• 30. Juli 2014 · 15:20 Uhr

Wolff: "Piloten dürfen frei fahren, wenn es um Sieg geht"

Toto Wolff im Interview: Wieso man bei Hamilton auf Stallregie setzte, wie diesbezüglich die internen Regeln aussehen und was das wahre Problem ist

(Motorsport-Total.com) - Zuerst der Fahrrad-Unfall, bei dem sich Toto Wolff zahlreiche Brüche zuzog, dann das turbulente Ungarn-Wochenende: Der Mercedes-Motorsportchef hat herausfordernde Tage hinter sich, zumal die Debatte um die Mercedes-Stallregie auch nach dem Rennen noch hohe Wellen schlug. Im Interview klärt der Österreicher auf, warum man an der Boxenmauer Lewis Hamilton anwies, Nico Rosberg vorbeizulassen, wie die internen Mercedes-Regeln bei einem Zweikampf seiner Piloten aussehen und was derzeit das wahre Problem der Silberpfeile ist.

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Luxusprobleme: Toto Wolffs Fahrer bekriegen sich im Kampf um den Titel Zoom Download

Frage: "Toto, wie beurteilst du das Rennen in Ungarn mit etwas Abstand?"

Toto Wolff: "Ehrlich gesagt, habe ich gemischte Gefühle. Als die schwarz-weiß karierte Flagge fiel, waren wir regelrecht starr, weil wir die Plätze drei und vier geholt hatten. Immerhin hatten wir das Rennen mit einem Auto auf der Pole und dem anderen in der Boxengasse begonnen. Ich wusste wirklich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte."

Frage: "Warum?"

Wolff: "Bei Nico war es ein Fall von 'hätte, wäre, wenn'. Was wäre gewesen, wenn er nicht hinter dem Safety-Car gelandet wäre? Was wäre gewesen, wenn seine Bremsen nicht während dieser Runden überhitzt hätten? Das führte hinterher dazu, dass sein Brake-by-Wire-System zwischenzeitlich nicht funktionierte. Das kostete ihn Positionen, als das Rennen wieder freigegeben wurde. Und was wäre gewesen, wenn er Lewis vor dem Ende seines dritten Stints hätte überholen können? Er hatte eindeutig die Pace, aber es hat nicht sollen sein."

"Lewis hat zweifelsohne das Überholmanöver des Tages gezeigt."Toto Wolff
Frage: "Und was war bei Lewis?"
Wolff: "Abgesehen von seinem Dreher auf der ersten Runde zeigte er eines der besten Rennen der Saison. Er startete als Letzter und zu einem Punkt sah es so aus, als ob er das Rennen sogar gewinnen könnte. Er hat zweifelsohne das Überholmanöver des Tages gezeigt, als er Vergne in Kurve vier überholt hat. Bei diesem Manöver bewies er seinen Killerinstinkt. Genau das wollen die Fans sehen."

Frage: "Alles in allem war es ein anstrengendes Rennen für alle am Kommandostand..."

Wolff: "Es war nervenaufreibend. Bei jedem Auto gab es einen Moment, in dem wir glaubten, dass es nicht ins Ziel kommen würde. Bei Nico war das hinter dem Safety-Car, als es so schien, als ob das Bremssystem ausfallen würde. Bei Lewis geschah es, als sein Benzindruck sank und er hinter Fernando weniger Leistung hatte, als Nico näher kam. Zu diesem Zeitpunkt des Rennens hofften wir, dass er ins Ziel kommen könnte, aber wir erwarteten, dass das Problem zu einem frühzeitigen Ende führen würde."

Ab welchem Zeitpunkt das Team im Vordergrund steht

Frage: "Warum sagte das Team Lewis im Funk, dass er Nico überholen lassen sollte?"

Wolff: "Als das Safety-Car herauskam, entschieden wir uns dazu, die Strategien aufzuteilen. Damit wollten wir uns von den Autos um uns herum absetzen, um unsere Siegchancen zu wahren oder im schlimmsten Fall auf das Podium zu fahren. Zu diesem Zeitpunkt lag Nico zwei Positionen vor Lewis. Wir setzten bei Nico auf eine aggressive Dreistoppstrategie und bei Lewis auf zwei Stopps mit einem langen letzten Stint auf den Prime-Reifen. Dadurch war klar, dass sie irgendwann auf der Strecke aufeinandertreffen würden."

"Mit dieser Situation mussten wir umgehen. Wir sagten Lewis, dass er Nico vorbeilassen sollte, weil wir glaubten, dass beide mit ihren Strategien noch eine Siegchance hatten. Aber Nico kam nie nah genug an Lewis heran, um ihn zu überholen. Somit waren wir letztlich mit der Entscheidung von Lewis zufrieden, die Position zu halten."

