Vettel: "Das war heute etwas ganz Feines"
Sebastian Vettel schwärmt vom tollen Fahrgefühl, dass er im Grand Prix von Belgien genossen hat, will vo einem möglichen vierten Titel in Folge aber nichts wissen
(Motorsport-Total.com) - Mit seinem überzeugenden Sieg beim Grand Prix von Belgien in Spa-Francorchamps hat sich Sebastian Vettel in der Gesamtwertung weiter von seinen Verfolgern abgesetzt. Der dreifache und amtierende Weltmeister steuert scheinbar unbeirrt in Richtung seines vierten WM-Titels en suite.
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Sebastian Vettel siegte zum zweiten Mal in Spa, zum fünften Mal in der Saison 2013 Zoom Download
Im Anschluss an seinen fünften Saisonsieg spricht Vettel über sein Überholmanöver gegen Lewis Hamilton in Runde eins, darüber, welchen Spaß ihm die Siegesfahrt auf der Ardennen-Achterbahn bereitet hat, über die Auswirkungen seines zweiten Spa-Sieges auf die Situation in der Weltmeisterschaft, über seine Erwartungen für den Grand Prix von Italien in Monza und über seinen neuen Teamkollegen.
Frage: "Sebastian, du hast jetzt 31 Grand-Prix-Siege auf dem Konto. Auf den Fahrer, der heute hinter dir auf Platz zwei ins Ziel kam (Fernando Alonso; Anm. d. Red.) fehlt dir jetzt nur noch ein Sieg. Von außen betrachtet sah es ziemlich einfach aus. Wie lief das Rennen aus deiner Sicht?"
Sebastian Vettel: "Es war ein fantastisches Rennen, vom Start bis ins Ziel. Wir hatten eine gute Strategie. Der Windschatten von Lewis in der Eau Rouge war natürlich eine große Hilfe. Als ich an ihm vorbei war, hatten wir ein unglaubliches Tempo. So konnten wir das Rennen kontrollieren. Sorgen hatten wir nur, dass gegen Rennende vielleicht Regen einsetzen könnte. Dieser Kelch ging aber an uns vorüber. Vielen Dank an das gesamte Team, alle haben hart gearbeitet. Das Ergebnis könnte nicht besser sein."
Frage: "Dass du gegen Rennende gerne noch die Schnellste Rennrunde fährst, ist bekannt. Heute hast du einen anderen Meilenstein in deiner Karriere erreicht: Du hast jetzt mehr als 2.000 Führungsrunden auf dem Konto. War dir das bewusst?"
Vettel: "Nein, danke für den Hinweis. Das ist unglaublich. Wir sind ein bisschen verwirrt, weil die Zuschauer buhen, jubeln und wieder buhen. Keine Ahnung, warum." (Von der Greenpeace-Protestaktion haben die Fahrer nichts mitbekommen; Anm. d. Red.)
Frage: "Wenn wir richtig gerechnet haben, dann ist dein Punktevorsprung jetzt so groß wie noch nie. Für die zweite Saisonhälfte musst du doch eine Menge Zuversicht haben, oder?"
Vettel: "Ein Sieg ist natürlich immer eine Hilfe. Wir haben das Rennen heute wirklich kontrolliert. Das Auto war wesentlich besser als wir im Vorfeld erwartet hatten. Ich hatte immer Reserven und habe das Rennen sehr genossen. Auch für die Jungs an der Boxenmauer war es heute sicher nicht so stressig wie das eine oder andere Mal in der Vergangenheit. Glücklicherweise gab es keinen Regen. Riskante Strategie-Entscheidungen am Funk blieben daher aus. Es war ein sehr guter Nachmittag. Jetzt freuen wir uns auf Monza. Dort werden wir vielleicht nicht gar so stark sein. Doch schauen wir einmal."
Frühes Manöver gegen Hamilton entscheidend
Frage: "Der entscheidende Moment im Rennen war die erste Runde. Erzähle noch einmal davon und vom weiteren Verlauf des Rennens."
Vettel: "Ich habe zunächst am Start versucht, Boden gut zu machen. Als ich dann gemerkt habe, dass es nicht möglich ist, vorbeizugehen, habe ich versucht, mir die lange Gerade aufzuteilen. Ich habe versucht, am Anfang nicht so nahe heranzufahren. Ich wollte ein bisschen Luft lassen, sodass ich dann den Windschatten durch Eau Rouge nutzen kann. Ich habe auch versucht, ein bisschen KERS zu sparen und konnte dann aus dem Windschatten heraus wie ein Pfeil an ihm vorbeischießen. Ich hätte nicht gedacht, dass es so deutlich ist, aber in der Hinsicht ging die Taktik dann voll auf."
