Horner: "2012 war unsere bisher größte Herausforderung"
Red-Bull-Teamchef Christian Horner bezeichnet den Gewinn der beiden WM-Titel 2012 als die größte Leistung des Teams und lobt Sebastian Vettel in den höchsten Tönen
(Motorsport-Total.com) - Wie schon in den Jahren 2010 und 2011 zogen Red Bull und Sebastian Vettel auch in der abgelaufenen Saison 2012 die WM-Trophäe für den Konstrukteurs- und den Fahrerweltmeister an Land. Im Vergleich zu den beiden Vorjahren musste man sich diesmal allerdings an die Spitze kämpfen, nachdem die Favoritenrolle im Sommer auf Seiten von Ferrari und Fernando Alonso zu finden war.
Im Interview spricht Red-Bull-Teamchef Christian Horner über den Moment als Sebastian Vettel beim Saisonfinale in Brasilien in Runde eins entgegen der Fahrtrichtung mitten auf der Strecke stand, über den dramatischen Verlauf des Rennens bis zur Karierten Flagge, über die Leistung des gesamten Teams auf und neben der Strecke in diesem Jahr und über die seiner Ansicht nach stärkste fahrerische Leistung von Vettel.
Frage: "Christian, du hast den Grand Prix von Brasilien als das stressigste Rennen deiner Laufbahn bezeichnet. Was genau ging dir während des Rennens durch den Kopf?"
Christian Horner: "Als wir sahen wie das Auto entgegen der Fahrtrichtung stand, haben wir wohl nur daran gedacht, zu fluchen. Unsere Autos sind nicht gerade für ihre strukturelle Stärke bekannt, doch Seb hat den Einschlag kurz nach dem Start überstanden und sofort über Funk durchgegeben, dass sein Auto beschädigt sei. Wir schafften es, Adrian (Chefdesigner Newey; Anm. d. Red.) noch während des Rennens ein paar Fotos an die Hand zu geben, sodass er sich selbst ein Bild von den Beschädigungen machen konnte. Er war der Ansicht, dass kein Risiko bestand, wenn wir das Rennen fortsetzen würden. Derweil war Sebastian einer der Schnellsten im gesamten Feld und holte schnell auf. Speziell im ersten Teil des Rennens als es feucht war und wirklich auf den Fahrer ankam, zeigte er eine bemerkenswerte Leistung. Er rollte das Feld von hinten auf und fuhr sich wieder bis in die Top 6 nach vorn."
"Dann wurde der Regen stärker und wir mussten auf Intermediates wechseln. Anschließend hörte der Regen wieder auf und wir mussten zurück auf Slicks wechseln. Dann fiel der Funk aus. Zudem verschlissen die Hinterreifen aufgrund der Beschädigungen am Auto schneller als üblich. Zu diesem Zeitpunkt befanden wir uns in einer Situation, in der wir einen Boxenstopp einlegen mussten, doch für Intermediates war es noch nicht nass genug. Es war eine fürchterliche Situation, doch wir hielten an unserem Plan fest und zogen Slicks auf. In diesem Moment war das die richtige Entscheidung."
"Nur eineinhalb Runden später meldete er sich über Funk und sagte so etwas wie 'es ist verdammt rutschig hier draußen'. Das konnten wir aber nicht verstehen. Er kam also wieder an die Box, doch die Crew war noch nicht bereit. Er ging als Elfter wieder auf die Strecke und wir dachten schon, dass es das wohl gewesen wäre, denn gleichzeitig wurde Fernando durch das Manöver von Hülkenberg gegen Lewis Hamilton der dritte Platz geschenkt. Wenig später erhielt er von seinem Teamkollegen ein weiteres Geschenk und war Zweiter. Uns war klar, dass Sebastian mehr als Platz elf erreichen musste, um seinen Titel zu verteidigen. Er kämpfte sich wieder bis auf Platz sieben nach vorn und Michael (Schumacher; Anm. d. Red.) überließ ihm gnädig Platz sechs. Das reichte, um seinen dritten WM-Titel unter Dach und Fach zu bringen. Ein war ein unglaublich anstrengendes Rennen, in dem wir bis zum Fallen der Karierten Flagge gar keine Zeit hatten, über andere Entscheidungsketten nachzudenken."
Frage: "Wurde in der Fabrik in diesem Jahr härter gearbeitet als in den vergangenen Jahren?"
Horner: "Es wurde immer hart gearbeitet, aber dieses Jahr hielt für uns ganz klar die größte Herausforderung bereit. Sowohl in der Konstrukteurs- als auch in der Fahrerwertung waren es die schwierigsten Titel, denn da wie dort mussten wir uns zurück an die Spitze kämpfen. So gesehen war die abgelaufene Saison in mehrfacher Hinsicht die befriedigendste. Die persönlichen Opfer, welche gebracht wurden, die Zeit, welche speziell von den Mitarbeitern in Milton Keynes fernab von Familie und Freunden aufgewendet wurde - all das ist einfach bemerkenswert."
"Die Ursache dafür, dass dieses Team so erfolgreich ist, liegt im Teamgeist begründet. Der gemeinsame Wille und die Arbeitsweise als Team machen den Unterschied. Was man an einem Sonntagnachmittag sieht, ist ein so geringer Teil dessen, was geleistet wird. Es gab in diesem Jahr jede Menge Heldengeschichten von Menschen, die weit mehr geleistet haben als das, was von ihnen verlangt wurde, um das Auto schneller zu machen, um Teile an die Rennstrecke zu bringen, um die Entwicklung im Windkanal voranzutreiben und so weiter. Diese Weltmeisterschaft - die dritte hintereinander - wäre ohne die Hingabe und den Einsatz aller Mitarbeiter überhaupt nicht denkbar gewesen."
Frage: "Die letzten zwei, drei Rennen des Jahres schienen besonders schwierig zu sein. Hat sich Sebastian als Fahrer in diesem Jahr verändert? Musste er härter arbeiten als im vergangenen Jahr?"
Horner: "Diese Weltmeisterschaft ist in mehrfacher Hinsicht seine beste, denn er musste so hart dafür kämpfen. Seine mentale Stärke war schon immer beeindruckend, aber in diesem Jahr hat er noch einen drauf gesetzt. Er ließ es nie zu, abgelenkt zu werden - ganz gleich, was auch versucht wurde, um ihn nervös zu machen. Er ließ es nie zu, seinen Fokus zu verlieren. Es schien fast so, dass er umso besser wurde, je mehr Druck auf ihn ausgeübt wurde."
"Als er mit 39 Punkten Rückstand aus der Sommerpause zurückkam, wusste er, dass er etwas tun musste und er schaltete speziell bei den Asien-Rennen in der Tat einen Gang höher. In Kombination mit einigen Upgrades, die wir ans Auto brachten und die ebenfalls für eine bessere Performance sorgten, holte er das Maximale aus seinen Möglichkeiten heraus und gewann vier Rennen in Folge. Das war schon sehr beeindruckend. Hinzu kam, wie er mit den Umständen in Abu Dhabi fertigwurde und von hinten durchs Feld fuhr. Unter diesem Druck wären viele andere Fahrer wohl zerbrochen."