Psychospiele: Wir schauen in den Kopf von Carlos Sainz
Carlos Sainz gibt einen Einblick in seinen Kopf und spricht über die Psyche nach einem Unfall, während eines engen Zweikampfs und vor einem Rennen
(Motorsport-Total.com) - Der Kopf spielt für einen Formel-1-Fahrer eine sehr wichtige Rolle. Ohne einen klaren Geist und eine gesunde Portion Selbstvertrauen kommt man im Rennfahrerzirkus nicht besonders weit. Doch die Psyche eines Piloten ist etwas, das man von außen nicht analysieren kann, und nur der Fahrer selbst weiß, was in ihm vorgeht. Toro-Rosso-Pilot Carlos Sainz gibt nun auf 'redbull.com' einen kleinen, aber interessanten, Einblick in sein Seelenleben im Auto.
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Carlos Sainz ist besonders schnell, wenn er Spaß hat - wie in Silverstone oder Spa Zoom Download
Frage: "Carlos, bist du gerne ruhig, wenn du im Auto sitzt? Ich habe gehört, dass einige Fahrer gerne ihren Herzschlag erhöhen und andere runterfahren."
Carlos Sainz: "Für mich ist es eine Mischung aus beidem. Am Morgen fühle ich mich nie aufgewärmt, von daher muss ich ein 15-minütiges Warm-Up machen, das Boxen, Seilspringen und ein wenig Koordination mit dem Ball beinhaltet. Nach dem Warm-Up fühle ich mich wirklich bereit. Ich gehe dann in meinen Raum, um ein bisschen zu entspannen, mich zu beruhigen und mich auf den Job zu fokussieren."
"Normalerweise nehme ich mir auch ein wenig Zeit, um im Auto zu sitzen, um mich auch dort zu fokussieren und ruhig zu werden. Ich muss mich auf meine Arbeit konzentrieren: die Rundenpläne, die zu fahrenden Runden und die Dinge, die man testen möchte. Aber als allererstes am Morgen wärme ich mich immer auf."
Frage: "Gibt es viel, was du auf der Aufwärmrunde tun musst? Dein Ingenieur wird dir sicher sagen, dass du Burnouts machen und den Schleifpunkt beachten sollst, aber hast du auch Zeit zum Konzentrieren?"
Sainz: "Unsere Ingenieure sagen uns die ganze Zeit, was wir zu tun haben, und wenn man darauf nicht vorbereitet ist, kann das sehr stressig sein. Aber am Freitag kaue ich mit meinem Ingenieur alle Prozeduren und Aufgaben am Sonntag durch. Am Freitag merke ich mir alle Sachen oder schreibe sie auf und gehe dann alle Abläufe im Kopf durch. Wenn dann der Moment kommt und mein Ingenieur mir Anweisungen gibt, dann weiß ich mehr oder weniger, welchen Stresslevel ich zu erwarten habe."
Enge Duelle: Der Puls geht hoch
Frage: "Bist du aufgeregt, wenn du dich im Rennen in einem engen Kampf befindest oder bleibst du ruhig?"
Sainz: "Das kommt ganz auf das Rennen an, es kommt darauf an, worum du kämpfst, und es kommt auch auf die Situation an. Wenn es ein entscheidendes Überholmanöver am Ende oder am Start ist, dann bin ich etwas mehr aufgeregt, weil man riskantere Dinge versucht, weil die Manöver wichtiger sind. Manchmal ist es aber auch besser, in frühen Kurven am Start etwas relaxter zu sein, weil es ziemlich einfach ist, etwas zu aufgeregt zu sein und einen Fehler zu machen."
Frage: "Fühlen sich Fahrer jemals schlecht, wenn sie ein schlechtes Manöver gezeigt haben und ein anderes Auto getroffen haben?"
