Interview mit Daniel Ricciardo: Vergleich mit Vettel frustriert
Warum Daniel Ricciardo Sebastian Vettel nie auf die leichte Schulter nehmen würde, er die Saison 2015 schon abschreibt und wie sehr ihn Le Mans reizt
(Motorsport-Total.com) - Daniel Ricciardo ist ein lustiger Typ. Als wir ihm am Ende unseres Interviews die übliche Frage stellen, ob er noch irgendetwas selbst anbringen möchte, denkt er lange nach - und grinst dann ins Mikro: "Gott segne Amerika!" Der 26-Jährige gilt als Sonnyboy, und das nicht zu Unrecht. Denn sein berühmtes Lächeln setzt er nicht nur auf, wenn die TV-Kameras laufen, sondern es gehört zu seinem ständig präsenten Standardrepertoire.
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Daniel Ricciardo ist genervt davon, dass Vettel vier Titel hat und er noch keinen Zoom Download
Nur in Kanada, da ist ihm das Lächeln vergangen. Ein Jahr nach seinem ersten Sieg in der Formel 1 erlebte er dort ein Rennwochenende zum Vergessen - und in unserem exklusiven Interview gibt er zu, dass ihm dort viele Gedanken durch den Kopf schwirrten. Gedanken wie: Bin ich zur falschen Zeit im richtigen Team? Warum habe ich Sebastian Vettel geschlagen, aber der hat vier WM-Titel und ich noch keinen? Es gibt schönere Situationen in der Karriere eines jungen Sportlers, als Angst zu bekommen, dass einem die Jahre davonlaufen, weil man auf das falsche Pferd gesetzt hat.
Daniel Ricciardo gibt erstmals offen zu, dass er neugierig war, als er von einem Le-Mans-Hersteller gefragt wurde, ob er 2015 das 24-Stunden-Rennen fahren möchte, und er spricht nicht minder offen darüber, dass er unter die Saison 2015 schon einen Haken gesetzt hat. "Es wäre nett, dieses Jahr noch aufs Podium zu fahren", sagt er. "Aber wenn ich ein Podium dieses Jahr opfern muss, um nächstes Jahr um den Titel kämpfen zu können, dann kennst du meine Antwort."
Viele alte Bekannte bei den 24 Stunden von Le Mans
Frage: "Daniel, hast du die 24 Stunden von Le Mans verfolgt?"
Daniel Ricciardo: "Ja. Ich schätze, ich habe gut 18 Stunden davon gesehen. Ich war neugierig, wie sich Nico (Hülkenberg) schlägt, aber ich kenne auch Mark (Webber) und Brendon (Hartley) ganz gut. Und Nick Tandy. Mit denen bin ich schon Rennen gefahren. Es gibt einige Fahrer, die mich da interessieren."
Ricciardo: "Ja, absolut, kann ich. Ich war schon vor dieser Saison daran interessiert. Ich habe gehört, dass Nico dort fährt. Für mich gab es, sagen wir, keine große Chance, aber..."
Frage: "Klingt so, als wärst du gefragt worden."
Ricciardo: "Ich war neugierig. Wenn wir andere Rennen neben der Formel 1 fahren könnten, dann würde ich das gerne tun. Solange es unsere Performance in der Formel 1 nicht beeinträchtigt."
Neuer Nachbar von Nico Hülkenberg in Monaco
Frage: "Hast du Nico Hülkenberg über die Atmosphäre ausgehorcht? Zum Beispiel die Fahrerparade vor hunderttausenden Fans, wo Mädchen auf den Balkonen ihre T-Shirts hochziehen, wenn die Stars vorbeikommen, die ist mit nichts anderem vergleichbar..."
Ricciardo: "Meine Eltern waren dort. Die haben mir gesagt, dass es ein unvergleichliches Erlebnis war. Ich habe auch ein bisschen mit Nico gesprochen. Er lebt seit einiger Zeit in Monaco, ganz in meiner Nähe. Vielleicht haben wir mal Zeit, dass er mir ein bisschen was erzählt. Le Mans ist faszinierend, großartig. Später in der Karriere kann das ein toller Schritt sein, aber selbst jetzt: Wenn wir mehr Rennen fahren können, warum nicht?"
Ricciardo: "Ja, das stimmt. Ich musste mich danach neu sammeln und neu einstellen. Kanada war aus vielen Gründen frustrierend. Vor einem Jahr habe ich dort noch gewonnen - und dann reicht es nicht einmal mehr für Punkte. Das war ein großer Schritt in die falsche Richtung. Für mich war das so emotional, weil ich mir so viel mehr erhofft hatte."
"Realistisch betrachtet hätte ich unsere Position vor dem Rennen einfach akzeptieren sollen, denn dass wir nicht um ein Podium kämpfen würden, war ja klar. Das zu akzeptieren, fiel mir schwer, aber jetzt müssen wir nach vorne schauen. Ich habe gelernt, mir keine Erwartungen mehr aufzuhalsen, sondern einfach zu fahren und zu versuchen, das Maximum herauszuholen."
Fokus schon jetzt ganz auf 2016
Frage: "Fängst du damit an, dieses Jahr abzuschreiben?"
Ricciardo: "Ja. Was die Weltmeisterschaft angeht jedenfalls. Ich glaube, wir können dieses Jahr noch eine Menge lernen, aber wenn wir es schaffen, uns neu zu sortieren und 2016 wieder um den Titel zu kämpfen, dann ist das der richtige Weg."
