Webber: Streit mit Vettel war nicht für die Medien
Mark Webber spricht im Interview über den Wechsel von der Formel 1 in die WEC sowie über Le Mans, Hybrid-Racing, DRS-Manöver, Stallkriege und Mediendramen
(Motorsport-Total.com) - Mark Webber war viele Jahre in der Formel 1 unterwegs, zuletzt als Teamkollege von Vierfachweltmeister Sebastian Vettel bei Red Bull. Nun fährt er für Porsche in der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC), die aktuell ihr großes Saisonhighlight, die 24 Stunden von Le Mans, erlebt. Vor seiner Reise nach Frankreich nahm sich Webber in Wien die Zeit für ein Interview.
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Mark Webber denkt, dass Daniel Ricciardo Sebastian Vettel langfristig ebenbürtig ist Zoom Download
Frage: "Mark, du fährst dieses Jahr bei Porsche in der WEC - was ist für dich der größte Unterschied zur Formel 1?"
Mark Webber: "Wir haben in der WEC nur acht Rennen - das gibt mir ein bisschen mehr Zeit zuhause, die Formel 1 ist bekanntlich elf Monate im Jahr unterwegs. Ich liebe immer noch den Rennsport, und mit Porsche in der Langstrecken-WM zu fahren, war eine tolle Möglichkeit. Auch der Zeitpunkt meines Wechsels war gut."
Frage: "Fahrerisch - wo siehst du die größten Unterschiede?"
Webber: "Der Porsche ist ein bisschen schwerer. Ich muss etwas geduldiger sein bei den Bremspunkten, auch der Richtungswechsel ist nicht so aggressiv wie in der Formel 1. Das ist normal, doch für mich ist es immer noch eine große Herausforderung, dieses Auto am Limit zu bewegen."
Eine neue Herausforderung
Webber: "Ganz genau - das ist sehr schwierig. Es gehört aber zu diesem Rennsport dazu, das ist eine wichtige Komponente. Und das ist auch etwas, wo ich immer noch am Lernen bin, um ehrlich zu sein. Wir sind zwei Rennen und ein paar Tests gefahren - wir haben hier eben auch langsamere Fahrzeuge dabei und auch Piloten mit weniger Erfahrung. Da musst du sehr respektvoll agieren."
Frage: "Kann man sagen, dass du für die langsameren Piloten mitdenken musst?"
Webber: "Ein bisschen. Du musst dir einfach sicher sein, was sie tun werden. Es ist klar, dass einige dieser Piloten auch mental wirklich am Limit fahren. Sie brauchen all ihre mentale Kraft, um das Auto gut auf der Straße halten zu können. Wir, die professionellen Piloten, haben die Verantwortung, ihnen mental bei einem Überholmanöver zu helfen."
Der Porsche-Mix
Frage: "Jetzt kommt das 24-Stunden-Rennen in Le Mans. Die Tests verliefen gut, Porsche scheint gut aufgestellt zu sein?"
Webber: "Ja, wir sind zufrieden. Den 919 nach Le Mans zu bringen, bedeutet uns sehr viel. Es ist eine lange, anspruchsvolle Strecke mit langen Geraden, schnellen Kurven und Schikanen - wirklich sehr anspruchsvoll. Daher war der Test sehr wichtig für uns. Wir haben erstmals auf dieser Strecke zusammengearbeitet, und auch Michelin hat erstmals mit uns dort gearbeitet, denn du kannst nicht einfach die Daten des Toyotas nehmen. Sie mussten lernen, was für unser Auto wichtig ist."
Frage: "Wie gut kennst du bereits deine Teamkollegen Timo Bernhard und Brendon Hartley?"
Webber: "Wir konnten sehr schnell eine gute Beziehung aufbauen. Mit Timo hatte ich auch privat schon eine Menge Spaß, er ist ein sehr professioneller Fahrer. Er ist in seiner Kategorie ein Weltklassepilot. Er hat Erfahrung, und ich muss von ihm einiges lernen, um ehrlich zu sein. Brendon kenne ich bereits aus der Zeit, als er ins Red-Bull-Programm kam. Er war damals sehr jung, ich denke 16 oder 17 Jahre alt."
Kein Wunschkonzert
Frage: "Er wurde bei Red Bull bereits aussortiert..."
Webber: "Ja, er ist aus dem System der Berufsrennfahrer so ziemlich herausgefallen, daher muss man den Hut vor Porsche ziehen, dass sie einem solch jungen Piloten eine neue Chance gaben. Aber sie können natürlich keine zehn Jungpiloten nehmen, sie haben auch Leute mit Erfahrung gebraucht."
