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Sebastian Vettel: Das große Weltmeister-Interview
Im großen Interview nach dem Rennen spricht Sebastian Vettel über seine bisherige Saison, über seine Gefühle und die Bedeutung des vierten WM-Titels
(Motorsport-Total.com) - Den Erfolg kann ihm keiner mehr nehmen: Sebastian Vettel ist in Indien heute zum vierten Mal Formel-1-Weltmeister geworden und steht nun auf einer Stufe mit Alain Prost. Lediglich Juan-Manuel Fangio und Michael Schumacher konnten noch mehr Titel einfahren, als der Heppenheimer. Im großen Weltmeister-Interview spricht der Red-Bull-Pilot über viele Dinge: Seine Gefühle, seine Saison, seine Kindheit und das Leben im Fahrerlager.
Frage: "Sebastian, erst einmal Glückwunsch. Bevor wir über den Titel sprechen, möchten wir noch einmal auf das Rennen blicken. Warum kamst du schon nach zwei Runden an die Box?"
Sebastian Vettel: "Ich denke, ich hätte noch eine Runde fahren können. Auf der anderen Seite wussten wir, dass es mit dem weichen Reifen unheimlich schwer wird. Das Problem, das wir hatten, war, dass der Hinterreifen einfach Blasen wirft. Sobald die Blasen, oder das was da unten brodelt, über die Oberfläche herauskommen, hat man schlagartig keinen Grip mehr auf der Hinterachse und man verliert unheimlich viel Zeit. Das wollten wir genau nicht. Deswegen war es sehr aggressiv."
"Gottseidank sind wir am Start vorne geblieben, und es war dann ehrlich gesagt der Plan, in Runde zwei oder drei reinzukommen - was brutal aggressiv ist, weil man ganz hinten wieder rauskommt. Aber es hat dann natürlich Spaß gemacht, durchs Feld zu fliegen. Ich war überrascht, als ich dann mitgeteilt bekommen hab, dass nur zwölf, dreizehn Sekunden auf Mark gefehlt haben zu dem Zeitpunkt. Ich wusste, ein Boxenstopp dauert ungefähr 22 Sekunden, also sind wir zehn Sekunden vorne."
Frage: "Wie nervös warst du vor dem Rennen?
Vettel: "Ich war vor dem Rennen ziemlich nervös, aber das bin ich immer. Die letzte Stunde von Samstag auf Sonntag schlafe ich normalerweise ziemlich schlecht, weil ich mich auf das Rennen freue. Ich habe viele Szenarien in meinem Kopf."
Frage: "Du musstest 60 Runden arbeiten heute. Was geht dir dann durch den Kopf, wenn Christian Horner sagt, du bist jetzt vierfacher Weltmeister?"
Vettel: "Absolute Leere, ehrlich gesagt. In dem Moment kann man keinen ordentlichen, vernünftigen Gedanken fassen. Das ist ein sehr, sehr schönes Gefühl, wo man sich wünscht, dass man es wieder und wieder erzeugen könnte. Aber in dem Moment ist es einfach leer. Es ist eine Routine in den 60 Runden. Man weiß genau, was man machen muss. Man hat so viele Rennen gemacht und weiß, worauf es ankommt. Man weiß, wo man den Bremspunkt setzen muss, was man im Auto machen muss, dass man aufpasst."
"Die letzten 20 Runden nachdem Mark ausgefallen ist, hatte ich mehr Luft und konnte mir das Rennen wirklich einteilen und auch ein bisschen Gas rausnehmen und mich sehr zurückhalten. Da hat man natürlich Zeit, dass der ein oder andere Gedanke querschießt, aber man lässt es nicht zu. Wenn man dann die Ziellinie überfährt, ist man dann im ersten Moment leer."
Ein Dank an alle...
Frage: "Du hast auf dem Podest Blickkontakt zu allen im Team gesucht. Wie gerne will man in dem Moment das ganze Team umarmen und sich bedanken?"
Vettel: "Ja, unheimlich gerne. Ich glaube, es ist unheimlich schwer für die Leute zu verstehen, wie viel Arbeit man wirklich reinsteckt - das ganze Team, die Ingenieure, die Mechaniker. Als Fahrer hat man es ehrlich gesagt sehr gut. Man kommt sehr spät an die Strecke und verlässt die Strecke sehr früh. Man muss sich natürlich vorbereiten, aber man hat doch sehr viel Zeit für sich. Im Gegenteil dazu: Die Mechaniker und Ingenieure haben es doch ein bisschen schwerer. Ich glaube, es ist einfach ein sehr großes Opfer, das von deren Seite gebracht wird. Man kann eigentlich nicht oft genug Danke sagen."
