Whiting im Interview: Alles über die neuen Regeln
FIA-Rennleiter Charlie Whiting im Interview: Warum der verstellbare Heckflügel die Zuschauer nicht verwirren wird und wieso er Manipulation ausschließt
(Motorsport-Total.com) - Die neuen Überholhilfen spalten derzeit die Formel 1. Viele Piloten klagen über zu viele Knöpfe im Cockpit, zudem steigt die Angst, dass die "Königsklasse" des Motorsports zu künstlich werden könnte. Gleichzeitig sind viele Fans im Unklaren, wie der neue Heckflügel, den die Piloten vom Cockpit aus flacher stellen können, wirklich funktioniert. FIA-Rennleiter sorgt im ausführlichen Interview für Abhilfe und erklärt, warum die Formel 1 in Zukunft durch die neuen Systeme nicht leichter manipulierbar sein wird.
Frage: "Herr Whiting, die große Neuigkeit für die kommende Saison ist der verstellbare Heckflügel. Wenn wir es richtig verstanden haben, dann funktioniert das System folgendermaßen: Mittels Regler kann ein Element des Heckflügels bewegt werden. Dieser wird von jedem Formel-1-Fahrer betätigt, was wiederum von der Rennleitung überwacht wird. Wie überwacht die Rennleitung diesen Ablauf?"
Charlie Whiting: "An jedem Heckflügel befindet sich dieser Regler, der ständig vom Fahrer gesteuert werden kann. Dennoch kann er nur benutzt werden, wenn ihn die Elektronik an Bord (FIA Electronic Control Unit) darüber informiert, dass er dies tun darf."
"Der Abstand zum Vordermann wird vor der Geraden gemessen, auf der der Flügel aktiviert werden darf. Wenn der Verfolger weniger als eine Sekunde zurückliegt (was in einem speziellen, auf der Strecke installierten Zeitnahmebereich gemessen wird), dann wird der Fahrer darüber informiert, dass sein System 'scharf' ist. Er darf es aber erst benutzen, wenn er den ausgewiesenen Punkt auf der kommenden Geraden erreicht. Dieser Punkt dürfte sich 600 Meter vor dem Bremspunkt der folgenden Kurve befinden. Das könnte allerdings anhand der beim Testen und im Training erhobenen Daten auch noch angepasst werden."
Whiting reagiert auf Kritik
Frage: "Was waren die Hintergründe der Einführung dieser neuen Regel?"
Whiting: "Das war ein Vorschlag, den die Teams der FIA unterbreitet hatten, mit dem ausschließlichen Ziel, die Überholmöglichkeiten zu verbessern, es aber auch nicht zu einfach zu machen. Die FIA steht Vorschlägen zur Verbesserung des Spektakels stets offen gegenüber und wir haben nach einer Lösung gesucht, die sowohl die Teams, als auch die Zuschauer zufrieden stellt."
Frage: "Gibt es keine Bedenken, dass dies die Zuschauer verwirren könnte?"
Whiting: "Es gibt keinen Grund, zu denken, dass die Zuschauer verwirrt sein werden. Wie vorhin beschrieben, ist die Bedienung des Flügels einfach. Es wird Markierungen auf der Strecke geben, um anzuzeigen, wo der Abstand gemessen wird. Auch an den Punkt, an dem die Fahrer ein 'scharfes' System einsetzen dürfen, wird eine Linie quer über die Strecke gehen. Zudem erhält der Fernsehsender jedes Mal, wenn ein System scharf ist, ein Signal, das auch den Zuschauern gezeigt wird."
Whiting: "Wie vorhin erklärt, hat die Rennleitung keinen Einfluss auf das Ergebnis des Rennens. Die Fahrer müssen bloß in den Bereich von einer Sekunde zum Vordermann kommen, dann wird das System automatisch aktiviert und der Fahrer kann es am im Vorhinein bestimmten Punkt einsetzen. Die Frage stellt sich also gar nicht, ob die Rennleitung in das Rennen eingreifen kann."