"Anschließend habe ich einfach versucht, einen guten Rhythmus zu finden. Ich wollte eine kleine Lücke herausfahren, um beim ersten Boxenstopp flexibel zu sein. Unser Renntempo war heute bis zum Rennende unglaublich. Das hatten wir so nicht erwartet. Wir wussten, dass wir Trockenen die Mercedes wohl schlagen könnten. Wir wussten aber auch, dass andere Autos wie Lotus und Ferrari im Trockenen einen sehr starken Eindruck hinterlassen hatten."
Frage: "Als du Lewis Hamilton in der ersten Runde angegriffen hast: Hattest du da noch KERS übrig?"
Vettel: "Ich hatte noch etwas übrig."
Frage: "War das Manöver gegen Lewis Hamilton in Runde eins entscheidend für den Sieg?"
Vettel: "Tja, wenn ich hinter ihm geblieben wäre, wäre ich ja Zweiter gewesen. Es war absolut entscheidend. Ich konnte dann direkt ein bisschen Boden gutmachen. Gott sei Dank konnten wir den Vorsprung immer weiter ausbauen und es kam dann keiner mehr nach."
Frage: "Es gab schon früh im Rennen einen Funkspruch, der sinngemäß hieß: 'Bitte auf die Reifen aufpassen. Mehr Vorsprung brauchst du nicht.' Hast du da einfach gedacht: 'Egal, ich will jetzt so viel Vorsprung haben wie möglich, weil ich nicht weiß, ob der Regen kommt?'"
Vettel: "Nein. Wir haben schon noch miteinander geredet und versucht, Gas zu machen. Als es dann klar war - spätestens in der letzten Runde - haben wir dann ein bisschen Gas rausgenommen. Vorher ist man da noch in einem gewissen Rhythmus drin. Das Auto wird immer leichter und wurde ehrlich gesagt immer besser. Deswegen bin ich nicht letzte Rille gefahren, aber auch nicht gerade spazieren."
Keine Rede vom vierten Titel in Folge
Frage: "In der Gesamtwertung hast du jetzt ein Punktepolster von fast zwei Siegen auf Fernando Alonso. Wie findest du das?"
Vettel: "Das war heute natürlich ein wichtiges Zeichen, aber um ehrlich zu sein freue ich mich mehr darüber, auf dieser fantastischen Strecke gewonnen zu haben. Gerade wenn das Auto so gut funktioniert wie heute, dann möchte nicht, dass das Rennen überhaupt ein Ende nimmt. Das Auto wurde im Verlauf des Rennens immer leichter und ich fühlte mich am Schluss mit den harten Reifen sehr wohl. Wie schon gesagt: Es war die reine Freude heute, mit diesem Auto zu fahren. An die Weltmeisterschaft oder die Punkte habe ich nicht gedacht. Mir war klar: Je weiter vorne ich ins Ziel komme, desto besser. Heute ist der Idealfall eingetreten, dass ich vor allen anderen ins Ziel gekommen bin. Wir hatten auf dieser Strecke schon in der Vergangenheit tolle Rennen. So gesehen ist es schön, ein weiteres hinzugefügt zu haben. Darauf habe ich mich konzentriert. Die Situation in der Weltmeisterschaft ist ein Bonus, keine Frage."
Vettel: "Das wird sich im Nachhinein zeigen. Es war mit Sicherheit kein schlechter Schritt. Ich glaube, man muss kein Genie sein um herauszufinden, dass man mehr Punkte mitnimmt als der Rest, wenn man vor allen anderen ins Ziel kommt. Ehrlich gesagt war das aber heute während des Rennens kein Gedanke. Der Spaß hat überwiegt und es war einfach ein klasse Rennen. Da denkt man nicht an die Meisterschaft."
Frage: "Fernando Alonso ist von Startplatz neun bis auf Rang zwei nach vorn gekommen. Bist du davon überrascht?"
