Surer fragt sich: Warum fliegt er in so einer Situation ab?
Experte Marc Surer sieht beim Unfall von Jules Bianchi kein Fehlverhalten der Rennleitung: Die Unfallstelle von Adrian Sutil sei richtig abgesichert worden
(Motorsport-Total.com) - Einen Tag nach dem schweren Unfall von Jules Bianchi beim Großen Preis von Japan stellt sich die Formel-1-Welt immer noch die Frage, wie es zu dieser Tragödie kommen konnte und ob man sie nicht hätte vermeiden können. Nicht wenige Stimmen kritisieren die Rennleitung, weil sie nach dem vorausgegangenen Abflug von Adrian Sutil nicht gleich das Safety-Car auf die Strecke geschickt hatte.
© Ennstal-Classic (Martin Huber)
Marc Surer gibt der Rennleitung keine Schuld am Unfall von Jules Bianchi Zoom Download
Experte Marc Surer, der noch vor Ort in Japan weilt, nimmt Rennleiter Charlie Whiting und seine Kollegen aber in Schutz. Die Unfallstelle sei mit doppelt geschwenkten gelben Flaggen ausreichend abgesichert gewesen. Man müsse sich vielmehr fragen, warum Bianchi in einer solchen Situation von der Strecke abkam. Im Interview spricht der Schweizer auch darüber, warum Bianchis Transport im Krankenhaus per Rettungswagen und nicht per Hubschrauber erfolgt ist.
Frage: "Marc, hast du neue Informationen zum Gesundheitszustand von Jules Bianchi?"
Marc Surer: "Es gibt keine neuen Meldungen außer, dass er offensichtlich noch am Leben ist. Das ist die gute Nachricht, denn dass er die erste Nacht überlebt, war nicht sicher. Tagsüber hat es keine neuen Nachrichten gegeben. Nur das Team hat Stellung bezogen und gesagt, wegen der Familie wollen sie nichts weiteres sagen. Aber er lebt noch, die Familie ist unterwegs von Frankreich hierher. Ich wohne hier in Yokkaichi, und hier ist er auch im Krankenhaus auf der Intensivstation. Genaueres weiß man aber nicht, wir müssen warten, bis es eine neue Meldung gibt."
Frage: "Lass uns über den Unfall sprechen. Wieso gab es keine Safety-Car-Phase, nachdem Sutil rausgeflogen ist?"
Surer: "Ich glaube, das war eine normale Situation. Das Auto war in der Auslaufzone und nicht auf der Strecke. Dann hätte es sicherlich eine Safety-Car-Phase gegeben, wenn das Auto auf die Strecke zurückgeschleudert worden wäre. Die Strecke war frei, und das Auto lag abseits im Reifenstapel. Es wurden gelbe Flaggen geschwenkt und zwar doppelt geschwenkt. Es verging dann eine relativ lange Zeit, bis Bianchi da rein gekracht ist."
"In der Zwischenzeit war Sutil ausgestiegen und der Kranwagen dorthin gefahren, um sein Auto zu bergen, aber all das passierte abseits der Strecke und auf der Strecke gab es doppelt geschwenkte gelbe Flaggen. Das sieht der Fahrer auch im Cockpit. Gelb doppelt geschwenkt heißt: Zum Anhalten bereit machen, es sind Menschen auf der Fahrbahn. Wenn ein Unfall passiert und Menschen auf die Fahrbahn müssen, dann wird doppelt geschwenkt. Das heißt, man muss wie im Straßenverkehr innerhalb der überblickbaren Strecke zum Anhalten bereit sein, falls dort etwas passiert. Darum muss man sich schon fragen: Warum fliegt er in so einer Situation von der Strecke?"
Fotostrecke: Die Karriere von Jules Bianchi
Jules Bianchi wird am 3. August 1989 in Nizza geboren. Der Spross einer Rennfahrerfamilie (Großonkel Lucien gewann 1968 die 24 Stunden von Le Mans und fuhr im selben Jahr beim Formel-1-Grand-Prix von Monaco als Dritter aufs Podium) zeigt schon in jungen Jahren, dass auch er Benzin im Blut hat. Fotostrecke
Frage: "Vom Ablauf her ist also alles so gelaufen, wie es in so einer Situation sein muss?"
Surer: "Von der Rennleitung her ist alles richtig gemacht worden. Als dann dieser Unfall passierte, haben sie sofort das Safety-Car rausgeschickt, um die Situation zu entschärfen, und anschließend das Rennen abgebrochen. Unter dem Schock sucht man immer nach einem Schuldigen. Ich denke, das war einfach ein sehr dummer Unfall."
Frage: "In einigen Medien wird über die Position des Radladers diskutiert, der während das Rennen unter doppelt Gelb noch lief, vor den Reifenstapeln vorzufinden war. War das auch ein normaler Vorgang?"
Surer: "Wir sehen das laufend, auch während der Trainings. Wenn einer rausfliegt, fährt der Stapler dahin, holt das Auto ab und fährt es so schnell wie möglich hinter die Reifenstapel. Das ist ein Vorgang, der an diesem Wochenende schon mehrmals stattfand. Es gab ja einige Abflüge, vor allem am Samstagmorgen. Auch Lewis Hamiltons Auto wurde so geborgen."
"Das ist ein ganz normaler Vorgang, deswegen wurde noch nie ein Training unterbrochen, denn genau dafür gibt es ja diese Flaggenzeichen, dass man eben an dieser Stelle langsam fahren muss. Das passiert möglichst schnell, denn wenn man jedes Mal abbrechen müsste, würde man gar kein richtiges Training oder kein richtiges Rennen mehr hinbringen. Die Lage ist klar. Es gibt Gelb, das heißt Überholverbot, Geschwindigkeit reduzieren. Und es gibt doppelt Gelb, dann sind Menschen auf der Fahrbahn und der Fahrer muss verlangsamen, deutlich verlangsamen. Andere haben es gemacht."
Frage: "Also können wir zusammenfassen: Von Seiten der Rennleitung alles richtig gemacht, den Regeln entsprechend. Über eine Sache wurde auch diskutiert, das war der Abtransport von Jules Bianchi, der nicht im Hubschrauber passierte, sondern im Krankenwagen. Welche Informationen hast du, warum das so war?"
Surer: "Die offizielle Variante ist, dass das Umladen in den Hubschrauber umständlicher gewesen wäre als ihn direkt mit dem Krankenwagen zum Krankenhaus zu fahren. Er wurde auch von einer Polizeieskorte begleitet, da gab es also keine Verzögerungen. Es war offensichtlich der schnellere Weg."
"Zudem kam die Dunkelheit dazu, was für den Hubschrauber nicht ideal ist. Ich denke beides hat zu der Entscheidung beigetragen, ihn so zu transportieren. Eines muss man sagen: Im Krankenwagen kann er besser betreut werden als im Hubschrauber, wenn der Zustand kritisch ist. Vielleicht ist das auch ein Hintergrund, der nicht diskutiert wurde. Der Hubschrauber stand da, der war startklar. Man hat sich wohl aus medizinischen Gründen anders entschieden."