• 02. September 2012 · 19:33 Uhr

Vettel: "Bin glücklich über den zweiten Platz"

Sebastian Vettel lässt im Interview seine Aufholjagd in Spa-Francorchamps Revue passieren und spricht über die haarige Situation mit Michael Schumacher

(Motorsport-Total.com) - Jenson Button mag zwar das Rennen gewonnen haben, der heimliche Sieger des Tages in Spa-Francorchamps ist aber Sebastian Vettel. Denn weil WM-Leader Fernando Alonso eine Null angeschrieben hat, ist der Titelverteidiger nun mit nur noch 24 Punkten Rückstand Zweiter der Fahrerwertung - und zwar vor Teamkollege Mark Webber, was psychologisch möglicherweise nicht unerheblich ist.

Foto zur News: Vettel: "Bin glücklich über den zweiten Platz"

Sebastian Vettel ist nun in der WM wieder erster Verfolger von Fernando Alonso Zoom Download

Vettel erwischte beim Grand Prix von Belgien zwar einen schlechten Start, sorgte dann aber mit mehreren Überholmanövern für gute Unterhaltung und fuhr mit einer Einstopp-Strategie noch auf das Podium. Dass er auf dem Weg dorthin ausgerechnet mit Michael Schumacher beinahe kollidiert wäre, stört ihn wenig...

Frage: "Sebastian, nach dem zehnten Startplatz bist du mit Rang zwei sicher zufrieden, oder?"

Sebastian Vettel: "Ja. In der ersten Kurve war ich wahrscheinlich der Einzige, der keine Plätze gutgemacht hat, denn vor uns sind einige Autos gecrasht. Mein Start war sehr schlecht und ich habe viel verloren. Ich kam im ersten Moment schon langsam weg und büßte Positionen ein. Mein Startplatz war in der Nähe der Force Indias, aber die waren nach der ersten Kurve nicht weit hinter Jenson, während ich sogar hinter einem Caterham lag. Die Kupplung hat zu viel geschliffen, ich kam gar nicht weg."

Mit DRS im Drehzahlbegrenzer

"Also ein ziemlich schlechter Start des Rennens, aber danach war die Pace da und wir konnten uns durch das Feld arbeiten. Das ist nicht einfach, wenn die Gerade hinauf alle DRS zur Verfügung haben. Da kam ich - wie alle anderen - in den Drehzahlbegrenzer, und dann ist es schwierig, aus DRS einen Vorteil zu ziehen. Wir arbeiteten uns trotzdem gut durch das Feld und hatten dann ein paar gute Runden bei freier Fahrt. Das war richtig und ermöglichte es uns, durch die Strategie zurückzukommen und Zweiter zu werden. Ich glaube, das hätte nach der ersten Runde niemand erwartet."

"Wir hätten auch nicht damit gerechnet, dass die Reifen so gut halten würden."Sebastian Vettel
"Wir hätten auch nicht damit gerechnet, dass die Reifen so gut halten würden. Vor dem Rennen war man besorgt, dass die Reifen nicht so lange halten würden - die meisten Fahrer dachten an zwei oder drei Stopps, aber ein Stopp schien außer Reichweite. Das war bei uns nicht anders, aber nach ein paar Runden war klar, dass die Reifen ganz gut halten und die Pace nicht schlecht ist. Das war für uns das Wichtigste. Samstagmorgen war es ganz gut gelaufen, im Qualifying beschissen, heute wieder gut. Ich bin glücklich über den zweiten Platz."

Frage: "Wie groß ist denn der Unterschied in deiner Gefühlswelt zwischen Samstag und Sonntag?"

Vettel: "Was Samstag- und Sonntagabend angeht, wird es schon einen großen Unterschied geben. Lügen tue ich nicht, also will ich ehrlich sein: Warum das gestern Nachmittag nicht lief und warum es heute wieder lief? Keine Ahnung. Ich hatte gestern einfach nicht den Grip und konnte den Speed nicht gehen. Als ich mir am Nachmittag die Vergleiche angeschaut habe, wo ich Zeit verloren habe gegenüber Mark, keine Chance. Heute war es anscheinend nicht mehr so - Gott sei Dank. Das Auto hat sich direkt gut angefühlt, auch mit viel Benzin."