Frage: "Wie kann es verhindert werden, dass Fahrer die Situation ausnützen und den Führenden auf der letzten Geraden überholen?"
Whiting: "Wenn es ein Fahrer schafft, innerhalb einer Sekunde mit dem Führenden in der letzten Runde in die letzte Kurve einzubiegen, dann ist es unwahrscheinlich, dass er ihn vor der Ziellinie überholen kann. Wenn ein Auto in den Bereich von einer Sekunde zu irgendeinem anderen Auto kommt, dann hat der Fahrer diese Gelegenheit, ganz egal in welcher Position er sich im Rennen befindet."
"Ich darf aber daran erinnern, dass der Bereich, in dem das Drag Reduction System (DRS; auf Deutsch Luftwiderstands-Reduktions-System, Anm.) verwendet werden darf, noch abgeglichen wird. Es ist schließlich die Absicht, dem nachfolgenden Fahrer zu helfen und nicht ein Überholmanöver zu garantieren."
Frage: "Wie wird sich die Aktivierung auf die Geschwindigkeit des Autos auswirken? Stimmt es, dass der Geschwindigkeitsvorteil rund sechs bis sieben km/h beträgt?
Whiting: "Unsere Simulationsarbeiten haben ergeben, dass der Unterschied zwischen Autos mit und ohne dem DRS am Ende der Geraden im Bereich von zehn bis zwölf km/h liegen sollte."
Was geschieht, wenn das System nicht funktioniert
Frage: "Wurde die Gefahr eines Zuverlässigkeitsproblems bedacht? Manchmal funktionieren elektronische Systeme nicht richtig.
Whiting: "Wir haben die Software so geschrieben, dass ein Fahrer das System überstimmen kann, wenn zum Beispiel die Abstandserkennung aus irgendeinem Grund nicht funktioniert hat. Das wäre aber nur erlaubt, wenn das Team eine spezielle Instruktion vom Rennleiter erhält. Wenn dies unerlaubterweise geschieht, würden wir schwere Strafen verhängen."
Frage: "Wann darf mit der endgültigen Entscheidung, was den Einsatz des neuen Systems angeht, gerechnet werden?"
Whiting: "Da wird die benötigten Informationen beim letzten Tests gesammelt haben, wird dies in den kommenden Tagen geschehen. Die Teams werden in Folge dessen informiert."
Whiting: "Das wurde besprochen, eine Entscheidung ist aber noch nicht gefallen. Wir werden am Tag vor dem ersten Training mit den Teams die Möglichkeit besprechen, einen Teil des Freien Trainings in Melbourne dafür zu nutzen."
Frage: "Wie beeinflusst der verstellbare Heckflügel KERS?"
Whiting: "Das DRS wird KERS auf gar keine Weise beeinflussen. KERS darf von den Fahrern zu jeder Zeit eingesetzt werden, der nachfolgende Fahrer darf natürlich beides benutzen. Dennoch handelt es sich um unabhängige Systeme."
Frage: "Wie werden diese neuen Regeln das Handling des Autos und speziell die Reifen beeinflussen? Pirelli steht schließlich vor der ersten Saison."
Whiting: "Wir glauben, dass sie geringe oder gar keine Auswirkungen auf die Reifen haben werden. Der Abtrieb sollte sich in einem normalen Bereich bewegen, wenn die Reifen quer belastet werden. Dies kann aber erst nach mehr Erfahrung mit dem System ernsthaft bewertet werden."
Frage: "Welche anderen Regeländerungen gibt es 2011?"
Whiting: "Das Verbot des Doppeldiffusors, das Verbot des F-Schachts, strengere Belastbarkeits- und Flexibilitätstests beim Frontflügel und beim Unterboden, ein zusätzliches Stahlseil bei jedem Rad, ein Anti-Eindringungsfeld beim Monocoque im Bereich der Beine des Piloten, ein zusätzlicher Belastbarkeitstest für jedes Chassis an einem Punkt unter der Sitzposition des Fahrers, das Getriebe muss fünf statt vier Rennen lang halten und eine minimale Qualifying-Zeit von 107 Prozent wird eingeführt."