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Trulli-Interview: Mit den Topteams abgeschlossen
Jarno Trulli erklärt, warum er nicht mehr mit einem Wechsel zu einem Topteam rechnet, aber den Traum vom WM-Titel noch nicht aufgegeben hat
(Motorsport-Total.com) - Jarno Trulli wirkt ein wenig lustlos, als wir ihn am Hungaroring im Lotus-Motorhome antreffen. Der 36-Jährige plaudert gerade mit Freunden - längst umgezogen und geduscht und mit der Arbeit für den Tag fertig, dabei ist es gerade mal eine Stunde her, dass er aus dem Auto gestiegen ist. Auch das Interview mit 'Motorsport-Total.com' scheint ihm nicht mehr sonderlich viel Freude zu bereiten.
Man kann sich des Eindrucks nicht verwehren, dass Trulli nach fast 14 Jahren Formel 1 die Lust verloren hat, sich tagtäglich zu schinden, um dem Feld letztendlich dann doch nur hinterherzufahren. Zwar versichert der Monte-Carlo-Sieger von 2004, der lange Zeit als einer der besten Qualifyer im Grand-Prix-Zirkus galt, dass er noch genauso motiviert ist wie vor zehn Jahren, aber zu beurteilen, ob er noch mit gleicher Konsequenz zu Werke geht, überlassen wir dem Leser...
Erfolgreich im Weingeschäft
Frage: "Jarno, wie läuft das Geschäft mit deinem Wein?"
Jarno Trulli: "Sehr gut! Es ist ein Familiengeschäft. Ich kümmere mich ums Marketing, um die Promotion, reise herum, um Leute zu treffen. Meine Aufgabe ist hauptsächlich, das Marketing voranzutreiben, was im Weingeschäft sehr wichtig ist. Dafür nutzen wir meine Popularität. Mein Vater kümmert sich um alles andere."
Frage: "Deine Ergebnisse in der Formel 1 sind derzeit nicht berauschend. Ersäufst du den Frust mit deinem Wein?"
Trulli: "Nein (lacht; Anm. d. Red.). Ich treibe Sport, um meinen Frust abzubauen, gehe zum Beispiel Radfahren. Ich suche den Wettbewerb halt woanders. Was anderes bleibt mir ja auch gar nicht übrig. Meine Motivation ist ungebrochen, aber natürlich ist die Situation frustrierend."
Trulli: "Nein, eher beim Radfahren, wie gesagt. Ich fahre kleine Kriterien, normale Radrennen für Amateure."
Frage: "Du bist seit eineinhalb Jahrzehnten in der Formel 1. Wie lange kannst du dir vorstellen, das noch zu machen?"
Trulli: "Ehrlich gesagt weiß ich das nicht. Darüber denke ich nicht nach. Wenn ich einmal nicht mehr schnell bin, macht es keinen Sinn mehr, in der Formel 1 zu bleiben. Natürlich fällt es mir schwer, ein Jahr wie dieses zu akzeptieren, aber die Perspektive für 2011 ist besser. Ich will mich nicht damit abfinden, ein Hinterbänkler zu sein. Ich habe das akzeptiert, weil Lotus einen langfristigen Plan hat. Dass es im ersten Jahr schwierig wird, war mir von Anfang an klar. Jetzt muss ich geduldig sein."
Frage: "Vor Saisonbeginn hat eigentlich jeder erwartet, dass die drei neuen Teams am Ende des Feldes liegen werden, aber der große Zeitrückstand hat einige doch überrascht. Dich auch?"
Trulli: "Ja. So einen großen Rückstand hatten wir nicht erwartet, aber so ist es leider nun mal im Moment. Ich war auf eineinhalb, maximal zwei Sekunden eingestellt. Wenn man aber den Abstand zwischen den Topteams und den letzten etablierten Teams betrachtet, dann sind alleine das schon zwei Sekunden. In Ungarn hatte sogar Ferrari eine Sekunde Rückstand."
Karriere im Spätherbst
Frage: "Wie lange läuft dein Lotus-Vertrag?"
Trulli: "Drei Jahre, aber ich kann nicht ins Detail gehen."
Frage: "Kannst du dir vorstellen, deine Karriere bei Lotus zu beenden?"
Trulli: "Das hängt davon ab. Im Moment werde ich einmal nächstes Jahr hier sein, denn es geht in die richtige Richtung. Aber allzu weit in die Zukunft denke ich nicht."
Frage: "Es ist in einem neuen Team sehr schwierig, den Leuten aufzufallen. Wie sehr bist du im Kopf noch darauf eingestellt, wieder in ein Topteam zu wollen? Dir ist ja sicher klar, dass das heute schwieriger ist als noch vor zwei, drei Jahren..."
Trulli: "Viele Topteams gibt es ja nicht mehr - und bei den wenigen, die es noch gibt, spielt auch die Politik immer eine Rolle. Insofern rechne ich nicht mehr damit, noch einmal für ein Topteam zu fahren. Ich hoffe aber, dass Lotus zu einem Topteam wird."
Frage: "Heißt das, dass du mit dem Traum abgeschlossen hast, eines Tages Formel-1-Weltmeister zu werden?"
Trulli: "Ich habe gelernt, dass man in der Formel 1 nie sagen kann, was in Zukunft passiert. Wer hätte geglaubt, dass Button doch noch Weltmeister wird?"
Frage: "Fast 15 Jahre Formel 1, mit all dem Reisestress und den Terminen, können ziemlich auslaugend sein. Bist du immer noch genauso hungrig wie zu Beginn?"
