Interview: Horner und seine "schwierige Entscheidung"
Mark Webber fühlt sich nach der umstrittenen Flügelentscheidung von Red Bull nur als Nummer zwei, Christian Horner versucht diesen Eindruck aber zu entkräften
(Motorsport-Total.com) - Red Bull verleiht Flügel - und nimmt sie wieder weg! Das war heute im Fahrerlager von Silverstone der Spruch des Tages, nachdem das österreichisch-britische Team gestern den einzig verbliebenen neuen Frontflügel von Mark Webbers Auto runternahm, um ihn Sebastian Vettel zu geben. Webber quittierte dies nach seinem Sieg mit einem markigen Funkspruch: "Nicht schlecht für eine Nummer zwei, oder?"
Der Australier ist offensichtlich stinksauer auf Teamchef Christian Horner, der mit seiner unpopulären Entscheidung den Eindruck verstärkt, dass Red Bull Vettel insgeheim doch ein bisschen mehr lieben könnte als Webber. Nach dem heutigen Rennen stand Horner mit dem Rücken zur Wand, als er den Grand Prix von Großbritannien mit einigen Journalisten analysierte. Dass es dabei fast nur ein Thema gab, versteht sich von selbst...
Frage: "Christian, willst du, dass Mark nächstes Jahr noch im Team ist?"
Christian Horner: "Das ist eine dumme Frage (lacht; Anm. d. Red.)! Wir haben den Vertrag erst vor einem Monat unterschrieben, daher kann ich mit Sicherheit sagen, dass er nächstes Jahr für uns fahren wird."
Aus der Mücke einen Elefanten gemacht?
Frage: "Aber er sagt, dass er den Vertrag niemals unterschrieben hätte, wenn er gewusst hätte, dass es so ablaufen wird..."
Horner: "Falls er die Nummer zwei ist, aber das ist er nicht. Wir reden über eine einzelne Komponente, für die wir an diesem Wochenende eine Entscheidung treffen mussten. Ich glaube, ihr werdet herausfinden, dass das bei allen Teams so läuft. Diesmal wurde es unnötig aufgeblasen."
Frage: "Aber die Sache geht ja nicht von den Medien aus, sondern sie wurde von euch selbst losgetreten."
Horner: "Ich sage ja nicht, dass es eine Mediensache ist, aber manchmal müssen schwierige Entscheidungen getroffen werden. Wir hatten gestern eine Komponente, die wir als Team unbedingt einsetzen wollten, um für die Zukunft etwas zu lernen, damit wir das Auto so gut wie bisher weiterentwickeln. Wir konnten diese Komponente nur an ein Auto montieren."
Frage: "Die Komponente ist an Sebastians Auto kaputt gegangen, also wäre es doch logisch gewesen, dass er darauf verzichten muss. Das ist das, was die Leute so stört."
Horner: "Das ist nicht logisch, denn die Nasen sind nicht fix einem Chassis zugewiesen. Ja, sie ist an Sebastians Auto kaputt gegangen. Wenn er sie gecrasht hätte, wäre es ein anderes Szenario gewesen, aber sie ist von selbst gebrochen und ich musste eine Entscheidung treffen. Diese Entscheidung wäre heute noch die gleiche wie gestern."
Frage: "Bereust du, was gestern passiert ist?"
Horner: "Nein. Wir sind ein Team und wir geben unser Bestes, um jedes Wochenende das schnellstmögliche Auto zu produzieren. Manchmal müssen Entscheidungen getroffen werden. Gestern fanden wir uns in einer Situation, die wir nicht wollten, dass wir nur noch einen Flügel hatten, den wir unbedingt einsetzen wollten. Ganz egal, welcher Seite der Garage wir den Flügel gegeben hätten, die andere würde unglücklich sein."
WM-Position entscheidet über Vorzug
"Daher musste ich eine Logik anwenden, zu der ich weiterhin stehe - auch beim nächsten Rennen, sollte die gleiche Situation noch einmal auftreten. Es ist sehr kurzfristig passiert, vielleicht 25 Minuten vor dem Qualifying, dass wir wussten, dass wir die Komponente fahren können. Adrian wollte sie unbedingt einsetzen, um damit Erfahrungen für die Weiterentwicklung zu sammeln. Also habe ich die Entscheidung getroffen, aber basierend auf einem Kriterium. Dieses Kriterium war die WM-Position. Aber wie gesagt: Sollte die Situation in Zukunft noch einmal eintreten, dann wird die gleiche Logik gelten."
Frage: "Gibt es dieses System schon lange oder wurde es erst gestern beschlossen?"
