Lotus selbstbewusst: "Haben eine elegante Lösung"
Lotus-Technikchef Nick Chester im Interview: Die besonderen Ideen im neuen E22 und das "viele Gerede" um die beiden Nasenspitzen des Autos
(Motorsport-Total.com) - Lotus war in den vergangenen zwei Jahren zweifellos eines der Topteams in der Formel 1. Unter der Führung von Technikchef James Allison baute die Mannschaft aus Enstone konkurrenzfähiges Material, mit dem Kimi Räikkönen sogar siegen konnte. Allerdings ist der Siegfahrer nun ebenso in Richtung Ferrari abgewandert wie der erfahrene Top-Ingenieur. Die technische Verantwortung im Team trägt nun Nick Chester. Der Brite gibt sich im Interview sehr zuversichtlich, dass Lotus weiterhin ein Topteam bleiben kann.
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Nick Chester ist für den E22 verantwortlich: Die neue Rakete in der Formel 1? Zoom Download
Frage: "Nick, wie würdest du den neuen E22 beschreiben?"
Nick Chester: "Ich würde sagen, es ist eine elegante Lösung auf Grundlage der 2014er-Regeln. Das neue Regelwerk stellt alle vor eine große Herausforderung. Wir mussten ein Auto entwerfen, das ganz anders ist als alle Entwürfe zuvor. Wir sind sehr glücklich mit unseren Interpretationen der Regeln und dem Auto, das letztlich dabei herausgekommen ist."
Frage: "Wie steht es um die Nase?"
Chester: "Unsere Fahrzeugnase ist wirklich interessant. Es hat reichlich Gerede darum gegeben. Wir denken, es ist eine nette Lösung und sie ist innovativ. Natürlich haben wir - wie bei allen Interpretationen von neuen Regeln - vorab mit der FIA gesprochen, um zu wissen, ob sie mit unserem Design leben kann. Es ist schön, etwas zu haben, das etwas anders ist als bei allen anderen. Wir sind glücklich mit dem Weg, den wir dabei eingeschlagen haben, nachdem wir gesehen haben, wie andere Teams ihre Autos in jenem Bereich gestaltet haben."
Frage: "Welche Schwierigkeiten sind bei der Unterbringung des neuen Antriebs aufgetreten?"
Chester: "Die neuen Antriebseinheiten beinhalten Rückgewinnungs-Systeme für Abwärme und Bremsenergie. Diese Elemente machen einen viel größeren Teil des Gesamtpakets aus als zuvor. Wir brauchen einen größeren Energiespeicher, mehr elektrische Kabelverbindungen und der Kühlbedarf ist erheblich höher als früher."
"Diese Gesamtsysteme sind viel komplizierter geworden. Ein elegantes Gesamtpaket um die Antriebseinheit und die Kühlung herum zu bauen, war wirklich eine schwierige Aufgabe. Wir sind aber sehr zufrieden mit unseren Fortschritten in jenem Bereich."
Es kommt auf die inneren Werte an
Frage: "Wie viel am E22 ist wirklich neu? Wie viel konnte man trotz der Regeländerungen vom Vorgänger übernehmen?"
Chester: "Der E22 ist komplett neu. Es gibt wenig, was man von früheren Fahrzeugen hätte übernehmen können. In gewissen Bereichen konnten wir allerdings die Philosophie bei der Herangehensweise übernehmen - bei der Aerodynamik und bei den Aufhängungen. Dort waren natürlich unsere Erkenntnisse von früheren Autos von großem Wert."
Frage: "Wo liegen die größten Unterschiede beim neuen Auto?"
Chester: "Da wäre es vielleicht einfacher, die wenigen Ähnlichkeiten aufzuzählen. Sogar der Frontflügel, der äußerlich für das ungeübte Auge vielleicht sehr ähnlich erscheinen mag, folgt einer ganz neuen Philosophie und bedingt eine neue Herangehensweise, weil die Regeln eine neue Breite vorschreiben. Das hat wiederum großen Einfluss auf den Luftfluss um das gesamte Auto, weil es natürlich einen Zusammenhang zwischen Flügel und Vorderreifen gibt, was den Luftfluss anbelangt."
