Allison: "War nicht sicher, ob wir in Melbourne starten"
Lotus-Technikchef James Allison im Interview: Warum der Start in Melbourne auf der Kippe stand, was sein Saisonhighlight war und warum er um seine Ehe fürchtet
(Motorsport-Total.com) - Lotus hat die hohen Erwartungen nach den Wintertests dieses Jahr voll erfüllt und darf sich auch zur Saisonhalbzeit Titelchancen ausrechnen. Und das, obwohl die Truppe aus Enstone, die 2012 mit Kimi Räikkönen und Romain Grosjean auf eine komplett neue Fahrerpaarung setzt, noch kein Rennen gewonnen hat. Technikchef James Allison zieht im Interview Halbzeitbilanz, spricht über bisherige Highlights und Tiefpunkte und seine Hoffnungen für die zweite Hälfte.
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Lotus-Technikchef James Allison gibt zu, wie ernst die Lage bei den Tests war Zoom Download
Frage: "James, was sticht für dich als Highlight der bisherigen Saison 2012 heraus?"
James Allison: "Es gab viele gute Momente, aber das Qualifying in Melbourne hat mir am meisten Freude bereitet. Wir hatten zwar vor der Saison den Verdacht, dass wir ein ziemlich gutes Auto haben, aber bis zum ersten Qualifying und Rennen weiß man es nie so wirklich. Als Romain in Q3 über die Ziellinie gefahren ist, wusste ich, dass unser Tempo bei den Tests echt war und dass wir - nach einem wirklich kniffligen Vorjahr - das Zeug dazu haben, zurückzuschlagen, dass wir anderen das Leben schwermachen werden und dass eine gute Saison bevorsteht."
Frage: "Gab es einen Tiefpunkt?"
Allison: "Ja, das war bei weitem, als bei Romain am ersten Tag des ersten Barcelona-Tests das Chassis brach. Zwölf Stunden lang war ich nicht einmal sicher, ob wir das Auto bis zum ersten Rennen reparieren können. Den ersten Test zu verpassen, war schlimm genug, aber es nicht zum ersten Rennen zu schaffen, hätte uns zur absoluten Verzweiflung getrieben. Erst als wir den Defekt verstanden und herausgefunden hatten, wie wir ihn reparieren, begann die Welt wieder, sich normal zu drehen."
Allison: "Der Chassisdefekt, den ich gerade beschrieben habe, war sehr beängstigend - das würde ich niemandem wünschen. Du hättest vielleicht erwartet, dass ich jetzt auch den Kampf zwischen Kimi und Romain in Kurve eins in Ungarn nenne, aber ich fand das nicht besonders beängstigend, weil ich es nicht gesehen habe. Ich war am Kommandostand, aber ich sah mir Rundenzeiten und Telemetrie an."
"Ich konnte über den Boxenfunk die jeweiligen Renningenieure der Fahrer hören, die sagten: 'Du wirst gegen deinen Teamkollegen kämpfen'. Ich wusste also, dass es spannend werden würde. Dennoch sind unsere Fahrer sehr vernünftig, und daher rechnete ich nicht damit, dass alles mit Tränen enden würde. Bis ich mitbekommen hatte, dass sie einander in der Kurve streiften, war es schon passiert gewesen, also musste ich keine Angst haben ..."
Frage: "Auf welchen Moment bist du in der bisherigen Saison am meisten stolz?"
Allison: "Natürlich fühlt man sich stolz, wenn es mit einem Auto gelingt, einen guten Podestplatz einzufahren. Dennoch ist dieses Gefühl des Stolzes kurzlebig und wird sehr rasch von der Konzentration auf das nächste Rennen überlagert. Was mich richtig und langfristig mit Stolz erfüllt, ist die Arbeit in Enstone - Teil einer Gruppe zu sein, die in den vergangenen Jahren viele Stürme überstanden hat und dennoch nie in die Knie gegangen ist."
"Wir wurden viele Male abgeschrieben und viele sahen uns am Ende unserer Kräfte, und dennoch wussten wir intern alle, dass das eine unfaire Beurteilung ist. Das Team ist gerammelt voll mit absolut fantastischen Leuten, die sich ständig reinknien und wo die Schlüsselelemente nun endlich ineinandergreifen, damit die Qualität sichtbar wird, die ohnehin schon lange da ist. Wir haben eine sehr ordentliche Fahrerpaarung , und all die Investitionen und Bemühungen, die bei diesem Team getätigt wurden - von den Besitzern und von all den Leuten, die hier arbeiten - beginnen jetzt, Früchte zu tragen. Ich bin unendlich stolz und glücklich, ein Teil davon zu sein."
Allison: "Ich freue mich darauf, wie die zwei WM-Kämpfe ausgehen werden. Wir haben in einem Maß Punkte geholt, das uns in der Fahrer- und in der Konstrukteurs-WM im Rennen hielt. Dennoch wissen wir - obwohl wir seit Monaco von allen Teams die meisten Punkte geholt haben -, dass wir in Anbetracht des Tempos unseres Autos und unserer Fahrer viel mehr erreichen hätten können. Wir scheinen stärker zu werden, je länger das Jahr dauert. Beide Fahrer haben Lunte gerochen, und ich schiele immer wieder auf den Kalender und denke mir: 'Das Auto sollte auf dieser Strecke gut laufen ... und auf dieser ... und auf dieser'."
"Der Teil von mir, der verheiratet bleiben möchte, freut sich auf die Sommerpause, aber ein großer Teil von mir würde gerne sofort mit den nächsten Rennen fortfahren, um die Teams vor uns jagen zu können und um zu sehen, ob wir in den Kampf eingreifen können."