Perez-Sala: "Wir bitten um Geduld"
Luis Perez-Sala im Interview: Wie hart er mit HRT ums Überleben kämpfen muss, warum er ein neues Punktesystem begrüßen würde und Verkauf immer ein Thema ist
(Motorsport-Total.com) - Luis Perez-Sala übernahm von seinem Vorgänger Colin Kolles ein schwieriges Amt: Der HRT-Teamchef ist im "Piranhabecken" namens Formel-1-Paddock von Natur aus eine Spezies, die nicht gerade am Ende der Nahrungskette steht, sondern jeden Morgen froh sein muss, wenn aufs Neue die Sonne aufgeht. Bis heute hat der Spanier, früher selbst Grand-Prix-Pilot, immerhin schon 292 Sonnenaufgänge auf seiner Position überlebt.
Und das, obwohl Bernie Ecclestone HRT nicht braucht, an die Spanier genauso wenig wie an Marussia (finanzielle) Geschenke verteilt. So kann es dann auch passieren, dass die Autos vor dem ersten Saisonrennen notdürftig zusammengeschustert werden müssen, obwohl viele Einzelkomponenten ihre vorgesehene Lebensdauer längst überschritten haben. Aber was bleibt einem anderes übrig, wenn Rechnungen mangels Geld häufig viel zu spät, mit selbst ausgerechneten Skonto-Abzügen oder überhaupt nicht bezahlt werden?
Perez-Sala kämpft gegen die schwierigen Rahmenbedingungen an - und nimmt's mit Galgenhumor. In der Teamchef-Pressekonferenz in Ungarn wird er gefragt, wie es ist, als Teamchef bei den Eigentümern um Erlaubnis zu fragen, wenn er etwas braucht. Antwort: "Bei mir ist das ganz einfach: Ich bitte darum - und bekomme es nicht!" Im Interview mit 'Motorsport-Total.com', geführt bereits vor einigen Wochen, spricht der 53-Jährige offen über seinen "Kampf gegen Windmühlen".
Seit 1. April läuft der Standort Madrid
Frage: "Herr Perez-Sala, Sie erleben gerade Ihr erstes Jahr auf der anderen Seite der Boxenmauer. Wie fühlt sich das an?"
Perez-Sala: "Am Anfang war es eine sehr schwierige Herausforderung, denn wir mussten Dinge ändern, wir sind von Deutschland nach Spanien übersiedelt. Wir sind im Grunde ein neues Team. Bis zur Übersiedelung war nicht alles im gleichen Hauptquartier vereint, jetzt sind wir aber alle in Madrid. Am 1. April ging die Arbeit dort los. Wir haben auch ein neues Auto gebaut. Es gab also viele Änderungen für ein neues Team. Wir hatten aber kaum Zeit, wegen des WM-Kalenders. Wir haben unser Ziel erreicht, zu überleben und hier zu sein."
Frage: "Wie sieht es mit Madrid aus? Läuft die Fabrik schon zu 100 Prozent?"
Perez-Sala: "Nein, jetzt ist einmal das Team dort stationiert. Unsere Marketing- und Kommunikations-Mitarbeiter, die Verwaltung, das Konstruktionsbüro, die Rennstreckenabteilung. Wir beginnen damit, unser Designbüro aufzubauen. Die Aerodynamikabteilung ist immer noch in München."
Frage: "Wie sieht es mit den Vertragspartnern aus? Früher wurde viel Arbeit von den Zulieferern verrichtet, zum Beispiel in Deutschland oder von Carbo Tech in Österreich. Laufen diese Verträge weiter?"
Perez-Sala: "Wir sind nach wie vor auf sie angewiesen, denn in Spanien haben wir keinen Autoklaven. Wir werden uns in Madrid nach den besten Möglichkeiten umsehen, was die Vertragspartner angeht. Alles andere werden wir in der Zukunft sehen."
HRT setzt weiterhin auf Zulieferer
Frage: "Die Formel 1 ist wirtschaftlich in einer schwierigen Lage. Abgesehen von den Top-4-Teams kämpfen alle ums Überleben - und HRT mit Sicherheit mehr als zum Beispiel Williams. Haben Sie eine Strategie? Werden Sie weiterhin mit Vertragspartnern zusammenarbeiten, weil es günstiger ist, oder planen Sie, alles in Madrid unter ein Dach zu bringen?"
Perez-Sala: "Wie ich vorhin gesagt habe - was zum Beispiel Carbo Tech und uns angeht -, wollen wir ein kleines Team bleiben mit nicht zu vielen Leuten. Und wir wollen mit Zulieferfirmen zusammenarbeiten, denn die Investitionen, dir wir tätigen müssten - etwa für Maschinen -, würden für uns keinen Sinn ergeben."