Fotostrecke: Daniel Ricciardos Weg zum Grand-Prix-Sieger
"Formel BMW Asia 2006, Saisonstation Nummer zwölf auf dem Prince Bira Circuit in Thailand: Im ersten Lauf des Wochenendes gelingt mir mein erster internationaler Sieg." Fotostrecke
"Ich möchte nächstes Jahr die große Wende schaffen, und ich glaube, dass wir das können. Vielleicht habe ich mir dieses Jahr zu viel erwartet. Aber nächstes Jahr? Es ist jedenfalls keine Träumerei. Ich glaube ernsthaft daran, dass das Team das Potenzial hat, das Blatt zu wenden."
Frage: "Ist es vielleicht sogar eine Chance, früher als andere, die noch im WM-Kampf stecken, mit dem neuen Auto beginnen zu können?"
Ricciardo: "Ich glaube schon. Jede Entwicklung, die wir dieses Jahr anstoßen, wird uns auch nächstes Jahr etwas bringen, aber wenn wir dieses Jahr ein bisschen was extra machen können, was nur für nächstes Jahr ist, dann sollten wir das tun."
Lieber Weltmeister 2016 als 2015 noch auf dem Podium
"Zum Beispiel, wenn mich das Team fragt, ob ich eine Woche im Simulator sitzen kann, um etwas für 2016 auszuprobieren. Dann will ich das sofort tun und so früh wie möglich damit anfangen. Schauen wir mal. Es wäre nett, dieses Jahr noch aufs Podium zu fahren. Aber wenn ich ein Podium dieses Jahr opfern muss, um nächstes Jahr um den Titel kämpfen zu können, dann kennst du meine Antwort."
Ricciardo: "Ja, vielleicht. Da sind mir schon einige Gedanken und Emotionen herumgegangen. Für das Team war das vergangene Jahr kein erfolgreiches, das stimmt. Also sind wir in dieses Jahr gegangen und haben damit gerechnet, dass es besser wird."
"Renault hat jetzt mehr Erfahrung und Power, da dachten wir, dass wir um den Titel kämpfen können. Aber dann kam es genau andersrum. In Kanada habe ich zum ersten Mal richtig realisiert, dass wir dieses Jahr nicht mehr um einen Sieg kämpfen werden. Das habe ich eigentlich schon gewusst, aber da ist es mir zum ersten Mal wirklich klar geworden. Da musste ich dann meine Zielsetzung für diese Saison ändern. Jetzt geht es darum, clever zu sein und so viel wie möglich zu lernen."
Glaube ans Team Red Bull ungebrochen
Frage: "Adrian Newey hat das Team zumindest teilweise verlassen, viele andere Mitarbeiter aus den Erfolgsjahren, etwa Peter Prodromou, sind auch weg. Glaubst du, dass das das Ende einer Ära markiert und dass ein Umstrukturierungsprozess notwendig ist, um zurück an die Spitze zu kommen?"
Ricciardo: "Ich glaube immer noch, dass wir alles beisammen haben, um wieder an die Spitze zu kommen. Normalerweise durchlaufen die Teams nach einer so erfolgreichen Periode ein paar schlechtere Jahre, bevor sie wieder zu gewinnen anfangen."
Frage: "Wie jetzt gerade Ferrari. Die haben aber auch viel Personal ausgetauscht."
Ricciardo: "Ja. Aber die meisten Leute, die uns zu den vier Titeln geführt haben, sind ja noch da. Ich glaube, dass wir das Potenzial haben, die Wende schneller zu schaffen, als das bei anderen Teams in der Vergangenheit der Fall war. Es wird sicher nicht von selbst passieren, sondern Renault weiß ganz genau, dass sie etwas finden müssen. Wenn das alles passt, dann glaube ich schon, dass wir noch die richtigen Leute haben, um wieder erfolgreich zu sein."
Frage: "Du hast 2014 Sebastian Vettel im gleichen Auto geschlagen. Gab es nach Saisonende einen Moment, wo du dich hingesetzt und gedacht hast: Okay, viermaliger Weltmeister geschlagen, Kapitel erledigt."
Ricciardo: "Ja, den gab es. Aber so schön es für mich auch war, ist es heute umso frustrierender, wenn ich trotzdem nicht gewinnen kann. Sebastian hat vier Titel, ich habe ihn in vielen Rennen geschlagen. Ich habe keinen einzigen Titel, nur drei Siege. Das frustriert."
Auch bei Ferrari ebenbürtiger Gegner von Sebastian Vettel?
"Aber positiv ist, dass ich meine Fähigkeiten schon gezeigt habe. Und das Schöne ist, dass ich an Tagen wie in Kanada genau weiß, was ich selbst kann, und dass da keine Zweifel sind. Ich muss halt akzeptieren, dass es auch schlechte Tage gibt, aber ich weiß, dass ich wieder an die Spitze zurückkehren werde."
Ricciardo: "Im Vorjahr lief es ganz gut gegen ihn. Sollten wir eines Tages in Zukunft noch einmal Teamkollegen werden, würde ich mir aber nicht denken: 'Ah, okay, Seb, der ist leicht zu knacken.' Er war nie ein leichter Gegner, aber ich habe meine Qualitäten im Duell gegen ihn bewiesen."
"Es würde mich freuen, noch einmal besser zu sein als er, aber ich nehme ihn sicher nie auf die leichte Schulter. Ich bin erfolgreich gegen ihn gefahren, schätze ihn aber sehr hoch ein. Vielleicht hat es manchmal leicht ausgesehen, aber das war es nie."