• 27. November 2012 · 19:00 Uhr

Vettel: "Es ist immer noch unglaublich"

Sebastian Vettel verspürt nach seinem dritten WM-Titel in Folge große Erleichterung und freut sich auf eine Pause - Den Brasilien-Grand-Prix bezeichnet er als "verrückt"

(Motorsport-Total.com) - Sebastian Vettel muss sich noch ein wenig gedulden, bis er sich in die wohlverdiente Winterpause verabschieden darf. Am Dienstag stand der neun dreifache Formel-1-Weltmeister am Standort des Red-Bull-Teams in Milton Keynes Rede und Antwort zum dramatischen Saisonfinale in Sao Paulo und zur Saison 2012 insgesamt.

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Weltmeister Sebastian Vettel hat nach drei Titeln noch lange nicht genug Zoom Download

Im Interview spricht Vettel über seine Gefühle im turbulenten Grand Prix von Brasilien, über die Freude als der dritte WM-Titel im Sack war, über die Ablenkungsmanöver von Fernando Alonso im Vorfeld, über den Verdienst des gesamten Teams am Erfolg, über den Wert des Titel im Vergleich zu jenem aus der Saison 2011 und über seine Pläne für die Winterpause.

Frage: "Sebastian, welche Gefühle, welche Bilder hast du 48 Stunden später vom Tag, an dem du deinen dritten WM-Titel eingefahren hast?"

Sebastian Vettel: "Nach dem Rennen war es zunächst einmal sehr schwierig, die richtigen Worte zu finden und das Erlebte wirklich zu verarbeiten. Es hat eine Weile gedauert, aber es ist immer noch unglaublich. Gerade das Rennen am Sonntag war etwas ganz Besonderes - es ist so viel passiert und es gab so viele verrückte Situationen. Man hat viele Rennen im Jahr, wo es vielleicht ein bisschen ruhiger zugeht und eine gewisse Routine herrscht, aber am Sonntag ging es wirklich drunter und drüber."

"Wichtig war einfach, dass wir zu jeder Zeit den Überblick bewahrt haben und auch wenn beim Boxenstopp gerade keine Reifen dalagen, uns die Zeit genommen haben, die richtigen aufzutreiben. Es ist einfach unglaublich. Man realisiert nach und nach, wie viele kleine Schritte nötig waren, um wirklich das große Ziel zu erreichen. Darauf können wir meiner Meinung nach sehr stolz sein und das ist etwas, was wir immer in Erinnerung halten werden - auch wegen des verrückten Rennens in Brasilien."


Fotos: Sebastian Vettel, Großer Preis von Brasilien


Frage: "Wie war das Gefühl, als du gewusst hast, du hast es geschafft. Ist das eine Art Eruption?"

Vettel: "Die Eruption kam dann erst später. Zunächst war ich sehr ruhig. Man ist in diesem Moment einmal sehr leer. Alles ist ruhig und alles fällt von einem ab. Die ganze Zeit ist man so fokussiert auf den einzelnen Moment - man geht von Runde zu Runde. Gerade bei so einem Rennen mit diesen Bedingungen kann man es sich nicht erlauben, über etwas anderes nachzudenken. Das ganze Jahr kann man sich nie die Zeit nehmen, wirklich einmal durchzuatmen. In dem Moment zu begreifen, das jetzt die Saison vorbei ist, dass das Ziel erreicht ist - deswegen herrscht im ersten Moment eine Leere und man weiß gar nicht so richtig, wie man das jetzt einsortieren soll, weil man bis zur letzten Runden noch voll unter Strom steht."

Frage: "Du hast dir die Szene in Kurve vier der ersten Runde des Brasilien-Grand-Prix inzwischen angesehen. Wie beurteilst du den Zwischenfall mit Bruno Senna?"

Vettel: "Nun, es ist offensichtlich, wie er mein Auto getroffen hat. Ich wurde umgedreht und stand entgegen der Fahrtrichtung. Ich löste dann die Bremse, um rückwärts den Berg hinunter zu rollen und so besser auf die mir entgegenkommenden Autos reagieren zu können. Wäre ich einfach auf der Strecke stehengeblieben, dann hätten mich wohl noch mehr Autos direkt hinter der Kurve getroffen. So hatten sie mehr Zeit zu reagieren."

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Im Chaos der ersten Runde behielt "Geisterfahrer" Vettel die Übersicht Zoom Download

"Die Tatsache, dass mein Auto recht beschädigt war, machte unser Leben aber ganz sicher nicht einfacher. Als die Bedingungen zwischenzeitlich besser wurden, sah man es am deutlichsten. Ich konnte einfach nicht mithalten, da die Beschädigungen am Auspuff einen großen Leistungsverlust zur Folge hatten. Zudem lag das Auto aufgrund der Beschädigungen am Unterboden nicht besonders gut. Das war alles andere als lustig."