Vettel: "Nein, ich weiß, dass Fernando im Rennen unheimlich stark ist. Ich glaube, man hat am gesamten Wochenende gesehen, dass sie bei trockenen Bedingungen sehr stark waren. Deswegen war es keine Überraschung. Wir wussten, dass wir im Renntrimm vielleicht schneller sind als Mercedes. Wo wir Ferrari einordnen sollen, das wussten wir nicht. Wie sich herausgestellt hat, waren sie recht fix, aber Gott sei Dank nicht so fix wie wir."
Frage: "Kimi Räikkönen hat nach seinem Ausfall nun 63 Punkte Rückstand auf dich. Glaubst du, dass er damit aus dem Titelrennen draußen ist?"
Vettel: "Nein, denn es gibt bis zum Ende der Saison noch mehr als 63 Punkte zu gewinnen. Ich weiß nicht, was ihm widerfahren ist. Es tut mir leid für ihn, dass er ausgefallen ist, aber solche Dinge können vorkommen. Ich selbst hatte in Silverstone einen technischen Defekt und habe den Sieg verloren. Wir alle wissen, dass solche Dinge passieren können. Von der Entwicklung betrachtet stehen die Autos zwar eher am Ende. Es sind keine komplett neuen Autos mehr, aber das bedeutet nicht, dass wir es ruhig angehen lassen. Die Autos sind am Limit gebaut und man versucht natürlich, alles aus ihnen herauszuholen. Dinge, die am Limit gebaut sind, können auch mal kaputtgehen."
Frage: "Fühlst du dich angesichts deines Punktevorsprungs an die Situation von vor zwei Jahren erinnert und glaubst du, dass du die Saison nun entspannt zu Ende fahren kannst?"
Vettel: "Vielleicht haben die Leute ein anderes Gedächtnis... Meine Erinnerungen an 2011 sind die, dass wir eine fantastische Saison hatten. Doch in eben jener Saison haben wir auch ganze Arbeit geleistet und uns Schritt für Schritt verbessert. Wir arbeiten ganz sicher nicht auf ein bestimmtes Ziel hin, das da heißt, den Titel mit einer bestimmten Anzahl noch ausstehender Rennen zu gewinnen. Ich war damals nicht entspannt. Ich war genauso nervös wie heute. Wichtig ist, nicht zu clever zu sein und nicht zu weit vorauszudenken."
Hoffnung für Monza
Frage: "Dein Auto war heute auf viel Top-Speed abgestimmt. Für Red Bull ist das recht ungewöhnlich. War der Hintergrund dieser Maßnahme, dass du heute in der Lage sein wolltest, gut zu überholen?"
Vettel: "Naja, im Idealfall versuchen wir unser Auto so optimal wie möglich abzustimmen. Wir waren heute schneller als wir erwartet hatten. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht ganz sicher, ob es daran lag, dass wir heute so viel schneller waren als die anderen oder daran, dass die anderen heute so viel langsamer waren als wir. Wenn es ums Überholen geht ist es natürlich immer gut, ein Auto zu haben, dass auf der Geraden schnell ist. Dann ist es einfacher, sich neben ein anderes Auto zu setzen. Im Gegensatz dazu fällt das Überholen schwer, wenn die Geschwindigkeit auf der Geraden nicht passt. Wir haben auf dieser Strecke in der Vergangenheit ein paar schlechte Erfahrungen gemacht. Vielleicht war das der Grund, weshalb wir das Auto diesmal auf etwas mehr Top-Speed getrimmt haben."
Vettel: "Eine Vorhersage für Monza fällt mir schwer. Wir haben dort schmerzhafte Jahre erlebt, in den wir auf den Geraden nahezu stehengelassen wurden. Es gab aber auch Jahre, in denen unser Geschwindigkeitsnachteil nicht ganz so groß war. Das Rennen im Jahr 2011 war in dieser Hinsicht toll. Wie es in diesem Jahr aussieht, ist aber schwer zu sagen. Ich denke, wir können zuversichtlich sein. Wir hatten ein gutes Rennen in Kanada und wir hatten ein gutes Rennen hier. Beides sind Strecken, die relativ wenig Abtrieb verlangen. Ich hoffe also, dass unser Paket für sehr wenig Abtrieb in dieselbe Richtung geht."
Frage: "Ein Sieg in Spa ist immer etwas ganz Besonderes. Gibt es heute Abend in Belgien, dem Land des Bieres, ein kühles Blondes?"
