• 11. Oktober 2012 · 11:48 Uhr

Vettel: "Voraus zu denken, würde nach hinten losgehen"

Sebastian Vettel erklärt, worauf es im WM-Endspurt ankommt, warum es nicht um seinen Triumph geht und was er vom Doping-Urteil gegen Lance Armstrong hält

(Motorsport-Total.com) - Nur noch vier Punkte trennen Sebastian Vettel nach seinen zwei Siegen in Singapur und Suzuka von der WM-Führung, die Fernando Alonso bereits seit Juni verwaltet. Damit ist der Weltmeister der erste Pilot in dieser Saison, der zwei Grand-Prix-Siege hintereinander feiern durfte. Mit dem Rennen in Yeongam steht nun eine Strecke auf dem Programm, auf der Vettel bei den bisherigen zwei Ausgaben dominierte und die seinem Auto liegen sollte - 2010 verhinderte ein Motorschaden seinen Sieg. Vor dem Wochenende spricht der Red-Bull-Pilot über seine Erlebnisse in Tokio, die Strategie für das Wochenende und den Dopingskandal seines einstigen Idols Lance Armstrong.

Foto zur News: Vettel: "Voraus zu denken, würde nach hinten losgehen"

Sebastian Vettel ist in Südkorea um Konzentration bemüht Zoom Download

Frage: "Sebastian, welche Bedeutung hat der Sieg in Suzuka für dich?"

Sebastian Vettel: "Für uns war es ein sehr schönes Rennen, wir haben es sehr genossen. Ich muss nicht dazusagen, dass es sich um eine der schönsten Strecken im Kalender handelt. Das hat es sehr speziell gemacht."

Frage: "Habt ihr den tollen Sieg in Suzuka richtig feiern können?"

Vettel: "Am Sonntagabend haben wir uns doch ein bisschen zurückgehalten, und nicht zu sehr gefeiert, denn diese Woche geht es ja direkt weiter. Die Tage in Tokio habe ich einfach versucht, ein bisschen zu entspannen, ein bisschen durch die Stadt zu spazieren. Das ist immer ganz interessant, denn Japan ist doch sehr anders. Wenn man einmal im Jahr dazu die Gelegenheit hat, dann nimmt man das natürlich wahr. Ich war auch einmal morgens früh am Fischmarkt. Dort herrscht immer ein buntes Treiben. Es ist ganz interessant zu sehen, wie die Dinge funktionieren, auch wenn es ganz anders ist als bei uns, aber trotzdem kommen die Leute damit zurecht."

Frage: "Du kommst auf einem Hoch hierher: Bisher hat in dieser Saison niemand zwei Siege hintereinander geschafft. Dir fehlen noch vier Punkte auf Alonso. Wie siehst du die Situation in der WM - bist du jetzt Favorit?"

Vettel: "Mit Sicherheit hat uns das letzte Rennen gut getan, aber wir haben noch wichtige Rennen vor uns und müssen uns auf jeden einzelnen Schritt konzentrieren. Das heißt, nicht nur auf die einzelnen Rennen, sondern auch, was während den Rennen passiert, also auf die Trainings, auf das Qualifying, auf all das, was zählt. Jetzt zu groß und zu weit voraus zu denken, würde nur nach hinten losgehen."

"Die letzten Jahre hier waren immer gut für uns."Sebastian Vettel
Frage: "Diese Strecke sollte für euer Auto aber sehr gut sein."
Vettel: "Schauen wir mal. Morgen wissen wir ein bisschen mehr, denn nach dem Training ist man immer schlauer. Die letzten Jahre waren immer gut für uns. Die Strecke unterscheidet sich nicht maßgeblich von anderen, nur hat man hier zuerst die Geraden und dann die Kurven, während es normalerweise etwas durgemischter ist. Wir sollten grundsätzlich schon konkurrenzfähig sein. Die Charakteristik der Strecke ändert sich nicht, aber die Charakteristik der Meisterschaft ist dieses Jahr schon sehr anders und schwer vorhersehbar. Es kann unheimlich viel passieren - nicht nur während des Wochenendes, sondern auch während des Rennens. Daher ist es noch wichtiger, diszipliniert zu bleiben und sich auf jeden einzelnen Schritt zu konzentrieren."

Frage: "Es gab auch wenig Zeit für Entwicklungen seit Suzuka. Habt ihr neue Teile?"

Vettel: "Wir hatten wirklich nicht viel Zeit, aber wir pushen so hart es geht. Es gibt immer ein paar neue Teile - für jedes Rennen. Wir machen einfach weiter mit unserer Arbeit, so wie wir es bereits die gesamte Saison lang tun."

Frage: "Du bist selbst sehr viel unterwegs. Wie viel Arbeit wird in Milton Keynes geleistet, und inwiefern kannst du dich selbst daran beteiligen?"

Vettel: "Alle pushen sehr hart. Es geht nicht darum, dass ich diesen Titel gewinne, sondern dass wir ihn gewinnen. Das ist unser Ziel, und das ist der Grund, warum wir alle so hart pushen. Die Jungs in Milton Keynes, die Jungs hier an der Strecke arbeiten stundenlang, um noch ein bisschen mehr aus dem Auto herauszupressen. Es ist natürlich nicht mein Job, die Teile um die ganze Welt zu transportieren oder sie anzunehmen und sie zur Rennstrecke zu transportieren, aber natürlich ist das Feedback von Mark und von mir sehr wichtig für die Jungs hier an der Strecke, die Ingenieure, die Jungs in der Fabrik, damit sie in die richtige Richtung gehen können."