"Die äußeren Bedingungen spielten uns dann zwar in die Karten, doch es gab weitere Probleme und Dinge, die schiefgingen. Dennoch wusste ich, dass ich weiter kämpfen musste. Es war im Grunde eine ähnliche Situation wie in Abu Dhabi, als ich aus der Boxengasse losfahren musste. In beiden Fallen musste ich das Feld von hinten aufrollen. Ich habe meinen Jungs nur gesagt, dass wir bis zum Schluss alles geben müssen. Wenn das gewährleistet ist, dann kannst du nicht versagen. Natürlich gibt es immer unterschiedliche Auslegungen von 'versagen', aber wenn du alles in deiner Macht stehende tust, dann bedeutet meiner Ansicht nach auch ein zweiter, dritter oder zehnter Platz nicht, dass du versagt hast."

Mitleid mit Alonso hält sich in Grenzen

Frage: "Fernando Alonso war nach dem Rennen für ein paar Sekunden den Tränen nahe. Tat er dir in diesem Moment leid?"

Vettel: "Natürlich war er enttäuscht. Als Fahrer respektiere ich ihn genau deswegen und dafür, dass er nie aufgibt und einer der besten Fahrer ist, die wir in der Formel 1 haben. Unterm Strich schaust du aber natürlich auf dich selbst. Auch wir hatten schwer zu kämpfen. Ich möchte keine Vergleiche anstellen, wer von uns beiden mehr und härter gekämpft hat. Darum geht es nicht. Die Saison ist lang und umfasst viele Rennen. Unterm Strich gewinnt derjenige mit den meisten Punkten die Weltmeisterschaft. Ich bin natürlich sehr glücklich, dass wir das waren und nicht er."

Frage: "Wie kamst du mit den Ablenkungsmanövern im Vorfeld klar?"

Vettel: "Wenn es keine Spannungsmomente geben würde, dann wären wir nicht hier. Druck gibt es immer und natürlich wird dieser speziell bei den letzten Rennen einer Saison größer und größer. Abhängig davon, gegen wen du um den WM-Titel kämpfst, gibt es natürlich gewisse Gerüchte und dergleichen. Da immer hundertprozentig konzentriert zu bleiben, ist nicht einfach. Ich für meinen Teil habe aber immer versucht, die Sache Schritt für Schritt anzugehen. Das Schwierigste ist meiner Ansicht nach, zu gewinnen, nachdem du gerade gewonnen hast. Dann stehst du natürlich unter Druck. Ich möchte uns nicht über Gebühr loben. Die Tatsache, dass wir die Weltmeisterschaft jetzt dreimal in Folge gewonnen haben, zeigt meiner Meinung nach aber, dass wir gewisse Dinge richtig gemacht haben."

Dritter WM-Titel eine Teamleistung

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Den Gewinn seines dritten Titel schreibt "V3ttel" dem gesamten Team zu Zoom Download

Frage: "Jedes Teammitglied bei Red Bull erhält einen Bonus in Höhe von 10.000 Britischen Pfund, wenn der WM-Titel eingefahren wird. Kannst du die Idee hinter dieser Maßnahme erklären?"

Vettel: "Ich denke, das dürfte klar sein. Es ist nichts Ungewöhnliches, einen erfolgsbezogenen Bonus auszuzahlen. Das ist meiner Ansicht nach auch absolut richtig. Machst du deine Arbeit gut, dann bekommst du dafür eine Prämie. Gerade die Menschen in der Fabrik werden oft vergessen, dabei gehören sie genauso dazu. Zu einem Team gehören nun mal mehr Menschen als nur die Mechaniker und Ingenieure an der Strecke. Natürlich gibt es jede Menge Umstände, die außerhalb unserer Kontrolle liegen. Wenn dir jemand in Runde eins ins Auto fährt, dann können diese Jungs (die Teammitglieder; Anm. d. Red.) natürlich nichts dagegen tun. Unterm Strich arbeiten wir alle auf ein und dasselbe Ziel hin. Manchmal klappt es, manchmal nicht. Das ist es doch, was die Formel 1 oder eine Sportart generell so interessant macht."

Frage: "Die letzten zwei, drei Saisonrennen stellten dich auf eine harte Probe. Glaubst du, dass du in diesem Jahr fahrerisch eine bessere Leistung gebracht hast als im vergangenen Jahr, zumal du anders als 2011 nicht im gesamten Saisonverlauf das beste Auto hattest?"

Vettel: "Ich habe es schon mehrfach gesagt: Es kümmert mich nicht, dass die Leute aufs vergangene Jahr zurückblicken und sagen, dass es uns damals leicht gefallen wäre. Ich für mich weiß, dass es nicht einfach war - auch wenn die reinen Ergebnisse vielleicht etwas anderes vermuten lassen. Es war nicht so, dass wir schon in der Erwartung eines Sieges an die Strecke gekommen wären. Wir mussten für unseren Erfolg im vergangenen Jahr hart arbeiten. In diesem Jahr ging es im gesamten Feld viel enger zu. Wenn du es nicht hundertprozentig hinbekommen hast, warst du schnell nur noch Fünfter oder Achter anstatt Zweiter, Dritter oder Vierter. Gerade in diesem Jahr kam es unterm Strich auf jeden einzelnen Punkt an. Speziell die Rennen, die wir nicht gewinnen konnten, waren wichtig. Insgesamt betrachtet hatten wir ein sehr wettbewerbsfähiges Auto. Wir haben damit schließlich die Konstrukteurs-Weltmeisterschaft gewonnen. Mark (Teamkollege Webber; Anm. d. Red.) und ich holten zusammen mehr Punkte als jedes andere Team."