"Unsere Fahrer dürfen auch für den Rest der Saison 2014 frei gegeneinander fahren, und zwar um den Sieg."Toto Wolff
Frage: "Das Team hat öffentlich gesagt, dass die Fahrer frei gegeneinander Rennen fahren dürfen. Aber am Sonntag gab es Anweisungen vom Kommandostand. Warum?"
Wolff: "Als Rennteam ist es unser Ziel, Rennen und Titel zu gewinnen. Wir glaubten, dass beide Fahrer um den Sieg würden kämpfen können - nicht nur um einen Podestplatz. Also handelten wir entsprechend. Wenn Fahrer eines Teams mit unterschiedlichen Strategien fahren, ist es normalerweise üblich, dass man sich nicht gegenseitig das Leben schwerer macht, wenn es zu einem Überholmanöver kommt. Aber wir müssen akzeptieren, dass wir uns nicht mehr in einer normalen Situation befinden."

Frage: "Bedeutet das, dass es keine Teamorder mehr geben wird?"

Wolff: "Zu Saisonbeginn haben Paddy und ich gemeinsam mit den Fahrern ein klares Vorgehen beschlossen. Sie dürfen frei gegeneinander um den Sieg fahren, solange sie darum kämpfen. Gleichzeitig haben wir klargestellt, dass wir als Team stets die bestmöglichen Siegchancen haben möchten - egal, welcher Fahrer darum kämpft. Die Entscheidungen von Paddy und unserem Team am Kommandostand waren absolut innerhalb unserer beschlossenen Vorgehensweise. Demnach dürfen unsere Fahrer auch für den Rest der Saison 2014 frei gegeneinander fahren, und zwar um den Sieg."


Fotostrecke: Hamilton: 8 Rückschläge im WM-Kampf

"Dennoch sollten wir uns der Situation bewusst sein: Die Diskussion über die Stallregie lenkt von unserem echten Problem ab - der Zuverlässigkeit. Wenn wir den Fahrern die Möglichkeit geben, das volle Potenzial des Autos auf jeder Runde abzurufen, können wir an der Spitze des Feldes fahren. Dann dürfen sie ohne externe Einflüsse frei um den Sieg kämpfen. Das ist uns zuletzt aber nicht gelungen, was uns einige Kopfschmerzen bereitete. Aber solche Schwierigkeiten können wir vermeiden, indem wir bessere Arbeit abliefern."

Wolffs Vorgabe für die zweite Saisonhälfte

Frage: "Habt ihr schon die Ursache für das Benzinleck am Auto von Lewis entdeckt?"

Wolff: "Das Auto wurde bei dem Feuer am Samstag schwer beschädigt. Wir mussten die Komponenten zur genauen Untersuchung nach England zurück schicken. Das Leck wurde zu einem Ermüdungsdefekt in einer Hochdruck-Benzinleitung zurückverfolgt. Die genauen Ursachen für den Ermüdungsdefekt werden noch untersucht. Derzeit unternehmen wir intensive Checks und führen passende Gegenmaßnahmen durch, um sicherzustellen, dass es zu keiner Wiederholung dieses Defekts kommt."

"Von Zeit zu Zeit müssen wir zurücktreten und erkennen, was wir in diesem Jahr erreicht haben."Toto Wolff
Frage: "Bist du besorgt, dass der Teamgeist in Budapest geschädigt wurde?"
Wolff: "Nein. Der WM-Kampf ist hart, und wir werden noch einige Spannungen erleben. Aber solchen Augenblicken zeigt ein Team sein wahres Gesicht. Sehen wir uns das vergangene Wochenende an: Eines unserer Autos kam nach dem Qualifying als verbranntes Wrack an die Box zurück. Zehn Stunden später hatte Lewis ein komplettes Rennauto zur Verfügung. Jeder Mechaniker von beiden Autos arbeitete daran, es rechtzeitig fertig zu bekommen und sicherzustellen, dass das Team am Sonntagnachmittag sein Bestes geben konnte."

"Von Zeit zu Zeit müssen wir zurücktreten und erkennen, was wir in diesem Jahr erreicht haben. Neun Siege in elf Rennen und zehn Pole-Positions sind eine unglaubliche Bilanz. Nach der Sommerpause haben wir uns zum Ziel gesetzt, noch bessere Leistungen zu zeigen. Denn die WM ist noch lange nicht vorbei. Wenn wir uns aber ansehen, was wir 2014 bisher erreicht haben, kann jedes Teammitglied erhobenen Hauptes in die Sommerpause gehen. Sie haben fantastische Arbeit geleistet."

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