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Wurz: Vettel war "der totale Wahnsinn"
Interview über die Traumsaison von Sebastian Vettel: Alexander Wurz schwärmt über den Doppelweltmeister, analysiert aber auch, wie knapp es eigentlich war
(Motorsport-Total.com) - Neun Siege in 15 Rennen, viermal Zweiter, einmal Dritter und einmal Vierter: Sebastian Vettel ist seit gestern jüngster Doppelweltmeister der Formel-1-Geschichte, und das völlig verdient, wie Alexander Wurz findet. Im Interview in der TV-Sendung 'Sport am Sonntag', das wir mit freundlicher Genehmigung des 'ORF' für unsere Leser reproduzieren dürfen, spricht der ehemalige Grand-Prix-Pilot und heutige TV-Experte über Vettels zweites Meisterstück.
Frage: "Alex, der Start war ein entscheidender Moment, mit einem harten Manöver zwischen Sebastian Vettel und Jenson Button. Was genau ist da passiert?"
Alexander Wurz: "Vettel fährt weg, merkt, dass Button den besseren Start hat, und macht einfach, was der Instinkt des Rennfahrers macht: Er deckt die Innenseite ab. Er drückt ihn bis auf die Wiese. Das war natürlich mit zwei Brechstangen."
"Er hatte Glück, dass Alan Jones Fahrersteward war, denn ein vorsichtiger Fahrersteward hätte hier vielleicht schon eine Verwarnung oder gar eine Stop-&-Go-Strafe vergeben, aber nichts von dem wurde ausgesprochen und deshalb ist das Rennen ganz normal weitergegangen. Jenson hat sich schon beschwert im Nachhinein, aber das sind halt diese Situationen... Im Rennfahren geht es um viel."
McLaren mit großen Fortschritten
Frage: "Wenn Button das Rennen nicht gewonnen hätte, wäre er im Nachhinein vielleicht doch ein bisschen lauter geworden, oder?"
Wurz: "Das glaube ich auch, ja."
Frage: "Kann man sagen, dass Red Bull das Rennen wegen der Wahl der weichen Reifen nicht gewonnen hat, aber auch keine anderen Möglichkeiten hatte?"
Wurz: "Ich würde es darauf zurückführen, dass McLaren für dieses Rennen in Suzuka - eine spezielle Strecke, sehr schnell, Durchschnittsgeschwindigkeiten in den Kurven sehr hoch - einen fantastischen Job gemacht hat."
"McLaren hat mit dem neuen Aerodynamikteil eindeutig einen Schritt nach vorne gemacht, Red Bull ein bisschen in die Passive gedrückt. Das war einmal das Wichtigste. Das Zweitwichtigste war, dass Button bei diesem Rennen wieder - wie üblich - gut auf seine Reifen aufpassen konnte und nach dem zweiten Boxenstopp den Sack zugemacht hat. Da ist Red Bull einfach nicht mitgekommen."
"Man hat schön und deutlich gesehen, wie knapp das in Wirklichkeit ist, denn wir haben geglaubt, Vettel ist diese Saison übermächtig. Aber wenn nur ein bisschen was im Freien Training mit dem Setup und der Balance des Autos nicht stimmt, ist er gleich Zweiter oder Dritter. Das hat Button heute ausgenutzt. Für mich war das eines der besten Rennen von Jenson Button. Er hat gezeigt, wie knapp die Formel 1 dennoch ist."
Frage: "Dass Vettel den WM-Titel erfolgreich verteidigt hat, ist in dieser Phase der Saison keine Überraschung mehr, aber es ist schon überraschend, dass er es so früh geschafft hat, oder?"
Wurz: "In Wirklichkeit ist das der totale Wahnsinn! Wir sehen solche Meisterleistungen von Sportlern nur alle paar Jahre - egal, von welchem Sport wir sprechen. Vettel hat vom ersten bis zum letzten Rennen dominiert."
