, die Performance aus mir selbst rauszuholen. Auch im Vergleich zu Daniel. Dieses Jahr komme ich mit dem Handling beim Bremsen viel besser zurecht. Das ist ein wichtiger Teil der Kurve, denn du bremst ja weit in die Kurve hinein."


Fotos: Sebastian Vettel, Großer Preis von Belgien


Frage: "Das nächste Rennen ist deine Premiere als Ferrari-Fahrer in Monza. Was erwartest du dir davon?"

Vettel: "Früher war ich in Monza nicht besonders populär. Ich hoffe, dass das jetzt anders wird. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Sieg 2008, als die Zuschauer durchgedreht sind. Ich dachte, sie wissen nur zu schätzen, was ich geleistet hatte, dabei freuten sie sich über das italienische Team mit dem Ferrari-Motor. 2011 habe ich auf Red Bull wieder gewonnen. Ich war genauso glücklich wie 2008, wurde aber ausgebuht. Da wurde mir klar, dass es einen Riesenunterschied macht, für welches Team du gewinnst. Ich freue mich darauf, von den Tifosi angefeuert zu werden."

Frage: "Kannst du dir vorstellen, eines Tages gemeinsam mit Mercedes deutsche Motorsportgeschichte zu schreiben?"

Vettel: "Im Moment nicht. Ich bin bei Ferrari sehr glücklich. Ich habe noch viele Träume, die ich mir mit diesem Team erfüllen möchte. Darauf konzentriere ich mich. Mercedes ist ein sehr starker Gegner, aber nicht mehr."

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