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Gespräch: Mercedes-Sportchef Wolff erklärt Hamilton-Panne
Im ausführlichen Mediengespräch steht Mercedes-Sportchef Toto Wolff Rede und Antwort: Wie konnte es in Monaco zur Strategiepanne bei Lewis Hamilton kommen?
(Motorsport-Total.com) - Toto Wolff ist nach dem sechsten Rennen der Formel-1-Saison 2015 ein gefragter Mann. Denn der Mercedes-Sportchef muss Erklärungen liefern. Das Hauptthema: Weshalb wurde Lewis Hamilton in Führung liegend und ohne Not an die Box beordert? Das war schließlich die entscheidende Szene beim Großen Preis von Monaco in Monte Carlo. Im ausführlichen Mediengespräch stellt sich Wolff den Fragen der Journalisten und schildert, was am Kommandostand von Mercedes genau los war.
Frage: "Toto, was ist denn da passiert?"
Toto Wolff: "Das ist in der Tat die entscheidende Frage. Die einfache Antwort darauf ist: Wir haben uns verrechnet. Wir dachten, wir hätten einen Abstand, den es aber so nicht gab. Als das Safety-Car auf die Strecke kam und Lewis hinter dem Safety-Car lag, haben unsere Berechnungen einfach nicht gestimmt. Das ist, was passiert ist."
Frage: "Wie groß war der Abstand nach hinten?"
Wolff: "Wie groß der Abstand auch war, es handelte sich um ein paar Sekunden. Wir gingen davon aus, der Abstand wäre größer, als er es in der Realität war. Wir dachten, es wäre genug Abstand für einen Boxenstopp, sogar für einen schlechten."
Wolff: "Es ist eine Teamentscheidung. Wir alle sind dafür verantwortlich. Wir treffen Entscheidungen gemeinsam. Es gibt da keinen Schuldigen. Wir gewinnen zusammen, wir verlieren zusammen. Das ist klar."
Frage: "Sind die Ingenieure bei ihren Berechnungen von der Virtual-Safety-Car-Situation, die dann eine Safety-Car-Phase wurde, durcheinandergebracht worden?"
Wolff: "In Monaco gibt es kein GPS. Das macht die ganze Aufgabe noch schwieriger. Deshalb haben wir es falschgemacht, als die Virtual-Safety-Car-Phase zu einer Safety-Car-Phase wurde."
Frage: "Wurde Lewis Hamilton vom Safety-Car aufgehalten?"
Wolff: "Wir müssen uns anschauen, wie schnell das Safety-Car gefahren ist. Lewis ist auf das Safety-Car aufgelaufen und hat dabei vermutlich Zeit verloren. Das hat wohl auch eine Rolle gespielt."
Frage: "Warum hat sich das Team überhaupt auf das Risiko eines Boxenstopps eingelassen? Lewis führte. Weshalb holte ihn das Team an die Box?"
Wolff: "Das mögliche Risiko war, dass Sebastian auf die weicheren Reifen wechselt. Er lag zu diesem Zeitpunkt hinter Nico und hätte am Ende eine Gefährdung darstellen können. Ganz einfach gesagt: Wir haben keinen Gebrauch vom gesunden Menschenverstand gemacht. Allerdings müssen wir halt den Daten folgen. So funktioniert dieser Sport. Ich stimme zu: Es war ein Risiko. Es sieht aus wie ein Risiko. Die einfache Antwort ist aber: Die Berechnungen haben nicht gestimmt."
Frage: "Weshalb hat das Team nicht darauf gewartet, dass Sebastian Vettel die Reifen wechselt, um sicherzugehen?"
Wolff: "Er lag hinter uns, um zwölf, 13 oder wie viele Sekunden auch immer."
Frage: "Sebastian Vettel wäre nach einem Boxenstopp vielleicht hinter die Red-Bull-Autos zurückgefallen..."
Wolff: "Nein, er wäre als Dritter auf die Strecke zurückgekehrt."
Frage: "Wo war also die Angst für Lewis Hamilton?"
Wolff: "Ja, das ist vielleicht dieser gesunde Menschenverstand. Der sagt dir: Wenn du als Dritter mit der superweichen Reifenmischung auf die Strecke kommst, wird es schwierig, einen Fahrer zu überholen - geschweige denn zwei Piloten. Dann hätten wir vielleicht auch einen ersten und einen dritten Platz belegt, aber vielleicht mit einer anderen Reihenfolge der Fahrer. Ja, so kann man es sehen. Vermutlich wäre es auch so gewesen. Dennoch muss man sich auf die Daten verlassen."