Sainz: "Man fühlt die Schuld immer für sich und nicht für den anderen Fahrer. Man denkt sich: 'Ich hätte das besser machen sollen' oder 'Ich hätte das in einem anderen Moment machen sollen' oder 'Ich hätte das sauberer machen sollen'. Auf der anderen Seite: Wenn man den Move nicht macht, dann hatte man eine Chance, die man nicht genutzt hat. Man kann ein Rennen nicht beenden und dann sagen: 'Vielleicht hätte ich das tun sollen.'"
"Als Rookie nimmt man die Dinge manchmal etwas zu gelassen und hat dann diese Gefühle, aber weil man sich auf einer Lernkurve befindet, ist das nicht so schlecht. Als ich in der Formel Renault 3.5 der Erfahrene war, der gewinnen wollte, hätte ich so etwas normalerweise nicht zugelassen. Aber in der Formel 1 muss man einen Schritt zurückgehen und etwas detaillierter über die Dinge nachdenken. Vielleicht lässt man einige Chancen verstreichen, die man sich in der Zukunft dann zurückholt."
Unfall schnell abhaken
Frage: "Wie fühlst du dich nach einem schweren Unfall? Kannst du gleich wieder ins Auto steigen oder spukt das in deinem Kopf rum?"
Sainz: "Es ist eine wichtige Möglichkeit, zu analysieren, was geschehen ist, zu sehen, was man falsch gemacht hat und warum das passiert ist, und wenn man die Gründe dafür herausgefunden hat, stellt man sicher, dass es nicht noch einmal passiert. Wenn man die Kurve die nächsten paar Mal passiert, lässt man es vielleicht ein wenig ruhiger angehen, weil man eine schlechte Erinnerung hat. Aber beim dritten Mal ist man wieder voll da und muss den Crash aus dem Kopf bekommen."
Fotostrecke: Red-Bull-Junioren in der Formel 1
Christian Klien (2004-2010): Mit Unterstützung von Red Bull debütiert der Österreicher 2004 bei Jaguar in der Formel 1. Nach der Übernahme des Rennstalls durch den Engergy-Drink-Hersteller fährt Klien auch 2005 und 2006 bei den meisten Grands Prix für das nun Red-Bull-Racing genannte Team an der Seite von David Coulthard. Ende 2006 scheidet Klien nach Streitigkeiten über einen Wechsel in die ChampCar-Serie aus dem Red-Bull-Kader aus. Später ist der Österreicher Testfahrer für Honda und BMW-Sauber und fährt 2010 drei Rennen für HRT. Fotostrecke
Frage: "Wie gehst du spezielle Kurven auf Kursen wie Spa und Silverstone an - also Kurven wie Pouhon oder Maggots/Becketts?"
Sainz: "Da bin ich wirklich aufgeregt. In meinem Job genieße ich wirklich diese Momente, wenn man auf besondere Strecken mit besonderen Kurven kommt. Sie sind berühmt für ihre Schwierigkeit, und genau das ist es, weswegen ich richtig hart arbeite. Auf Strecken wie Spa, Silverstone oder einem nassen Jerez habe ich mich immer schnell gefühlt, weil ich aufgeregt werde und wirklich Spaß habe. Ich denke, der Schlüssel ist, Spaß zu haben - und ich bin immer schneller, wenn das der Fall ist."
Frage: "Als du 2013 im Red Bull RB9 in Silverstone dein erstes Formel-1-Auto getestet hast, hast du ein paar sehr schnelle Runden gedreht..."
Sainz: "Weil ich es so sehr genossen habe, im Auto zu sitzen. Ich war das erste Mal in einem Formel-1-Auto und auf meiner Lieblingsstrecke unterwegs; die Umstände haben dazu geführt, dass ich viel Spaß hatte. Ich habe keinen Druck gespürt, war selbstbewusst, habe mich im Auto wohlgefühlt, und das hat mich wirklich schnell werden lassen - sogar schneller als ich dachte! Plötzlich konnte ich wirklich starke Rundenzeiten fahren und Red Bull zeigen, was ich drauf habe. Es war also ein sehr wichtiger Test für mich."