"Aus fahrerischer Sicht war es für mich in diesem Jahr natürlich schon aufregender, denn wenn du von hinten kommst, musst du zwangsläufig überholen. Im vergangenen Jahr fuhren wir oft von ganz vorn los. Im Endeffekt ist es aber kein Unterschied, ob du ein Rennen von vorn gewinnst oder ob du auf dem Weg zum Sieg durchs Feld fahren musst. In beiden Fällen gibst du dein Bestes. Die Leute rechnen es einem aber höher an, wenn man mehrere Autos überholt als wenn man einen Vorsprung von 8,75 Sekunden herausfährt. Die Leute verstehen einfach nicht, was nötig ist, um einen solchen Vorsprung herauszufahren. Wichtig ist unterm Strich, dass du es dir selbst immer wieder beweist und weniger, dass du es den Leuten da draußen recht machst."

Vorfreude auf die große Party

Frage: "Hast du jetzt überhaupt noch Kraft zum Feiern?"

Vettel: "Die Frage ist, wie man feiert und wie viel Energie man dafür braucht. Der rechte Arm, der geht immer hoch, das ist kein Problem, zur Not hat man den linken ja auch noch. Mit dem Tanzen halte ich mich eh ein bisschen zurück. Klar, man genießt das und es gehört dazu. Dafür muss man noch einmal die letzten Kräfte zusammenkratzen und versuchen, auch das zu genießen. Wenn man das nicht machen würde, dann würde man sich letzten Endes fragen, wozu man das Ganze eigentlich macht, wenn man nicht nachher einfach dastehen kann, zufrieden sein kann und sagt: Jetzt wird gefeiert. Darauf freue ich mich jetzt sehr, aber ich freue mich auch, wenn es ruhiger wird - gerade um die Weihnachtszeit, wenn man dann Zeit hat für sich selbst."

Frage: "Jetzt kommt dann der wunderbare Moment, wenn der Pokal, der ohnehin in deiner Küche steht, angepasst werden muss..."

Vettel: "Nicht mehr, den Pokal musste ich im Oktober abgeben, da wurde er dann aufbereitet. Man wünscht sich dann natürlich, dass man ihn wiederbekommt. Es war kein einfacher Abschied, aber jetzt weiß ich ja, dass ich ihn wieder bekomme. Ich glaube, der Küchentisch freut sich auch, denn da hat er die letzten Jahre gestanden und immer Glück gebracht. Dort wird er auch jetzt stehen."

Frage: "Jetzt steht dann Vettel - Vettel - Vettel auf dem Pokal. Drehst du ihn so, dass das immer lesbar ist?"

Vettel: "Da müssen wir uns in Zukunft noch ein bisschen anstrengen, damit ich mir keine Gedanken mehr machen muss, wie ich ihn drehe, um den Namen lesen zu können. Nein, es ist etwas unheimlich Besonderes, den Pokal entgegenzunehmen und jedes Mal zu schauen, welche Namen draufstehen. Dass man dann am Ende drei Mal selber draufsteht, kann man nicht beschreiben."

Frage: "Du bist jetzt 25, hast drei Titel. Jetzt hast du schon so viel erreicht. Gehst du jetzt an das nächste Jahr noch relaxter heran oder hast du immer noch den gleichen Killerinstinkt?"

Vettel: "Nein, ich habe es schon am Sonntag nach dem Rennen gesagt: Ich weiß zwar, dass ich vielleicht eine besondere Position im Team habe, aber ich fühle mich als einer, der ein Teil des Ganzen ist - als Teammitglied so wie jeder andere auch. Ich habe zumindest noch nie Probleme gehabt, mich zu motivieren, weil es am Ende die einzelnen Rennen sind, an die man sich zurückerinnert. Klar, jetzt hier zu stehen und den Erfolg genießen zu dürfen, ist etwas ganz Besonderes, aber es ist der Weg, den man für immer in Erinnerung haben wird und was einen freut, wenn man zurückblickt."

"Das richtige Ende zum Schluss rundet das Ganze ab, aber die einzelnen Schritte haben so viel Spaß gemacht, die Herausforderungen zu jeder Zeit - vor dem ersten Rennen nervös und angespannt in der Startaufstellung zu stehen, beim letzten Rennen nicht gerade die beste Ausgangsposition zu haben. Dieses Kribbeln macht es aus und wenn man sich das jetzt vorstellen würde, dass das auf einmal nicht mehr da wäre... ich glaube, da würde einem etwas fehlen. Ein Großteil meines Lebens würde mir abgehen. Deswegen bin ich zwar jetzt froh, dass ein bisschen Pause ist, aber irgendwann freut man sich dann auch wieder, dass es weitergeht. Da es von Null wieder anfängt, weiß man auch, dass jeder die gleiche Chance hat und man sich erneut beweisen muss, aber auch will."

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