Einziges Nicht-Podium beim Heimrennen
"Es gibt ein Rennen, wo er nicht auf dem Podest war, bei seinem Heimrennen auf dem Nürburgring. Dort hat er den einzigen wirklichen Fehler gemacht: Beim Anbremsen der Kurve zehn hat er sich ein bisschen falsch positioniert und gedreht. In Kanada das Rausrutschen unter nassen Bedingungen war nicht wirklich ein Fehler, wo Button ihn dann zum Sieg niedergerungen hat. Sonst hat der Junge alles richtig gemacht, keinen Fehler. Das ist einfach sensationell! Er ist im Kopf so klar geblieben, die ganze Saison, hat genau gewusst, was er will, mit beiden Füßen am Boden. Da gibt es nichts anderes zu sagen als: absolut fantastisch!"
Frage: "Das ist anders als im Vorjahr, als er im letzten Rennen den Titel geholt hat. Da waren noch viele Jugendsünden und viel jugendlicher Leichtsinn im Spiel. Alles weg, oder?"
Wurz: "Jugendsünden sind ja nicht schlecht (lacht; Anm. d. Red.)! Die Saison letztes Jahr war dann doch auf Biegen und Brechen, dass er Weltmeister geworden ist. Er war bis zum letzten Rennen nie WM-Führender."
"Er war oftmals Schnellster, hat einige ungestüme Fehler gemacht, jugendlicher Leichtsinn, aber der Red Bull war auch nicht so standfest. Da haben das Team und Vettel ganz hart dran gearbeitet und sie haben aus dieser zwar weltmeisterlichen, aber nicht astreinen Saison 2010 so viel gelernt, dass sie es jetzt absolut perfekt gemacht haben. Keinen einzigen technischen Defekt, Vettels Fehlerquote eigentlich nicht vorhanden. Da kommt einfach im Augenblick niemand mit."
Frage: "Es wird nie ausgesprochen, aber hilft ihm auch, dass er im Team die Nummer eins ist, dadurch vielleicht den einen oder anderen Vorteil hat?"
Wurz: "Ja, sicher hilft ihm das, aber das musst du dir auch erst erarbeiten! Das hat er sich hart erarbeitet. Mark Webber wollte es im Vorjahr erzwingen, aber Seb hat sich das über die Jahre hinweg durch seine Art und Weise, durch seine Leistungen, durch sein Sein in diesem Red-Bull-Team erarbeitet. Deshalb gebührt ihm diese Nummer-eins-Position absolut. Er macht auch das Richtige draus, speziell in dieser Saison."
Frage: "Er ist jetzt zweifacher Weltmeister. Auf Michael Schumacher fehlen ihm noch ein paar Titel, aber die Art und Weise, wie er das geschafft hat, war beeindruckend. Kann man ihn aufgrund dieser Art und Weise jetzt schon in eine Reihe mit Schumacher und Senna einordnen?"
Wurz: "Schumacher war siebenfacher Weltmeister, Senna dreifacher Weltmeister - und nach seinem Tod natürlich eine Ikone für den Motorsport. Aber Sebastian Vettel ist eindeutig dran, einer der größten Fahrer zu werden."
Vettels Feuer lodert noch
"Er ist jetzt jüngster Doppelweltmeister und ein Ende seiner Karriere ist nicht in Sicht. Das Feuer brennt - man sieht das an seinen Aktionen wie heute am Start oder beim Kämpfen in der Mitte des Rennens. Das hat absolut Stoff, dass er vielleicht der Allergrößte wird, aber einer der Größten ist er auf alle Fälle schon."
Frage: "Was war deiner Meinung nach sein Meisterstück in dieser Saison, wo er dich am allermeisten beeindruckt hat?"
Wurz: "Schwer zu sagen, bei so einer dramatisch-coolen Saison. Außerdem kann ich mich nicht immer gut erinnern, muss ich dazusagen (lacht; Anm. d. Red.)! Aber nehmen wir Monaco als Beispiel: Er war dort wirklich in der Passiven, mit einem Satz Reifen."
"Er hat die Teamentscheidung overrult - er hat gegen den Willen des Teams entschieden, dass er draußen bleibt, und hat das Rennen astrein gewonnen. Das war schon eine Leistung, wo man sieht, dass er nicht nur schnell und clever ist, sondern dass er sogar so mitdenken kann, um Teamentscheidungen zu analysieren und im Rennen zu ändern. Das zeigt schon, wie gut dieser Mann drauf ist."
Frage: "Bei vielen Experten steht das Überholmanöver in Monza gegen Fernando Alonso ganz oben. Warum war das so ein besonderes Manöver?"
