Reifen-Krimi in China: Norris sieht für Rennen Vorteil bei Mercedes
McLaren auf der Pole, Mercedes in Lauerstellung und Ferrari mit Vorteilen beim Reifenmanagement: Wer gewinnt den Großen Preis von China?
(Motorsport-Total.com) - Nach Lewis Hamiltons Sieg im Sprintrennen scheint das Qualifying zum Großen Preis von China das erwartete Kräfteverhältnis wiederhergestellt zu haben. McLaren-Pilot Oscar Piastri wird von der Poleposition in das Rennen gehen mit den restlichen Topteams eng dahinter. Doch wie sich schon im Sprint gezeigt hat, wird ein Faktor im Hauptrennen ganz entscheidend sein: Das Reifenmanagement.
"Ich denke, das Wichtigste ist, dass man sicherstellt, dass die Reifen überleben", sagt der Australier auf die Frage, wie er seine Poleposition am besten in einen Rennsieg ummünzt. "Ich denke, wir haben heute Morgen gesehen, dass diejenigen, die auf ihre Reifen aufpassen, die Schnellsten waren."
Denn im Sprint zeigte Hamilton das beste Reifenmanagement aller Fahrer und konnte den Sieg mit einem relativ klaren Vorsprung vor Piastri einfahren, doch der McLaren-Pilot merkt an: "Lewis lag den ganzen Vormittag in Führung, was ihm auf lange Sicht wahrscheinlich geholfen hat." Am besten steckt man also nicht im Verkehr fest, da die Reifen in der verwirbelten Luft nur noch mehr leiden.
Russell: Große Unklarheiten bei der Strategie
George Russell, der im Mercedes von Rang zwei starten wird, glaubt jedenfalls nicht an eine große Siegchance für sein Team: "Ich denke, sie [McLaren] sind immer noch allen einen Schritt voraus. Ferrari war im Sprint eine echte Überraschung, aber morgen ist es ein anderes Spiel."
Zudem sieht er eine Unbekannte auf die Teams zusteuern: "Ich denke, der Medium-Reifen im Sprint war wirklich schwierig. Ich denke, dass die meisten Fahrer morgen auf diesem Reifen an der Spitze des Feldes starten werden, aber der harte Reifen wurde das ganze Wochenende nicht gefahren."
"Niemand weiß also im Moment, ob es ein oder zwei Stopps geben wird. Wir wissen, dass McLaren schnell sein wird, aber wir werden alles tun, um dort zu bleiben, wo wir sind, oder zu versuchen, sie zu überholen."
Sind ein oder zwei Stopps wahrscheinlicher?
Das hohe Boxenstoppdelta von 23 Sekunden würde an sich eher für die Einstoppstrategie sprechen, doch in der Vergangenheit sowie zuletzt im Sprint am Samstag hat sich gezeigt, dass der Reifenverschleiß dafür eigentlich zu hoch ist. Somit scheinen zwei Stopps wahrscheinlicher, wie auch Pirelli-Motorsportchef Mario Isola bestätigt.
"Der Verschleiß des Mediums nach 19 Runden war ziemlich hoch", bilanziert der Italiener nach dem Sprintrennen. "Für einige Teams war es schon an der Grenze. Das bestätigt unsere Einschätzung, dass wir morgen von einer Zweistoppstrategie ausgehen: Medium-Hard-Hard. Klar ist: Niemand hat echte Daten zum harten Reifen, aber das ist wahrscheinlich die einzige realistische Option."
"Ich habe jemanden über eine Dreistoppstrategie sprechen hören", fügt Isola hinzu, aber: "Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass das nötig ist. Es ist zwar machbar, aber unter Berücksichtigung der Streckenentwicklung bis morgen, ohne Regen, wird sich die Strecke verbessern, und das Graining dürfte morgen geringer ausfallen. Daher ist ein Zweistopprennen realistisch."
Norris sieht Mercedes bei Reifenmanagement im Vorteil
Beim Thema Reifenmanagement rechnet McLaren stark mit Mercedes, obwohl der Sprint nicht gerade für ein ausgezeichnetes Reifenschonen am Silberpfeil gesprochen hat. Lando Norris, der von Rang drei ins Rennen gehen wird, erklärt: "Das Reifenmanagement hier ist nicht wie normales Reifenmanagement. Es geht wirklich um die Vorderreifen und ums Graining."
"Es geht darum, wie gut man die Vorderreifen schonen kann. Und genau da war Mercedes in der Vergangenheit sehr, sehr stark", so Norris. "In Las Vegas zum Beispiel konnten sie die Vorderreifen extrem gut im Griff behalten. Ich denke, das ist eine ihrer Stärken - und wahrscheinlich auch der Grund, warum sie heute so schnell waren."
Die Daten des Sprints belegen Norris' Vermutung jedoch nicht wirklich. Sowohl Russell als auch sein Mercedes-Teamkollege Andrea Kimi Antonelli verschlissen die Reifen um durchschnittlich über zwei Zehntel pro Runde, McLaren und Ferrari lagen darunter. Doch nach dem Sprint können die Teams auch noch einmal an ihren Set-ups geschraubt haben.
Nach Sprint-Sieg: Was geht für Ferrari?
Eine deutlich schlechtere Ausgangslage nach dem Qualifying hat Ferrari mit den Startplätzen fünf und sechs für Lewis Hamilton und Charles Leclerc. Das gute Reifenmanagement im Sprint macht Mut, dass es im Hauptrennen nach vorne gehen kann: "Das ist ein positives Zeichen, denn vor allem bei den langen Stints morgen und einem längeren Rennen können wir hoffentlich unseren Vorteil beim Reifenabbau nutzen", hofft Leclerc.
"Aber mit der verwirbelten Luft im Verkehr, wie ich sie heute Morgen erlebt habe, ist es sehr, sehr, sehr schwierig, auf der Strecke zu überholen. Aber wenn wir es mit unserer Strategie schaffen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und nicht zu sehr feststecken, dann denke ich, dass wir uns selbst überraschen können."
Teamkollege Hamilton fügt hinzu: "Es ist eine großartige Strecke für ein Rennen. Es ist keine Strecke, auf der man überall nur eine Linie hat, das ist also das Positive. Aber man kann sehen, dass man immer noch Probleme hat, einander zu folgen. Deshalb wird es morgen darauf ankommen, wie man die Reifen einsetzt und wann man sie einsetzt."
Bleibt noch Red Bull. Mit Startplatz vier ist Max Verstappen in einer ordentlichen Ausgangslage, doch wie Mercedes hatte auch Red Bull im Sprint Probleme mit den Reifen und sackte gegen Rennende ab. Laut Motorsportkonsulent Helmut Marko ist "für morgen ist alles offen. Max kann schnell fahren und Reifen schonen, wenn das Auto mitmacht", so der Österreicher.