Whitmarsh: "Die anderen lassen auch nicht locker"
McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh über die Updateas am MP4-25, die Streitereien bei Red Bull und den Wunsch nach Testfahrten
(Motorsport-Total.com) - Frage: "Martin, wie zufrieden sind sie nach dem Rennen?"
Martin Whitmarsh: "Sehr natürlich. Wenn mir das einer am Freitagabend gesagt hätte, dass wir Zweiter und Vierter werden. Ich hätte es nicht geglaubt. Die beiden Fahrer haben einen exzellenten Job gemacht. Lewis attackiert immer. Er hat genau das umgesetzt, was wir uns vorgestellt hatten. Wir waren der Meinung, dass es hilfreich sein könnte, Red Bull etwas unter Druck zu setzen. Sie schienen irgendwie verletzbar zu sein. Wenn man nicht schnell genug ist, dann muss man hart rangehen. Wir haben das gut gemacht."
"Jenson war natürlich nach dem Qualifying zunächst niedergeschlagen. Er musste zum Start des Rennens ein paar Risiken eingehen. Man schafft es nicht in der ersten Runde von Platz 14 auf acht, wenn man nicht dabei etwas Risiko eingeht. Er hat das gut umgesetzt. Strategisch wollten wir einen anderen Weg gehen und mussten immer schauen, wo er gerade liegt. Es ging richtig gut auf. Wir sind mit dem gesamten Wochenende zufrieden."
"Natürlich kann man immer wieder Kritikpunkte finden. Aus unserer Sicht war es richtig, den neuen auspuffangeströmten Diffusor am Freitag zu probieren. Wir haben nun einige Daten. Im Nachhinein bin ich froh über den Versuch, obwohl ich das Freitagabend noch etwas anders gesehen habe."
"Jenson hatten wir im Rennen mit etwas weniger Benzin ausgestattet, um es ihm im Verkehr etwas einfacher zu machen. Das bedeutete natürlich, dass er am Ende sparen musste und daher keine Attacke auf Rosberg mehr starten konnte. Sonst hätten wir vielleicht mit beiden Autos auf das Podest kommen können. Insgesamt: Wir sind glücklich, aber wir wollen mehr."
Update wird in Hockenheim erneut getestet
Frage: "Kann man anhand der Aufschlüsse über die neuen Teile nun demnächst einen Schritt nach vorne machen?"
Whitmarsh: "Ja, ich habe mir die Daten zusammen mit den Ingenieuren angeschaut. Das war sehr interessant. Wir haben auch direkte Vergleiche fahren können. Wir hätten bestimmt auch mit dem neuen Paket ein ähnliches Tempo fahren können, aber die Fahrer fühlten sich nicht allzu wohl. Aber auf Grundlage der Erfahrungen vom Freitag mussten wir eine Entscheidung treffen."
"Wenn man schon keine Testfahrten mehr hat, dann muss man die Freitage für solche Tests nutzen. Wir haben nun die Chance, auf Grundlage der neuen Daten weiter an der Optimierung zu arbeiten. Ich hoffe, dass wir also Fortschritte machen können. Eine Garantie gibt es dafür allerdings nicht. Die anderen Teams lassen auch nicht locker."
"Wir haben nun einige Erkenntnisse und können weiter arbeiten. Aber trotzdem bleibt das Bauteil erst einmal eine Art Experiment. Ich bin dennoch sehr zuversichtlich, dass wir am Freitag in Hockenheim schon deutliche Fortschritte sehen werden. Vielleicht fahren wir es dann auch im Rennen. Lewis war auch in Silverstone schon der Meinung, wir sollten es nicht ausbauen. Die Daten zeigen, dass er damit gar nicht mal falsch liegt. Aber besser wäre das Ergebnis dann womöglich auch nicht gewesen."
"Wir haben das System verstanden. Einige Konkurrenten zeigen doch deutlich, dass es solches Bauteil gut funktionieren kann. Wir werden den auspuffangeströmten Diffusor in diesem Jahr fahren, ganz sicher. Wir werden ihn nun schnellstmöglich rennbereit machen. Mal sehen, ob es schon zum kommenden Grand Prix klappt."
"Im Übrigen hatten wir auch so reichlich neue Entwicklungen am Auto. Natürlich haben alle über den abgasangeströmten Diffusor gesprochen. Das ist klar, weil das eine große Entwicklung ist und insgesamt gerade im Fokus steht. Aber im Hintergrund haben wir weitere Fortschritte gemacht. Im Qualifying waren wir längst nicht so schnell wie unsere Freunde von Red Bull, aber im Rennen sah es besser aus. Wir sind noch nicht so schnell wie gewünscht, aber immerhin schnell genug, um ein wenig Druck aufzubauen."
"Wir verlassen Silverstone mit beiden Fahrern an der Spitze der Weltmeisterschaft. In der Konstrukteurswertung haben wir den Vorsprung sogar etwas ausbauen können. Das ist doch angesichts der aktuellen Kräfteverhältnisse ein tolles Ergebnis. Die erste Saisonhälfte war hart. Wenn wir nun weitere deutliche Fortschritte machen, dann können wir die Titel holen. Aber dafür müssen wir weiter vorankommen."
Verleiht Red-Bull-Streit McLaren Flügel?
Frage: "War Silverstone vielleicht aufgrund der neuen Streckenführung, der Kurvenarten und der Bodenwellen der schwierigste Kurs, um einen neuen Diffusor zu testen?"
