Webber über Webber: Das Interview zum Abschied
In seinem Abschiedsinterview blickt Mark Webber zurück auf seine Anfänge in der Formel 1 und gibt ehrliche Einblicke in seine Gemütswelt als Rennfahrer
(Motorsport-Total.com) - 305,909 Kilometer. Diese Distanz trennt Mark Webber vom Ende seiner Formel-1-Karriere. Und so schließt sich beim Großen Preis von Brasilien ein Kreis, der für den australischen Rennfahrer elf Jahre zuvor am anderen Ende der Welt seinen Anfang genommen hatte. Seither hat Webber insgesamt 214 Grands Prix bestritten, von denen er neun gewonnen hat. An sein erstes Rennen kann er sich aber noch erinnern, als wäre es gestern gewesen, wie er in seinem großen Abschiedsinterview beweist.
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Mark Webber verabschiedet sich an diesem Sonntag in Brasilien vom Grand-Prix-Sport Zoom Download
Frage: "Mark, in deiner Debütsaison 2002 bist du erst kurz vor dem ersten Rennen als Stammpilot bestätigt worden. Formel-1-Fahrer sein oder nicht - wie eng war es damals eigentlich wirklich?"
Mark Webber: "Sehr eng. Ich habe erst drei Wochen vor Melbourne erfahren, dass es klappt. Der Winter davor war für mich also nicht gerade sehr angenehm gewesen."
"Ich hatte schon befürchtet, kein Cockpit zu haben. Das hätte bedeutet, ich hätte zurück nach Australien fahren und mich dort um einen Platz im Tourenwagen oder dergleichen umsehen müssen. Ich hatte anfangs einen Vertrag für drei Rennen. Mehr haben wir nicht hingekriegt. Nach Melbourne haben sich die Dinge aber verändert."
Webber: "Erst dann erfasst du wirklich, was du da machst. Du hast all die Ingenieure um dich herum. All die Leute, die am Auto arbeiten. Selbst bei Minardi war das so. Auf einmal ist es eine ganz große Sache."
"Bei den Sportwagen hatte ich das zu einem gewissen Grad auch schon erlebt. Da teilst du dir das Auto aber mit anderen Piloten. Die Formel 1 ist anders. Es geht nur um dich, deine Situation und darum, ein Wochenende auf die Reihe zu kriegen. Das sind so Dinge, über die du eigentlich erst nachdenkst, wenn du in der Formel 1 gelandet bist."
Platz fünf beim Formel-1-Debüt
Frage: "Dein Debütrennen war sehr ereignisreich. Du hast dich nach vorn gearbeitet und lagst kurz vor Schluss auf Platz fünf. Und dann traten technische Probleme auf. Wie sehr haben deine Nerven in den letzten Runden gelitten?"
Webber: "Ich wollte das Auto einfach nur ins Ziel tragen. Ich kann mich daran erinnern, wie Paul Stoddart (der damalige Minardi-Teamchef; Anm. d. Red.) vor dem Start gesagt hatte: 'Komm einfach nur über die Distanz und wir sind stolz auf dich.'"
"Plötzlich sagte er mir über Funk: 'Du lässt Salo unter keinen Umständen vorbei.' Er setzte mich wirklich sehr unter Druck für den fünften Platz. Das war schließlich der Unterschied zwischen einem Punkt und zwei Punkten. Damals gab es noch richtige Punkte. Nicht wie heute, wo sie einfach unters Volk gestreut werden. Das Differential war hinüber, total im Eimer. Irgendwie hielt es aber trotzdem durch."
"Dann tauchte plötzlich Salo in meinem Heck auf. Das hat mich überrascht. Ich wusste, dass er aufholte. Ich wusste auch, dass er das schnellere Auto hatte, einen Toyota. Ich sagte mir dennoch: 'Naja, das wird schon werden. Wenn er da ist, werde ich einfach alles in meiner Macht Stehende tun, um ihn hinter mir zu halten.' Ich war also ziemlich entspannt."
Webber: "Das Ergebnis hat mich überwältigt. Wie zur Hölle war das nur möglich gewesen?"
"Ich denke, ich habe bei diesem ersten Rennen sämtliche Kredite, die mir Melbourne jemals geben würde, auf einmal aufgebraucht. Denn danach habe ich es niemals mehr auf das Podest geschafft. Überall sonst auf der Welt habe ich das Treppchen besucht. Nur niemals dort. Es war unglaublich."
Steht Webber noch zu seiner Entscheidung?
Frage: "Und jetzt trittst du zurück. Für jeden Sportler auf Topniveau ist das eine schwierige Entscheidung. Fühlst du dich trotz allem noch immer wohl mit diesem Schritt?"
Webber: "Es ist für jeden Sportler und für jede Sportlerin eine schwierige Entscheidung. Es geht einfach gegen deine DNA. Hisst man damit die weiße Flagge? Vielleicht zu einem gewissen Grad. Es kommt aber eine Zeit, da weißt du einfach, dass es genug Dinge gibt, die du einfach nicht mehr länger machen willst."