Webber: "Nein, es gab Gespräche bezüglich der Piloten, die schon an Bord waren, aber wir haben ja bereits vor mehr als anderthalb Jahren die ersten Gespräche geführt. Wir haben ein bisschen über Piloten gesprochen, aber letztendlich war es eine Entscheidung von Porsche. Sie sind eine große Firma und wissen, was sie tun. Und ich habe nicht viel Erfahrung in diesem Sport vorzuweisen."
Frage: "Beim Pre-Test gab es Aufregung um Flexwings an deinem Porsche - kannst du dazu etwas sagen?"
Webber: "Unsere Autos haben alle technischen Kontrollen passiert, sie entsprechen dem Reglement."
Erst 2016 ernsthafte Ambitionen
Frage: "Und es war schließlich nur ein Test, oder?"
Webber: "Genau, es war ein Test - unser Auto ist ein komplett neues Baby. Dann kommt jemand und misst etwas nach. Es ist wie überall: Du hast an manchen Stellen mehr Raum für neue Ideen und dann wieder weniger. Aber unser Wagen hat alle Kontrollen passiert, da muss man sich keine Sorgen machen."
Fotostrecke: Mark Webbers Formel-1-Karriere
Davor zieht es ihn aber in die Formel 1: Landsmann und Förderer Paul Stoddart holt Mark Webber 2002 zu Minardi, dem damals kleinsten Team. Teamkollege: Alex Yoong aus Malaysia - ein inzwischen vergessener Name des Grand-Prix-Sports. Fotostrecke
Frage: "Dürfen die beiden Porsche-Teams in Le Mans gegeneinander fahren?"
Webber: "Wir dürfen gegeneinander fahren. Aber ob wir es schaffen, hier den Sieg zu holen? Das wird wirklich hart. Es ist das erste Jahr. Es ist, als würdest du 24 Stunden auf einem Seil balancieren - es braucht nicht viel, um abzustürzen. Wie du vorhin gesagt hast: ein Hinterbänkler, ein Reifenschaden, ein Problem beim Boxenstopp - wirklich alles kann passieren. Und schon ein Sechs-Stunden-Rennen ist hart. Es ist auch für die Audi- und Toyota-Fahrer nicht anders. Das ist die Romantik dieses Rennens - es ist so schwer zu gewinnen."
Frage: "Weil man nicht wissen kann, was alles in 24 Stunden passieren wird..."
Webber: "Ja, es wäre hirnlos, wenn ich mich hier hersetzen und sagen würde, dass wir das gleich im ersten Jahr gewinnen können, obwohl wir uns wohlfühlen. Aber einen Sieg bei einem solchen Rennen ansagen, das eine derartige Herausforderung darstellt, ist einfach unmöglich. Natürlich, auf lange Sicht gesehen wollen wir dieses Rennen in Zukunft gewinnen. Und Porsche kann hier einen großartigen Rekord vorweisen, sie sind die Besten überhaupt. Das ist natürlich schön, so etwas zu haben."
Hybridsysteme im Kommen
"Aber wir müssen auch einen neuen Weg finden. Wir haben 230 Leute, die gemeinsam arbeiten, die sich aufeinander einspielen müssen - das Team hat in Wahrheit bei null begonnen. 2015 wird es schon anders sein, dann wollen wir definitiv um den Sieg kämpfen. Dieses Jahr geht es darum, konkurrenzfähig zu sein. Jede Stunde, in der wir nicht in der Garage stehen, ist ein Bonus. Es sind 24 Stunden und zwei Autos, das heißt, es müssen technisch gesehen 48 Stunden absolviert werden."
Webber: "Vor allem in der Formel 1 will jeder die Piloten das gesamte Rennen über am Limit sehen. So war die Formel 1 schon immer. So soll die Formel 1 auch sein. Auch als Pirelli mit den neuen Reifen kam, mussten die Fahrer andauernd auf die Reifen aufpassen - das ist so, als würdest du einem Militärjetpiloten sagen, er solle eine Lufthansa-Maschine fliegen."
"Das war es, was ich Pirelli gesagt habe, als sie in die Formel 1 kamen. Generell akzeptiere ich, wenn ein Formel-1-Pilot am Rande auf die Technik achten muss, aber dennoch muss er in erster Linie am Limit unterwegs sein. Bei den Sportwagen ist das doch ein bisschen anders. Ich verstehe die Endurance-Seite dieses Sports. Wir müssen den Wagen ins Ziel bringen, er muss 24 Stunden lang funktionieren."