Whitmarsh: "Ja, so ist es. Das war schwierig. Vielleicht war es sogar falsch. Das ist uns klar. Aber trotzdem bin ich insgesamt doch sehr zufrieden, dass wir es versucht haben. Das ist nun einmal der beste Weg, solch ein Teil zu entwickeln."
Whitmarsh: "Wir konzentrieren uns auf uns selbst. Auch bei uns versucht man doch ständig, irgendwelche Keile zwischen unsere Fahrer zu treiben. Tatsache ist aber, dass es bislang nicht geklappt hat. Ich hoffe natürlich, dass sich all unsere Gegner intern selbst zerfleischen (lacht). Aber darauf können und wollen wir uns nicht verlassen. Wir müssen unser Auto schneller machen, und dann können wir die Meisterschaft auf normalem Wege gewinnen."
Frage: "Also legt ihr bei euch größten Wert darauf, dass es zu einer solchen Situation nicht kommt?"
Whitmarsh: "Ja, klar. Formel-1-Piloten sind extreme Wettbewerbsmenschen, deshalb können sie diesen Job überhaupt machen. Wenn es also Situationen gibt, die möglicherweise nicht fair sind, dann gibt es Probleme. Mit zwei Rennfahrern in einem Team gibt es immer potenzielle Spannungen, wenn es um den Kampf um die Titel geht. Wir haben das selbst mehrfach bei uns erlebt. Das ist wirklich schwierig. Aber diesbezüglich stehen wir bisher richtig gut da."
Frage: "Du meinst 2007, als es den Kampf zwischen Lewis und Fernando gab?"
Whitmarsh: "Ja. Wir hatten damals ein tolles Auto, mit dem man den Titel hätte holen müssen. Aber letztlich haben wir die Krone um einen einzigen Punkt verpasst. Damals haben uns die internen Probleme sicherlich den Titel gekostet. Das muss man verstehen und respektieren."
Frage: "Warum ist der Abstand zu Red Bull im Rennen immer deutlich geringer als in der Qualifikation?"
Whitmarsh: "Das ist schon das ganze Jahr so. Die Vorzüge des Red Bulls schlagen vor allem im Qualifying immer deutlich zu Buche. Im Rennen sind wir immer näher dran, in manchen Rennen waren wir sogar schneller. Hier in Silverstone waren wir allerdings immer langsamer. Aber wenigstens schnell genug, um ihnen im Rennen leichte Sorgen zu bereiten."
Variable Strategie bei Button
Frage: "Nach zehn Rennen, in denen Red Bull meistens das deutlich schnellste Auto hatte, seid ihr in beiden Wertungen vorne. Überrascht dich das?"
Whitmarsh: "Nein. Ich kenne die Stärken unserer Mannschaft. Wir haben erstklassige Piloten und ein tolles Team an der Strecke. Die Kombination aus schnellen Fahrern, einem guten Auto und einem tollen Team hat uns eben ermöglicht, in beiden Tabellen ganz nach vorne zu rutschen."
Whitmarsh: "Nein. Auch Jenson wollten wir eigentlich recht früh hereinholen. Aber weil er recht schnell nach vorne kam, sahen wir in unserer Analyse die Chance, dass er gute, freie Runden erwischen kann, wenn er lange draußen bleibt. Genau so ist es auch gekommen. Er hat sich dadurch weit nach vorne schieben können und wäre fast noch auf das Podest gekommen. Also haben wir es richtig gemacht."
Frage: "Auch Ron Dennis war an diesem Wochenende vor Ort. Werden die Strategie des Teams oder andere Dinge mit ihm besprochen?"
Whitmarsh: "Wir haben ein tolles Verhältnis. Aber mein Job ist die Arbeit mit den Ingenieuren und dem Team. Meine Aufgabe war es an diesem Wochenende, das Team nach einem enttäuschenden Freitag wieder aufzubauen und zu motivieren."
"Nach den zwei nicht so schönen ersten Tagen kann es schnell mal passieren, dass die Mannschaft an Zuversicht verliert - das gilt für alle, auch die Fahrer. Wir mussten aber der Überzeugung treu bleiben, dass wir den Sieg und mit Jenson wichtige Punkte holen können. Der Sieg ist nicht gelungen, aber es lief gut. Beide Fahrer sind immer noch vorne und wir führen in der Konstrukteurswertung. Das ist doch gut, auch wenn wir unser Auto immer noch nicht schnell genug haben."
Frage: "Spricht man in der FOTA nun eigentlich über die Testfahrten, die dann ab 2011 wieder möglich sein könnten?"
Whitmarsh: "Wir würden gern wieder testen. Auch andere große Teams wären dafür. Wir werden schon bald wieder darüber sprechen. Es gab große Einspraungen und man hat einigen Teams wirklich durch schwere Zeiten geholfen. Man muss aber festhalten, dass es immer noch einen gewissen finanziellen Druck gibt. Ich persönlich würde gern wieder Testfahrten sehen, ich bin ein Fan davon. Ich arbeite gern mit jungen Fahrern, jungen Ingenieuren. Ich fände es gut, wenn wir neue Teile vorher ausprobieren könnten. Aber es ist derzeit nun einmal nicht so. So mussten wir am Freitag in Silverstone testen und werden es auch in Hockenheim am Freitag wieder tun."
Frage: "Ist bei McLaren die Entscheidung über den Einsatz von KERS 2011 schon gefallen?"
Whitmarsh: "Wir entwickeln unser nächstjähriges Auto für den Einsatz von KERS."