Wurz: "Er hätte da auch nur fertig fahren müssen, aber er hat mit absoluter Brutalität einen Fernando Alonso beim Ferrari-Heim-Grand-Prix in die Knie gezwungen, in einer Art, wo ich mir gedacht habe: 'Du, Burschi, du brauchst eigentlich nur zwei, drei Runden länger warten, dein Auto ist eindeutig schneller.' Aber er wollte beweisen, dass er auch im Zweikampf absolut Spitze ist. Das hat man gesehen. Ein absolut cooles Manöver!"
Frage: "Dietrich Mateschitz hat einmal gesagt, wenn er Weltmeister wird, dann schenkt er ihm das WM-Auto. Was macht man daheim mit so einem Auto? Im Garten eine Runde drehen, da wird die Freundin nicht begeistert sein..."
Wurz: "Vor allem die Nachbarn nicht (lacht; Anm. d. Red.)! Aber ich glaube, der Didi Mateschitz wird es sich leisten können, ihm das Auto zu schenken. Es ist gar nicht so einfach, solche Autos zu bekommen, aber ich glaube, er hat es sich verdient."
Prognose für 2012 nicht möglich
"Was wird er damit machen? Ich denke einmal, die Garage wird groß genug sein, die wird er sich leisten können - und da wird er das Auto halt reinstellen. Zum Fahren sind die Autos nicht einfach, denn da brauchst du immer Ingenieure, die das programmieren, dass man das Auto starten und bewegen kann. Aber ein absolut schönes Geschenk!"
Frage: "Wird Red Bull 2012 wieder nicht zu schlagen sein, wenn man diesen Blick schon wagen darf? Kann man das sagen?"
Wurz: "Nein, kann man nicht sagen. Wir brauchen nur den heutigen Grand Prix als Beispiel nehmen: McLaren fantastisch entwickelt, aus eigener Kraft haben die Leute aus England gewonnen, mit einem Button, der im Augenblick so gut fährt wie noch nie. Ein Hamilton kann vom Talent her auch jeden niederbrechen, wenn er sich in den Griff bekommt. Ich glaube, das kann durchaus spannend werden."
Frage: "Vor dieser Saison gab es ein paar Regeländerungen, aber auch Kritik daran. Jetzt sagen doch viele, dass es sehr spannend war, dass es viele Überholmanöver gegeben hat. Müssen sich die Kritiker selbst an der Nase nehmen und zugeben, dass sie sich geirrt haben?"
Wurz: "Da muss ich bei mir auch anziehen (fasst sich an die Nase; Anm. d. Red.), denn ich habe mich auch kritisch geäußert, vor allem über dieses DRS, den verstellbaren Heckflügel, der das Überholen vielleicht ein bisschen künstlich gestaltet. Aber man muss der FIA ein Lob aussprechen: Sie hat das perfekt gehandhabt und die Saison hatte mehr als 50 Prozent klassische Überholmanöver und weniger als 50 Prozent künstliche Überholmanöver."
"Spannend war es, weil wir wirklich tolle Leistungen gesehen haben. Jedes Rennen hat irgendwer Sebastian Vettel gefährden können - es waren keine Fahrten, die vorneweg waren. Und, was auch ganz wichtig ist: Die Bildregie hat in den letzten Jahren sehr viel dazugelernt und filmt jetzt auch oft diese verdammt spannenden Kämpfe im Mittelfeld. Das heißt, jede Runde eines Formel-1-Grand-Prix bietet im Augenblick Spannung. Die Einschaltquoten steigen. So ist jeder happy."
Frage: "Dieser WM-Titel von Sebastian Vettel ist auch irgendwo ein österreichischer Erfolg. Wie viel Österreich steckt denn in diesem Auto?"
Wurz: "Ziemlich viel, denn der Mann, der an der Spitze steht, der das Team überhaupt übernommen hat, aufgebaut hat, der die Entscheidungen getroffen hat, die Superhirne wie Adrian Newey und andere Ingenieure zu kaufen und das alles zusammenzufügen, das ist Didi Mateschitz aus Salzburg. Dort geht eigentlich der Dank der österreichischen Rennsportfans hin. Das überhaupt ermöglicht zu haben, ist allein seine Schuld."