Horner: "Ich glaube nicht, dass das in der Boxengasse ungewöhnlich ist, aber wir waren zum ersten Mal in der Situation, dass nur eine andere Spezifikation zur Verfügung stand. Wir hatten zum Beispiel in Valencia nur zwei aktualisierte Unterböden, aber wir mussten dieses System noch nie anwenden. Manchmal müssen schwierige Entscheidungen getroffen werden und das gestern war eine davon. Ich glaube aber immer noch, dass das richtige Kriterium verwendet wurde und dass wir als Team etwas gelernt haben."
Frage: "Glaubst du, dass die Sache mit dem Frontflügel Mark heute für die erste Kurve heiß gemacht hat?"
Horner: "Mark ist ein großer Wettbewerbstyp und natürlich war er vor diesem Rennen heiß. Man konnte sehen, dass nur sehr wenig zwischen den beiden lag, und es ist in vielerlei Hinsicht sehr schade, dass sie nach einer halben Runde schon um eine halbe Runde getrennt waren. Ich glaube, die beiden hätten sich heute ein großartiges Rennen geliefert."
Frage: "Wird in Zukunft Mark profitieren, falls so eine Situation wieder auftreten sollte?"
Horner: "Das Entscheidende ist, dass beide Fahrer für das Team fahren. Es gibt nicht ein einzelnes Individuum. Mark ist schon für das Team gefahren, als wir noch um zehnte und elfte Plätze gekämpft haben, daher weiß er, wie hart das Team dafür arbeitet, in einer Position zu sein, ganz vorne mitzufahren und Grands Prix zu gewinnen."
Motivation ist kein Problem
"Ich glaube nicht, dass einer der Fahrer motiviert werden muss. Wenn du zwei Fahrer hast, die um die Weltmeisterschaft kämpfen, können natürlich auch Spannungen auftreten. Diese Tatsache verschweigen wir nicht, aber wie gesagt: Dieses Wochenende musste eine schwierige Entscheidung getroffen werden und sollte es wieder zu so einer Situation kommen, dann würden wir wieder nach dem gleichen Kriterium entscheiden."
Frage: "Dein Fahrer geht heute mit dem Gefühl nach Hause, nur die Nummer zwei im Team zu sein. Er hat das nicht zum ersten Mal so gesagt. Wie willst du das für die Zukunft ändern?"
Horner: "Mark Webber ist in seiner vierten Saison in diesem Team. Er weiß, wie viel Leidenschaft und Entschlossenheit dieses Team als unabhängiges Team investiert hat, um zwei Autos an die Spitze des Feldes zu bekommen."
"Mark weiß das besser als jeder andere und er ist ein wichtiges Mitglied des Teams. Das war er schon immer und das ist er noch. Auch alle anderen Teammitglieder sind wichtig. Wenn dicke Luft herrscht, dann werden wir etwas dagegen unternehmen, aber er ist schon lange genug dabei, um als Sportler zu wissen, dass manchmal schwierige Entscheidungen getroffen werden müssen."
Frage: "Aber er findet, dass Sebastian bevorzugt wird, darum sein Kommentar mit der Nummer zwei am Boxenfunk. Das kann ja nicht gesund sein, oder?"
Horner: "Mark ist der König der Einzeiler, wie ihr alle wisst. Das Wichtigste ist heute, dass er den britischen Grand Prix gewonnen hat. Ich bin mit seiner Fahrt mehr als glücklich."
Frage: "Mark hat die Formulierung Nummer zwei ja selbst verwendet. Fürchtest du, dass dadurch noch mehr Öl in das Feuer gegossen werden könnte, das gestern entzündet wurde?"
Horner: "Klar ist, dass ein Fahrer immer zuerst seinen Teamkollegen schlagen will, denn das ist die eine Person, von der er weiß, was er macht. Das ist wichtig. Jeder Fahrer würde lügen, wenn er sagt, er will seinen Teamkollegen nicht schlagen. Dazu kommt, dass wir zwei Fahrer haben, die um die Weltmeisterschaft kämpfen. Wenn wir nun aber als Team alles auf die Fahrer konzentrieren und nicht auf das Team, dann werden wir uns nicht weiterentwickeln."
Webber-Aussage nicht ernst gemeint?
Frage: "Genau darum geht es ja, dass Mark sagt, er ist die Nummer zwei. Freust du dich darüber?"
Horner: "Das war ein leichtfertiger Kommentar von Mark. Er hatte gerade den britischen Grand Prix gewonnen. Ich fasse diesen Kommentar nicht als bösartig auf. Er war offensichtlich verärgert über die gestrige Entscheidung. Er hätte den Flügel lieber selbst bekommen, aber ich kann ihn schließlich nicht in der Mitte durchschneiden."
Frage: "Was würde Mark für dich zu eurer Nummer eins machen?"