Frage: "Arbeiten Sie noch nicht am neuen Auto?"
Perez-Sala: "Wir arbeiten bereits am Auto für das kommende Jahr. Es wird sich aber nicht viel ändern, denn wir wollen dieses Chassis beibehalten, wir wollen den Motor und auch das Getriebe behalten. Wir werden das Aerodynamikpaket ändern und einige Bereiche des Autos - wie das Kühlsystem und die Bremsbelüftung - optimieren. Wir wollen aber die Basis des Autos weiterverwenden."
Frage: "Sie wollen also das aktuelle Konzept beibehalten und den Rest weiterentwickeln...?"
Perez-Sala: "Ja."
Thesan Capital schließt Verkauf nicht aus
Frage: "Wie sieht es mit den Investoren von Thesan Capital aus? Sind sie mit dem aktuellen Stand des Teams glücklich oder wollen sie es größer machen?"
Perez-Sala: "Sie sind glücklich. Sie hatten damit gerechnet, dass wir uns hier befinden würden. Es war keine Überraschung. Sie wollten das Team verbessern und entwickeln, aber wie ich gesagt habe, wollen wir klein bleiben, denn wir wollen überleben. Die Situation ist nicht leicht. Wir müssen realistisch bleiben."
Perez-Sala: "Das ist etwas, das man sie fragen muss. Es ist ganz normal: Wenn jemand in mein Haus kommt und mir ein gutes Angebot unterbreitet, was wird man dann tun? So etwas kann immer passieren - bei allen Teams, aber nicht nur dort, sondern im ganz normalen Leben."
Frage: "Es gibt derzeit Gespräche mit Bernie Ecclestone über das Concorde-Agreement, und es ist inzwischen bereits allgemein bekannt, dass zehn Teams unterschrieben haben. HRT und Marussia zählen nicht dazu. Wie beurteilen Sie die Verhandlungen?"
Perez-Sala: "Wir kommen hin. Bernie hilft uns, den bestmöglichen Deal zu machen, und ich sehe da kein Problem auf uns zukommen."
Concorde-Verhandlungen gerade im Gange
Frage: "Rechnen Sie damit, dass Bernie Ecclestone Ihnen ein Angebot unterbreiten wird?"
Perez-Sala: "Ja, natürlich. Wir sprechen darüber schon lange. Der Angebotsentwurf ist da, aber er versucht, uns bessere Bedingungen zu verschaffen. Daran arbeitet er."
Perez-Sala: "Er versucht, uns die bestmöglichen Bedingungen zukommen zu lassen. Er hat uns einen Entwurf gegeben. Er hätte uns gerne dabei. Je schneller, desto besser."
Frage: "Rechnen Sie bald mit einer Unterschrift? Ich meine das jetzt nicht despektierlich, aber Bernie braucht HRT wahrscheinlich nicht so sehr wie Mercedes..."
Perez-Sala: "Das ist klar. Das war schon immer so. Er braucht uns nicht so sehr wie Mercedes, aber wir sind in einer anderen Situation. Wir pushen vermutlich auch nicht so sehr wie Mercedes. Bei uns ist es anders - wir sind viel offener als die reichen Teams."
Frage: "Glauben Sie, dass HRT ein Concorde-Agreement unterschreiben muss? Oder könnten Sie eventuell nächstes Jahr auch ohne unterschriebenes Concorde-Agreement fahren?"
Perez-Sala: "Nein, das ergibt für uns keinen Sinn. Wir sind bei Bernie, das ist klar."
Ohne Concorde-Agreement kein HRT-Team
Frage: "Speziell für Sie vermutlich, denn es ist sehr wichtig, zumindest ein kleines Stück von Bernies Geld zu bekommen - vor allem in Hinblick auf die Sponsorensituation."
Perez-Sala: "Das ist klar. Wir haben nicht das Geld, um es uns leisten zu können, ohne Concorde-Agreement hier zu sein. Das ist nicht unser Plan."
Frage: "Glauben Sie, dass es unter den aktuellen Bedingungen, die auf dem Tisch liegen, möglich wäre, den Rennbetrieb nächstes Jahr durchzuführen?"
Perez-Sala: "Für uns ist es klar, dass wir hier bleiben und Rennen fahren werden. Wir denken nicht daran, uns nach vier oder fünf Rennen zurückzuziehen. Wir nehmen an der Weltmeisterschaft teil."
Frage: "Also auch nächstes Jahr..."
Perez-Sala: "Natürlich. Wir nehmen an der gesamten Weltmeisterschaft teil, und sind nicht hier, um zu versuchen, drei Tage zu fahren. Ich glaube, dass wir einen guten Plan haben, und wir sind nicht nur hier, um 2013 zu bleiben, sondern auch 2014 und 2015."
