Horner: "Viel zu früh" für vorsichtige Taktik
Christian Horner spricht über Red Bulls Chancen in Suzuka, ein besonderes Geschenk für Mark Webber und die WM-Taktik, die weiterhin volle Attacke lautet
(Motorsport-Total.com) - Motorsportkonsulent Helmut Marko ließ unlängst anklingen, dass Red Bull zumindest mit Mark Webber auf eine konservativere Strategie setzen könnte, um im WM-Kampf konstant Punkte zu sammeln. Doch Teamchef Christian Horner will davon nichts wissen und kündigt an, dass weiterhin beide Fahrer voll auf Attacke gehen werden.
© Red Bull/Getty
Christian Horner ist zuversichtlich, dass Red Bull in Suzuka gewinnen kann Zoom Download
Horner kam am Donnerstag nicht mit dem Hubschrauber in Suzuka an, "sondern David Coulthard hat mich mitgenommen. Wir sind aus Tokio mit dem Auto hierher gefahren. Es war ein wunderschöner Tag", so der Brite. Doch von nun an gilt seine Konzentration nicht mehr dem (an diesem Wochenende wahrscheinlich schlechten) Wetter, sondern dem hochdramatischen WM-Finish, das Red Bull am liebsten mit einem Doppelsieg auf der Aerostrecke in Suzuka eröffnen möchte.
Trockene Bedingungen besser als Regen
Frage: "Christian, die Wettervorhersage für dieses Wochenende ist nicht gut. Regen würde euch nicht unbedingt entgegenkommen, nicht wahr?"
Christian Horner: "Es ist mir zwar lieber, wenn es trocken bleibt, aber Regen ist nicht grundsätzlich schlecht für uns. Er bringt halt viele Variablen mit sich, aber das ist für alle gleich. Wir müssen unsere Performance optimieren."
Frage: "Mark sagt jedoch, dass der Red Bull dieses Jahr im Regen nicht so stark ist wie im Vorjahr..."
Horner: "Mark stand in Malaysia auf Pole und in Australien waren beide sehr schnell. In China waren die Reifen ein Faktor. Schwer zu sagen. Wir hatten eigentlich noch kein Regenrennen mit gleichbleibenden Bedingungen. Außerdem variiert das von Strecke zu Strecke."
Frage: "Suzuka ist eine Strecke, die euch liegen müsste. Auch wenn du dir keinen zusätzlichen Druck auferlegen wirst, aber hier seid ihr Favoriten, oder?"
Horner: "Die Strecke sollte unserem Auto liegen, ja. Wir waren im Vorjahr sehr schnell, aber McLaren auch. Im ersten Sektor müssten wir sehr schnell sein, aber der dritte Sektor mit der langen Gerade und der Vollgaskurve wird wohl unser schwächster Sektor sein."
Frage: "Wärst du schockiert, wenn ihr hier nicht gewinnen solltet?"
Horner: "Du musst mit dem umgehen, was du bekommst. Es ist unmöglich, jetzt schon das Rennergebnis vorherzusagen, aber es stimmt, dass uns diese Strecke liegen müsste und dass wir den Grand Prix unbedingt gewinnen möchten. Dieses Ziel haben wir aber auf allen Strecken außer Monza."
"Jetzt schauen wir mal, wie das Wetter wird, wie die ersten Runden laufen, wie sich die Erwartungen ändern. Singapur war mit den Plätzen zwei und drei ein gutes Ergebnis für das Team. Wir hatten dort das schnellste Auto, aber eine Runde im Qualifying hat entschieden. Unsere Strategie für Mark ist wunderbar aufgegangen und unsere Rennpace war sehr stark."
Frage: "Glaubst du, dass ihr hier ähnlich dominant sein werdet wie im Vorjahr?"
Horner: "Die Autos wurden seither massiv weiterentwickelt, aber es ist eine Strecke, die beide Fahrer mögen, Sebastian ganz besonders. Wir wollen ein gutes Ergebnis holen, aber die Wettervorhersage sieht nicht gut aus. Unterm Strich ist das für alle gleich, aber das wäre ein weiterer dynamischer Faktor, den es zu beachten gilt."
Frage: "Mark wirkte in Singapur ein bisschen blockiert. Ist er jetzt wieder freier?"
Horner: "Ich denke, er war froh, aus Singapur abzureisen, denn Singapur und Monza waren zwei Strecken, die er nicht sonderlich mag. Auf der potenziell schlechtesten Strecke der Saison einen Podestplatz mitzunehmen, war für seine WM-Kampagne ein sehr, sehr gutes Ergebnis. Suzuka mögen beide Fahrer. In Südkorea war noch niemand außer Karun Chandhok und auf den letzten beiden Strecken haben unsere Fahrer schon starke Rennen gezeigt. Daher war Marks dritter Platz in Singapur sehr wichtig, um die WM-Führung zu verteidigen."
Frage: "Wundert es dich, dass er bei der Kollision mit Lewis Hamilton nicht ausgeschieden ist?"
Horner: "Wir werden dieses Rad in einen Couchtisch umbauen und es ihm zu Weihnachten schenken, denn wie das gehalten hat, frage ich mich noch heute..."
