• 08. April 2025 · 10:38 Uhr

Analyse: Suzuka entlarvt das Überholproblem der modernen Formel 1

Der Große Preis von Japan 2025 offenbarte die Schwierigkeiten beim Überholen in der modernen Formel 1: Ist das Ground-Effect-Reglement gescheitert?

(Motorsport-Total.com) - Der Große Preis von Japan 2025 wird wohl kaum in Erinnerung bleiben - zumindest nicht als spektakuläres Rennen. Suzuka offenbarte ein altbekanntes Problem der Königsklasse: Überholen wird in der modernen Formel 1 immer schwieriger - selbst auf traditionsreichen Strecken.

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Aufgereiht wie eine Perlenkette: Der Große Preis von Japan 2025 Zoom Download

Der geringe Reifenverschleiß, das hohe Grundtempo und vor allem der zunehmende Einfluss von Dirty Air sorgten dafür, dass das Feld größtenteils in der Reihenfolge des Qualifyings ins Ziel kam. Das Rennen spiegelte dabei eine Entwicklung wider, die sich durch das gesamte Reglement zieht: Zwar wurde das aktuelle Fahrzeugkonzept mit dem Ziel eingeführt, das Racing zu verbessern, doch die Realität hat dieses Vorhaben längst eingeholt.

Suzuka: Ein schwieriges Pflaster fürs Überholen

Überholen war in Suzuka schon immer eine Herausforderung. Die Natur der Strecke mit ihren langen, flüssigen Kurven und nur einer einzigen effektiven DRS-Zone in Richtung Kurve eins macht es nahezu unmöglich, im Windschatten entscheidend näherzukommen. Vor der Ausgabe 2025 lag die durchschnittliche Anzahl an Überholmanövern pro Rennen in Suzuka bei 27,8, was den Kurs zur fünftschwierigsten Strecke zum Überholen im aktuellen Kalender macht.

Die DRS-Zone selbst wird ohnehin als wenig effektiv eingeschätzt und bringt laut Daten nur etwa eineinhalb Zehntel. In Kombination mit dem Windschatten ist man auf der Hauptgeraden also rund dreieinhalb Zehntel schneller als der Vordermann - doch auch hier gibt es ein weiteres Problem: In Kurve eins ist man zu schnell, um sich innen hineinbremsen zu können.

Deshalb muss man mindestens mit einem Abstand von vier Zehnteln aus der letzten Kurve herauskommen, um überhaupt eine Chance auf ein Überholmanöver zu haben. Doch gerade diese Voraussetzungen sind durch die turbulente Luft des vorausfahrenden Autos praktisch kaum zu realisieren.

Max Verstappen fasst nach dem Rennen zusammen: "Es ist einfach sehr schwer zu folgen. Die Autos werden jedes Jahr schneller und erzeugen mehr Abtrieb - und dadurch wird es eben auch schwieriger, dran zu bleiben. Hier gibt es nur eine DRS-Zone, und bei so geringem Reifenverschleiß fährt man einfach ein Einstopprennen - das macht es nochmal härter."

Ohne Reifendelta keine Chance zum Überholen

McLaren-Teamchef Andrea Stella erklärte nach dem Rennen, dass seine Fahrer ein Pace-Delta von "sieben bis acht Zehnteln" gebraucht hätten, um an Max Verstappen vorbeizukommen. Doch woher sollte dieses Delta kommen? Der MCL39 war vielleicht einige Zehntel schneller als der Red Bull, aber eben nicht acht. Und auch bei einem Reifenwechsel in derselben Runde konnte kein Reifendelta gegenüber Verstappen erzeugt werden. Eine ohnehin fragwürdige strategische Entscheidung, aber am Grundproblem ändert es nichts.


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Die Autos sind derart dicht beieinander, dass praktisch kein Fahrzeug einen deutlichen Pace-Vorteil von mehr als acht Zehnteln hatte. Und aufgrund der engen Abstände konnten sich die Fahrer kaum extreme Strategien erlauben. Ein ganz früher Undercut hätte dazu führen können, dass ein Fahrer im Verkehr stecken bleibt, während ein langer Overcut das Risiko mit sich brachte, vom Hintermann selbst mit einem Undercut überholt zu werden.