"Es geht nicht darum, dass ich diesen Titel gewinne, sondern dass wir ihn gewinnen."Sebastian Vettel
Frage: "Welche Bedeutung hat das Qualifying dieses Jahr?
Vettel: "Die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass man besser durch die ersten Kurven kommt, wenn man vorne ist, weil weniger Autos um einen herum sind und weniger Lücken darüber entscheiden, ob man jetzt gerade drinnen ist oder nicht. Von vorne tut man sich in der Regel ein bisschen leichter - das gilt aber auch für das gesamte Rennen. Man muss sich am Samstag nur das Qualifying anschauen - da versucht jeder, die schnellste Zeit zu fahren, um für Sonntag bessere Karten zu haben. Wenn man vorne ist, kann man seinen Speed fahren. Ob der dann gut genug ist, um das Rennen zu gewinnen, zeigt sich dann sehr schnell. Natürlich ist es bei manchen Rennen wichtiger, von vorne zu starten, und bei manchen Rennen weniger wichtig. Es kommt auch immer auf die Umstände an, aber im Schnitt ist es immer wichtig."

Frage: "Euch wurde zu Saisonmitte eine Qualifying-Schwäche zugeschrieben. Zurecht?"

Vettel: "Wenn man am Ende nicht auf den ersten vier Plätzen steht, sondern ein bisschen weiter hinten, dann wird das schnell als Schwäche abgetan. Ich glaube aber, dass die Abstände gezeigt haben, dass wir nicht meilenweit entfernt waren, sondern nach wie vor knapp dran waren. Da aber die Abstände generell klein waren und viele Autos dicht hintereinander lagen, springt dann vielleicht nicht der dritte oder vierte Platz heraus, sondern der achte oder elfte oder zwölfte. Wenn man dort steht, dann tut man sich ein bisschen schwerer. Ich glaube aber, dass wir uns in den letzten Rennen im Qualifying etwas verbessert haben und etwas weiter nach vorne kommen können."


Fotos: Red Bull, Großer Preis von Südkorea


Frage: "Ist das Auto besser geworden?"

Vettel: "Wir versuchen das ganze Jahr lang, das Auto besser zu machen. Manchmal funktioniert das besser als erwartet, mehr als man sich wünscht, was man natürlich gerne akzeptiert. Andere Male tut man sich schwer, auch mit den neuen Teilen wirklich einen Schritt nach vorne zu machen."

"Nicht alles hat dieses Jahr so geklappt, wie wir es vielleicht gewollt hätten."Sebastian Vettel
Frage: "Ist der Unterschied zum Vorjahr, dass nicht immer jede Entwicklung auf Anhieb funktioniert?"
Vettel: "Ich glaube, das kann man sagen. Das kann man aber auch für das gesamte Feld sagen. Es ist für alle Teams unheimlich schwer. Das Reglement ist fast ausgereizt, und da ist es schwer, immer noch etwas zu finden. Im Grunde arbeitet man den ganzen Winter, das ganze Jahr über daran, das Auto schneller zu machen, und nicht alles hat dann leider so geklappt, wie wir es vielleicht gewollt hätten."

Frage: "Jetzt stehen wieder die üblichen Verdächtigen vorne. Ein Maldonado ist jetzt meist nicht mehr dabei."

Vettel: "Ja, gegen Ende kristallisiert sich so etwas dann immer ein bisschen heraus."

Frage: "An welchem Körperteil merkst du die G-Kräfte im Formel-1-Auto besonders? Wie würdest du das einem normalen Menschen erklären?"

Vettel: "Das ist schwer zu erklären. Wenn ein normaler Mensch vielleicht ein bisschen zügiger auf die Autobahn fährt, dann merkt er vielleicht, dass er nicht so viel Seitenhalt am Sitz hat. Bei uns ist das natürlich enorm viel mehr, und der Sitz ist auch deutlich besser. Am meisten merkt man es natürlich am Nacken, denn der Kopf ist praktisch frei. Der Rest des Körpers ist angegurtet. Man merkt es auch am Rumpf, am Gesäß, dass es einen wirklich in den Sitz drückt. Und da man ja ein Mensch ist und kein Sack Kartoffeln, versucht man auch, dagegen anzukämpfen, und das ist nicht ganz so einfach."

"Im Nachhinein durch das Armstrong-Urteil auf diese Weise enttäuscht zu werden, ist schade."Sebastian Vettel
Frage: "Jet-Piloten arbeiten viel mit der Atmung. Du auch im Cockpit?"
Vettel: "Das ist bei Jet-Piloten anders als bei uns. Die Leute vergleichen das zwar immer mit dem Flugzeug, aber bei uns ist es praktisch so, als würde jemand versuchen, dich seitlich wegzudrücken. In einem Flugzeug wird man hingegen immer gestaucht. Die Kurve, die man fliegt, fliegt man nicht seitlich, sondern immer so, dass es einen ähnlich wie bei der Achterbahn staucht. Bei uns ist das ganz anders. Dass wir trotzdem fünf G erreichen, macht es aber aus. Und das macht es auch so unerklärlich für uns, den Leuten zu erklären, warum einem dann der Nacken wehtun kann."

Frage: "Mit Lance Armstrong gibt es jetzt anscheinend den größten Dopingskanal in der Sportgeschichte. Was denkt man da als ebenfalls großer Sportler, wenn man so etwas hört?"

Vettel: "Ich habe es auch eben erst gehört. Ich würde gerne erst mal selbst nachschauen, wie das Urteil jetzt lautet. Es hat sich ja bereits in den letzten Wochen zugespitzt und angedeutet. Das ist natürlich eine große Enttäuschung, denn ich glaube, Lance Armstrong ist vielen Leuten im Radsport, aber auch darüber hinaus ein Begriff. Im Nachhinein auf diese Weise enttäuscht zu werden, ist natürlich sehr schade."

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