Frage: "Verlässt man sich in einer solchen Situation wirklich nur auf die Daten?"
Wolff: "Unsere große Diskussion war: Wie wiegen wir Daten gegen gesunden Menschenverstand auf. Und Menschenverstand ist gut und schön, gewinnt dir auf Dauer aber keine Rennen. Du musst datenorientiert sein. Wir müssen uns jetzt fragen, warum wir uns in den Daten geirrt haben."
Frage: "Hat Lewis Hamilton die Entscheidung am Funk in Frage gestellt?"
Wolff: "Wir haben darüber gesprochen. Es gab die Nachricht, dass die Temperaturen ziemlich in die Knie gegangen sind und dass die härteren Reifen kaum mehr Grip hatten. Das ist aber noch immer nicht der Grund, weshalb wir es gemacht haben. Die Zahlen haben einfach gepasst."
Frage: "Lewis Hamilton hat offenbar vom Zustand seiner Reifen berichtet. Wie viel Anteil hat er an dieser Fehlentscheidung?"
Wolff: "Wir haben diese Entscheidung gemeinsam getroffen. Es stürzten binnen sehr kurzer Zeit sehr viele Informationen auf uns herein. Und binnen Sekundenbruchteilen muss eine Entscheidung her. Wir haben versucht, möglichst viele Informationen von den Ingenieuren, vom Management und vom Fahrer einzuholen, um eine Entscheidung zu treffen. In diesem Fall war der Algorithmus falsch."
Frage: "Hat Lewis Hamiltons Funkspruch, in dem er von seinen nachlassenden Reifen berichtet hat, die Entscheidung beeinflusst?"
Wolff: "Das hat die Entscheidung zu diesem Zeitpunkt nicht beeinflusst. Es war einer der Punkte, aber sicher nicht der auslösende Moment."
Frage: "Wer hat die Anweisung an Lewis Hamilton weitergegeben? Wer hat mit ihm kommuniziert?"
Wolff: "Für die Weitergabe dieser Information sind die Strategen verantwortlich. Aber nur der Renningenieur spricht direkt mit dem Fahrer, niemand sonst. Er gibt die Nachrichten weiter."
Wolff: "In der Rascasse-Kurve. Die finale Entscheidung wurde 50 Meter vor dem Eingang zur Boxengasse getroffen."
Frage: "Hätte er sich widersetzen können und dürfen?"
Wolff: "Er hat gar nicht gewusst, was da draußen abläuft. Er hat zu dem Zeitpunkt keinen Überblick, wer wo liegt, wer stoppt, wie viele Runden es noch sind."
Frage: "Als Lewis Hamilton aus der Boxengasse kam und neben Sebastian Vettel auf die Strecke zurückkehrte, gab es da Bestrebungen, den Platz mit Vettel zu tauschen?"
Wolff: "Das ist eine Frage, mit der wir uns nicht beschäftigen mussten. Um dieses Problem ging es nicht."
Frage: "Was hättet ihr denn gemacht, wenn Lewis Hamilton nicht hinter Sebastian Vettel, sondern hinter Nico Rosberg wieder auf den Kurs zurückgekommen wäre? Hättet ihr ihn überholen lassen?"
Wolff: "Ich habe so schon genug Probleme. Wir haben kurz diskutiert, was passiert wäre, wenn Lewis Sebastian überholt hätte. Wir hätten wahrscheinlich nicht eingegriffen."
Frage: "Schon früh im Rennen hieß es, die Telemetrie bei Lewis Hamilton funktioniere nicht richtig, die Zeitmessung hingegen ganz normal..."
Wolff: "Das hat damit nichts zu tun. Die Deltazeit in der Safety-Car-Phase war eingefroren. Das hat es nicht aktualisiert. Und das wiederum hat uns in die Irre geleitet."
Frage: "Wurde auch überlegt, Nico Rosberg ebenfalls in die Box zu holen?"
Wolff: "Dann hätten wir ja ganz blöd ausgeschaut. Lewis hat auf einem Bildschirm gesehen, dass Boxenstopps stattfinden. Da schauen alle Fahrer hin. Er war der Meinung, alle anderen stoppen auch. Das hat aber nichts damit zu tun gehabt, dass wir die Entscheidung getroffen haben."
Frage: "Hat diese Entscheidung etwas mit Malaysia zu tun, wo die Strategie der beiden Fahrer nicht gesplittet wurde?"
Wolff: "Nein. Das hat gar nichts damit zu tun. Es war eine Entscheidung, die nur das heutige Renngeschehen mit sich gebracht hat."
