Dennis über Senna: "Solange er auf diesem Planeten weilte..."
Ron Dennis im Interview über die Legende Ayrton Senna: Langwierige Vertragsverhandlungen, die schönste Erinnerung und seltene Schwächen
(Motorsport-Total.com) - Die Farbkombination aus Ayrton Sennas gelbem Helm und den im Weiß/Rot von Marlboro lackierten McLaren-Boliden ist legendär. Doch nicht nur die Optik, auch die Erfolge waren in Sennas McLaren-Zeit von 1988 bis 1993 überwältigend. Mit einem in Woking konstruierten Boliden errang der Brasilianer 46 seiner 65 Pole-Positions, 35 seiner 41 Grand-Prix-Siege und jeden seiner drei WM-Titel. Insgesamt bestritt Senna 96 Grands Prix für McLaren, beendete also mehr als ein Drittel seiner Rennen für dieses Team als Sieger.
Anlässlich Sennas 20. Todestages erinnert sich dessen damaliger Teamchef Ron Dennis, der inzwischen wieder das Kommando bei McLaren übernommen hat, an langwierige Vertragsverhandlungen mit dem Brasilianer, an die Fehde mit Teamkollege Alain Prost, an die Späße mit Prosts Nachfolger Gerhard Berger und an seltene Schwächen Sennas.
Frage: "Ron, wie kam die Einigung mit Ayrton bezüglich eines McLaren-Vertrags zustande?"
Ron Dennis: "Ayrton hatte seine Fühler ausgestreckt. Er sah, dass das Team wettbewerbsfähig war und ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er für das Team fahren wolle. Für uns war die Sache auch klar. Er fuhr gerade seine dritte Saison für Lotus. Der Honda-Motor wurde attraktiver. Sie (Honda; Anm. d. Red.) hatten es auf Dominanz abgesehen."
"Ayrton sagte, dass er an einem Treffen mit uns interessiert wäre. Er lebte zur damaligen Zeit in einem gemieteten Haus in Esher, ganz in der Nähe von Woking. So kam es, dass fast alle Gespräche bei ihm zu Hause stattfanden. Als die Vertragsverhandlungen auf die Zielgerade gingen, stritten wir uns um das Gehalt. Es kam für ihn überhaupt nicht in Frage, dass er nicht in diesem Auto sitzen würde und auch für uns kam es überhaupt nicht in Frage, ihn nicht zu verpflichten. Beim Thema Geld konnten wir uns aber nicht einigen."
Münzwurf entscheidet über 1,5 Millionen Dollar
"Wir stritten um eine halbe Million Dollar. Da hatte ich die Idee, dass wir eine Münze werfen sollten, um die Entscheidung herbeizuführen. Weil Ayrtons Englisch zur damaligen Zeit nicht besonders gut war, redeten wir fünf Minuten lang über die Details des Münzwurfs. Ich musste sogar Zeichnungen auf ein Stück Papier kritzeln. Irgendwie mussten wir ja vorankommen. Schließlich wurde die Münze in die Luft geworfen. Kaum, dass sie gelandet war, schoss sie wie eine Rakete davon. Man konnte hören, wie sie hinter den Vorhängen herumeierte. Ich zog die Vorhänge beiseite und siehe da, ich hatte die Wette gewonnen."
Fotostrecke: Stimmen: 20. Todestag von Ayrton Senna
Sebastian Vettel: "Es ist eines dieser wenigen Ereignisse, bei denen man sich erinnert, wo man war und was man getan hat. Ich habe mit meinem Vater das Rennen im Fernsehen geschaut, aber als Kind begreift man nicht so recht, was vor sich geht. Doch allein durch die Reaktion meines Vaters habe ich gemerkt, dass es wirklich ernst war. Das war ein großer Verlust für die Formel 1. Erst später habe ich verstanden, wie groß der Verlust für den Sport war, weil ich mit Leuten gearbeitet habe, die ihn kannten und die mit ihm gearbeitet haben. Er war eine große Inspiration. Er war der Grund, warum sich mein Vater entschieden hat, die Formel 1 zu verfolgen. Es ist schade, dass er so früh verstorben und nicht mehr hier ist." Fotostrecke
"In diesem Moment war keinem von uns beiden bewusst, dass wir gerade einen Dreijahresvertrag per Münzwurf ausgehandelt hatten. Unterm Strich ging es also um 1,5 Millionen Dollar. Das wird oft als vollkommene Verachtung des Geldes hingestellt. Davon kann aber keine Rede sein. In Wahrheit war es nichts anderes als ein Mittel, um den Stillstand zu beenden."
