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Vettel: "Wurden in Melbourne kalt geduscht"
Sebastian Vettel erklärt, wie man es besser als in Australien machen will, warum er die Reifen nicht als Spannungsfaktor sieht und was er an Räikkönen schätzt
(Motorsport-Total.com) - Der Grand Prix von Australien wurde nicht wie von vielen erwartet zur großen Soloshow von Sebastian Vettel - stattdessen litt der Weltmeister im Rennen unter großen Reifenproblemen und musste sich mit über 20 Sekunden Rückstand mit Rang drei begnügen. In der Medienrunde vor dem zweiten WM-Lauf in Malaysia erklärt er, wie er die Probleme bei Red Bull einschätzt, warum sich der Spaß mit den Pirelli-Reifen in Grenzen hält und was er an Melbourne-Sieger Kimi Räikkönen so schätzt.
© xpbimages.com
Sebastian Vettel gibt zu, dass die Reifenprobleme größer waren als erwartet Zoom Download
Frage: "Sebastian, wie ist es möglich, im Qualifying so stark zu sein und dann im Rennen solche Probleme zu bekommen? Das ist die Frage, die sich am Sonntag alle gestellt haben ..."
Sebastian Vettel: "Wir auch (lacht). Wir waren natürlich sehr glücklich, dass das Wochenende in Australien auf Anhieb gut angefangen hat. Das Qualifying mit der Pole war fantastisch, und wir haben uns für das Rennen ausgemalt, dass es in etwa so weitergeht, wurden dann aber ziemlich kalt geduscht, was die Reifen angeht."
"Wir haben etwas mehr gestrauchelt als von uns erwartet. Die Reifen haben einfach zu schnell abgebaut. Die Konsequenz ist, dass man mehr rutscht als man geradeaus fährt und dadurch Zeit verliert. Deswegen waren am Ende zwei Autos vor uns."
Frage: "Wie habt ihr darauf reagiert? Habt ihr euch zusammengesetzt und alles durchanalysiert?"
Vettel: "Natürlich setzt man sich zusammen. Das haben wir gleich nach dem Rennen gemacht. Auch danach denkt man noch darüber nach, warum nicht das erwünschte Ergebnis herausgekommen ist oder das Tempo nicht gepasst hat. Ich denke, dass es da ein paar Gründe gibt. Wir haben die Reifen nicht so gut behandelt wie andere. Jetzt werden wir ein paar Dinge ausprobieren. Man muss aber auch sagen, dass es sich hier um eine ganz andere Strecke handelt, die Bedingungen sind anders. Wir werden sehen, was wir tun können und wo wir stehen."
Vettel: "Die größte positive Überraschung war für uns, dass wir am gesamten Wochenende sehr stark waren. Auch im Rennen sind wir am Podest gewesen - damit können wir also grundsätzlich zufrieden sein. Klar, wenn man von der Pole startet, will man im Rennen nicht schlechter abschneiden. Es war aber ziemlich klar, dass wir gegen die zwei Autos vor uns nicht kämpfen können. Insgesamt war es ein starkes Wochenende, und ich hoffe, dass wir hier so weitermachen können."
Frage: "Wie frustrierend ist es, wenn an den Trainingstagen alles perfekt läuft und dann im Rennen die Bedingungen nicht passen?"
Vettel: "So ist das Leben - nicht nur in der Formel 1, sondern auch im ganz normalen Alltag."
Frage: "Weil man sich nicht auf alles vorbereiten kann?"
Vettel: "Es ist gut, dass man das nicht kann. Man versucht natürlich, sich so gut wie möglich auf alles vorzubereiten. Natürlich ist das Wetter hier ein entscheidender Faktor, eine große Unbekannte. Es regnet jeden Tag - es ist nur die Frage, wann, wie viel und wo. Manchmal sind es aber die Überraschungen, die wir bei den Rennen erleben, die für eine zusätzliche Herausforderung sorgen. Klarerweise muss man sich auch damit beschäftigen - wenn alles im Vorhinein berechenbar wäre, dann wäre es ja langweilig."
"Warum sollte man dann noch den Fernseher einschalten, um sich das Rennen anzusehen? Warum wären wir aufgeregt, wenn wir uns ins Auto setzen, um herauszufinden, was passieren wird?"
