Vettel: "Das hat nicht viel mit Rennfahren zu tun"
Sebastian Vettel muss sich in China mit Platz vier zufrieden geben - An den taktisch geprägten Rennen übt der Red-Bull-Pilot deutliche Kritik
(Motorsport-Total.com) - Sebastian Vettels Strategie wäre beim Großen Preis von China in Schanghai fast aufgegangen. Von Startplatz neun aus fuhr der Heppenheimer fast noch aufs Podium und musste sich in einer spannenden Schlussrunde Lewis Hamilton nur knapp geschlagen geben. Im Interview blickt Vettel auf das Rennen und seine Aufholjagd zurück. An den durch die Reifen sehr taktisch geprägten Rennen übt der 25-Jährige deutliche Kritik. Laut Vettel fahre man nur noch gegen sich selbst und nicht gegen die Gegner, weshalb er Fernando Alonso (Ferrari) zwei Mal kampflos passieren ließ.
Frage: Sebastian, beim Pferdesport nennt man so etwas ein 'Photofinish', ein ganz, ganz knapper Kampf um Rang drei am Ende. Jetzt stellt sich die Frage: Was wäre passiert, wenn sie die weiche Reifen eine Runde früher aufgezogen hätten?"
Sebastian Vettel: "Ja, was wäre wenn. Aber auf der anderen Seite, wenn die Reifen nicht so gut halten, wie sie es am Schluss getan haben, dann ist das auch nicht so toll."
"Wir hatten mit Sicherheit ein bisschen Luft nach hinten, aber im Nachhinein ist man immer schlauer. Wenn man die Sekunde oder die zwei oder drei Sekunden, die am Ende gefehlt haben sucht, dann eher am Anfang des Rennens, als wir ein bisschen im Verkehr festhingen. Leider funktionieren die Reifen nicht so, wenn man hinter dem Vordermann klemmt, und bauen ziemlich stark ab. Am Ende kann man nicht anfangen Fehler zu suchen."
Frage: "Platz vier, war es trotzdem die richtige Strategie?"
Vettel: "Ich denke schon. Es hat nicht viel gefehlt, ich glaube knapp drei Sekunden auf Platz zwei. De erste Platz war heute ein bisschen weit weg. Die Strategie war richtig. Wir sind vielleicht am Anfang nicht ganz so schnell in die 'Potten' gekommen, wie wir es wollten."
Starke Aufholjagd am Rennende
Frage: "Es war echt knapp am Schluss. Beschreiben Sie bitte einmal das Gefühl, wie hoch war der Adrenalinstoß? Wie war es für Sie in den letzten vier Runden mit den weichen Reifen? Das war quasi ein Mini-Qualifying.
Vettel: "Das Team hatte mir gesagt, dass die Lücke ziemlich groß ist, dass aber auch der Abstand zum Auto hinter mir recht groß ist. Als ich zum ersten Mal auf die lange Gerade fuhr, sah ich Lewis am Ende in die Haarnadelkurve einbiegen. Ich dachte, er wäre zu weit weg, aber wir waren auf den frischeren Reifen deutlich schneller."
"Natürlich versucht man auf der einen Seite heranzukommen, auf der anderen Seite will man aber, wenn man dran ist, noch ein bisschen was auf dem Reifen haben. Also sich den Reifen auf die vier oder fünf Runden aufzuteilen. Durch die Überrundeten wurde das Bild ein wenig verzerrt, sonst wäre es gegen Ende der Runde noch einmal besser geworden, aber die Mercedes sind schneller als wir auf der Geraden. Es wäre also schwer geworden, hinten heraus noch etwas zu bewegen. Viel hat nicht gefehlt. Ein paar Kurven mehr, und wir hätten vielleicht noch etwas versuchen können."
Frage: "Sie mussten heute einige Autos ziehen lassen, unter anderem auch Nico Hülkenberg. Hat Sie das überrascht?"
Vettel: "Ziehen lassen ist relativ. Wir hätten schon schneller gekonnt, aber man kommt halt nicht so nah dran, wie man gerne möchte. Gerade zum Überholen reicht es dann nicht, weil die Vorderreifen dann mehr und mehr darunter leiden, je länger man hinterher fährt."
"Es ist schwierig, da den richtigen Kompromiss zu finden. Daher habe ich versucht immer in bisschen Abstand zu wahren und flexibel zu sein, was die Strategie angeht. Sprich, wenn wir den Stopp vorziehen, dass ich nicht erst drei Sekunden zufahren muss. Ich hätte mir natürlich gewünscht, früher vorbeizufahren, das war aber zu dem Zeitpunkt nicht möglich und schwer vorherzusehen, was der Rest des Rennens bringt."
Frage: "In wiefern hat Nico Hülkenberg in Ihrer Strategie eingegriffen. Ich glaube, sie mussten wegen ihm den Stopp vorziehen?"
Vettel: "Nicht vorziehen, aber natürlich haben wir indirekt nicht so viel Vorsprung herausfahren können, wie wir wollten. Wenn man sich darüber streitet, dann haben wir heute vielleicht da das Podium verloren."
Kräfteverhältnis nicht erkennbar
Frage: "Ab wann haben Sie an diesem Wochenende gemerkt: Es wird zäher als zuletzt?"
Vettel: "Freitag war ein bisschen der Wurm drin, ab Samstag lief das Auto wieder ganz normal. Der Speed ist da. Im Qualifying hat ein bisschen was gefehlt, aber im Rennen ist es schwierig zu sagen, wer wie schnell fahren kann, weil man sich ständig die Reifen einteilt. Wenn man vom Anfang bis zum Ende ungefähr fünf Sekunden verliert - nur was die Reifen angeht - dann hat das in diesem Sinne nichts mit Können zu tun, was das Auto angeht und was der Fahrer vielleicht kann. Man muss sich das Rennen einteilen. Das ist für alle gleich, heute kamen drei besser zurecht als wir."
Vettel: "Ich glaube Kräfteverhältnis ist im Moment ein Scherz. Das hat im Moment nicht viel mit Rennfahren zu tun, wenn man das ganze Rennen praktisch nur auf die Reifen auslegt. Du kannst nicht die Pace fahren, die das Auto zulässt, weil sonst die Reifen auseinanderfallen würden. So ist es aber, und heute waren da drei besser unterwegs als wir."
Frage: "Das heißt so macht Rennfahren deutlich weniger Spaß?"
Vettel: "Es macht schon Spaß, aber es ist halt anders. Früher war es so, dass man jede Runde attackieren konnte. Jetzt fährt man ein wenig im Dunkeln, was die Zweikämpfe angeht. Mitte des Rennens lässt man die Leute ziehen. Der Fernando ist zwei Mal an mir vorbei, ich habe gar nicht versucht, mich zu wehren, denn damit hätte ich mir nur selbst ins Bein geschossen. Er war zu weit weg von uns und wir waren auf einer anderen Strategie. Dann versucht man gar nicht erst, sich groß mit den Leute zu duellieren."
Frage: "Für die Fans ist es aber schön anzusehen."
Vettel: "Das bin ich mir nicht sicher, denn es gibt viele Überholvorgänge, die ziemlich offensichtlich sind. Du fährst letztlich nur gegen dich selbst und versuchst, so schnell wie möglich ins Ziel zu kommen. Du musst auf die Reifen achten und die Abstände kontrollieren. Schauen Sie sich Jenson (Button, Anm. d. Red.) an. Er hatte sich am Anfang für zwei Stopps entscheiden und wollte daher gar nicht pushen, weil er nur darauf geachtet hat, eine bestimmte Anzahl von Runden auf den Reifen zu fahren."