Frage: "Ich würde gerne über die Fahrer sprechen, denn es ist kein Geheimnis, dass in diesem Fahrerlager abgesehen von den Top-4-Teams im Grunde jedes Team auf Bezahlfahrer setzt. Natürlich bringt Narain Karthikeyan Geld mit. Es gibt ein Zitat von Saul Ruiz de Marcos, dass das Projekt Pedro de la Rosa in Hinblick auf sportlichen und wirtschaftlichen Input nach einem halben Jahr beurteilt wird. Wie fällt Ihr Urteil in diesen Bereichen aus?"
Perez-Sala: "Pedro ist für uns in beiden Bereichen eine Schlüsselperson."
De la Rosa bleibt weiterhin Teamleader
"Er brachte in der ersten Saisonhälfte fantastische Leistungen, hat viel Erfahrung. Er zeigt uns den Weg vor, den wir gehen müssen. Dadurch verschwenden wir keine Zeit und kein Geld. Wir optimieren unsere Ressourcen - zu einem großen Teil dank Pedro. Auch wirtschaftlich gesehen hat sich sein Engagement positiv ausgewirkt. Es gibt einen Vertrag, dass Pedro nächstes Jahr bei uns bleibt."
Frage: "Der schon unterschrieben ist?"
Perez-Sala: "Es ist ein Zweijahresvertrag."
Frage: "Pedro hat viel Erfahrung in der Formel 1 und fuhr schon für viele Teams. Für ihn muss es schwierig sein, am Ende des Feldes zu fahren. Wie schwierig ist es, ihn zu motivieren?"
Perez-Sala: "Natürlich ist es schwierig, denn er ist ein Rennfahrer. Und dann erkennt er, dass sein Auto nicht schnell genug ist, um dabei zu sein. Er ist aber sehr motiviert, dem gesamten Team zu helfen, zu wachsen und sich zu verbessern. Das gibt ihm eine große Zufriedenheit."
"Wir sind am Ende des Feldes vielleicht oft zufriedener als andere, wenn sie Achter, Neunter oder Zehnter werden. Wir sind glücklich und machen unsere Arbeit, kennen unsere Grenzen. Aber es ist wahr: Manchmal fährt man und sieht die anderen, kann aber nichts ausrichten. Er leistet aber gute Arbeit, und wir verbessern uns. Das Team wächst jetzt zusammen. Wir lernen, und es wird immer besser."
Neues Punktesystem für mehr Fairness?
Frage: "Es wäre natürlich sehr wichtig, den zehnten Platz in der Konstrukteurs-WM zu holen..."
Perez-Sala: "Natürlich. Das ist etwas sehr Wichtiges."
Frage: "Beten Sie bei den Rennen, dass es regnet und Sie einen Glückstreffer landen? Realistisch gesehen ist es ja eine sehr schwierige Aufgabe..."
Perez-Sala: "Ja, sehr schwierig, denn wir liegen hinten. Wir sind nicht weit weg von Marussia. Um Zehnter zu werden, müssen viele Dinge passen. Wir müssen uns darauf konzentrieren, unsere Performance zu verbessern, dann können wir über diese Dinge nachdenken. Klar kann auch eine Lotterie den Ausschlag geben, aber nur über eine bessere Performance können wir um den zehnten Platz kämpfen."
Frage: "Derzeit sieht es so aus, als könnte ein Glückstreffer den Kampf um Platz zehn entscheiden. Glauben Sie, dass es fair wäre, das Punktesystem so zu verändern, dass jeder, der das Ziel erreicht, zumindest einen oder zwei Punkte erhält? Dann würde nicht alles von einem Rennen abhängen."
Perez-Sala: "Ja, es wäre besser, es zu ändern, es wäre fairer. Dennoch kann man manche Dinge nicht ändern, und diese Änderung liegt nicht auf dem Tisch."
Frage: "Sie wären der Sache aber nicht abgeneigt..."
Perez-Sala: "Nein. Auch wenn es uns jetzt nicht helfen würde, klingt das durchaus vernünftig."
Rolle als Teamchef war nicht geplant
Frage: "Sie sind jetzt ein halbes Jahr lang dabei. Wie sieht Ihr persönliches Fazit aus? Ist die Herausforderung größer, gleich oder kleiner als erwartet?"
Perez-Sala: "Nein, ich habe gar nichts erwartet. Ich habe nicht erwartet, dass ich Teamchef sein würde (lacht; Anm. d. Red.)!"
Frage: "Um das klarzustellen: Am Anfang waren Sie mehr oder weniger ein Berater?"
Perez-Sala: "Ja, ich war ein Berater. Ich kam nach Silverstone, aber ich begann mit meiner Tätigkeit als Berater bei diesem Rennen. Der Anfang als Teamchef war sehr schwierig, denn wir waren nicht in den gleichen Einrichtungen, und den Bau des neuen Autos zu koordinieren war eine sehr schwierige Herausforderung. Wir haben es aber geschafft."