Alles dreht sich um die Reifen
Frage: "Es scheint sehr eng zu sein. Muss man jetzt noch mehr aufpassen, keine Fehler zu machen?"
Vettel: "Absolut. Es ist ein langes Jahr, und das Reglement hat sich nicht sehr verändert. Man sieht, dass die Autos noch ein bisschen näher zusammengerückt sind. Ich glaube, das Kräfteverhältnis in Australien hat uns in etwa gezeigt, wo es hingeht, aber auf der anderen Seite kann sich hier wieder vieles ändern, es könnten andere Autos nach vorne stoßen, oder man selbst ein bisschen ins Straucheln geraten. Wichtig ist, dass man einfach konstant vorne dabei ist. Der eine Ausreißer bei diesem oder jenem Rennen wird glaube ich nicht den Unterschied machen. Ich denke, dass es die Summe der Rennen über das gesamte Jahr ausmacht, ob man es schafft, das Ziel zu 100 Prozent zu erreichen."
Frage: "Wie viel habt ihr in Australien gelernt, was euch jetzt hier zu gute kommen könnte?"
Vettel: "Das werden wir morgen sehen, nach dem Training werden wir ein bisschen mehr wissen. Ich glaube, dass wir viel gelernt haben. Wir haben manche Dinge verstanden, glauben wir zumindest. Andere Dinge müssen wir noch verstehen."
Vettel: "Das wertvollste Feedback, das man erhält, ist dein Gefühl. Klarerweise merkt man, dass man sich nicht im Qualifying befindet, man hat nicht den gleichen Grip wie auf einer schnellen Runde. Der Grip wird weniger. Dann spürt man normalerweise, ob dies vorne oder hinten und in welchem Ausmaß geschieht. Man hat die Möglichkeit, die Reifen visuell zu beobachten. Bei den Vorderreifen ist das ganz einfach, weil man sie sieht. Bei den Hinterreifen gibt es die Möglichkeit, sie über den Rückspiegel im Auge zu behalten."
"Dann versucht man, darauf zu reagieren. Man probiert unterschiedliche Strategien, versucht, sich etwas zu zügeln und auf den zur Verfügung stehenden Grip zu reagieren. Dennoch versucht man weiterhin, so schnell wie möglich zu fahren. Manchmal fährt man dann auch noch weiter, wenn der Reifen Probleme macht, um den Stint etwas zu verlängern oder um später besser auszusehen. Manchmal funktioniert das, manchmal nicht. Das kann der Fahrer nicht immer steuern, denn manchmal kann man nicht viel tun, um auf den Abbau des Reifens einzuwirken."
"Speziell wenn man unter hohem Reifenverschleiß leidet, dann kann man kaum einen Unterschied machen. Klar, man kann versuchen, weniger Fehler zu machen, denn wenig Grip führt oft dazu, dass man Fehler macht - weil man nicht mehr so viel Grip hat wie in der Runde davor. Man muss sich darauf einstellen, denn wenn man das nicht tut, dann macht man Fehler. Und wenn man Fehler macht, dann ist man langsamer."
Frage: "Inwiefern hat sich das Reifen-Management dieses Jahr verändert?"
Vettel: "Gar nicht, wir haben nur mehr Verschleiß in diesem Jahr - bislang zumindest. Die Wintertests waren sehr kühl, Australien war kühler als erwartet. Wir müssen also schauen, ob sich das hier ändern wird, aber diese Strecke war immer ziemlich aggressiv, also erwarte ich bei den Reifen hier keine Wunder. Wir werden sicher unter hohem Abbau leiden. Wie gesagt - es gibt wenig, was wir Fahrer gegen dieses Problem tun können. Es gibt viele Möglichkeiten, darauf zu reagieren, aber sehr begrenzte Möglichkeiten, es zu verhindern."
Frage: "Findest du es fair, dass ihr so wenig dagegen tun könnt und dermaßen eingeschränkt seid, welche Reifen ihr verwenden könnt?"
