Flügel-Video nicht eingereicht: Warum Williams jetzt Ärger droht
Williams hat es versäumt, Videoaufnahmen aus dem Freien Training rechtzeitig einzureichen: Zwar gibt es keinen Regelverstoß, dennoch ist die Lage kompliziert
(Motorsport-Total.com) - Williams muss sich am Samstagmorgen noch einmal vor den Kommissaren erklären - und das aus einem kuriosen Grund. Denn das Team hatte die geforderten Videodateien, die auf den Front- und auf den Heckflügel blicken, nicht fristgerecht eine Stunde nach dem Freien Training zur Verfügung gestellt.
Diese Kameras sollen eigentlich mögliche Verbiegungen der Flügel aufnehmen, von daher ist es logisch, dass sofort Schuldvermutungen aufkamen, als Williams diese Aufnahmen nicht lieferte. Eine Erklärung dafür gab es vom Rennstall bislang noch nicht.
Nur: Es ist einfach, dem Team eine Schuld anzukreiden, belegbar ist das allerdings nicht. Vielleicht gibt es eine völlig harmlose Erklärung, und ebenso wenig lässt sich durch die Videoaufnahmen zweifelsfrei feststellen, ob ein Flügel regelwidrig ist oder nicht.
Ein Blick in die sozialen Medien genügt, um zahlreiche User zu finden, die Onboard-Aufnahmen teilen, auf denen sich Flügel unter Last sichtbar durchbiegen - oft begleitet von aufgeregten Forderungen nach sofortigem Eingreifen.
Doch: Es ist völlig normal, dass sich Flügel unter aerodynamischer Belastung verformen - eine vollständige Vermeidung ist technisch unmöglich. Die entscheidende Frage ist vielmehr, wie viel Verformung bewusst konstruiert wurde - und zu welchem Zweck.
Die einzige praktikable Methode, den Grad der Verformung exakt zu messen, ist die Belastung des Flügels im Ruhezustand - also durch das Auflegen definierter Gewichte. Doch auch das ist nicht exakt praxisnah, weshalb die FIA kürzlich die erlaubten Toleranzen bei Heckflügel-Tests angepasst hat.
Wettrennen zwischen Regelhütern und Ingenieuren
F1-Teams nutzen solche statischen Prüfverfahren schon seit Jahrzehnten strategisch aus. In der letzten Ground-Effect-Ära versuchte die FIA, dem mit einer Mindestfahrzeughöhe entgegenzuwirken - die allerdings ebenfalls nur im Stand überprüfbar war.
Brabham-Designer Gordon Murray umging diese Regel, indem er die Karosserie auf pneumatisch gefederten Streben montierte. So blieben die Seitenkästen im Stand auf legaler Höhe, sanken aber unter Fahrtlast ab - ein früher Trick aus der Grauzone.
Die FIA führte beim Belgien-Grand-Prix im vergangenen Jahr neue Videokontrollen ein, um einen wissenschaftlich fundierten Hinweis auf die tatsächliche Verformung der Flügel unter realer Last zu erhalten.
Hochauflösende Kameras wurden so angebracht, dass sie sowohl den Front- als auch den Heckflügel aufzeichnen. Auf den Endplatten der Flügel waren Punkte angebracht, anhand derer sich eine Verdrehung der Flügelelemente erkennen ließ.
Aktuell werden diese Kameras ausschließlich in den Freien Trainings verwendet - was natürlich Raum für Interpretationen lässt: etwa, dass Teams für Qualifying und Rennen bewusst andere, grenzwertige Komponenten einsetzen. Offenbar war die Analyse des Onboard-Materials einiger Fahrzeuge im ersten Training von Australien Auslöser für die jüngste Verschärfung der Testverfahren.
Kein Regelverstoß, aber ...
Williams hat in dem Fall aber nicht gegen das Technische Reglement verstoßen. Es handelt sich vielmehr um einen formalen Verstoß gegen eine Technische Richtlinie. Zudem war keine Verpflichtung gegeben, entsprechendes Material aus dem Sprint-Qualifying in China bereitzustellen.
Auch der Bericht des technischen Delegierten sagt nicht, dass Williams gar kein Videomaterial übermittelt hätte - sondern nur, dass es nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist von einer Stunde nach Trainingsende eingereicht wurde.
Das dürfte auch der Grund dafür sein, warum die Kommissare die Anhörung auf Samstagmorgen in Shanghai (8:30 Uhr Ortszeit, 1:30 Uhr MEZ) verschoben haben: Es handelt sich nicht um einen Fall, der umgehend behandelt werden muss.
Doch behandelt werden muss er - denn wenn Williams für diesen Verstoß nicht bestraft werden würde, könnten andere Teams sich ebenfalls ermutigt fühlen, Videomaterial verspätet oder gar nicht zu liefern - ohne Konsequenzen. Das würde die gesamte Philosophie der nahezu durchgehenden Kontrolle in der Formel 1 untergraben.
Selbst wenn es also eine unschuldige Erklärung für die verspätete Abgabe gibt und das Technische Reglement nicht verletzt wurde, ist eine Strafe unvermeidlich. Die einzige Frage ist - angesichts des neuartigen Charakters dieses Falls - wie schwer sie ausfällt.