Horner: "Es geht nicht darum, die Nummer eins zu sein. Sollte noch einmal der Fall eintreten, dass wir nur eine Komponente haben, die einem Auto zugewiesen werden muss, dann würde ich natürlich nach dem gleichen Kriterium entscheiden."
Frage: "Wird es einen Zeitpunkt geben, an dem ihr eine Nummer eins auswählt?"
Horner: "Es wird irgendwann einen Zeitpunkt geben, wenn ein Fahrer keine realistische WM-Chance mehr hat, an dem sich das Team hinter einen Fahrer stellt, denn alles andere wäre dumm. Aber beide sind Teamplayer und es ist noch viel zu früh, um einem Fahrer zu sagen, dass er nur noch die Nummer zwei ist. Das haben wir noch nie getan. Alles, was gestern passiert ist, ist, dass eine Entscheidung hinsichtlich einer einzelnen Komponente getroffen werden musste."
Frage: "Mark hat gesagt, dass er unter diesen Umständen keinen neuen Vertrag unterschrieben hätte. Ganz offensichtlich fühlt er sich als Nummer zwei. Wie willst du ihm dieses Gefühl nehmen?"
Horner: "Mark hat keinen Vertrag als Nummer zwei unterschrieben. Er weiß genau, was das Team alles unternommen hat, um trotz des Gewichtsunterschiedes der beiden Fahrer Ausgeglichenheit zu erreichen."
"Er weiß, wie sehr sich das Team angestrengt hat, um ihn zu unterstützen. Ich habe keinen Zweifel, dass er etwas daraus lernen kann, wenn er einmal Zeit hat, in Ruhe darüber nachzudenken. Objektiv gesehen muss er als Sportler realisieren, dass manchmal schwierige Entscheidungen getroffen werden müssen."
Team harmoniert angeblich bestens
Frage: "Stimmt es, dass die englischen Jungs eher mit Mark sympathisieren und die Österreicher eher mit Sebastian?"
Horner: "Absolut nicht. Als Team halten wir mehr zusammen als je zuvor. Ihr müsst euch ja nur die Entschlossenheit bei den Boxenstopps als Beispiel anschauen, wo beide Crews kombiniert sind. Das ist die Stärke dieses Teams, dass sie als Crew füreinander arbeiten. Darum können wir über unserer Gewichtsklasse boxen und Teams wie McLaren und Ferrari herausfordern."
Frage: "Hast du Angst, dass ihr Mark nach den jüngsten Entwicklungen verlieren könntet?"
Horner: "Mark hat einen Vertrag mit uns. Wir haben ihm ein Auto gegeben, das dazu in der Lage ist, vorne zu fahren, Grands Prix zu gewinnen und um die Weltmeisterschaft zu kämpfen. Ich bezweifle sehr stark, dass er sich davon abwenden wird. Unterm Strich ist Mark ein Teamplayer. Ich kann verstehen, dass die Emotionen in so einem intensiven Kampf überkochen, aber der Punkt ist, dass er den britischen Grand Prix gewonnen hat, dass er keine Fehler gemacht hat, den besseren Start als sein Teamkollege hatte. Das war heute der Unterschied."
Frage: "Hast du die gestrige Entscheidung mit Helmut Marko besprochen?"
Horner: "Nein. Es war eine ganz einfache Diskussion zwischen Adrian Newey und mir. Adrian war sehr erpicht darauf, diese Komponente zu fahren. Wir beide haben entschieden, welches Auto sie bekommen soll. Also haben wir darüber nachgedacht, was das fairste Entscheidungskriterium ist. Da kamen wir auf die WM-Position und das dritte Freie Training. Auf dieser Basis wurde die Entscheidung getroffen."
Frage: "Eine gewisse Teamrivalität ist für gute Ergebnisse wahrscheinlich sogar notwendig, aber glaubst du, dass es noch unter Kontrolle ist?"
Horner: "Ich glaube schon. Offensichtlich gibt es einen Wettkampf zwischen den beiden Fahrern, denn sie pushen beide sehr hart. Obwohl ich darüber viel mit euch sprechen muss, ist es eigentlich sogar eine positive Situation für das Team, zwei Fahrer zu haben, die sich gegenseitig dermaßen pushen."
Frage: "Mark hat am Funk auch gefragt, wer mit ihm auf das Podium kommt. Gefällt dir so ein Verhalten?"
Horner: "Es ist nicht Marks Angelegenheit, zu fragen, wer auf das Podium geht. Das ist Teamsache. Peter Prodromou ist unser Aerodynamikchef und er hat dieses Jahr einen wunderbaren Job gemacht. Daher habe ich entschieden, ihn heute auf das Podium zu schicken. Ich bin mir sicher, Mark war sehr glücklich darüber, ihn da oben zu sehen."