Wachsende Probleme trotz neuer Regeln

Die aktuellen Fahrzeuge wurden 2022 mit dem Ziel eingeführt, genau solche Szenarien zu vermeiden. Der Fokus lag auf der Reduktion des übermäßigen Abtriebs. Stattdessen sollten die Autos weniger Verwirbelungen erzeugen und auch weniger anfällig für die Turbulenzen des vorausfahrenden Fahrzeugs sein.

Simulationen aus jener Zeit zeigten: Ein Auto aus dem Jahr 2021 verlor bei zehn Metern Abstand rund 47 Prozent seines Abtriebs. Das neue Fahrzeugkonzept sollte diesen Wert auf 18 Prozent reduzieren - ein deutlicher Fortschritt. Bei 20 Metern lag der Verlust bei nur noch vier Prozent.

Doch wie Suzuka zeigte, hat diese Entwicklung ins Stocken geraten - oder ist sogar rückläufig. Das Problem: Die Teams haben die Regeln nicht verletzt, aber durch kreative Interpretationen ausgereizt. Frontflügel werden wieder so designt, dass Luft nach außen geleitet wird, die Unterböden sind hochkomplex, und auch bei den Heckflügeln finden sich erneut exponierte Flügelspitzen - eigentlich verboten, aber geschickt umgesetzt.

"Letztlich fügen wir wieder mehr aerodynamischen Abtrieb hinzu, was dazu führt, dass der Verlust an Abtrieb beim Hinterherfahren wieder größer wird", erklärt Stella. "Bereits in China haben wir gesehen: Wenn jemand vorne ist, kann er einfach machen, was er will - selbst mit abgefahrenen Reifen."

Ist das Ground-Effect-Reglement gescheitert?

Ein Blick auf die Daten ist dennoch spannend. Der Regelzyklus seit 2022 hat im Schnitt zu etwa 39 Überholmanövern pro Rennen geführt. Zum Vergleich: Das vorherige Reglement (2017 bis 2021) mit den breiten Autos, die eigentlich für mehr Abtrieb und damit auch mehr Dirty Air sorgten, verzeichnete im Schnitt etwa 36 Überholmanöver pro Rennen - also nur minimal weniger.

Sind die neuen Aerodynamik-Regeln also gescheitert? Diese Frage lässt sich nicht einfach beantworten. Zwar generierten die breiten Autos des vorherigen Regelzyklus mehr Dirty Air, doch damit auch mehr Luftwiderstand, was den Windschatteneffekt stärker machte als im aktuellen Reglement.

Zudem rückt das Formel-1-Feld immer weiter zusammen, was vor allem an der Budgetobergrenze liegen dürfte. Im Jahr 2017, dem ersten Jahr der breiten Autos, betrug der Unterschied im Qualifying zwischen dem schnellsten Team (Mercedes) und dem langsamsten (Sauber) im Schnitt 3,64 Sekunden. Sogar Renault, die viertbeste Mannschaft, lag im Schnitt 1,86 Sekunden hinter der Spitze zurück. Damals gab es erhebliche Performanceunterschiede - nicht nur zwischen den Teams, sondern auch innerhalb der Top- und Mittelfeldgruppen.

Sind die Teams zu eng beieinander?

Schaut man sich die Daten des ersten Jahres mit dem neuen Ground-Effect-Reglement 2022 an, trennten Red Bull (das schnellste Team) und Williams (das langsamste Team) im Qualifying nur noch durchschnittlich 2,14 Sekunden. Im vergangenen Jahr betrug der Abstand zwischen allen zehn Teams nur noch 1,41 Sekunden. Die Tendenz ist weiter fallend.

Zwar waren die erforderlichen Überholdeltas mit dem alten Reglement höher, aber das Feld war so weit gestreut, sodass Überholmanöver trotzdem möglich waren. Auf Strecken, die statistisch gesehen gut für Überholmanöver geeignet sind - wie zum Beispiel China -, gibt es mittlerweile jedoch weniger Überholmanöver als früher.

Die benötigten Überholdeltas von teilweise nur drei Zehnteln existieren durch das immer engere Feld einfach nicht mehr so häufig. Dass die Teams immer näher zusammenrücken ist also Fluch und Segen zugleich. Die Formel 1 ist so eng wie noch nie in der kompletten Geschichte, doch das geht auf Kosten von Überholmanövern.