Das Rad der Zeit
"Aber ich sage dir, dass es mittlerweile wie in der Formel 1 ist: Bei der Testsession in Le Mans bin ich den Wagen so schnell gefahren, wie ich nur konnte. Natürlich musst du auf den Verbrauch achten - aber alles andere ist so, dass du wirklich hart pushen musst. Für ein Langstreckenrennen also ziemlich aggressiv. Was man bei dem neuen Reglement verstehen muss: Wir befanden uns mit dieser Technologie am Fuße des Berges."
"Aber schau dir die Concorde an - sie fliegt nicht mehr. Sie war höllenlaut, ein unglaubliches Flugzeug. Vor 50 Jahren wurde sie entworfen, sie war megaschnell, ein Ereignis. Heute sind die Flugzeuge viel leiser, sie brauchen weniger Sprit und so weiter. Das ist einfach... das Rad der Zeit. Die Hersteller müssen alle das Gefühl haben, dass sie beim Benzinsparen hilfreich sein können. Es ist eine politische Frage, die sich eben auch im Rennsport auswirkt."
Streitbares DRS
Frage: "Man kann aber auch fragen: Warum muss der Rennsport der Serie gerecht werden?"
Webber: "Das ist eine berechtigte Ansicht. Wenn du dir die MotoGP ansiehst, beispielsweise. Das Rennen in Mugello war einfach genial."
Webber: "Ja, aber einige der Manöver waren nicht so schwierig durchzuführen. DRS - gut für die Leute daheim. Aber für uns Fahrer war es anders: Er hat eben das DRS, was kannst du dagegen tun?"
Frage: "Hat man nicht mit dem DRS jenen Windschatten ersetzt, der die alten Windschattenschlachten ausgemacht hat und den die neuen Autos nicht mehr vorweisen?"
Webber: "Ich habe nichts gegen das DRS, ich bin sogar ein bisschen ein Fan davon. Denn davor musste ich Rennen fahren, wo ich zwei Stunden hinter einem anderen festgehangen bin. Ich hatte solche Rennen. Ich kann also beide Argumente gut nachvollziehen. Ich bin nicht komplett gegen das DRS. Ich sage nur, dass einige der Manöver nicht so schwer waren, da ging es nicht darum, jemanden auszubremsen."
Komplexität des Motorsports
"Da geht es ein bisschen um die Mentalität: In den Siebzigerjahren waren die Autos sehr 'dragy', sie hatten einen guten Windschatten. Speziell in Monza gab es richtiggehende Windschattenschlachten. Aber es ist zurzeit wirklich schwierig im Motorsport..."
"Und dann noch die vielen politischen Aspekte: Wir haben Adrian Newey, der macht dieses, Mercedes macht etwas anderes, wir brauchen ein DRS, jetzt kommt Pirelli - das ist alles andere als leicht. Mit dem Bridgestone-Reifen hatten wir Einstoppstrategien, die Fahrer fuhren am Anschlag, jede einzelne Runde. Aber es gab wenig Manöver, und die Menschen wollen solche Rennen nicht sehen. Und dann kommt Pirelli und wir haben vier Boxenstopps - ist das gut? Es ist auf jeden Fall genauso verrückt."
"Wo ist die Balance? Was wollen wir? Was wollen wir wirklich? Nachtanken - ja? Nein? Wollen wir das? Oder: Wir wollen vier Stopps! Nein, das ist zu viel - wir wollen doch nur drei (lacht; Anm. d. Red.)! Nicht einfach, das Ganze! Ich habe kein Rezept. Die Leute haben heute auch viel weniger Zeit - früher war das gar keine Frage, am Sonntag zwei Stunden lang ein Formel-1-Rennen anzuschauen. Heute haben sie diese Geduld nicht mehr - sie wollen auch andere Dinge tun. So ist die Welt heute."
Frage: "WEC kannst du aber auch mit viel Geduld nicht im Fernsehen schauen - zumindest nicht im Free-TV..."
Webber: "Ich glaube, es wird trotzdem im Free-TV kommen. Nächstes Jahr kommt Nissan, Porsche ist zurück - die WM ist wirklich gut. Und ich denke, dass es im nächsten Jahr wieder im Free-TV sein wird."
Webber überzeugt von Ricciardo
Frage: "Daniel Ricciardo, dein Landsmann, schlägt sich als dein Nachfolger bei Red Bull beachtlich..."