Vettel: "Naja, es gibt ja hier querbeet irgendwie alles. Vielleicht eine schöne Waffel dazu und ein paar Fritten. Ich war gestern mal draußen bei den Fans. Die Stimmung war sehr gut. Die Hälfte der Leute hätte sich nicht mehr ans Steuer setzen dürfen, aber das hatten sie, glaube ich, auch nicht vor. Grund zum Feiern ist absolut da. Das Auto lief heute wie eine Rakete. Dass es so gut geht, konnten wir mit Sicherheit nicht ahnen. Auch wenn es vielleicht zum Zuschauen nicht so spannend ist, im Auto macht es unheimlich viel Spaß. Es ist unglaublich, auf einer Strecke wie dieser ein Auto zu haben, welches einfach funktioniert und welches das macht, was man will. Mit dem Ergebnis kommt dann alles zusammen."
Fahrspaß in Spa im Vordergrund
Frage: "Inwiefern warst du heute von deiner eigenen Geschwindigkeit überrascht?"
Vettel: "Naja, ich konnte schon noch verfolgen, wo ich entlang fuhr. Es war nicht so, dass es zu schnell gegangen wäre. Das Auto hat einfach fantastisch funktioniert und wir konnten es während den Boxenstopps immer noch ein bisschen verfeinern, verbessern. Hinten raus haben wir immer noch weiter Gas gemacht, weil nicht ganz klar war, ob der Regen kommt. Wenn man da ein bisschen mehr Vorsprung hat, ist man doch ein bisschen flexibler, aber wie gesagt: Solche Rennen hat man nicht oft und vor allem nicht auf Strecken wie dieser. Also war das heute schon etwas ganz Feines."
Frage: "Mercedes-Pilot Nico Rosberg sagte, du wärst heute ein Wahnsinnsrennen gefahren. Inwiefern tut es im Formel-1-Zirkus gut, wenn ein Kollege so etwas von sich gibt?"
Vettel: "Sehr gut. Letzten Endes sitzen wir alle irgendwo im gleichen Boot. Mit Sicherheit schaut jeder zuerst auf sich, das ist ganz normal. Ich glaube, es ist aber auch wichtig, dass untereinander Respekt herrscht. Man muss dann einfach auch gewisse Leistungen anerkennen. Es ist nicht so, dass jedes Rennen so läuft wie man will. Manchmal kriegt man auch ordentlich einen auf den Deckel. Nicht weil dann das Auto schlechter ist, sondern weil es vielleicht andere an dem Tag gab, die es besser gemacht haben. Das muss man auch anerkennen."
Frage: "Wie viel Prozent Spaß und wie viel Prozent Arbeit war es heute für dich?"
Vettel: "Naja, letzten Endes kann man sagen, dass das mein Job ist. Ich denke aber, ich hatte heute mehr Spaß. Man genießt seine Arbeit, wenn man sie nicht als Arbeit empfindet. So war das heute."
Ricciardo "würde Sinn ergeben"
Frage: "Mark Webber gab vor dem Rennen zum Besten, dass Australien sich sehr über deinen neuen Teamkollegen freut. Was sagst du dazu, wird Daniel Ricciardo dein neuer Teamkollege?"
Vettel: "Während der vergangenen Wochen wurde bezüglich dieses Themas natürlich viel geredet. Es würde auf jeden Fall Sinn ergeben. Er gehört schon seit langer Zeit zur Red-Bull-Familie. Einge Leute könnten vielleicht argumentieren, dass er noch nicht bereit wäre für Red Bull. Andererseits: War ich bereit, als ich zu Red Bull kam? So etwas kann man vorher nicht wissen. Es ist nicht meine Entscheidung. Ich komme jedenfalls recht gut mit ihm aus und Australien hätte sicher auch nichts dagegen."
Vettel: "Das muss man ihn selbst fragen. Es ist ein bisschen schade, dass Außenstehende manchmal ein falsches Bild von bestimmten Fahrern und bestimmten Teams haben. Letzten Endes geben wir am Samstag und Sonntag alle Vollgas. Es wird immer jemanden geben, der an einem bestimmten Tag der Beste ist. Man ist aber nicht unverwundbar. Jeder gibt sein Bestes und versucht, seinen Teamkollegen zu schlagen. So gibt auch Mark alles, um mich zu schlagen und ich setzte alles daran, um ihn zu schlagen. Ich bin sehr glücklich über mein Ergebnis, aber auch darüber, ihn geschlagen zu haben. So ist das Leben."