Frage: "Rocky (Renningenieur Guillaume Rocquelin; Anm. d. Red.) wollte dir noch den Hals umdrehen, weil du die schnellste Runde gefahren bist, obwohl du es nicht solltest."
Vettel: "Es hat ja dann leider nicht gereicht, also ging der Plan nicht auf. Natürlich habe ich da immer noch ein bisschen Luft, aber es ist schade, dass es nicht geklappt hat. Ich glaube der Kimi fuhr zum Schluss rein und musste nochmal auf die weichen Reifen. Es ist natürlich klar, dass man mit wenig Benzin einfach ein bisschen schneller fährt. Er war glaube zu dem Zeitpunkt nicht so glücklich."
Frage: "Was hat er denn zu den Burn-Outs gesagt?"
Vettel: "Er hat dann nicht mehr wirklich etwas am Funk gesagt. Er hat gesagt, ich soll an die Box kommen. Dann hab ich mir gedacht: 'Soll ich? Soll ich? Soll ich? Nee! Ich fahr auf die Start- und Zielgerade und mach ein paar Burn-Outs.' Dann hat er gemeint: 'Okay, sei vorsichtig!' Ich glaube, die Streckenposten waren sehr euphorisch, aber ich hab dann gesehen, dass viel Platz war, und habe dann meinen Spaß gehabt. Es hat sich unheimlich gut angefühlt und war unheimlich schön. Das war natürlich nicht erlaubt, aber es sei mir verziehen."
Frage: "Du hast dich auf der Start- und Zielgerade vor deinem Auto verneigt. Wie viel Dank gilt Adrian Newey und diesem fantastischen Auto?"
Vettel: "Ja, Adrian mit Sicherheit ein großer Teil - aber dem ganzen Team ehrlich gesagt. Auch Leute, die das ganze Jahr ein bisschen im Hintergrund stehen - zuhause in der Fabrik - die unheimlich hart gearbeitet haben und geschaut haben, dass immer etwas weitergeht. Ich glaube, es zeichnet uns aus, dass wir einfach nicht nachlassen. Wie so ein Terrier, der sich einmal festgebissen hat, geht es immer weiter. Es ist einfach unheimlich viel Dank, den man versucht einfach ein bisschen zurückzugeben."
Halt bei der Familie
Frage: "Deine Familie hat auch viel aufgegeben, um dich hierhin zu bringen. Wie dankbar bist du ihr?"
Vettel: "Es ist schwer in Worte zu fassen. Natürlich ist es in gewisser Weise schwer zu erklären, aber ich glaube, egal ob es aufgegangen ist oder nicht - im Nachhinein kann man sagen, es ist sich aufgegangen - war es einfach eine sehr, sehr schöne Zeit. Man ist einfach stolz, man freut sich zurückzuschauen. Ich glaube es wäre auch, wenn ich irgendwo am Studieren wäre und jetzt meinen ersten Job hätte - was mit dem Alter gar nicht so abnormal wäre - was Schönes, wo man einfach zurückschauen kann, und wo man immer viele Geschichten zu erzählen hat. Mit dem Ende ist es einfach unglaublich: Vier Titel in den letzten vier Jahren. Mein Vater war ein sehr, sehr großer Formel-1-Fan, seit ich mich erinnern kann. Namen wie Senna und Prost waren da Gang und Gäbe. Da irgendwo in einer Liga zu spielen, ist einfach sehr, sehr schwer zu begreifen - nicht nur für mich, sondern auch für meine ganze Familie."
Frage: "Hat der Papa zuhause auch eine Träne verdrückt?"
Vettel: "Ich gehe davon aus. Ich habe kurz mit ihm telefoniert und ich glaube alle sind sehr, sehr stolz."
Frage: "Du bist jüngster Vierfach-Weltmeister aller Zeiten. Ist dir zum jetzigen Zeitpunkt klar, was du verbrochen hast?"