Freude mit Glückspilz Webber
Frage: "Ist das das Glück, das man braucht, um Weltmeister zu werden?"
Horner: "Mark hatte in seiner Karriere schon so viel Pech, dass ihm das bisschen Glück, dass er diese Saison hat, zusteht. Es läuft gut für ihn und das freut mich."
Frage: "In der 130R müssen die Piloten wegen des F-Schachts einhändig fahren, nicht wahr?"
Horner: "Ja, aber das ist kein Problem. Sie sind durch Eau Rouge einhändig gefahren, also werden sie das auch in der 130R packen. Es ist ja nicht wirklich einhändig, sondern sie legen das Handgelenk seitlich an das Loch. Ich hoffe, dass wir dieses Wochenende stark sein werden. Wir sind jedenfalls guter Dinge."
Frage: "Habt ihr hier irgendwelche Neuerungen dabei?"
Horner: "Es gibt da und dort aerodynamische Feintunings, ganz klar, aber keine großen Upgrades."
Frage: "Mark sagt, dass er es sich noch nicht erlauben kann, nur Punkte zu sammeln, sondern er will weiterhin aggressiv fahren. Unterstützt du das?"
Horner: "Ja, denn dafür wäre es noch viel zu früh. Er hat elf Punkte Vorsprung auf Fernando und 20 auf Lewis, aber das reicht nicht aus, um schon zu cruisen. Er muss an jedem Rennwochenende attackieren. Das Gleiche gilt für Sebastian."
Frage: "Bei Sebastian ist das ohnehin offensichtlich..."
Horner: "Mag sein, aber für Mark ist es wichtig, konstant zu bleiben. Bisher hat er eine solide Saison hingelegt. Nun kommt es darauf an, den Job fertig zu machen."
Frage: "Ferrari scheint im Moment sehr stark zu sein, Fernando Alonso hat drei der letzten fünf Rennen gewonnen. Du hast ja schon vor Singapur angekündigt, dass sie euer Hauptgegner sind. Fühlst du dich nun bestätigt?"
Horner: "Red Bull und Ferrari waren in Singapur phasenweise um eine Sekunde schneller als McLaren. Fernando ist ein sensationelles Rennen gefahren."
"Ich glaube, wir hatten die Pace, um Ferrari zu schlagen, aber entschieden hat eine einzige Runde im Qualifying. Fernando hat das perfekt gemacht, aber das Gute ist, dass wir abgesehen von Monza immer schnell waren. Ferrari und McLaren schätze ich auch hier stark ein, aber ich hoffe, dass wir eine Stufe über ihnen stehen werden."
Frage: "Bist du besorgt, dass Ferrari wieder eine Stallorder anordnen könnte, um zum Beispiel Felipe Massa als Puffer einzusetzen, wie sie das einst mit Eddie Irvine gemacht haben?"
Horner: "Ich hoffe nicht. Zuerst einmal muss Felipe vorne sein, damit er das machen kann. Ferrari kann allerdings taktisch alles auf ein Auto setzen, während wir und McLaren noch zwei Fahrer im WM-Kampf haben. Mir ist es lieber, zwei Autos im Rennen zu haben als eines, aber wenn wir die Fahrer-WM um die sieben Punkte aus Hockenheim verlieren, dann wären wir extrem frustriert."
Ferrari-Stallorder steht zu befürchten
Frage: "Was würdet ihr dann machen?"
Horner: "Was passiert ist, ist passiert. Unser Ziel ist, diese Saison so gut wie möglich zu beenden."
Frage: "Mark scheint sich wegen Ferrari und Felipe Massa keine Sorgen zu machen. Wie siehst du das?"
Horner: "Naja, es gibt schon ein paar Anzeichen. Es ist ja offensichtlich: Felipe hat keine Chance mehr und er wird von Ferrari bezahlt, also wird er Fernando natürlich unterstützen. Wenn es bei uns so wäre, dass ein Fahrer keine Titelchance mehr hat, würden wir es vielleicht auch so machen, aber so früh in der Saison hätten wir nicht damit gerechnet."
Frage: "Angenommen, Felipe führt und Mark kommt als Zweiter nicht an ihm vorbei, was macht ihr dann?"
Horner: "Das wäre schlecht, aber wir konzentrieren uns einfach darauf, vorneweg unser eigenes Rennen zu diktieren. Dann müssen wir uns über solche Dinge nicht den Kopf zerbrechen."
Frage: "Wenn ihr trotz eures immensen Geschwindigkeitsvorteils nicht Weltmeister werden solltet, wäre Red Bull sicherlich nicht glücklich darüber. Baut sich dadurch Druck auf?"
Horner: "Nein. Dieses Team ist erst in seiner sechsten Saison und wir haben gerade mal rund 100 Rennen absolviert. Wenn man sich mal erinnert, von wo wir herkommen, dann ist es eine großartige Leistung, heute Rad an Rad mit Ferrari und McLaren zu kämpfen. In vielerlei Hinsicht sind wir die Underdogs."