Dennis: "Das Auto war spät fertig geworden, sehr spät. Es war so spät, dass man mir sagte 'Wir werden den letzten Imola-Test verpassen.' Da zog ich mein Jacket aus, ging die Treppe hinunter, zog mir einen weißen Mantel an und sagte: 'Dieses Auto wird in Imola fahren - komme, was wolle.' Wenige Stunden nachdem ich ein Machtwort gesprochen hatte, kamen zwei oder drei der höhergestellten Mitarbeiter zu mir und versicherten, dass die Botschaft angekommen sei."
"Wir waren wirklich sehr spät dran, doch für den letzten Testtag bekamen wir das Auto gerade noch fertig. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wer das Auto zuerst testete. Ich glaube, es war Alain. Auf seiner dritten fliegenden Runde war er 1,5 Sekunden schneller als alle anderen. Es war einer dieser surrealen Momente - fast schon wie ein Film, der in Zeitlupe abläuft. Alle schauten sich gegenseitig an und fragten sich, wie dies nur möglich sein konnte."
Pembrey 1989: McLaren-Krisensitzung im Bus
Frage: "Wie hast du Ayrtons Performance in Monaco 1988 in Erinnerung?"
Dennis: "Sein Crash in der Portier-Kurve war das Resultat eines Konzentrationsverlusts. Wir wollten ihn einbremsen, um das Auto sicher nach Hause zu bringen. Wenn man aber in einem Rennauto Gas wegnimmt, verliert man die Konzentration. Es war einfach ein Lapsus, nichts anderes. Ayrton war darüber so verärgert, dass er nicht an die Box zurückkam. Stattdessen ging er von der Unfallstelle direkt in seine Wohnung. Erst am späten Abend kam er zurück. Er war unglaublich wütend auf sich selbst."
Frage: "Was war in Imola 1989 los, als Alain Ayrton beschuldigte, eine vorher getroffene Vereinbarung gebrochen zu haben?"
Dennis: "Sie haben sich gegenseitig das Vertrauen genommen. Dafür waren sie beide verantwortlich. Schon vorher hatten sie des Öfteren Vereinbarungen untereinander getroffen. Der Unterschied war, dass diese eine an die Öffentlichkeit drang. Die Stimmung war unglaublich angespannt und von Zorn gekennzeichnet."
"Nach Imola testeten wir in Pembrey, einer Rennstrecke in Wales. Ich flog mit dem Hubschrauber dort hin und setzte mich mit den beiden in einen kleinen Bus am Streckenrand. Ich bin ganz ehrlich. Mein Strategie war, dass ich sie dazu bringen wollte, mich als den Bösen anzusehen. Ich spürte, dass sie sich gegenseitig nicht feindlich gegenüber treten würden, wenn sie mich als Feind ansehen. Es war aber eine heikle Angelegenheit, alles andere als einfach zu handhaben. Sie beide beherrschten ja die Doppelzüngigkeit perfekt und spielten diese voll aus. Sie zogen die nationale Presse auf ihre Seite, sie verbündeten sich mit Honda - lauter solche Dinge."
Prost-Nachfolger Berger bringt den Humor ins Team
Frage: "Welchen Einfluss hatte Gerhard Berger auf Ayrton, nachdem Alain das Team verlassen hatte?"