Vettel: "Ganz ehrlich? Nein. Ich glaube, das ist unheimlich schwer einzuschätzen und die richtigen Worte zu finden. Es gibt so viele Sachen, die man eigentlich sagen und loswerden will. Ein Titel, zwei Titel, drei Titel, vier Titel - es ist ein ganz, ganz enger Kreis. Es gibt nur drei andere Männer, die das je geschafft haben. Einer davon zu sein, ist unheimlich schwer zu verstehen im ersten Moment. Im gleichen Moment weiß man aber, dass einem das keiner mehr nehmen kann. Deswegen macht es einen unheimlich glücklich. Die Leere in dem Moment fühlt sich einfach unheimlich gut an."
Frage: "Im Vergleich zum ersten Titel war es ja heute nicht wirklich überraschend, dass das geklappt hat. Ist die Gefühlswelt da eine andere?"
Vettel: "Vielleicht aus eurer Sicht oder der Sicht der Leute, die ich natürlich verstehen kann. Natürlich hatten wir einen gewissen Vorsprung, aber ich weiß es nicht. Man ist so sehr im Moment, dass man gar nicht so sehr an das große Ganze denkt. Natürlich ist das Ziel klar. Anfang der Saison setzt man sich das Ziel mit der Meisterschaft. Wenn man dann merkt, es läuft gut, man hat das Material um mitzuhalten, dann wird es konkreter."
"Aber trotzdem versucht man sich eigentlich ständig wieder auf den Boden zu ziehen und zu sagen, okay, auch wenn man das im letzten Jahr geschafft hat - und im Jahr davor und im Jahr davor - man darf sich nicht den Luxus erlauben, sich zurückzulehnen und das zu akzeptieren, auch wenn man weiß wie es geht. Jeder einzelne Schritt ist wichtig. Jede einzelne Box muss ausgefüllt werden - egal ob das mein Report ist, das Gespräch mit dem Ingenieur oder dass man am Freitag versucht alles herauszuquetschen, um an jedem einzelnen Wochenende das richtige Setup zu finden."
"Es macht einen kleinen Unterschied, und ich glaube an so kleine Sachen, die letzten Endes den Unterschied machen können. Deswegen ist es wirklich eine Leere, die einen umgibt, wenn man auf einmal realisieren soll: 'Jetzt ist alles klar, jetzt kannst du dich zurücklehnen. Es passt alles, alles ist aufgegangen.' - weil man wirklich so sehr angespannt ist und praktisch in dem Moment lebt."
Feuchtfröhlich in Indien und Heppenheim
Frage: "Wie geht die Feier jetzt weiter? Ihr habt den Flieger ja schon gebucht, oder steht jetzt eine Umbuchung an, wenn es ein paar Jägermeister zu viel werden?"
Vettel: "Schauen wir mal. Ich glaube, der Jägermeister-Red-Bull hat sich als favorisiertes Getränk in den letzten Jahren herausgestellt. Ich denke, wir werden es heute Abend erst einmal krachen lassen. Ich habe ja schon auf dem Podium ein bisschen Champagner getrunken. Im Moment bin ich guter Dinge und es kann feuchtfröhlich weitergehen."
Fotostrecke: Stimmen zu Vettels viertem Titel
Felix Baumgartner (Stratos-Rekordspringer und Red-Bull-Kollege): "Gratulation, Sebastian, wohlverdient! Du bist ein echter Champion und auch ein Leader. An all die Nörgler, die sagen, dass er das beste Auto hatte: Die Entwicklung des Autos ist halt Teil dieses Sports. Zeigt also Respekt für jemanden, der mit 18 in die Formel 1 gekommen und jetzt vierfacher Weltmeister ist. Und, übrigens: Senna ist immer noch der Größte, da stimme ich zu!" Fotostrecke
Frage: "Du konntest schon Bilder von feiernden Menschen in Heppenheim sehen."
Vettel: "Es ist natürlich was ganz Besonderes zu sehen, dass so viele Leute da wirklich so viel Euphorie haben. Ich danke vor allem dem Fanclub in Heppenheim, denn ich glaube, die standen wirklich dahinter und haben das ganze mitorganisiert. Es ist unheimlich schön zu sehen. Vielen Dank für die Unterstützung das ganze Jahr. Der ein oder andere wird sich wundern, was es doch ausmacht. Ich habe ja doch hier oder da bisschen auf den Deckel bekommen und wurde nicht immer mit Jubel empfangen, und von daher ist es umso schöner, dass so viele Leute die Daumen gedrückt haben. Es freut mich einfach zu sehen, dass so viele Leute Spaß daran haben an dem, was wir hier machen."
