Longruns Saudi-Arabien: McLaren schockt Konkurrenz trotz Sandbagging
McLaren verschleiert seine Pace in Saudi-Arabien, ist aber trotzdem vorne: Das sagen die Daten nach dem Formel-1-Trainingsfreitag in Dschidda!
(Motorsport-Total.com) - Die Dominanz von McLaren in der Formel-1-Saison 2025 scheint sich auch beim fünften Saisonrennen in Saudi-Arabien fortzusetzen. Lando Norris und Oscar Piastri belegten im wichtigen zweiten Freien Training die Spitzenpositionen. Max Verstappen, als erster Verfolger, lag rund drei Zehntel zurück. Doch ein genauer Blick in die Daten zeigt: McLaren ist in Dschidda vermutlich noch deutlicher überlegen.
Dank der Daten unseres Technologiepartners PACETEQ lassen sich nicht nur die Longruns mit hohem Benzinstand analysieren, sondern auch die Zeitverluste der einzelnen Teams genau nachvollziehen. Auffällig dabei: Lando Norris fuhr seine Bestzeit von 1:28,267 offenbar in einem niedrigen Motorenmodus. In der Geschwindigkeitsmessung kam der Brite lediglich auf 324 km/h, während Verstappen 332 km/h erreichte.
Mit dem Datentool F1 Tempo lässt sich die Telemetrie präzise auswerten. Auch wenn der Großteil der Strecke in Red-Bull-Blau eingefärbt ist, holt Norris in den Kurven massiv Zeit heraus. Addiert man die Zeitverluste auf den Geraden, verliert McLaren gegenüber Red Bull rund dreieinhalb Zehntel. Doch wie aussagekräftig ist dieser Vergleich?
Ein naheliegender Erklärungsansatz wäre, dass McLaren mit höherem Abtrieb unterwegs war, um in den Kurven zu glänzen - zulasten der Höchstgeschwindigkeit. Allerdings zeigten die Medium-Runs zu Beginn der Session sowie die Longruns am Ende des Trainings, dass McLaren auch auf den Geraden konkurrenzfähig war. Vieles deutet darauf hin, dass man sich bei den Soft-Läufen bewusst motorseitig zurückhielt - andernfalls hätte der Vorsprung auf die Konkurrenz wohl über eine halbe Sekunde betragen.
Longruns: McLaren deklassiert die Konkurrenz
Die Longruns geben dabei noch mehr Aufschluss und vermitteln einen klaren Eindruck der wahren McLaren-Stärke. Im zweiten Training war Oscar Piastri im Schnitt der schnellste Fahrer mit viel Sprit an Bord. Sein Vorsprung auf Pierre Gasly im Alpine betrug - bereinigt um Reifentypen und Stintlängen - satte 0,59 Sekunden pro Runde.
Allerdings wurden die Longruns im zweiten Training durch einen Unfall von Yuki Tsunoda vorzeitig beendet. Daher sind die Daten aus dem ersten Training, trotz schlechterer Streckenbedingungen, tendenziell repräsentativer. Auch dort war McLaren über sechs Zehntel schneller pro Runde als die Konkurrenz - diesmal mit Lando Norris an der Spitze.
Auffällig war erneut das starke Reifenmanagement von McLaren. Von allen Topfahrern gelang es nur Norris, auf dem weichen C5-Reifen seine Zeit in der zweiten Qualifying-Runde zu verbessern - bei allen anderen war der Soft nach einer Runde bereits zu stark verschlissen. Auch der durchschnittliche Reifenabbau von nur 0,07 Sekunden pro Runde im Longrun des ersten Trainings konnte sich sehen lassen.
Wer ist McLarens erster Verfolger?
Der Freitag legt nahe, dass McLaren in Dschidda nahezu konkurrenzlos agiert. Im Verfolgerfeld hingegen ist die Rangordnung weniger eindeutig. Max Verstappen fuhr im zweiten Training die drittschnellste Zeit, doch Charles Leclerc im Ferrari setzte seine schnellste Runde erst im zweiten Versuch, nachdem der erste bereits im ersten Sektor abgebrochen wurde. Ferrari könnte also noch schneller sein, als die Zeit vermuten lässt.
