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Daniil Kwjats Reifeprüfung: "Musste lernen, 'Nein' zu sagen"
Der Red-Bull-Pilot im 'Motorsport-Total.com'-Interview: Wie er Druck in Russland standhält und warum seine Eltern von Formel 1 nicht die geringste Ahnung hatten
(Motorsport-Total.com) - Wenn es in der Formel 1 aktuell einen Piloten gibt, dem der Begriff Senkrechtstarter gerecht wird, dann muss es sich dabei um Daniil Kwjat handeln. Vor drei Jahren noch aussichtsreiches Formel-Renault-Talent hat sich der junge Russe über die GP3 und eine Chance bei Toro Rosso in Windeseile zu einem Stammpiloten in einem Topteam gemausert. Welche Herausforderungen für ihn abseits der Strecke damit verbunden sind und wie der Erfolg zur Bürde werden kann, sagt er im 'Motorsport-Total.com'-Interview.
Frage: "Daniil, wir haben uns im Jahr 2013 nach deinem Formel-3-Sieg in Zandvoort über eine mögliche Chance bei Toro Rosso unterhalten. Du sagtest damals, dass es zu früh für dich wäre, um in die Formel 1 einzusteigen. Hast du dich geirrt?"
Daniil Kwjat: "Ich wusste zu diesem Zeitpunkt gar nicht genau Bescheid, alles war theoretisch. Theoretisch war es zu früh, aber manchmal muss man ins Meer geworfen werden, um Schwimmen zu lernen. Genau das ist mit mir passiert und es lief gut. 2014 war eine tolle Saison. Sie fühlt sich schon so weit weg an und alles ist für mich ganz natürlich geworden."
Frage: "Du vermisst es also nicht, ein zusätzliches Jahr in der GP2 oder in der Renault-World-Series (WSbR) absolviert zu haben?"
Kwjat: "Kaum zu sagen, aber ich denke nicht. Auch in Russland sagt man sprichwörtlich, dass das Eisen geschmiedet werden muss, solange es heiß ist. Und Ende 2013 war ich ziemlich heiß, bin gute Rennen gefahren und habe gute Ergebnisse erzielt. Red Bull hat sich gefragt: 'Warum nicht? Warum kein riskantes Manöver?' Es hat sich ausgezahlt."
Auswanderer mit zwölf Jahren: Es gab auch Heimweh
Frage: "Was ist für einen Formel-1-Neuling die größte Hürde? Die vielen Ingenieure, die bloße Geschwindigkeit oder die Ansprüche an die Physis?"
Kwjat: "In der Formel 1 gibt es einige Rennen, die physisch anspruchsvoll sind. Aber es ist ein Sport, bei dem es um das Mentale geht. Wenn man jung anfängt, dann muss man sich anpassen. Jeder erwartet etwas, jeder will etwas. Aber am Ende muss man Dinge ignorieren und erkennen, was wichtig ist. Die unwichtigen Dinge muss man ignorieren. Das musste ich schnell lernen."
Frage: "Es geht also darum, 'Nein' zu sagen?"
Kwjat: "Ja, irgendwie schon. Mein Problem war: Ich war 19 Jahre alt und führte nicht das Leben wie jemand 'Normales' in diesem Alter. Vielleicht habe ich versucht, zu viele Dinge unter einen Hut zu bekommen. Wenn man die Formel 1 von außen betrachtet, ist das eine Sache. Wenn man mittendrin ist, eine andere. Ich habe gelernt, damit umzugehen und erfahren, was gut für mich ist und was nicht. Welche Menschen gut für mich sind und welche nicht."
Frage: "Du hast deine Heimat Russland früh verlassen."
Kwjat: "Als ich zwölf Jahre alt war, bin ich mit meiner Familie nach Italien gegangen, um mir meine Karriere zu ermöglichen. Damals war es schwierig, auf mich alleine gestellt zu sein. Deshalb waren entweder mein Vater oder meine Mutter stets bei mir, um mir zu helfen. Als ich dann nach Milton Keynes kam, war ich dann ganz alleine."
Fotostrecke: Red-Bull-Junioren in der Formel 1
Christian Klien (2004-2010): Mit Unterstützung von Red Bull debütiert der Österreicher 2004 bei Jaguar in der Formel 1. Nach der Übernahme des Rennstalls durch den Engergy-Drink-Hersteller fährt Klien auch 2005 und 2006 bei den meisten Grands Prix für das nun Red-Bull-Racing genannte Team an der Seite von David Coulthard. Ende 2006 scheidet Klien nach Streitigkeiten über einen Wechsel in die ChampCar-Serie aus dem Red-Bull-Kader aus. Später ist der Österreicher Testfahrer für Honda und BMW-Sauber und fährt 2010 drei Rennen für HRT. Fotostrecke
Frage: "Hat es dir rückblickend geholfen, auf eigenen Beinen zu stehen?"
Kwjat: "Natürlich. Es war hilfreich für meine Karriere."
Frage: "Also hattest du nie Heimweh?"
Kwjat: "Manchmal ja, manchmal nein. Aber wenn alles lief wie geschmiert, dann habe ich es genossen."
Befriedigung durch sportlichen Erfolg, nicht durch Bauchpinselei
Frage: "Bist du noch oft zu Hause in Russland?"
Kwjat: "Ich war zuletzt im vergangenen September (danach noch einmal zum Russland-Grand-Prix in Sotschi im Oktober; Anm. d. Red.) dort. Ich habe dafür schlichtweg keine Zeit, so simpel ist das. Ich wäre gerne öfter dort, aber mir fehlt die Zeit. Die Formel 1 verschlingt viel Zeit und wenn man frei hat, dann will man sich erholen."
Frage: "Wirst du in Russland auf der Straße erkannt und musst Autogramme geben? Sind die Erwartungen an dich hoch?"
Kwjat: "Ich war ja schon länger nicht mehr dort. Aber es passiert schon, dass ich erkannt werde, zum Beispiel am Flughafen - auch, wenn ich in Europa unterwegs bin. Es ist schön. Ich versuche, die Erwartungen beiseite zu schieben, weil ich das Ganze für mich selbst tue. Ich habe damit angefangen, weil es meine Leidenschaft war. Ich habe mir diese Leidenschaft bewahrt und habe meinen Spaß. Wenn ich versuche, zu vielen Menschen zur gleichen Zeit gerecht zu werden, dann würde nichts mehr klappen. Was mich befriedigt, sind gutes Abschneiden und Siege."
Frage: "Als du mit dem Kartsport begonnen hast, sollen deine Eltern überhaupt nicht gewusst haben, was Motorsport ist."
Kwjat: (lacht) "Das stimmt. Ich habe damals mit meinem Vater ein paar kleine Karts ausprobiert. Zuvor wusste er glaube ich gar nicht, dass es so etwas wie 'Racing' gibt."
Frage: "Noch zum aktuellen Geschehen: Red Bull ist nicht so stark wie in der Vergangenheit. Hilft dir das ein Stück weit? Ist dadurch nicht der Druck geringer?"
Kwjat: "Es gibt immer Erwartungen. Man muss sich stets selbst vor eine Herausforderung stellen. Das ist wichtig, das versuche ich ungeachtet anderer Umstände. Natürlich ist die Situation weder für mich noch für das übrige Team einfach, aber durch diese Phasen muss man gehen."
Frage: "Wie wichtig ist dabei eine Figur wie Helmut Marko?"
Kwjat: "Er war sehr wichtig für meine Karriere. Er hat mir viele Möglichkeiten eröffnet und hat mir sein Vertrauen demonstriert. Dafür bin ich ihm sehr dankbar."