Frage: "Möchtest du deinen Titel jemandem widmen?"
Vettel: "Es ist immer schwer. Ich glaube, wenn es da jemanden gibt, dann ist das meine Freundin, meine Familie - aber ganz besonders meine Freundin. Es war kein einfaches Jahr mit dem ganzen Auf und Ab und den Emotionen, die zum Teil im Inneren sehr wehgetan haben. Da braucht es einfach Leute, die einem ganz nah stehen und einem Kraft und Liebe geben, dass man das alles abhakt und wieder ins Auto steigt und Spaß dabei hat."
Frage: "Auf dem Podium hast du dieses Mal auch viel Jubel erfahren."
Vettel: "Ich möchte dem Publikum meinen Dank aussprechen. Der Zuspruch heute war unglaublich. Es ist schade, dass wir im nächsten Jahr nicht hier fahren."
Keine einfache Saison
Frage: "Auch wenn noch drei Rennen ausstehen: Kann man sich schon an ein Fazit zur Saison wagen?"
Vettel: "Die Saison war phänomenal, der ganze Spirit im Team ist so stark. Ich habe am Funk schon gesagt, dass mir das so viel Power gibt. Es ist eine Freude, in das Auto zu steigen, für die Jungs rauszufahren und alles was ich habe zu geben. Das Auto war heute wieder phänomenal. Um ehrlich zu sein, war es die ganze Saison über phänomenal. Ich könnte nicht mehr verlangen. Trotzdem war es mit Sicherheit keine einfache Saison, auch wenn die Leute draußen die Idee bekommen konnten, dass wir es schon lange im Sack haben. Aber ich denke trotzdem, dass sie schwierig war - besonders für mich persönlich. Buhrufe zu kassieren, obwohl man nichts falsch gemacht hat, das zu überstehen und die richtige Antwort auf der Strecke zu geben und endlich die Anerkennung zu bekommen, die alle Rennfahrer wollen, macht mich sehr stolz."
Frage: "Auch wenn du sagst, dass du sprachlos bist: Kannst du jetzt abseits des Rennwagens noch einmal versuchen, deine Gefühle in Worte zu fassen?"
Vettel: "Ich vermisse es! Wie ich mich fühle? Ich bin überwältigt. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich denke, das ist einer der besten Tage in meinem Leben bisher. Ich versuche immer zurückzublicken, wo man mal angefangen hat. Als ich klein war, war die Formel 1 so weit weg. Gegen diese Fahrer in der Formel 1 zu fahren, war so weit weg. Es gibt so viele Leute, denen ich bei meinem Weg vom Go-Kart über die Juniorserien bis hierher danken muss. Sie haben mir so viel beigebracht, und ich habe immer versucht zuzuhören und zu lernen."
"Es ist unglaublich, dass ich gegen einige der besten Fahrer der Welt, die die Formel 1 je hatte, fahren kann. Wie gesagt: Der Teamgeist ist fantastisch und nach den Zahlen und Statistiken zu greifen, die wir in den vergangenen vier Jahren erreicht haben, ist unglaublich. Ich fühle mich nicht alt. Ich werde älter, aber ich denke nicht, dass ich schon alt bin. Das alles in so kurzer Zeit zu erreichen, ist ziemlich schwer zu begreifen. Vielleicht in zehn Jahren. Ich arbeite hart, um zu dem Level zu gelangen, auf dem ich bin, und vielleicht kann ich dann besser verstehen, was wir bisher getan haben."
Kniefall als Wertschätzung
Frage: "Wir haben etwas Ungewöhnliches am Ende gesehen: Du bist aus dem Auto gestiegen, hast dich hingekniet und das Auto geküsst .Was war das?"
Vettel: "Das war nur eine Wertschätzung für das Auto und für das Team. Das ist ziemlich besonders. Wir arbeiten das ganze Jahr so hart und versuchen, dieses Auto schneller zu machen. So einfach ist das. Die Jungs arbeiten hart. Jetzt könnte man ja sagen, dass es das fünfte Jahr mit dieser Generation Autos ist, aber man sieht immer noch, dass wir Probleme haben. Leider hatte Mark ein Problem mit seiner Lichtmaschine, ähnlich wie im letzten Jahr. Als Vorsichtsmaßnahme durfte ich die Trinkflasche im Rennen nicht mehr benutzen, wir haben KERS abgeschaltet und alles versucht, um am Ende Energie zu sparen."