Die Longrun-Daten zeigen ein gemischtes Bild. Im ersten Training war George Russell der erste McLaren-Verfolger - vor Ferrari und Red Bull. Die Topspeed-Werte lassen vermuten, dass Ferrari bei der Motorleistung bewusst zurückhaltend war. Auch beim Reifenmanagement schnitt Ferrari besser ab als Mercedes. Dafür waren die Silberpfeile auf den Geraden am schnellsten.
In den kurzen Longruns des zweiten Trainings war Leclerc schließlich auch auf dem Papier schneller als Mercedes und Red Bull. Allerdings wurde jedes dieser drei Teams nur von einem ihrer Fahrer getragen: Lewis Hamilton, Andrea Kimi Antonelli und Yuki Tsunoda konnten mit der Longrun-Pace ihrer Teamkollegen nicht mithalten. Der Kampf um den letzten Podestplatz könnte sich somit zwischen Leclerc, Russell und Verstappen entscheiden - vorausgesetzt, die Freitagsdaten bilden eine realistische Grundlage für den Sonntag.
Mittelfeld: Alpine bestätigt Bahrain-Form, aber ...
Betrachtet man ausschließlich die Longrun-Daten, scheint Pierre Gasly im Alpine auf Augenhöhe mit den drei Top-Verfolgerteams unterwegs zu sein. Doch es gibt einen Haken: Offenbar setzte man auf eine aggressive Herangehensweise, also hohe Anfangs-Pace mit entsprechend höherem Reifenverschleiß.
Da die Longrun-Stints relativ kurz waren, schlug sich dieser Verschleiß kaum auf die Rundenzeiten nieder. Das bedeutet: In einem realen Rennstint würde Alpine mit dieser Herangehensweise vermutlich deutlich zurückfallen. Dennoch scheint Gasly das Mittelfeld anzuführen, wobei einzig Williams ernsthafte Konkurrenz bietet.
Auch Carlos Sainz und Alexander Albon wählten die schnelle, aber reifenintensive Variante - waren dabei jedoch etwas langsamer. Die übrigen Teams bewegen sich auf ähnlichem Niveau, allerdings leicht hinter Alpine und Williams, womit sie aktuell kaum in Schlagdistanz zu den Punkterängen liegen. Änderungen am Set-up über das Wochenende könnten dies jedoch noch verändern.
Weichere Reifen, aber Einstoppstrategie bleibt wahrscheinlich
Pirelli hat in diesem Jahr eine weichere Reifenauswahl als 2024 getroffen, da der Asphalt in Dschidda sehr glatt ist und traditionell zu wenig Verschleiß führt. An der Strategie für den Sonntag dürfte sich jedoch wenig ändern - ein Einstopprennen bleibt das wahrscheinlichste Szenario.
Schon im Vorjahr zeigte sich, dass der C3-Reifen problemlos über 30 Runden durchhält, während der C4-Reifen in den Longruns zumindest keine extremen Verschleißerscheinungen offenbarte. Laut Berechnung unseres Technologiepartners PACETEQ ist die Medium-Hard-Strategie rund zehn Sekunden schneller als die beste Zweistoppvariante, trotz eines relativ niedrigen Boxenstopp-Zeitverlusts von 20 Sekunden.
Der Soft-Reifen wird am Sonntag voraussichtlich keine Rolle spielen. Schon in den Qualifyingsimulationen war der Verschleiß so hoch, dass nur eine schnelle Runde möglich war. In den Longruns war der Abbau noch gravierender. Pirelli-Motorsportchef Mario Isola fasst es so zusammen: "Nach dem, was wir bisher gesehen haben, hat die Einführung der weicheren Mischung das Gesamtbild nicht wesentlich verändert."
"Bei den wenigen aussagekräftigen Longruns sahen wir kaum Graining. Das Verschleißniveau war im Wesentlichen ähnlich wie im Vorjahr, vielleicht etwas höher. Daher ist es schwer vorstellbar, dass es eine größere Änderung der Strategie geben wird. Auf dem Papier ist die Einstoppstrategie die schnellste, während die Zwei-Stopper zwar etwas konkurrenzfähiger sind als zuvor - aber nicht genug, um eine echte Alternative darzustellen."