Wurz im Interview: Bei Bianchi war keine Reanimation nötig
GPDA-Vorsitzender Alexander Wurz schildert seine Eindrücke vom tragischen Unfall Jules Bianchis in Suzuka und warnt vor"voreiligen Schlüssen"
(Motorsport-Total.com) - Erst am Freitag wurde Alexander Wurz zum Vorsitzenden der GPDA gewählt. Mit dem reichen Erfahrungsschatz eines ehemaligen Formel-1-Fahrers soll er in der Fahrervereinigung die Interessen der Piloten vertreten - Interessen, die vor allen dem Thema Sicherheit gelten. Über den schweren Unfall von Jules Bianchi beim Grand Prix von Japan, dessen Folgen noch nicht vollends sind, macht sich der Österreicher daher besonders Gedanken. Im Interview mit dem 'ORF' berichtet er, was er über den Unfallhergang weiß und welche Auswirkungen er von dem traurigen Ereignis erwartet.
Frage: "Alex, gibt es schon neue Informationen zum Gesundheitszustand von Bianchi und dem Unfallhergang?"
Alexander Wurz: "Zum Gesundheitszustand hab ich keine neuen Informationen. Zum Unfallhergang haben wir mittlerweile gehört, dass er seitlich in diesen Abschleppwagen reingekracht und dass auch der Überrollbügel abgebrochen ist. Ich habe aber keine Informationen darüber, wie der Unfall exakt verlaufen ist."
Frage: "Es hieß, dass er nicht mehr bei Bewusstsein war, als er abtransportiert wurde. Kannst du das bestätigen?"
Wurz: "Er war ganz kurz nach dem Aufprall noch bei Bewusstsein ist dann aber bewusstlos geworden. Er hat die ganze Zeit selbst geatmet und es war nicht nötig, ihn zu reanimieren. Ob das eine gute oder eine schlechte Nachricht ist, kann ich nicht beurteilen, da bin ich kein Experte. Ich weiß nur, dass bei der Art und Weise des Unfalls sehr hohe Fliehkräfte auf das Auto wirken und da stellt sich die Frage, was diese Fliehkräfte beim ersten Aufprall absorbiert hat. War es der Helm, oder der Überrollbügel? Da kommt es vielleicht auf zwei oder drei Grad beim Winkel des Aufpralls an. Unterm Strich ist es ein sehr trauriger und tragischer Unfall und wir hoffen einfach das Beste für Bianchi in dieser Situation."
Frage: "Bianchi wurde mit dem Krankenwagen und nicht mit dem Helikopter ins Krankenhaus gebracht. Waren daran tatsächlich die Wetterverhältnisse schuld und ist es nicht eigentlich eine Grundvoraussetzung für die Durchführung eines Rennens, dass der Helikopter starten kann?"
Wurz: "Es ist eine Grundvoraussetzung und der Helikopter konnte auch fliegen. Ich kann zu 99,9 Prozent sicher sagen, dass an den Gerüchten, er hätte nicht starten können, nichts dran ist. Wir haben selbst zur selben Zeit noch einen Helikopter fliegen sehen. Ich glaube, die FIA hat bevorzugt, ihn mit dem Fahrzeug ins naheliegende Krankenhaus abzutransportieren und ich denke, dass da eine medizinisch fachliche Entscheidung getroffen wurde."
Frage: "Nach dem Unfall von Adrian Sutil wurden in dem betreffenden Sektor doppelte gelbe Flaggen geschwenkt. Hätte man das Safety-Car vielleicht gleich rausfahren lassen sollen und hätte man den Unfall damit verhindern können?"
Wurz: "Im Nachhinein ist man immer schlauer. Man muss aber eins sagen: Die FIA hat im Laufe des Jahres immer die Sicherheit als wichtigste Aufgabe gesehen. Wenn man jetzt analysieren muss, ob man etwas hätte tun können und wer die Schuld trägt - da muss man erst einmal abwarten. Eines habe ich im Laufe der Arbeit, die ich in den ganzen Sicherheitsgremien gemacht habe, gelernt: Man kann keine vorzeitigen Schlüsse ziehen. Man muss abwarten bis man alle Fakten zusammen hat. Erstens, um sich ein Urteil zu verschaffen und zweitens, um aus so einem Unfall zu lernen."
Frage: "Der Schock im Fahrerlager sitzt tief. Hattest du schon Gelegenheit gehabt mit dem einen oder anderen Fahrer zu sprechen?"
Wurz: "Ich habe mit fast allen Piloten sprechen können, schon wegen meines Job in der Fahrervereinigung. Jeder ist sehr betroffen und wir hoffen alle das Beste für Jules und dass es ihm den Umständen entsprechend gut geht."
Frage: "In der GPDA geht es primär um die Sicherheit und die empfindlichste Stelle ist der offen liegende Kopf. Gibt es schon weitere Bestrebungen, was etwas ein geschlossenes Cockpit angeht?"
Wurz: "Es gibt laufend Sicherheitsverbesserungen. Die FIA, die Teams und die Strecken sind um ständige Verbesserungen bemüht. Deshalb haben wir von den 1960er-Jahren, wo jeder dritte Fahrer gestorben ist, bis jetzt schon sehr lange keine tödlichen Unfälle mehr gehabt. Dass es immer noch besser werden kann wird uns in solchen Situationen wie heute klar. Aber man kann wie gesagt keine voreiligen Schlüsse ziehen. Man muss sich genau anschauen, wie der Unfallhergang war. Eines muss aber jedem klar sein, der Motorsportbetreibt oder zuschaut: Motorsport ist gefährlich und hat immer ein Restrisiko, weil sich hier Autos mit hoher Geschwindigkeit bewegen. Wenn man da die Kontrolle verliert ist man ein ballistisches Geschoss und das ist eine unkontrollierbare Energie."
Frage: "Viele haben gemeint, man hätte das Rennen bei dem starken Regen gar nicht fahren dürfen oder vorverlegen müssen. Was meinst du dazu?"
Wurz: "Über die Vorverlegung kann ich nicht sprechen. Das sind Dinge, die der Promoter mit der FIA zusammen entscheiden muss und da hat es Diskussionen gegeben. Das Rennen wurde hinter dem Safety-Car gestartet, das Safety-Car ist länger draußen geblieben, als so manch Fahrer verlangt hat - alle Entscheidungen, die vom Rennleiter Charlie Whiting gefällt wurden, waren absolut in Ordnung. Wie schon seit vielen Jahren hat die FIA da einen guten Job gemacht. Mit dem Rennverlauf war bis zum dem Unfall sicher alles in Ordnung."