"Die Autos sind am Limit gebaut, selbst wenn man denkt, dass es schon die fünfte Saison mit in gewisser Weise dem gleichen Auto ist. Das Auto hat gehalten, und für die ganze Arbeit der Mechaniker war es einfach eine Wertschätzung. Ich denke, am Ende des Tages ist es eine Teamleistung. Natürlich könnte man sagen, dass ich einen wichtigen Job habe, wenn ich das Auto fahre - keine Frage! Das ist mir bewusst. Aber ich bin nicht egoistisch. Ich nehme nicht den ganzen Ruhm auf mich."
"Es ist auf eine Art schade, dass die Leute durch die modernen Strecken die Aufregung der Geschwindigkeit nicht mehr so nah erleben, aber ich denke aus Sicherheitsgründen darf man daran nicht mehr zweifeln. Man möchte nicht wieder dorthin zurück, wo wir in der Vergangenheit waren. Ich denke, der Sport hat sich weiterentwickelt. Mit Sicherheit verliert man etwas von der Aufregung, aber ich denke für Rennfans oder Mechaniker ist es immer noch das Gleiche."
Lebensglück in Indien
Frage: "Würdest du sagen, dass dies der emotionalste Moment deiner Karriere war?"
Vettel: "In gewisser Weise haben wir es ja kommen sehen. Das letzte Jahr war ziemlich besonders. Wenn man sich das letzte Rennen in Brasilien anschaut: Wenn man versuchen würde, eine Geschichte wie diese zu schreiben, dann kann man es nicht, weil man nicht kreativ genug sein kann. Vielleicht ist in diesem Jahr der Unterschied, dass es an einem Ort wie diesem passiert ist."
"Was ich damit sagen möchte ist, dass ich mir gerne eine Auszeit nehmen würde, und durch Indien reisen würde - einfach, weil ich denke, dass einem das Land so viel beibringen könnte. Die Mehrheit der Leute ist ziemlich arm, wenn man es mit dem Lebensstandard in Europa vergleicht. Ich denke es liegt in der Natur des Menschen, dass man immer etwas sucht, worüber man sich beschweren kann."
Als Deutscher ist das vielleicht sogar in meinen Wurzeln, aber wenn man hierher kommt, dann haben die Leute einfach ein sehr schwieriges Leben - aber sie sind sehr glücklich. Natürlich bekommen wir hier nicht viel zu sehen, weil wir uns hier im Fahrerlager in einer isolierten Welt befinden. Wenn man aber ein wenig vom Umfeld sieht, dann ist es schon manchmal beängstigend die Umstände zu sehen, unter denen die Menschen leben müssen. Die Lehre aber ist, dass sie glücklich sind. "
Frage: "Wie groß war der Traum von der Formel 1 in deiner Kindheit?"
Vettel: "Wovon haben wir denn als kleine Jungs geträumt? um ehrlich zu sein: Als ich mit dem Kartfahren angefangen habe, bin ich das Freie Training gefahren, habe mich für das Resultat interessiert und geschaut, ob ich schnell bin oder nicht. Danach bin ich in den Sandkasten gegangen und habe mit Spielzeugautos gespielt oder Verstecken. Es war eine sehr schöne Zeit. Ich hatte viele Freunde auf der Kartbahn."
"Mit sieben, acht, neun, zehn oder elf geht es ja einfach nur um das Aufwachsen und darum, Hobbies zu haben. Meine Freunde in der Schule haben Fußball gespielt, und wenn ich mitgemacht habe, war ich nicht sehr gut. Ich mochte es schon damals nicht, zu verlieren. Man steckt viel Arbeit und viel Zeit da rein, aber ich muss meinen Eltern danken, weil sie mich nie unter Druck gesetzt haben."
"Ich habe verstanden, das es ernst war - wenn auch heute mehr als damals. Ich habe verstanden, dass sie viel Zeit mit mir verbracht haben und in gewisser Weise ihr Leben geopfert haben. Aber wir hatten eine gute Zeit als Familie. Natürlich hatte ich als Kind den Traum, in die Formel 1 zu kommen, aber es wäre falsch zu sagen, dass es ein Ziel war. Später mit 15/16 ja."
