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Zu spät an der Box: Hätte Verstappen in Australien gewinnen müssen?
Verstappen zu spät an der Box, Ferrari verzockt sich komplett und Regen-Set-ups funktionieren nicht: Die Strategie-Analyse nach dem Formel-1-Rennen in Australien
(Motorsport-Total.com) - McLaren hat den Großen Preis von Australien dominiert und lag zweitweise über 15 Sekunden vor dem Rest der Welt, doch Safety-Cars brachten das Feld immer wieder zusammen. Als sich in Runde 44 der Regen verstärkte und Lando Norris und Oscar Piastri im dritten Sektor abflogen, bot sich die Chance für Verfolger Max Verstappen, doch das Boxenstopptiming von Red Bull wirft Fragen auf. Hätte der Niederländer den Grand Prix gewinnen können?
Gemeinsam mit unseren Technologiepartner PACETEQ haben wir uns durch die Daten des Rennes gewühlt und nicht nur die Verstappen-Strategie, sondern auch Ferraris misslungenem Poker mit den Trockenreifen sowie die allgemeine Performance aller Autos und Fahrer analysiert.
Hätte Verstappen schon in Runde 45 auf Intermediates wechseln müssen?
Lando Norris entschied sich nach seinem Ausrutscher im letzten Sektor der 44. Runde direkt an die Box zu fahren, um im stärker werdenden Regen von Trockenreifen auf Intermediates zu wechseln. Auf den Slick-Reifen hatte der Brite Verstappen zuvor im Schnitt über eine Sekunde pro Runde abgenommen, doch durch den Fehler war der Weltmeister wieder dran.
Nach seinem Stopp kam Norris unglücklicherweise direkt hinter Verstappens Red-Bull-Teamkollegen Liam Lawson auf die Strecke zurück und büßte damit Zeit ein. Nach den ersten Zwischenzeiten handelte sich Norris einen Rückstand von 22,5 Sekunden auf Verstappen an der Spitze ein, was insofern relevant ist, weil das Boxenstoppdelta in Australien nur 20 Sekunden beträgt.
Verstappen blieb jedoch eine weitere Runde draußen, während der Regen immer stärker wurde und die Intermediates immer größere Vorteile hatten. Nach seinem Reifenwechsel in Runde 46 kam der Red-Bull-Pilot schließlich mit sieben Sekunden Rückstand auf Norris auf die Strecke zurück. Doch wäre er in Führung geblieben mit einem Stopp eine Runde früher?
Warum Red Bull fast keine Reaktionsmöglichkeit hatte
Die neuen Intermediates von Norris und auch anderer Fahrer, die in Runde 44 an die Box kamen wie George Russell, Andrea Kimi Antonelli, Alexander Albon, Lance Stroll und Nico Hülkenberg schienen nach den ersten Sektorenzeiten in Runde 45 fast wie die falsche Wahl auszusehen. Norris büßte in Sektor eins auf Verstappen ein, während der zweite Sektor ebenfalls etwas langsamer war. Das gleiche Muster konnte man auch bei den anderen Intermediate-Fahrern sehen.
Red Bull muss das gesehen haben und zum Entschluss gekommen sein, dass der Intermediate noch nicht der richtige Reifen ist. Allerdings war die Strecke im dritten Sektor am feuchtesten, was man nicht nur durch die Ausrutscher von McLaren, sondern auch mit Charles Leclercs Dreher und Gabriel Bortoletos Crash sehen konnte. Der Intermediate war hier klar im Vorteil.
In Norris' Intermediate-Outlap war er in den ersten beiden Sektoren zwar langsamer als Verstappen, im dritten Sektor holte er dafür gleich vier volle Sekunden auf. Das Problem für Red Bull: Verstappen lag vor Norris auf der Strecke, das heißt als der McLaren-Fahrer die wahre Intermediate-Pace im letzten Sektor zeigte, war Verstappens Runde praktisch schon um, womit man nicht mehr mit einem Reifenwechsel reagieren konnte. So kam der Stopp in Runde 46 überhaupt zustande.