Vettel: "Nun ja, es ist fair, denn jeder hat die gleichen Möglichkeiten, wie man mit dem Auto arbeitet, welches Setup man verwendet, wie man fährt, wie das Auto allgemein funktioniert. Das ist immer noch für alle gleich. So ist die Formel 1 nun seit einigen Jahren. Man muss in Betracht ziehen, dass wir dieser Tage viel Sprit an Bord haben, damit wir ins Ziel kommen. Das war 2009 anders, und es macht in Hinblick auf die Reifen einen großen Unterschied. Dazu kommt, dass die Reifen nicht mehr so lange halten. 2010, als wir das letzte Mal mit Bridgestone-Reifen fuhren, konnte man es sich aussuchen, wann man stoppt - es hat keinen Unterschied gemacht, was die gesamte Rennzeit anbelangt. Das ist jetzt anders. Die Reifen leiden viel mehr unter dem Abbau. Ich finde das aber nicht unfair."
Frage: "Rechnest du damit, dass ihr hier große Änderungen am Setup machen werdet, denn bei euch war das Problem größer als bei vielen anderen?"
Vettel: "Wir haben immer noch ein ziemlich gutes Ergebnis herausgeholt. Ich habe am Sonntag gesagt, dass wir im Rennen wahrscheinlich nicht schnell genug waren. Und das steht in direktem Zusammenhang mit dem Abbau der Reifen und anderen Dingen. Wir werden an diesem Wochenende versuchen, die Reifen etwas besser zu behandeln, damit wir länger fahren können."
Worauf es in Sepang ankommt
Frage: "Hat es dich überrascht, in Australien nicht zu gewinnen?"
Vettel: "Nein, denn man geht nicht mit dem Gedanken in ein Rennen, sicher zu gewinnen. Selbst wenn man auf der Pole steht, denkt man sich nicht: 'Das Rennen ist praktisch gewonnen, die Uhr muss nur noch ein bisschen ticken, und dann ist die Arbeit erledigt!" Es ist nicht so einfach. Natürlich sahen wir die Chance, zu gewinnen. Wir hatten ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass die Reifenprobleme so groß sein würden. Aber so ist es eben. Hier könnte es bereits besser laufen."
Vettel: "Heutzutage gibt es natürlich keine Möglichkeit mehr, das Setup für den Sonntag zu verändern, aber grundsätzlich schauen wir uns ein paar Dinge an. Im Vergleich zu den vergangenen Jahren hat sich nichts verändert. Wir haben das bereits in den vergangenen Jahren gemacht, auch wenn es von außen vielleicht nicht so offensichtlich war. Wir haben eine gewisses Basis-Setup, das wir meistens verwenden. Und dann versucht man, sich auf jede Strecke etwas genauer einzustellen. Melbourne ist ganz anders als hier - es handelt sich eher um einen Straßenkurs als um eine Rennstrecke. Hier gibt es mehr schnelle Kurven, und die auf den Reifen wirkenden Kräfte sind größer. Man muss sich ein bisschen anpassen."
Frage: "Du hast hier schon gewonnen. Was macht es hier so schwierig, zu gewinnen?"
Vettel: "Den Schweiß loszuwerden (lacht). Nein, es ist ein bisschen ein Balanceakt zwischen Gasgeben und Reifen schonen. Es ist ziemlich heiß, die Bedingungen sind extrem. Die Reifen werden also auch an diesem Wochenende eine große Rolle spielen. Das hier ist nie ein einfaches Rennen, außer man hat einen großen Vorteil und die Reifen bauen nicht ab. Alles in allem ist aber jedes Rennen anders, sogar von Jahr zu Jahr."
Spaßfaktor bei Pirelli-Reifen begrenzt
Frage: "Ihr habt bei den Wintertests und auch in Australien die neuen Regenreifen probiert. Dein Eindruck?"
Vettel: "Bei den Wintertests sind wir nicht so viel gefahren, aber wir waren recht konkurrenzfähig unter Qualifying-Bedingungen. Es war gut, das zu bestätigen. Heute gibt es ja kein klassisches Regen-Setup mehr, was auch daran liegt, dass man von Samstag auf Sonntag das Auto nicht mehr ändern kann. Wir waren recht zufrieden. Im Vorjahr kam es ein paar Mal vor, dass wir bei Nässe ziemliche Probleme hatten. Ob wir bei einem Regenrennen über die gesamte Distanz konkurrenzfähig wären, weiß ich nicht. Das ist schwer zu sagen, weil wir es einfach noch nicht erlebt haben. Die Versuche im Winter und in Melbourne haben aber ziemlich gut ausgesehen."