Zuhause im Fahrerlager
Vettel: "Ich verbringe viel Zeit an der Strecke, schaue mir Dinge an, schreibe Berichte und gebe Feedback - aber um ehrlich zu sein, hatte ich gestern mein Abendessen an der Strecke. Häufig beschweren sich die Leute über das Fahrerlager und die Leute da, aber ich bin nicht so. Ich genieße es, da zu sein und meine Zeit mit Leuten zu verbringen, die ich kenne. Ich hatte gestern eine interessante Diskussion mit einem Journalisten. Ich mag das Fahrerlager, für mich ist es nicht wie ein Gefängnis."
"Manche Leute sagen, wenn man den Eingang durchschreitet, dann ist es wie in einem Zirkus, aber ich denke, dass es darauf ankommt, was man aus diesem Zirkus macht. Wenn man schon mit einer negativen Stimmung ankommt, dann wird man sicherlich auch keine schöne Zeit haben. Heute Morgen habe ich auf das Auto geschaut, und es ist ein wirklich kleines Stück. Es ist nicht sehr groß. Ein Truck ist größer - auch jeder, denn man für den Straßenverkehr kaufen kann, aber man muss nur mal an die Geschwindigkeit denken, die dieses Gefährt mit dir am Steuer zurücklegen kann. Das ist erstaunlich. Ich weiß das zu schätzen. Ob man jetzt Erster, Zweiter, 15. oder Letzter wird, spielt keine Rolle. Ich denke, dass es etwas Einzigartiges ist, das wir erleben und genießen dürfen. Ich weiß das zu schätzen, und hoffentlich ändert sich dieses Gefühl nie."
Wie im Stadion: Verständnis für Buhrufer
Frage: "Was denkst du über die Buhrufe der Ferrari-Fans?"
Vettel: "Um ehrlich zu sein, mache ich den Ferrari-Fans keinen Vorwurf. Ich habe nur versucht, ein Beispiel zu geben, aber unglücklicherweise dreht sich die Welt heutzutage so schnell, dass die Leute nicht immer genau darauf achten, was ich sage oder was ich versuche zu sagen. Ich mache den Leuten, die buh rufen, keine Vorwürfe."
"Wenn ich beispielsweise ins Fußballstadion gehe, feure ich das Heimteam an. Im ersten Moment begrüßt man es vielleicht nicht, wenn das Auswärtsteam ein Tor schießt, und man sieht es nicht ein, dass der Torschütze ein genialer Spieler ist und dann buht man vielleicht, weil andere Leute buhen. In der Hinsicht weiß ich vielleicht, wie ich es einzuordnen habe. Natürlich fühlt es sich nicht toll an, aber wenn man eine Liebe für beispielsweise Ferrari oder McLaren hat..."
"Mir hat sogar ein Typ nach Singapur einen Brief geschrieben. Er hat sich entschuldigt, weil er in der Menge war und gebuht hat. Er hat sich entschuldigt, weil es falsch war. Ich denke, wenn Leute darüber nachdenken, dann verstehen sie es, aber im Eifer des Gefechts kann man niemandem einen Vorwurf machen. Irgendjemand fängt an, dann steigen andere Leute ein und andere wiederum nicht. Wir sind Fans des Sportes, und wenn Leute eine Leidenschaft für Ferrari haben - die sie vielleicht aus guten Grund haben, sie sind schon lange dabei - dann mögen sie es nicht, wenn jemand anderes gewinnt. Das ist nicht unbedingt mein Fehler. Ich denke, ich bin reif genug, um das zu verstehen."
Frage: "Du bist nun in einer Liga mit Schumacher, Prost und Fangio. Was sagst du dazu?"
Vettel: "Das ist schwierig zu verstehen. Ich habe die Formel 1 im Fernsehen angeschaut, als Fernando angefangen hat, Rennen zu gewinnen - und nun fahre ich gegen ihn. Er war der härteste Rivale in den vergangenen Jahren. Ich denke, er ist mit Sicherheit extrem talentiert. Er ist Spanier und sehr leidenschaftlich. Jetzt fahre ich gegen Leute wie ihn, gegen Leute wie Lewis, der ein beeindruckendes natürliches Talent hat, gegen Leute wie Mark, den ich ähnlich einschätze, gegen Leute wie Nico, den ich für unterschätzt halte. Es gibt noch viele andere: Kimi, Jenson."