Trulli: "Ich glaube schon. Ich bin noch sehr motiviert und möchte die Ziele erreichen, die ich mir setze. Wenn du am Ende des Feldes herumfährst, wird vieles nicht wahrgenommen, aber ich kämpfe immer noch wie ein Junger."
Frage: "Lotus hat die Entwicklung bereits voll auf 2011 verlagert. Was kannst du unternehmen, damit das neue Auto deinem Fahrstil entgegenkommen wird?"
Trulli: "Da geht es nicht um meinen Fahrstil, sondern darum, generell ein konkurrenzfähiges Auto zu bekommen. Das ist der erste Schritt. Das Auto dann an meinen Fahrstil anzupassen, ist nur sekundär. Da reden wir vielleicht von zwei Zehntelsekunden pro Runde, die man auf diese Weise noch herausholen kann, aber im Moment fehlen uns ja vier Sekunden. Seit Saisonbeginn konzentriere ich mich also vor allem darauf, die Schwachstellen des Autos zu lokalisieren und zu melden."
Entwicklungsrichtung vorgeben
Frage: "Du bringst viel Erfahrung von Teams wie Renault und Toyota mit, aber was kannst du selbst unternehmen, um das Auto besser zu machen? Schließlich kannst du nicht einen Frontflügel designen..."
Trulli: "Das stimmt. Das Wichtigste ist, dem Team Richtung und Feedback zu geben, wohin sie entwickeln müssen. Es gibt einige Entscheidungen, die das Team treffen muss und die fallweise sehr wichtig sein können. Wird da die falsche Entscheidung getroffen, kann sich das negativ auf das nächstjährige Auto auswirken. Meine Aufgabe ist, da die Richtung vorzugeben und den Ingenieuren zu zeigen, wo wir leistungsmäßig hin müssen, um an die Spitze zu kommen."
Frage: "Gehen wir ein paar Jahre zurück, zur Toyota-Zeit. Damals war es immer so, dass du Ralf Schumacher am Saisonbeginn im Griff hattest, aber dann wurde das Auto geändert und plötzlich war es umgekehrt. Dein Kommentar?"
Trulli: "Tatsache ist, dass wir insgesamt langsamer waren, sobald sie das Auto umgebaut hatten, denn das Team insgesamt war jeweils weniger stark als davor. Die Teamperformance war schlechter, aber Ralf war schneller als ich. Also war das der falsche Weg."
Trulli: "Ja. Leider muss ich das bejahen..."
Frage: "Hast du darüber je mit ihm gesprochen?"
Trulli: "Nicht wirklich, nein. Mir ist das inzwischen egal. Jeder spielt politische Spielchen. Mein Spielchen ist, dass ich schneller als alle anderen sein will, nicht nur schneller als der Teamkollege."
Frage: "Warum ich dieses Thema angesprochen habe: Kann man die Fahrstile von Heikki Kovalainen und dir miteinander vergleichen?"
Trulli: "Er fährt anders als ich, aber er will nichts radikal anderes. Wenn es darum geht, was wir von einem Auto erwarten, dann sind seine Bedürfnisse ähnlich wie meine. Oder anders ausgedrückt: Wir wollen beide ein ähnliches Auto, aber ein unterschiedliches Setup."
Frage: "Es gibt einige ehemalige Toyota-Leute bei Lotus, zum Beispiel Dieter Gass oder Gianluca Pisanello. Hast die du mitgebracht oder geht das auf Mike Gascoynes Kappe?"
Trulli: "Das war Mike."
Lange Beziehung zu Gascoyne
Frage: "Du kennst Mike ja schon lange..."
Trulli: "Wir haben bei Jordan zusammengearbeitet, bei Renault, Toyota."
Frage: "War er einer der Gründe dafür, dass du zu Lotus gekommen bist?"
Trulli: "Mike hat wahrscheinlich mein Vertrauen gestärkt, an dieses Projekt zu glauben. Er hatte recht, denn er hat hier etwas aufgebaut, was vor ein paar Monaten niemand für möglich gehalten hätte."
Frage: "Lotus ist eine ganz andere Erfahrung als Toyota, viel kleiner, überschaubarer - und dein 'Spezialfreund' John Howett ist nicht hier. Wie würdest du diese zwei unterschiedlichen Philosophien vergleichen?"
Trulli: "Lotus hat 150 Mitarbeiter, Toyota hatte 1.000. Die Ressourcen sind anders - und die Ergebnisse natürlich auch."
Frage: "Aber kann es nicht auch ein Vorteil sein, eine schlanke Struktur zu haben? Stichwort Flexibilität, kurze Entscheidungswege. Ihr müsst nicht jedes Mal nach Japan fliegen, wenn ihr eine wichtige Entscheidung trefft."
Trulli: "Mir geht es nur um die Ergebnisse, nicht darum, ob ein Team klein oder groß ist. Du willst in einem Team sein, das Rennen gewinnen kann."
Frage: "Bereust du es eigentlich, nie für Ferrari gefahren zu sein?"
Trulli: "Nein, eigentlich nicht. Ferrari ist auch nur ein Team. Okay, es ist ein italienisches Team, aber das Wichtigste ist, ein Auto zu haben, mit dem du die Chance hast, Rennen zu gewinnen. Ferrari hat mit Schumacher viele Rennen gewonnen, aber jetzt tun sie sich auch nicht mehr so leicht. Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich derzeit lieber in einem Red Bull als in einem Ferrari sitzen. Ich bereue nichts."
Frage: "Für Giancarlo Fisichella war es immer der größte Traum, einmal für Ferrari zu fahren. Du scheinst das anders zu sehen..."
Trulli: "Das stimmt. Da denke ich nicht wie Giancarlo."