"Im Vorjahr dachten viele, dass unsere Performance ein Sturm im Wasserglas bleiben würde, aber wir haben bewiesen, dass das nicht der Fall ist. Wir haben es mit formidablen Gegnern zu tun, aber wir haben schon sechs Grands Prix gewonnen, also mehr als jedes andere Team. Wir führen derzeit beide WM-Wertungen an. Ich finde, es war bisher eine sehr positive Saison. Mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft würde natürlich ein Traum in Erfüllung gehen."
Frage: "Würde es euch helfen, falls Südkorea in letzter Minute abgesagt werden sollte?"
Horner: "Es würde Mark helfen, aber Sebastian nicht. Da haben sie wahrscheinlich unterschiedliche Meinungen."
Frage: "Glaubst du, dass das Rennen stattfinden kann?"
Horner: "Ich denke, dass Südkorea stattfinden wird. Ich glaube, sie machen gute Fortschritte mit der Strecke, denn ich höre, dass sie jeden Tag sehr lange arbeiten."
Frage: "Hast du eine Message ans Team und an die Fahrer?"
Horner: "Wir brauchen vier starke Rennen, in denen wir immer punkten müssen. Das Team ist sehr guter Dinge, sehr motiviert, und die Bemühungen, die derzeit investiert werden, nicht nur an der Rennstrecke, sondern auch in der Fabrik in Milton Keynes, sind bemerkenswert. Der Hunger, diesen Job erfolgreich zu erledigen, ist riesengroß!"
Siege ersparen jedes Rechenspiel
Frage: "Ist die Strategie eine andere, wenn gleich fünf Fahrer im WM-Kampf sind?"
Horner: "Die Dynamik des WM-Kampfs ist komplex, wenn fünf Fahrer involviert sind, aber unsere Strategie ist ziemlich klar: Wir wollen versuchen, mit unseren beiden Fahrern vor allen anderen zu landen, dann erledigt sich die Rechnerei von selbst. Für uns hat oberste Priorität, mit beiden Fahrern ganz vorne zu stehen."
Frage: "Für euch wäre es der erste WM-Titel. Flattern da nicht die Nerven?"
Horner: "Das glaube ich nicht. Bei McLaren ist die Führung auch eine andere als beim WM-Titel mit Lewis und bei Ferrari sind andere Leute am Ruder als bei Kimis WM-Triumph. Das könnte man in vielerlei Hinsicht sagen."
"Wir konzentrieren uns auf jedes einzelne Rennen und mir fallen keine flatternden Nerven im Team auf. Wir haben hart gearbeitet, um in diese Ausgangsposition zu kommen. Es ist schon bemerkenswert, was wir in nur sechs Jahren erreicht haben, denn die Leute vergessen oft, dass wir nicht zufällig hier sind. Der Antrieb und das Selbstvertrauen dieses Teams sind inzwischen sehr groß."
Frage: "Welche Lektionen habt ihr dieses Jahr als Team gelernt?"
Horner: "Das Team ist stärker und stärker geworden. Außerdem haben sich alle Weiterentwicklungen bezahlt gemacht, die wir gebracht haben, und wir haben es geschafft, den Schwung aus dem Vorjahr mitzunehmen, obwohl wir bis zum Schluss in den WM-Kampf verwickelt waren. Dabei haben wir wertvolle Lektionen gelernt, die wir dieses Jahr wieder anwenden können. Strategisch gesehen waren wir sehr stark, wie die vergangenen paar Wochenenden gezeigt haben. Ich finde, dass das Team in allen Aspekten stärker geworden ist."
Frage: "Meinst du damit auch besondere Details?"
Horner: "Wir gehen einfach überall ans Limit. Zum Beispiel haben wir im Durchschnitt die schnellsten Boxenstopps. Das ist kein Zufall, sondern das Ergebnis harter Arbeit. Grands Prix zu gewinnen oder gar Weltmeister zu werden ist nicht möglich, wenn man sich nicht mit jedem Detail beschäftigt und auch nur einen Stein auf dem anderen lässt."
Frage: "Bist du hinsichtlich eurer Zuverlässigkeit besorgt?"
Horner: "Statistiken können sich schlagartig ändern, aber bis jetzt waren wir das zuverlässigste Auto im Feld - bis jetzt. Aber wir wissen wie gesagt, wie schnell sich Statistiken ändern können."
Frage: "Bist du enttäuscht, dass Kimi Räikkönen doch nicht zurückkehren wird? Oder hast du von Anfang an nicht daran geglaubt?"
Horner: "Sieht so aus, dass da ein bisschen Propaganda gemacht wurde, über die Kimi nicht gerade erfreut ist! Ich weiß nicht, ob Kimi davon wusste, dass sein Management an Renault herangetreten ist, aber offensichtlich scheint er mit den Gerüchten keine Freude zu haben."
Frage: "Eine letzte Frage noch: Wie lautet deine Vorhersage für dieses Wochenende?"
Horner: "Das ist immer schwierig, aber wir sind in Japan. Ich könnte mir vorstellen, dass Kobayashi hier ein tolles Wochenende abliefern wird."