Vettel: "Ich bin natürlich nicht derjenige, der die Verträge unterschreibt, also kriege ich auch nicht das Geld. Ich finde, dass wir in den vergangenen drei Jahren spannende Rennen gehabt haben - zwei Jahre mit Pirelli-, ein Jahr mit Bridgestone-Reifen. Wir haben aber immer spannende und langweilige Rennen. Die Saison ist lang. Ich glaube nicht, dass man das auf die Reifen zurückführen kann. Klar - in den vergangenen zwei Jahren mit Pirelli hatten wir einen größeren Abbau als wir das gewohnt waren."
"Aus Fahrersicht ist das nicht so schön, wenn dich die Reifen im Stich lassen, denn man kann das Auto nicht so sehr am Limit fahren wie man es gerne würde. Im Qualifying geht sich gerade eine Runde aus, dann unterfordern wir das Auto, weil es uns die Reifen nicht anders erlauben. Das war früher natürlich ganz anders. Es ist aber für alle gleich, also macht es keinen großen Unterschied."
"Wenn man es sich aber als Fahrer aussuchen könnte, dann würde man lieber jede Runde Vollgas und 100 Prozent geben, um sich selbst und das Auto herauszufordern. Das Auto ist voll mit Sprit, die Reifen werden älter und man fährt fünf, sechs, sieben Sekunden langsamer. Das ist eine andere Formel 1."
Was Vettel an Räikkönen schätzt
Frage: "Du verstehst dich gut mit Kimi Räikkönen. Was verbindet euch?"
Vettel: "Na ja, wir sind jetzt nicht die besten Freunde, im Sinne von dass wir jede freie Minute gemeinsam verbringen. An der Rennstrecke verstehen wir uns aber ganz gut, wir sind noch nicht aneinandergeraten. Dieser Test steht noch aus, aber ich glaube, selbst dann sollten wir beide wissen, wie man damit umgeht. Ich komme ganz gut mit ihm zurecht. Er ist - wie die Österreicher sagen - ein gerader Michl. Er ist wie er ist. Ich wurde von ihm, vor allem was die Wahrheit angeht, noch nie enttäuscht."
Frage: "Wie sehr hast du dich für ihn gefreut?"
Vettel: "Zunächst war ich relativ überrascht, weil ich ihn ja auf der Strecke nie gesehen habe. Zuerst dachte ich, dass die Boxentafel nicht stimmt. Ich hab mich dann umgeschaut und auf den Bildschirmen rund um die Strecke gesehen, dass noch einer vor uns ist. Ich freue mich natürlich für ihn, aber umso mehr hätte es uns gefreut, wenn wir gewonnen hätten."
Vettel: "Als Einzelsportler trainiert man alleine. Manchmal wünscht man sich die Mannschaft, die einen vielleicht ein bisschen mitzieht, vor allem an den Tagen, wo man nicht so viel Lust hat. Aber das gehört dazu, davon kann jeder ein Lied singen. Man versucht natürlich, soweit man es in den Zeitplan hineinbringt, so viel wie möglich zu machen. Ganz alleine ist man nicht - das stimmt auch nicht ganz. Man hat ja einen Trainer oder einen Physiotherapeuten an der Seite, der einen ständig betreut und anleitet."
"Was das Fahrkönnen angeht, bekommt man leider nicht sehr viel Training. Die Anzahl ist sehr limitiert. Man hat praktisch den Freitag vor dem Rennen, den Samstag und den Sonntag. Tests sind während der Saison verboten. Viel Praxis bekommt man nicht. Man lernt aber schon relativ früh in den Juniorserien, das wenige Training, das man hat, möglichst gut zu nutzen. Die Möglichkeiten, die wir heute haben, drehen sich vor allem um die Analyse danach. Ich glaube, man spricht fast mehr über das Fahren und über jede einzelne Kurve, als man wirklich im Auto sitzt."
Frage: Bereitet man sich speziell auf Klimaverhältnisse wie hier vor?"
Vettel: "Nicht so speziell. Da man schon relativ lange in dieser Zeitzone ist - und in Australien war es vielleicht am Sonntag kühler als wir dachten, aber die Woche davor war es ziemlich heiß -, kommt man relativ schnell in diesen Rhythmus und gewöhnt sich an das Schwitzen. Natürlich wird es im Auto hier immer sehr warm, und es ist mit Sicherheit eines der anstrengendsten Rennen, aber man kann es sich nicht aussuchen."