Frage: "Ihr Vorgänger Colin Kolles ist ein sehr erfahrener Mann. In Ihrem Team haben Sie zwar erfahrene Motorsport-Leute, die aber rund 20 Jahre lang nicht im Fahrerlager in etablierten Positionen tätig waren. Würde es euch helfen, wenn jemand wie Herr Kolles mit anpacken würde?"
Perez-Sala: "Erfahrung ist wichtig. Jetzt haben wir eben nur die Hälfte der Erfahrung (lacht; Anm. d. Red.)."
Frage: "Sehen Sie Ihre Zukunft in der Formel 1?"
Perez-Sala: "Ich weiß es nicht. Wenn Sie mich vor einem Jahr gefragt hätten, ob ich damit rechnen würde, in der Formel 1 tätig zu sein, dann hätte ich das verneint. Ich versuche, dem Team zu dienen und es für die Zukunft vorzubereiten, aber wenn es eine Lösung geben sollte, die besser funktioniert, dann wäre ich bereit, die Person zu begrüßen."
Perez-Sala: Formel 1 ist nicht alles
"Ich bin nicht verschlossen, sondern ich bin offen, denn ich möchte, dass das Team sich auf die bestmögliche Art und Weise entwickelt. Die Eigentümer vertrauen mir und haben die Möglichkeit, alles nach Belieben zu verändern. Das liegt nicht in meiner Hand. Ich gebe einfach mein Bestes."
Frage: "Sie sind aber wegen dieses Projektes hier und haben keine Ambitionen, irgendwo anders in Zukunft Teamchef zu sein?"
Perez-Sala: "Mein Ziel ist es, dass die Leute weiterarbeiten können und alles zu versuchen, damit dieses Team überlebt. Wenn mir das gelingt, dann werde ich sehr zufrieden sein, denn das ist ein sehr wichtiges Ziel. Ich habe großes Glück, ich habe eine tolle Ehefrau und drei fantastische Kinder. Ich habe Freunde, ich bin gesund."
Perez-Sala: "Sie arbeitet auch im Motorsport und versteht das."
Frage: "Eine ganz andere Frage: Als Sie in Silverstone beim Young-Driver-Test waren, da hat HRT nur einen Tag lang getestet. Gab es einen Grund? Wollten Sie Kilometer sparen?"
Perez-Sala: "Ja. Zunächst war es unser Plan, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag zu fahren. Dann gab es ein paar Änderungen. Wir wollten testen, aber wir hatten einen Plan mit Ma, dass er an diesen Tagen fährt, aber dann änderten sie den Zeitplan auf Donnerstag und Freitag. Wir hatten da aber einen Termin und uns auf ein Treffen mit Ma in China geeinigt. Er musste also abreisen. Wir haben den Test trotzdem abgeschlossen, denn wir absolvierten viele Kilometer in Silverstone. Einen weiteren Tag auf der GP2-Strecke hätten wir begrüßt, aber wir mussten nach China fliegen."
Spielte Geld beim Ma-Test wirklich keine Rolle?
Frage: "War es auch eine wirtschaftliche Frage? Es ist kein Geheimnis, dass Fahrer für solche Tests in der Regel zahlen müssen. Blieben irgendwelche Gelder aus?"
Perez-Sala: "Wir hatten eine Übereinkunft mit Ma, dass er in unserem Auto fährt, und wir vertrauen ihm. Wir glauben, dass er sich Schritt für Schritt weiterentwickeln wird - er soll jeden Schritt auf einem guten Niveau absolvieren. Er muss wachsen."
Frage: "Es gab also keinen wirtschaftlichen Hintergrund?"
Perez-Sala: "Wir haben unseren Plan absolviert, und am Samstag musste er in China sein."
Perez-Sala: "Ja, ich würde sie gerne bitten, mit uns geduldig zu sein. Wir sind neu."
Frage: "Ist das auch an Bernie gerichtet? 'Habe noch Geduld mit uns?'"
Pressesprecherin interveniert: "Nein. Er ist mit der Entwicklung des Teams zufrieden."
Frage: "Ist er das? In der Vergangenheit war er sehr kritisch..."
Pressesprecherin: "Zuletzt hat man nichts Negatives von ihm gehört, oder?"
Perez-Sala: "Wir wollen uns auf uns selbst konzentrieren und die anderen nicht ärgern. Wir wollen uns verbessern. Wir haben unseren Plan und wollen diesen Plan wenn möglich umsetzen. Dafür kämpfen wir. Und aus diesem Grund bitten wir unsere Fans um Geduld. Wir versuchen hart zu arbeiten, um uns zu verbessern."