Dennis: "Gerhard brachte den Humor ins Team. Er war der Eisbrecher schlechthin. Dabei trieb er es wirklich auf die Spitze. Gerhard kannte einfach keine Grenzen. Wenn ich sage keine Grenzen, dann meine ich KEINE Grenzen. Das ging soweit, dass es regelrecht gefährlich wurde. Ich erinnere mich an einen Vorfall, als wir vor Hamilton Island tauchen waren. Wir waren recht tief, als Gerhard plötzlich zu mir herüber kam und mir die Luft abdrehte. Er dachte, das sei witzig. Während desselben Ausflugs schmissen sie (Senna und Berger; Anm. d. Red.) mich einmal ins Wasser und kamen dann auf die grandiose Idee, herumzuplantschen. Sie wollten sehen, ob sie damit Haie anlocken könnten. Das hört sich jetzt witzig an, aber zum damaligen Zeitpunkt war es alles andere als witzig..."
Frage: "Was ist deine schönste Erinnerung an Ayrton?"
Dennis: "Er überreichte mir einmal einen persönlichen Umschlag, auf dem sein Helm abgebildet war. Ich habe den Umschlag noch immer zu Hause. Er ist geöffnet. Als er ihn mir gab, waren 10.000 Dollar darin - das Ergebnis einer Wette in Mexiko. Er hatte darauf gesetzt, dass ich es nicht schaffen würde, eine Dose Chili zu verputzen. Noch bevor er die Wette zurückziehen konnte, hatte ich schon alles verschlungen."
"Ich glaube, es war das vierte Mal, dass er eine hochdotierte Wette gegen mich verlor. Ich weiß noch, wie er mir den Umschlag überreichte und sagte, dass er nie wieder mit mir wetten würde. Ich hätte ihn zum Wetten überredet und das hätte ihm nicht gutgetan. Das ist eine schöne Erinnerung, denn es war alles andere als einfach, Ayrton zum Lachen zu bringen. Ihn dazu zu bringen, Geld abzutreten, war aber noch viel schwieriger."
Der Startunfall in Suzuka 1990...
Dennis: "Ich weiß noch, wie ich mir die aufgezeichneten Daten von Brems- und Gaspedal ansah. Man musste nicht Einstein sein, um zu kapieren, was vorgefallen war. Als er an die Box zurückkam, sagte ich ihm, dass von ihm enttäuscht bin. Das verstand er. Er musste nichts mehr sagen. Es war einer der seltenen Momente, in denen er Schwäche gezeigt hatte. Ich glaube, er war nicht sonderlich stolz auf das, was passiert war."
Frage: "Ayrtons letzte McLaren-Saison war 1993. Welche Erinnerungen hast du an seine Leistungen mit dem McLaren-Ford MP4/8?"
Dennis: "Anfang des Jahres versuchte ich ihn zu überreden, von Brasilien herüber zu kommen. Ich sagte zu ihm 'Mach dir über das Gehalt keine Sorgen. Komm mal her und teste das Auto'. Er sagte 'Mit einem Ford-Motor kann man nicht gewinnen. Ich glaube nicht, dass ich Lust aufs Fahren habe'. So ging es eine ganze Weile hin und her. Schließlich kreuzte er doch irgendwann in Silverstone auf, setzte sich ins Auto und fuhr eine fliegende Runde. Als er in die Box zurückkam, wollte ich gerade den Stecker für den Boxenfunk ziehen, da riss er sich plötzlich die Gurte los und sprang aus dem Auto. Ich rätselte, was der Grund dafür sein könnte. Wir gingen gemeinsam ins Motorhome und er sagte 'Dieser Motor ist unglaublich. Man kann das Gas wegnehmen, aber er dreht einfach weiter. Mit diesem Motor können wir gewinnen.'"