"Wenn man den E21 und den E22 jeweils ohne Abdeckungen nebeneinander stellen würde, dann wären die großen Unterschiede deutlich sichtbar. Ein Beispiel: Die Kühler im E21 waren deutlich schmaler als jene im E22, weil wir beim diesjährigen Auto halt mehr Kühlung benötigen. Der Motor im E22 - ein 1,6-Liter-V6 - ist viel kleiner als der 2,4-Liter-V8, den wir zuvor verwendet haben. Die Getriebe sind wiederum größer als jene in den Vorjahren. Und natürlich sind Hybridsysteme, Speicher und die gesamte Elektronik anders. Die interne Struktur des E22 ist ganz anders als jene des E21."
"Diese Faktoren haben - zusammen mit unzähligen weiteren Dingen - dazu geführt, dass wir unwahrscheinlich viel Arbeit in die Entwicklung des E22 stecken mussten. Wir sind zuversichtlich, dass wir bei dieser Entwicklung einen guten Weg eingeschlagen haben."
Chester rechnet mit spannenden Rennen
Frage: "Wie wird sich der Rennsport in diesem Jahr darstellen?"
Chester: "Das wird 2014 sehr interessant! Wir erwarten Überraschungen. Es ist kaum vorherzusagen, wer in der Startaufstellung eines Rennens wo stehen wird. Und es wird kaum einschätzbar sein, wer am Ende eines Rennens wo landen wird. Die Herausforderung auf Grundlage der neuen Regeln ist es, dass wir mit nur noch 100 Kilogramm Benzin das Energiemanagement viel mehr im Fokus haben müssen. Das wird aufregend."
Frage: "Wie große Sorgen gibt es bezüglich der Standfestigkeit?"
Chester: "Das ist für alle Teams eine Sorge, denn alles ist so neu und ganz anders als an den Autos, die wir bisher verwendet haben. Wir haben bei den ersten Tests gesehen, dass einige Autos sofort viele Runden geschafft haben, andere aber überhaupt nicht. Jedes Team wird in den ersten Rennen noch viel lernen. Wir alle erwarten das Unerwartete!"
"Ich glaube nicht, dass alle Teams ähnlich gute Ankunftsquoten vorweisen werden wie in den Vorjahren. Die letzte Generation von Autos war weit entwickelt und die Standfestigkeit enorm. Unsere Herausforderung ist, die neuen Autos so schnell wie möglich ähnlich zuverlässig hinzubekommen - trotz all der neuen Technologie, die darin steckt. Wenn das klappt, dann wäre dies eine tolle Leistung der Formel 1."
Frage: "Darf man in diesem Jahr eine schnellere Entwicklung während der Saison erwarten?"
Chester: "Wir alle stellen uns noch weiter auf die neuen Regeln ein. Ich gehe davon aus, dass das Entwicklungstempo deutlich höher sein wird, weil wir immer mehr über die Autos lernen. Dies bedeutet, dass sich die Hackordnung immer mal wieder verändern kann, weil die Teams gewisse Potenziale zu unterschiedlichen Zeitpunkten besser ausschöpfen."
Frage: "Wenn du dir die anderen Autos anschaust: Wie zuversichtlich bist du, dass der E22 eine gute Lösung darstellt?"
Chester: "Es gibt bei anderen Teams auch einige nette Ansätze. Mercedes und Red Bull haben interessante Details an ihren Autos. Aber wenn wir uns den E22 im Vergleich zu anderen Autos anschauen, dann sind wir sehr zufrieden mit der Richtung, die wir eingeschlagen haben. Die harte Arbeit unserer Leute in Enstone hat ein elegantes Auto hervorgebracht. Es wird interessant sein, alle Autos gleichzeitig zu erleben und zu sehen, wie sich die ersten Rennen entwickeln."