Zu spät an der Box: Hätte Verstappen in Australien gewinnen müssen?
McLaren dominiert in Australien – doch hätte Max Verstappen mit der richtigen Strategie gewinnen müssen? Weitere Formel-1-Videos
Durch den letzten Sektor von Norris wird damit auch klar, dass Verstappen auch bei einem Stopp in Runde 45 nicht in Führung geblieben wäre. Der McLaren-Rückstand reduzierte sich von 22,5 Sekunden auf 18,5 im Rundenverlauf. Bei einem Boxenstoppdelta von 20 Sekunden wäre Verstappen also knapp hinter Norris auf die Strecke zurückgekommen. Somit war die Red-Bull-Strategie nicht optimal, hat am Endergebnis aber wahrscheinlich nichts geändert.
"Rückblickend hätte es keinen Unterschied gemacht", meint auch Verstappen nach dem Rennen. "Hätte ich mit Lando gestoppt, wäre ich Zweiter gewesen. Hätte ich eine Runde später gestoppt, wäre ich Zweiter gewesen. Und auch auf der Runde, in der ich tatsächlich gestoppt habe, war ich Zweiter."
Wie sich Ferrari und Racing Bulls komplett verzockten
Deutlich schlechter sah es dafür bei Ferrari und Racing Bulls aus. Es ist im Nachhinein betrachtet glasklar, dass Runde 44 absolut optimal war für einen Reifenwechsel auf Intermediates, doch wie bei Red Bull kann man hier nachvollziehbare Gründe finden, warum man nicht eher reinkam und abwarten wollte.
Das große Fragezeichen ist jedoch, warum man nicht mit Verstappen in Runde 46 hereinkam, sondern noch eine Runde länger draußen blieb. Zu diesem Zeitpunkt konnte man in den Daten nämlich schon sehen, dass die Intermediate-Fahrer gerade im letzten Sektor einen signifikanten Zeitvorteil hatten. Red Bull hat daraufhin gehandelt, Ferrari und Racing Bulls nicht.
Hat Ferrari alles auf den Sieg gesetzt?
Ferrari-Teamchef Frederic Vasseur erklärt: "Heute haben wir am Ende die falsche Wahl getroffen. Seien wir ehrlich: Wir haben wie Max versucht, auf der Strecke zu bleiben und auf Slicks zu überleben, als es zu regnen begann, denn wir dachten fälschlicherweise, dass der Regen weniger lange anhalten würde."
Der Poker hätte nämlich auch aufgehen können, schließlich lag Lewis Hamilton zwischenzeitlich sogar an der Spitze des Rennens. Vielleicht ist Ferrari bewusst das Risiko eingegangen, um sich aus dem Nichts eine Siegchance zu erarbeiten an einem Wochenende, wo bis dahin nicht wirklich viel zusammenlief. Im Nachhinein betrachtet ist man natürlich schlauer und hätte mindestens die Strategie der Fahrer splitten müssen.
Beim Blick in die Daten wäre Hamilton mit einem Stopp eine Runde früher höchstwahrscheinlich auf Platz sechs gelandet, Leclerc auf Rang sieben. Übrigens: Den Poker bis zum Rennende mit den Trockenreifen durchzuziehen hätte keinen Sinn gemacht. Die Trockenreifen waren gegen Rennende fünf Sekunden pro Runde zu langsam, somit hätte Ferrari damit gar keine Punkte geholt.
Am Ende konnte die Scuderia wenigstens noch fünf Zähler mitnehmen, während Yuki Tsunoda, der das Mittelfeld bis zum Strategiechaos am Ende des Rennens anführte, mit Platz zwölf gar keinen Punkt holte. Mit einer optimalen Strategie wäre Albon auf jeden Fall schlagbar gewesen. Somit sind ein fünfter Platz und zehn Punkte verloren gegangen.