Fotostrecke: Die Karriere des Ayrton Senna
Der legendäre gelbe Helm ist sein Markenzeichen: Ayrton Senna schreibt sich mit drei WM-Titeln und (zum damaligen Zeiptunkt) zahlreichen Bestmarken in die Geschichtsbücher der Formel 1 ein, bevor er am 1. Mai 1994 viel zu früh aus dem Leben gerissen wird. Wir blicken zurück auf seine einzigartige Formel-1-Karriere ... Fotostrecke
"Kein Zweifel, das war eines der besten Autos, die wir je gebaut haben. Es war überwältigend, ein sehr intelligentes Auto, das wusste, an welchen Stellen man die Gänge wechseln muss. Die Radaufhängung war so raffiniert, dass wir sie in einer einzigen Kurve achtmal verändern konnten. Ayrton war angesichts der ihm zur Verfügung stehenden Spielzeuge mehr als glücklich. Das Auto kam seinen persönlichen Stärken entgegen. Er liebte es, all die Daten aufzusaugen und das Auto zu optimieren."
1993: Sennas letzte McLaren-Saison
Frage: "Welche Erinnerungen verbindest du mit dem Grand Prix von Europa 1993 in Donington?"
Dennis: "Das war das beste Rennen, das wir als Team je hingelegt haben. Ayrton erhielt viel Lob für seine Leistung, aber das Team machte alles richtig. Wir setzten jeden Boxenstopp exakt zum richtigen Zeitpunkt an. Gleichzeitig machten es alle anderen falsch. So wurde unser Vorsprung bei jedem Boxenstopp größer, während die anderen mit jeder falschen Entscheidung weiter zurückfielen. Ich erinnere mich sehr gern an dieses Rennen. Es war einfach ein phänomenales Rennen, das großen Spaß gemacht hat."
Frage: "Welche Erinnerungen verbindest du mit Ayrtons letzten Rennen - und Siegen - für McLaren?"
Dennis: "Wir beide kamen mit dem gleichen Gefühl zum letzten Rennen (dem Grand Prix von Australien 1993 in Adelaide; Anm. d. Red.). Wir beide brauchten eine Pause vom jeweils anderen. Unser Verhältnis war äußerst kräftezehrend. Einige der Teammitglieder konnte ihre Emotionen an diesem Wochenende nicht zurückhalten. Als ich das sah, sagte ich: 'Um Himmels willen. Ich werde versuchen, ihn zum Bleiben zu überreden.'"
"Ayrton bekam wirklich Konflikte, doch er war ein loyaler Junge und sagte mir: 'Ich habe einen Vertrag unterschrieben. Ich habe mein Wort gegeben (bei Williams; Anm. d. Red.).' Doch selbst am Abend nach dem Rennen war er noch unruhig deswegen. Ich spürte, wie er dabei war, seine Loyalität aufs Spiel zu setzen. So desaströs unsere Zeit mit Peugeot auch gewesen sein mag. In dem Moment, als ich ihm erzählte, dass wir 1994 mit Peugeot-Motoren fahren würden, sagte er zu mir, dass er geblieben wäre, wenn ich diesen Vertrag zwei Monate vorher abgeschlossen hätte. Er wäre geblieben, denn er konnte sich einfach nicht vorstellen, ohne Werksmotor gewinnen zu können. Das Gespräch fand statt, als er das Team bereits verlassen hatte."
Dennis: "Ich glaube, es liegt daran: Solange er auf diesem Planeten weilte, war er so unglaublich gut. Ich sehe bestimmt nichts Positives darin, dass er einen Unfall hatte, der ihm das Leben gekostet hat. Das bedeutet aber, dass man seinen Leistungsabfall nicht sehen konnte. Es gibt viele Fahrer, die zu lange im Geschäft bleiben und damit ihren eigenen Status trüben."
"Ein weiterer Grund, weshalb Ayrton so in Erinnerung bleibt, ist meiner Meinung nach, weil er so unglaublich wettbewerbsorientiert war. Er war ein großartiger Fahrer und jemand, der gute menschliche Werte hatte. Er leistete sich in seinem Leben ein paar wenige Ausrutscher, aber grundsätzlich war er ein unglaublicher Prinzipien-Mensch. Nicht zuletzt war er ein guter Charakter."