Frage: "Wie schwierig war es, dich am Start unbeschadet durch diesen Salat zu kämpfen?"

Vettel: "Am Freitag hat es geregnet, heute hat es in der ersten Kurve Teile geregnet! Das war schon ziemlich wild. Ich weiß nicht genau, was passiert ist, aber ich habe mich unheimlich gewundert, wie viele Autos sich doch abgeräumt haben. Natürlich profitiert man davon, aber es ist unheimlich schwierig, die richtige Lücke zu finden. Man will natürlich einerseits beim Anbremsen direkt Plätze gutmachen, aber dann steht auf einmal einer vor einem. Darauf zu reagieren, ist nicht immer einfach. Mark und ich, wir hatten beide ziemlich Glück, dass wir da heil durchgekommen sind und keinen Plattfuß hatten, denn es waren unheimlich viele Teile auf der Strecke."

Keine Probleme mit den Reifen

Frage: "Du musstest dich durch das Feld kämpfen und hast deinen weichen Reifen wahrscheinlich mehr abverlangt als Jenson Button..."

Button: "Im ersten Stint sicher, aber die Pace war trotzdem da. Wir fuhren mit dem ersten Reifensatz die schnellsten Zeiten, obwohl ich in einen kleinen Kampf mit Felipe verwickelt war - zuerst eigentlich mit einem Caterham, aber dann Felipe, Bruno, Mark, Michael. Es war eindeutig hektisch, aber die Pace war wie gesagt da. Das war der Grund dafür, dass ich am Ende Zweiter werden konnte."

Frage: "Hättest du heute nach dem zehnten Startplatz damit gerechnet, auf dem Podium zu stehen?"

Vettel: "Das ist vor dem Rennen immer schwierig zu wissen, aber ich war recht zuversichtlich, dass wir ein gutes Tempo gehen würden. Das Auto war am Freitag und am Samstagmorgen sehr gut, nur nicht am Samstagnachmittag, aber ich war einigermaßen zuversichtlich und wusste, dass hier alles möglich ist, weil man überholen kann - besser als in Ungarn. Ich habe schon gehofft, auf dem Podium zu stehen."


Fotos: Sebastian Vettel, Großer Preis von Belgien


Frage: "Wie siehst du die Situation mit Michael Schumacher, als er vor deiner Nase an die Box abgebogen ist?"

Vettel: "Das mit Michael war ein Missverständnis. Vielleicht war er gar nicht so scharf darauf, seine Position zu verteidigen, weil er sowieso an die Box ging. Ich dachte, dass er die Innenlinie blockieren würde, aber dann zog er nach außen. Das war beim Bremsen sehr, sehr haarig - ich wäre ihm beinahe ins Heck gefahren."

"Dann habe ich versucht, für die Start- und Zielgerade in eine bessere Position zu kommen, aber er zog nach rechts und ging an die Box. Da hatte ich innerhalb von drei Sekunden zweimal großes Glück, den Frontflügel nicht zu verlieren. Das war ein kleines Missverständnis. Ganz egal, wo auf der Strecke man gegen Michael kämpft, ob um den ersten oder um den 15. Platz, aber er wird immer wie Hölle kämpfen. Das ist toll zu sehen. Es macht einem das Leben schwer, aber es ist immer eine große Herausforderung. Es ist immer eng mit ihm, aber auch immer fair. Das gefällt mir."

Keine Kritik an Schumacher

Frage: "Wenn du von einem Missverständnis sprichst, ist das aber sehr diplomatisch ausgedrückt. Michael hat 300 Grands Prix bestritten, ungefähr 20 davon hier. Möchtest du nicht eine etwas schärfere Formulierung verwenden, um sein Verhalten zu beschreiben?"