Wie lässt sich das Überholen wieder erleichtern?

Es gibt grundsätzlich zwei Ansätze, um das Überholen wieder einfacher zu machen. Einerseits könnte man das erforderliche Überholdelta auf nahezu null reduzieren - doch das ist technisch nahezu unmöglich, da es immer einen Dirty-Air-Faktor geben wird. Deshalb muss man auch ein Umfeld schaffen, das die Pace-Unterschiede im Rennen vergrößert, ohne dabei den Fortschritt durch die Budgetobergrenze zu gefährden. Eine echte Herkulesaufgabe.

Eine Verbesserung könnte mit dem neuen Reglement 2026 kommen. Die geplante Einführung aktiver Aerodynamik - also verstellbare Flügelelemente je nach Rennsituation - sowie ein Power-Override-System könnten dabei helfen, das Racing zu verbessern.


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Ein weiterer Faktor sind die Reifen. Zwar wünschen sich viele Fans, dass die Fahrer jede Runde des Rennens am Limit fahren, doch das lässt sich nur mit ungeeigneten Reifensorten erreichen - wie wir es in Suzuka gesehen haben. Der neue Asphaltbelag im ersten Sektor hat den Reifenverschleiß so stark reduziert, dass die Auswahl der Reifensätze von C1 bis C3 im Prinzip viel zu hart war und ein langweiliges Rennen zur Folge hatte.

George Russell übt daher Kritik an Pirelli: "In den letzten zwei Wochenenden waren die Reifen einfach zu hart - es war jeweils ein einfaches Einstopprennen, und das hat jede Spannung aus der Strategie genommen. Wir sind alle dort ins Ziel gekommen, wo wir gestartet sind."

Was ist das kleinere Übel?

Schnell verschleißende Reifen würden größere Reifendeltas und mehr strategische Optionen ermöglichen. Doch auch hier könnte es Kritik von den Fans geben, da das Reifenschonen dann zu einem dominierenden Faktor werden würde und die Fahrer weit davon entfernt wären, wirklich am Limit zu fahren. Es bleibt ein schwieriger Spagat, wie auch Fernando Alonso erklärt.

"Es scheint, als ob wir am Donnerstag immer wieder betonen, wie großartig Suzuka oder Monaco sind, und dann wachen wir am Sonntag auf und sagen: 'Monaco ist langweilig, Suzuka ist langweilig, was können wir an der Strecke ändern?'"

"Suzuka ist großartig, vor allem, weil der Samstag unglaublich viel Adrenalin bietet", so Alonso. "Aber wenn wir keinen Grip haben, beschweren wir uns, dass wir keinen Grip haben, und wenn wir zu viele Boxenstopps haben, beschweren wir uns, dass die Reifen nicht halten."

Sind Pflichtboxenstopps die Lösung?

Eine weitere Idee ist, den Teams zwei Pflichtboxenstopps vorzuschreiben, unabhängig vom Reifenverschleiß. Doch eines ist klar: Diese Maßnahme würde das Problem des Überholens keineswegs lösen, da man das Pace-Delta auf der Strecke nicht erhöhen, sondern eher verringern würde. Zudem könnten sich sehr kuriose Strategien entwickeln.

Die FIA kündigte bereits im Februar an, dass beim Großen Preis von Monaco zwei Reifenwechsel obligatorisch sein werden. Eine Herausforderung für jeden Strategen. Es bleibt jedoch unklar, ob den Teams freigestellt wird, wann sie diese zwei Boxenstopps durchführen, oder ob es feste Boxenstoppfenster geben wird.

Wegen des geringen Reifenverschleißes haben in der Vergangenheit Teams, die im Verkehr festhingen, versucht, einen frühen Undercut zu setzen - teilweise schon in der ersten Runde - und das Rennen dann durchzufahren. Falls keine festen Boxenstoppfenster vorgeschrieben werden, könnte dies zu noch kurioseren Strategien führen, möglicherweise mit Stopps in Runde eins und zwei.

Ob dies im Sinne des Erfinders ist, bleibt fraglich, denn das Grundproblem des Überholens wird damit nicht behoben. Es handelt sich nur um einen künstlichen Eingriff mit eher ungewissem Ausgang. Daher bleibt abzuwarten, wie die Formel 1 dieses Problem langfristig lösen wird.

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