"Ich habe mal jeden Tag an diesen Sport gedacht. Das tue ich nicht mehr. Jetzt ist das anders. Ich könnte weitermachen, wenn ich denn wollte. Natürlich könnte ich das tun. Ich will meine fahrerischen Fähigkeiten auf diesem Niveau aber nicht zu sehr auf die Probe stellen. Ich denke, ich fahre noch immer gut. Ich will aber nicht mehr fahren, wenn ich nicht mehr gut fahre."
Frage: "Wenn man eine solche Entscheidung frühzeitig bekanntgibt, dann erscheint sie manchmal surreal, bis es tatsächlich Realität wird. Doch am Sonntag ist es schließlich soweit. Was denkst und fühlst du nun?"
Webber: "Ja, jetzt ist es soweit. Ich glaube aber: Bis Sonntag wird es okay für mich sein. Dann wird es ein bisschen schwierig, denn dann ist es wirklich das letzte Mal. Der letzte Arbeitstag auf diesem Niveau. Das ist schon eine große Sache."
"Das fällt dann weg. Deshalb muss ich etwas anderes tun (Webber wechselt zu Porsche in die Langstrecken-WM (WEC); Anm. d. Red.). Meine Ergebnisse in der Formel 1 waren klasse. Ich hätte mir niemals träumen lassen, dass ich einmal dergleichen erreichen würde. Ich bin sehr stolz darauf. Es geht aber auch um den Weg, den man zurücklegt. Und ich hatte eine wundervolle Reise."
Noch eine letzte Renndistanz, dann...
"Ich hätte auch eine gute Zeit damit gehabt, in Queanbeyan aufzuwachsen und dort zu bleiben. Dann hätte ich ja nichts anderes gekannt. Wenn du aber mal einen Einblick in andere Lebensbereiche und Orte bekommen hast, dann merkst du, was für eine tolle Sache das ist. Und ja, es war eine richtig gute Sache! Manchmal nimmst du auch mehr mit als die eigentlichen Ergebnisse."
Frage: "Elf Jahre nach deinem ersten Grand Prix bestreitest du am Sonntag dein 215. und letztes Formel-1-Rennen. Was hast du in all dieser Zeit über das Rennfahren und auch über dich selbst gelernt?"
Webber: "Zweihundertfünfzehn Rennen... Das ist viel. Auf diesem Niveau ist es am wichtigsten, flexibel zu sein. Du musst immerzu dazulernen. So ist es auch bei Roland Garros und bei Wimbledon (berühmte Tennis-Turniere; Anm. d. Red.). Die Oberflächen der Spielplätze sind ziemlich ähnlich, aber die Techniken, die es braucht, um dort zu siegen, verändern sich ständig."
"Als Fahrer musst du dich ständig weiterentwickeln. Denn wenn du dich nicht anpasst, bist du tot. Ich versuche mittlerweile, das den jungen Fahrern mit auf den Weg zu geben. Ich habe da mit Mitch Evans einen solchen Youngster an der Hand. Du musst einfach so viele Sehnen wie möglich an deinen Bogen heften, damit du überleben kannst."
"Ich selbst? Ich habe in meiner Karriere sehr viele emotionale Phasen durchlaufen. Mit meinem Beruf war es mir natürlich super-ernst. Das hat meistens auch die Leute um mich herum mit eingeschlossen. Das musste zu dieser Zeit aber wohl auch passieren. Denn ich hatte vielleicht nicht das absolut natürliche Flair und Talent. Ich wusste aber, dass ich mich mühen und hart arbeiten würde, um gute Ergebnisse zu erzielen. Das war ein großes Zugeständnis, aber das habe ich gebraucht."
Nur aus Fehlern wird man gescheit
"Ich habe jedoch auch ein paar Jungs zerstört, die mit viel mehr Talent gesegnet waren als ich. Weil sie einfach nicht so hart gearbeitet haben. Sie hatten auch keine so tolle Karriere wie ich. Das habe ich über mich selbst gelernt. Wie wichtig es war, sich hinzusetzen und zu schuften. Das habe ich während der meisten Zeit meiner Karriere gemacht. Es beginnt bei dem Kerl im Spiegel und dort endet es auch. Du bist derjenige, der es tun muss. Niemand wird es dir anreichen."
Webber: "Natürlich hätte man gern die Erfahrung, über die man jetzt verfügt, schon zu seiner Anfangszeit gehabt. Du kannst aber keinen alten Kopf auf junge Schultern setzen. Es gibt keine Karriere, die ständig auf der Überholspur verlaufen würde. Es muss auch Kontrastpunkte und Momente geben, die dich auf die Probe stellen."
"Es muss auch falsche Entscheidungen geben, Fehler. Wir alle machen Fehler. Du lernst auch nicht viel dazu, wenn du nie herausgefordert wirst. Manche der Rennen, in denen ich am wenigsten gelernt habe, waren diejenigen, die ich gewonnen habe. Du lernst oft mehr dazu, wenn es dir nicht in den Schoß fällt. Denn dann willst du herausfinden, warum es so ist."
Frage: "Du kannst dich also damit arrangieren, dass dieser Abschnitt deiner Reise nun zu Ende geht?"
Webber: "Ja. Es ist Zeit für eine Veränderung."
Frage: "Letzte Frage: Was hat dir die Formel 1 bedeutet? In einem Satz, bitte!"
Webber: "Schwierig... Es war Präzision. Es war das Größte."