Warum die vermeintlichen Regen-Set-ups nicht funktionierten
Vor dem Rennen wurde viel über mögliche Regen-Set-ups gefachsimpelt, die das Kräfteverhältnis auf den Kopf hätten stellen können. Besonders Ferrari und Alpine standen hier im Fokus. Doch im Endeffekt sind die Regen-Set-ups an zwei Dingen gescheitert: Erstens war die Strecke nicht feucht genug und zweitens war das Überholen praktisch unmöglich.
Am Samstag im Qualifying kämpften im Prinzip alle Teams außer McLaren mit dem Überhitzen der Reifen, was zu einem massiven Rückstand im letzten Sektor geführt hat. So hat Norris bei seiner Poleposition den Vorteil der vier Zehntel auf Verstappen praktisch komplett im letzten Streckenabschnitt herausgefahren.
Das Überhitzen wurde jedoch als Vorteil für den Regen gehandelt, da es normalerweise schwer ist, die Regenreifen auf einer feuchten Strecke auf Temperatur zu bringen. Doch die Strecke war im Rennen zwar feucht, aber nie wirklich richtig nass, sodass am Ende auch die Intermediates Überhitzungserscheinungen zeigten und McLaren wieder im richtigen Fenster war.
McLaren nimmt Konkurrenz sieben Zehntel pro Runde ab
Das hat dazu geführt, dass die Autos, die schon im Qualifying Reifenprobleme hatten, im Rennen das gleiche Schicksal erlitten. Am besten sehen konnte man das anhand von Max Verstappen. Zu Rennbeginn und auch gegen Rennende auf neuen Intermediates war der Red-Bull-Pilot quasi auf Augenhöhe mit McLaren, doch mit fortschreitender Stintdauer knickten die Reifen komplett ein.
Schaut man sich nur die Rennpace des ersten Stints an, dann war McLaren 0,69 Sekunden pro Runde schneller als Verstappen, denn in der Mitte des Stints verlor der Weltmeister teilweise 1,5 Sekunden pro Runde. Mercedes und Ferrari kämpften mit den gleichen Problemen und waren im Schnitt weit über eine Sekunde pro Runde langsamer als McLaren.
Bereits im Vorjahr bei den Regenrennen von Kanada und Großbritannien hat sich gezeigt, dass McLaren auf einer feuchten, aber nicht komplett nassen Strecke große Vorteile hatte. Dafür hat man dann später in der Saison in Brasilien gesehen, dass starke Regenschauer und eine richtig nasse Strecke dem Team aus Woking nicht unbedingt in die Karten gespielt haben. Somit war es am Rennsonntag in Australien wohl einfach nicht nass genug, um McLaren richtig herauszufordern.
Im Mittelfeld kam neben dem Überhitzungsproblem auch noch eine weitere Komponente hinzu: Die Überholschwierigkeit. Tsunoda führte das Mittelfeld lange Zeit zwar an, doch seine Pace war nicht überragend. Schon am Freitag hat sich angedeutet, dass der Racing Bulls eher ein Qualifyingauto ist, im Longrun aber die Reifen zu schnell verschleißt, was viel Pace kostet.
Trotz schwacher Racing-Bulls-Rennpace und vermeintlich besseren Regen-Set-ups wie bei Alpine konnte trotzdem niemand Tsunoda überholen. Australien ist statistisch gesehen die drittschwerste Strecke zum Überholen im Kalender nach Monaco und Imola. Zwar gibt es vier DRS-Zonen, aber die Geraden sind zu kurz und die Bremszonen nach den Geraden nicht hart genug.
Eine noch ausführliche Analyse der Strategien und Daten des Australien-Grand-Prix gibt es im Übrigen auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de, wo Datenexperte Kevin Hermann zudem seine Einschätzung über das Kräfteverhältnis der Formel 1 abgibt und hinterfragt, ob McLaren 2025 wirklich so dominant ist, wie es in Melbourne ausgesehen hat. (Hier draufklicken, um das Video anzuschauen.)