Webber: "Es macht einen sehr guten Job. Ich glaube, dass er auch in die aktuellen Regeln verliebt ist und sich sehr schnell adaptieren konnte. Das Gute ist: Es gab unterschiedlichste Szenarien, und er hat sich einfach keine Fehler geleistet. Natürlich hatte Seb (Sebastian Vettel; Anm. d. Red.) keine einfache Zeit, er hatte viele Technikprobleme."
Frage: "Glaubst du, dass Daniel Sebastian auch über ein Jahr oder über Jahre hinweg konsequent herausfordern kann?"
Webber: "Hm... ja. Wir müssen sehen, wohin sich das Reglement bewegt. Für Seb ist es derzeit schwieriger, denn aktuell scheint es so, dass die Mercedes die absoluten Favoriten sind. Doch sobald Seb merkt, dass wieder Siege möglich sind, wird er zurückschlagen. Er ist sehr motiviert und arbeitet höchst professionell."
Frage: "Du meinst, dass Sebastian einfach ein Siegerauto benötigt, um seinen hohen Standard an Motivation zu erreichen?"
Webber: "Ganz genau - schau dir nur Fernando Alonso an."
Frage: "Doch Alonso scheint immer zu kämpfen, auch um den vorletzten Platz..."
Webber: "Ja, aber ich denke, dass sogar Fernando manchmal noch einen Gang zulegt, wenn er eine Möglichkeit sieht, den Sieg holen zu können. Es ist immer so, wenn du mit dem Rücken zur Wand stehst. Wenn ein Sieg und solche Dinge möglich sind, bedeutet oft, dass sich jemand noch mal steigern kann."
Balsam für die Medien
"Doch wir haben in der ersten Saisonhälfte nur Siege von Mercedes gesehen. Für Daniel ist es leichter, das zu akzeptieren, während es für Seb, Fernando und andere gute Fahrer wie Kimi schwieriger ist, damit klarzukommen. Es ist okay, dass Lewis und Nico so erfolgreich sind. Aber dass ein Kimi oder ein Fernando überrundet werden, wie das in Spanien der Fall war, das ist gar nicht gut."
Webber: "Darüber möchte ich nicht sprechen. Aber das Drama bei Mercedes, das war, glaube ich, angesichts dieser Siegesserie einfach nötig - die Medien haben das gebraucht. Selbst wenn es keinen Stallkrieg oder kein Drama gegeben hätte. Die Medien haben einfach ein Drama benötigt, das ist ganz normal. Die britischen Medien machen dies, die deutschen Medien das - und plötzlich haben wir dieses Drama."
"Und selbst, wenn du keine Presseartikel liest - was auch bei Seb und mir der Fall war -, musst du so viele Fragen beantworten und weißt gar nicht, ob etwas wirklich gesagt worden ist. Aber um auf Nico und Lewis zurückzukommen: Monaco war vielleicht schwierig für die beiden, aber der Sport braucht einfach diese Dramatik. Und wenn die Presse das braucht, dann werden sie weiter Öl ins Feuer gießen. Die Medien unterliegen keinem Reglement - für die Presse ist es eine Win-win-Situation."
WEC familiärer
Frage: "Wenn du das so sagst - ist es möglich, dass der 'Krieg' zwischen dir und Seb vielleicht gar nicht so schlimm war, wie er manchmal ausgesehen hat? Einfach, weil ihr für die Medien ein kleines Drama inszeniert habt?"
Webber: "Nein, nein (lacht; Anm. d. Red.) - die Formel 1 ist nicht wie Boxen oder WWF."
Frage: "Dein berühmter Spruch am Boxenfunk 'Das war nicht schlecht für einen Nummer-2-Fahrer' war also kein Skript?"
Webber: "Nein, das war eine Message für das Team."
Webber: "Ja, man nimmt die anderen nicht so todernst, wir lachen viel zusammen. Es geht nicht darum, die Welt zu retten, wie das manchmal in der Formel 1 der Fall ist. Dort lebt man manchmal in einer Blase und glaubt, man sei der einzige Sportevent auf der Welt."
"Nicht falsch verstehen: Ich hatte Freude an meiner Formel-1-Zeit, sie war wirklich gut. Aber irgendwann erkennst du, dass es auch noch andere Dinge gibt, die man tun kann. Die WEC ist eine neue Herausforderung für mich. Mit einem wirklich schnellen Rennauto gegen wirklich gute Fahrer anzutreten, daran habe ich viel Freude."