Vettel: "Es ist niemandes Fehler, sondern die Strecke ist halt so designt, dass man nach rechts muss, wenn man an die Box fahren will. Dafür kann man ihm nicht die Schuld geben, wenn das sowieso so geplant war, und der Strecke auch nicht. Ich habe ihn zuerst falsch gedeutet, dachte, er schirmt beim Bremsen die Innenseite ab. Also ging ich nach außen, wo kaum Platz war. Damit hat er vielleicht nicht gerechnet. Ich war in der besseren Position, um schneller als er auf die Gerade zu beschleunigen, aber er kam an die Box. Was willst du da machen?"

"Ich finde nicht, dass wir die ganze Zeit Strafen brauchen."Sebastian Vettel
Frage: "Hat Michael dafür eine Strafe verdient?"
Vettel: "Finde ich nicht. Ich werde mit ihm darüber sprechen, aber ich finde nicht, dass wir die ganze Zeit Strafen brauchen. Für uns im Auto ist es vielleicht einfacher, so etwas zu beurteilen, als für die Kommissare. Die Boxeneinfahrt ist halt rechts und die Kurve geht nach links. Das ist niemandes Schuld, auch nicht Michaels. Ich werde mit ihm sprechen und damit hat es sich. So sollten wir solche Situationen gegenseitig handhaben."

"Wir sind ja davongekommen und es ist nichts passiert, aber selbst wenn wir kollidiert und beide ausgeschieden wären, würde das nichts an meiner Meinung ändern. Nachdem ich damals in Jenson reingefahren bin, war er zwar schon auf dem Weg zum Flughafen, aber ich habe ihn angerufen und mich entschuldigt. So gehört sich das im Sport. Man sollte die Leute so behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte."

Frage: "Du bist bei dieser Aktion ja fast stillgestanden. Waren das die zwei Sekunden, durch die du wieder hinter Felipe Massa zurückgefallen bist?"

Vettel: "Ja, theoretisch schon, aber sowas passiert, sowas ist Racing. Ich werde mit Michael darüber reden und dann ist das Thema aus der Welt. Gott sei Dank ist uns beiden nichts passiert dabei. Es war sehr eng. Man weiß natürlich nicht, was der Vordermann macht, und genauso weiß der Vordermann nicht, was der Hintermann macht. Ich glaube, wir haben ungefähr zwei Sekunden verloren durch die Aktion, aber c'est la vie."

Vettel: "Michael ist ein Fuchs"

Frage: "Fazit der Situation?"

Vettel: "Wir sind beide unheimlich am Limit. Er ist schon ein Fuchs, er lässt einem nicht viel Platz, aber es macht auch Spaß, gegen ihn zu fahren. Ich habe damit kein Problem. In der Szene war es halt ein Missverständnis, aber da kann man keinen Schuldigen herbeizaubern. Ich glaube nicht, dass das böse Absicht von ihm war. Die Strecke kann man auch nicht als Schuldigen heranziehen. Sowas passiert. Gott sei Dank sind wir beide heil davongekommen. Klar hat die Situation für uns beide ein bisschen Zeit gekostet, aber mehr nicht."

Frage: "Du hast die meisten Gegner vor der Bus-Stop-Schikane überholt. Warum fiel es dir dort leichter als am Ende der Kemmel-Geraden?"

Schumacher: "Wir waren mit unserer Getriebeübersetzung ziemlich rennlastig aufgestellt, vor allem wenn du jemanden vor dir hast, den du überholen willst. Das Problem war, dass es auf der Kemmel-Gerade einen richtigen Zug gab, sodass es schwierig war, den Vorteil zu nutzen. Aus irgendeinem Grund war das auf der Gegengerade besser. Es war besser, vor der Schikane zu attackieren, weil das auch die härtere Bremszone ist - da kann man flexibler sein, wenn man etwas probieren will. An der Stelle habe ich die meisten Leute außen überholt. Das ist der Grund."