Frage: "Was ist eigentlich in der Portier-Kurve mit Lewis Hamilton passiert? Nach der Zieldurchfahrt?"
Wolff: "Wo ist Portier? Ich kenne mich hier nicht aus..."
Frage: "Die Kurve vor dem Tunnel, wo er kurz angehalten hat..."
Wolff: "Ah, ich weiß."
Frage: "Gab es da ein Gespräch mit Lewis Hamilton über Funk?"
Wolff: "Nein. Es gab kein Gespräch. Ich weiß auch nicht, weshalb er angehalten hat."
Frage: "Wie kann man das wiedergutmachen?"
Wolff: "Ich habe ihn in der Interviewzone aufgesucht. Wir gewinnen zusammen, wir verlieren zusammen. Das hier war ein Teamfehler, also habe ich mich entschuldigt. Das ist wahrscheinlich das Einzige, was man da machen kann. Lewis ist eine klasse Führungsperson und ein großartiger Fahrer. Ich bin mir sicher: Er wird verstehen, dass wir manchmal Fehler machen. Das war eine solche Situation."
Frage: "Hast du schon persönlich mit Lewis Hamilton gesprochen?"
Wolff: "Ja."
Frage: "Was hat er als erstes zu dir gesagt?"
Wolff: "Wir waren in der Medienzone. Ich entschuldigte mich bei ihm. Es war alles gut zwischen uns."
Wolff: "Er ist mental sehr stark. Und er hat einen Lauf. Dennoch schmerzt es ihn sicherlich, dieses Rennen verloren zu haben. Denn es wäre ein sicherer Sieg gewesen. Ich bin mir aber sicher, er ist alsbald wieder da, so wie immer in der Vergangenheit."
Frage: "Wie fühlt sich Lewis Hamilton gerade?"
Wolff: "Menschlich gesehen enttäuscht. Denn das war sein Rennen. Er hatte es schon gewonnen. Es war nur noch eine Sache von zehn Runden - oder 13. Er musste es nur noch nach Hause fahren. Doch dann kam die Strategieentscheidung, die unverständlich ist. Das werden wir gemeinsam besprechen."
Frage: "Inwiefern muss man sich als Teamchef zerreißen? Mit dem einen Fahrer jubeln, mit dem anderen Fahrer trauern..."
Wolff: "Wir haben Monaco mit den Positionen eins und drei beendet. Wir führen in der Fahrerwertung mit Lewis, Nico ist Zweiter. Wir führen in der Konstrukteurswertung und haben heute ein gutes Ergebnis erzielt, das nicht den Rennverlauf widerspiegelt."
"Als Teamchef muss ich mich natürlich zerreißen. Ich persönlich freue mich für Nico. Er hat den Hattrick geschafft. In ein paar Jahren wird es niemand mehr interessieren, wie das passiert ist. Das ist einfach in der Statistik. Das freut mich für ihn. Für Lewis tut es mir unheimlich leid. Wenn ich es könnte, würde ich es rückgängig machen. Er hätte es verdient gehabt, dieses Rennen zu gewinnen."
Frage: "Gibt es eine Möglichkeit, Lewis Hamilton den Sieg irgendwie zurückzugeben?"
Wolff: "Wie? Nein."
Frage: "Herr Zetsche ist an diesem Wochenende in Monaco zu Gast..."
Wolff: "Herr Zetsche war sehr unzufrieden mit dieser speziellen Situation. Wir haben Lewis, den WM-Spitzenreiter. Und wir haben Nico, der heute auf Platz zwei fuhr. Und ihr könnt mir glauben: In diesem Team wird kein Fahrer bevorzugt, aus keinem Grund."
Frage: "Nicht mehr so viel auf die Daten geben, sondern eher logisch denken - ist das die Lektion für die Zukunft?"
Wolff: "Ich denke, wahrscheinlich sollte man sich eher auf die Daten als auf das Bauchgefühl verlassen."
Frage: "Wie kann man sicherstellen, dass dergleichen nicht erneut vorkommt?"
Wolff: "Das ist Motorsport. Fehler passieren. Wir arbeiten mit Algorithmen und wir arbeiten mit Menschen. Wir sind alle Menschen. In diesem Fall müssen wir einfach überprüfen, wo unsere Mathematik heute eine Crux hatte. Ob es daran liegt, dass wir kein GPS hatten. Ob der Abstand nicht gestimmt hat. Irgendwo gab es einen Fehler. Diesen müssen wir ausmerzen und dürfen ihn nicht wieder machen."