"Vier Titel zu gewinnen, ist einfach, wie soll ich sagen, eine große Nummer. Vier. Titel. Fangio hat fünf Titel eingefahren und jeder hat ihn als besten Piloten der Welt eingeschätzt. Michael kam viele Jahre später. Das waren andere Zeiten und eine andere Ära des Sports. Versteht mich nicht falsch: Ich rede nur als Fan. Er hatte ein sehr dominantes Auto, aber das hat er sich bei Ferrari erarbeitet. Er hat sehr hart geschuftet. Vielleicht härter als jeder andere. Viele Herausforderungen kamen und gingen: Montoya, David, Kimi, Fernando. Es ist unglaublich, dass überhaupt jemand noch mehr WM-Titel einfahren konnte."
"Leider ist Fangio schon verstorben, aber wenn man mit den wahren Legenden des Sportes spricht, wie Stirling Moss, dann haben sie die Eier zu sagen: 'Scheiße, der Typ war besser als ich, er hat verdient gewonnen.' Und Moss ist drei oder vier Mal Zweiter geworden. Leuten wie Michael, Fangio, Prost beizutreten, ist schwierig in die richtige Perspektive zu bringen. Ich bin viel zu jung, um zu verstehen, was das bedeutet. Vielleicht bin ich irgendwann 60 und werde es dann verstehen - aber dann interessiert es keinen mehr. Mich schon. Es ist schwierig etwas zu realisieren, was einem keiner mehr nehmen kann."
Verständnis-Probleme à la India
Frage: "Du sagtest, du würdest gerne Indien entdecken. Da es im nächsten Jahr kein Rennen gibt: Würdest du gerne in der Winterpause reisen? Hättest du die Zeit dafür?"
Vettel: "Um ehrlich zu sein gibt es keine Zeit in der Winterpause. Ich habe einen straffen Zeitplan. Wenn man darauf schaut, dann ist der Dezember ziemlich voll, bevor ich ein paar Tage für mich habe um Weihnachten rum. Im Januar geht es dann schon früh los. Auf uns wartet ein großes, großes, großes Projekt. Ich denke, Teams wie Mercedes oder Ferrari verbringen viel Zeit damit, sich neue Ideen auszudenken. Es ist ein neues Auto, es ist ein neuer Motor, daher wird das eine unglaublich große Herausforderung."
"Wir fangen schon im Januar mit den Wintertests an. Der diesjährige Winter wird kürzer als viele zuvor. Dann hat man im Moment 22 Rennen im Kalender, da bekommt man keine zwei, drei, vier, fünf Wochen für Urlaub oder eine Pause. Indien ist groß, hier leben viele Leute, und man braucht mehr als eine oder zwei Wochen, um einen Geschmack vom Land zu bekommen. Es ist schade, aber da es gute Aussichten gibt, dass ich irgendwann zurücktrete und noch jung sein werde, freue ich mich darauf."
Frage: "Du sagtest außerdem, Indien sei ein spezieller Ort für den Gewinn des Titels. Ziehst du in Betracht, dein 2014er Auto mit einem indischen Touch zu benennen?"
Vettel: "Versteh mich nicht falsch, aber wir hatten gestern ein paar Gäste vom Team und ich habe ein paar Autogramme geschrieben. Ich habe nach ihren Namen gefragt und es bereut, weil ich wie ein Idiot aussah. Sie haben ihre Namen buchstabiert und ich habe immer gefragt: 'Okay, könntest du das nochmal sagen?' Ein Typ hatte ein paar Ts in seinem Namen, hat ihn buchstabiert und 'D wie Tomate' gesagt. Also habe ich ein D hingeschrieben und sah dann ziemlich doof aus, weil er eigentlich T meinte."
"Versteht mich nicht falsch, aber man sieht eben wie ein Trottel aus, wenn er seinen Namen buchstabiert und man etwas Falsches hinschreibt. Natürlich ist mein Englisch auch nicht perfekt, aber ich hatte Probleme, ihn zu verstehen. Ich mag die Leute hier wirklich, sie sind sehr freundlich. Er hat es nicht persönlich genommen, also haben wir einfach eine andere Karte genommen - mit der richtigen Schreibweise."