Foto zur News: Vettel: "Bin glücklich über den zweiten Platz"

Hart, aber fair: Sebastian Vettel überholt seinen Teamkollegen Mark Webber Zoom Download

Frage: "Vor ein paar Jahren hattest du an der gleichen Stelle eine Kollision mit Jenson Button. Waren diese Überholmanöver daher gut für deine Moral?"

Vettel: "Das war damals ganz klar Jensons Fehler (Gelächter; Anm. d. Red.)! Heute bin ich nicht gecrasht. Ich habe ihn damals aus dem Rennen geschossen, das war nicht nett. Ich habe aber meine Lektion gelernt. Es war sehr eng, aber ich wusste, dass ich vorbei muss, denn ich lag zu Beginn des Rennens auf dem zwölften oder zehnten Platz. Das Ziel war aber, nach vorne zu kommen. Ich habe alles versucht. Meistens ist mir das aufgegangen. Das freut mich. Hat Spaß gemacht!"

Frage: "Du hast jetzt 140 Punkte, Fernando Alonso 164. Das ist weniger als ein Sieg, es sind aber noch acht Rennen zu fahren. Wie siehst du die WM-Situation?"

Vettel: "Besser als davor. Ich habe mir die Weltmeisterschaft vor meinem Urlaub angeschaut. Jetzt ist mir der Stand egal. Natürlich kämpfe ich um die Weltmeisterschaft und natürlich ist es gut, dass es besser aussieht. Fernando wird sich über die erste Kurve sicher nicht freuen, denn er hat das Rennen nicht beendet. Diese Dinge passieren."

Kein Gedanke an den WM-Stand

"Wir müssen aber auf uns selbst schauen und dürfen uns nicht über Punkte und Abstände den Kopf zerbrechen. Es sind noch viele Rennen zu fahren - und wenn man heute die erste Kurve gesehen hat, dann weiß man, wie schnell sich die Dinge ändern können. Das ist der Rennsport. Nächste Woche fahren wir nach Monza. Es ist schön, wenn man wie im Vorjahr auf Pole steht und als Erster in die Schikane einbiegt. Wenn du etwas weiter hinten stehst, kann es ganz schön haarig werden. Dieses Risiko besteht immer. Es sind lange Rennen. Selbst wenn man ein bisschen weiter hinten steht, kann man noch zurückschlagen. Wir werden sehen, was passiert."

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Haarig: Sebastian Vettel beim Manöver mit Landsmann Michael Schumacher Zoom Download

Frage: "Du hast jetzt 24 Punkte Rückstand. 2010, als du dann noch Weltmeister geworden bist, waren es schon 31. Wie optimistisch gehst du nun nach Monza?"

Vettel: "Mein Mathe-Lehrer wäre nicht stolz auf mich, denn ich kriege ja quasi wie an der Kasse alles vorgerechnet und muss gar nicht mehr selbst zählen! Ist natürlich gut, dass der Abstand kleiner ist, aber im Moment ist das nicht so entscheidend. Die Meisterschaft ist unser großes Ziel, das stimmt, aber wir müssen mehr Rennen zu Ende denken."

"Man hat gesehen, wie schnell sich Dinge ändern können. Ich weiß nicht, ob Fernando der Schuldige war oder nicht - ich denke mal eher nicht. Aber man sieht, so schnell kann's gehen und man steht auf der anderen Seite der Strecke. Wie gesagt, wir müssen da auf uns schauen. Nächste Woche geht es direkt weiter. Letztes Jahr war super in Monza und wir hoffen natürlich, dass wir da weitermachen können."

Frage: "Wenn dir vor diesem Rennen jemand gesagt hätte, dass du danach nur noch so wenig Rückstand haben würdest, hättest du es geglaubt?"

Vettel: "Ja. Nur annähernd daran zu denken oder die Hoffnung zu verlieren, wäre ein ziemlich schwaches Zeichen. Ich denke, wir hatten schon viel schlimmere Situationen."

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